Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Selbständiger mit nur einem Auftraggeber;
Vorgreiflichkeit eines Antragsverfahrens nach § 7a SGB IV
Tatbestand
Der Kläger erstrebt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Selbständiger mit
nur einem Auftraggeber.
Der am 17.09.1951 geborene Kläger war bis zum 31.12.2009 als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1) abhängig beschäftigt.
Sein Arbeitsverhältnis mit der Beigeladenen zu 1) wurde durch eine zwischen ihm und der Beigeladenen zu 1) getroffene schriftliche
Vereinbarung vom 28.10.2009 zum 31.12.2009 beendet. Seine Abberufung als Geschäftsführer wurde am 09.02.2010 in das Handelsregister
des Amtsgerichts Stuttgart eingetragen (HRB ....). Ab dem 01.01.2010 übernahm er für die Beigeladene zu 1) auf der Grundlage
eines mit dieser bereits am 07.07.2008 geschlossenen Vertrages "über freie Mitarbeit" die Tätigkeit eines Beraters. Diese
Beratertätigkeit war nach dem genannten Vertrag bis zum 31.12.2012 befristet; anschließend war der Kläger arbeitslos. Seit
01.10.2014 bezieht er von der beklagten Rentenversicherung eine Altersrente für langjährig Versicherte.
Am 03.09.2009 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht als Selbständiger
mit nur einem Arbeitgeber, der bei Eintritt der Versicherungspflicht das 58. Lebensjahr vollendet hat. Über diesen Antrag
entschied die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 16.02.2010 wie folgt: "Ihr Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung wird abgelehnt." Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 12.03.2013 Widerspruch ein.
Er machte geltend, der Bescheid sei widersprüchlich. Er habe eine Befreiung von der Versicherungspflicht beantragt. Wenn die
Beklagte nun eine Feststellung der Versicherungspflicht ablehne, hätte sie seinem Antrag stattgeben müssen. Daraufhin erging
der Bescheid vom 24.03.2010. Darin führte die Beklagte aus, der Bescheid vom 16.02.2010 werde gemäß § 44 SGB X zurückgenommen und durch diesen Bescheid ersetzt. Der Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der
Rentenversicherung für Selbständige mit einem Auftraggeber werde abgelehnt. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung damit,
dass der Kläger seine Beratertätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausübe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2010 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers als unbegründet
zurück.
Am 21.06.2010 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben.
In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 16.07.2012 hat der Kammervorsitzende des SG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers fehle. Die
Ablehnung der Befreiung von der Versicherungspflicht für Selbständige werde zwar mit dem Argument, der Kläger sei abhängig
beschäftigt, begründet. Ein Bescheid, der den Status des Klägers regele, sei bislang allerdings nicht ergangen.
Daraufhin stellten der Kläger und die Beigeladene zu 1) im November 2012 bei der DRV Bund (Beigeladene zu 2) einen Antrag
auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status. Nach einer Anhörung des Klägers und der Beigeladenen zu 1) entschied
die DRV Bund mit zwei Bescheiden vom 26.03.2013 gegenüber dem Kläger und der Beigeladenen zu 1, dass die Tätigkeit des Klägers
als Berater für die Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2012 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses
durchgeführt worden sei und in dem Beschäftigungsverhältnis Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht
der Arbeitsförderung bestanden habe. In der gesetzlichen Krankenversicherung habe keine Versicherungspflicht bestanden. Beide
Bescheide enthielten eine Rechtsmittelbelehrung, in der darauf hingewiesen wurde, dass gegen diese Bescheide innerhalb eines
Monats nach ihrer Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden könne. Rechtsbehelfe gegen diese Bescheide wurden nicht eingelegt.
Mit Gerichtsbescheid vom 29.07.2013 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 24.03.2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger von der Versicherungspflicht
gemäß §
2 Satz 1 Nr 9
SGB VI für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2012 zu befreien. In den Entscheidungsgründen hat es seine Entscheidung auf §
6 Abs
1a Nr
1 SGB VI gestützt. Der Kläger sei zwar in seiner Tätigkeit als Berater für die Beigeladene zu 1 als Selbständiger versicherungspflichtig.
Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zur Beigeladenen zu 1) habe nicht bestanden. Er habe zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner
Beratertätigkeit am 01.01.2010 jedoch das 58. Lebensjahr vollendet gehabt und die bis zum 31.12.2012 dauernde Tätigkeit habe
nur 3 Jahre umfasst, sodass die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
erfüllt seien. Der Gerichtsbescheid ist der Beklagten am 06.08.2013 zugestellt worden.
Am 02.09.2013 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass der Kläger in seiner Beratertätigkeit für
die Beigeladene zu 1) abhängig beschäftigt war.
Am 25.07.2014 stellte die Beigeladene zu 1) bei der Beigeladenen zu 2) einen Antrag auf Überprüfung und Rücknahme des Bescheides
vom 26.03.2013 gemäß § 44 SGB X. Diesen Antrag lehnte die DRV Bund mit Bescheid vom 19.09.2014 und Widerspruchsbescheid vom 20.04.2015 ab. Die hiergegen
zum SG erhobenen Klage der Beigeladenen zu 1) gegen die DRV Bund ist noch beim SG anhängig.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.07.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass er in seiner Beratertätigkeit selbständig war.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie ist ebenfalls der Ansicht, dass der Kläger in der hier streitigen Zeit für sie als selbständiger Berater tätig war.
Die Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag.
Sie hat vorgetragen, die Clearingstelle sei nach §
7a SGB IV nicht gehindert gewesen, über den vom Kläger und der Beigeladenen zu 1) am 14.11.2012 gestellten Antrag auf Statusfeststellung
zu entscheiden, da eine Statusprüfung bei einem anderen Versicherungsträger oder einer Einzugsstelle nicht anhängig gewesen
sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig.
Die Berufung ist nach §§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig. Die Beklagte hat gegen den ihr am 06.08.2013 zugestellten Gerichtsbescheid mit einem am 02.09.2013 beim LSG eingegangenen
Schriftsatz Berufung eingelegt.
Streitgegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.05.2010. Der Bescheid vom 16.02.2010 ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Diesen Bescheid nahm die Beklagte mit Bescheid
vom 24.03.2010 zurück und ersetzte ihn vollständig durch den neuen Bescheid.
Auch die Bescheide der Beigeladenen zu 2) vom 26.03.2013 und 19.09.2014 und der Widerspruchsbescheid vom 20.04.2015 sind nicht
Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt gemäß §§
153 Abs
1,
96 SGG nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen
Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Abgesehen davon, dass die Bescheide von der Beigeladenen zu 2) und nicht von der Beklagten
erlassen wurde, haben diese Bescheide die mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Regelung weder abgeändert noch ersetzt.
In dem auf die Feststellung der Sozialversicherungspflicht Beschäftigter gerichteten Anfrageverfahren nach §
7a SGB IV sollte allein geklärt werden, ob der Kläger bei der Beigeladenen zu 1) wegen Ausübens einer (abhängigen) Beschäftigung iS
von §
7 Abs
1 SGB IV versicherungspflichtig war. Eine Feststellung des (Nicht-)Bestehens von Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der
Selbstständigen nach §
2 Satz 1
SGB VI erfolgt im Anfrageverfahren nach §
7a SGB IV nicht (BSG 28.09.2011, B 12 R 17/09 R, [...]). Demzufolge wird eine Entscheidung der Clearingstelle nach §
7a SGB IV nicht Gegenstand eines Klageverfahrens, in dem die auf der Grundlage von §
6 Abs
1a Satz 1
SGB VI ergangene (ablehnende) Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über einen Antrag auf Befreiung von einer sich (angeblich)
aus §
2 Satz 1 Nr 9
SGB VI ergebenden Versicherungspflicht angefochten wird. Die Ausführungen im Bescheid vom 24.03.2010, wonach es sich bei der Tätigkeit
des Klägers um eine abhängige Beschäftigung handelt, sind nur Bestandteil der Begründung.
Das Anfrageverfahren nach §
7a SGB IV ist allerdings ein von einer Verwaltungsstelle - der Beigeladenen zu 2) - durchzuführendes Verwaltungsverfahren, in dem das
Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses (hier: Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung
iSv §
7 Abs
1 SGB IV) festgestellt wird, von dem die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreit über eine Befreiung von der Versicherungspflicht
nach §
6 Abs
1a Satz 1
SGB VI zum Teil abhängt. Denn die Befreiungsentscheidung setzt voraus, dass ohne eine Befreiung eine Rentenversicherungspflicht
als Selbständiger besteht, was nicht der Fall ist, wenn Versicherungspflicht aufgrund einer Beschäftigung vorliegt. Der Senat
war im vorliegenden Fall dennoch weder berechtigt noch gar verpflichtet, das Verfahren nach §
114 Abs
2 SGG (Fall der Vorgreiflichkeit) auszusetzen. Mit dem bestandskräftig gewordenen Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 26.03.2013
wurde das bei ihr anhängig gewesene Verwaltungsverfahren beendet. Das von der Beigeladenen zu 1) initiierte Aufhebungsverfahren
nach den §§ 44 ff SGB X, mit dem eine Änderung des Bescheides vom 26.03.2013 erstrebt wird, ist nicht mehr vorgreiflich iSd §
114 Abs
2 SGG. Gegenstand dieses Verfahrens ist nicht die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, sondern ein Anspruch auf Aufhebung der
früheren Entscheidung.
Überdies hat die Beigeladene zu 2) mit Bescheid vom 26.03.2013 als "Clearingstelle" nach §
7a SGB IV über die Versicherungspflicht des Klägerin in zwei verschiedenen Sozialversicherungszweigen entschieden. Es ist offen, ob
und ggf unter welchen Voraussetzungen dieser Bescheid von der Beigeladenen zu 2) zurückgenommen werden kann. Geht man davon
aus, dass für die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung durch den jeweiligen Träger dieser Versicherungszweige getrennt
zu prüfen ist, auf welche Rechtsgrundlagen die Rücknahme der Statusfeststellung gestützt werden kann und ob die maßgeblichen
Voraussetzungen erfüllt sind, ist - falls § 44 SGB X einschlägig sein sollte - die Beigeladene zu 2) nicht die gemäß § 44 Abs 3 SGB X für die Rücknahme zuständige Behörde. Ist die Beigeladene zu 2) für die Rücknahmeentscheidung zwar zuständig, kommt eine
Rücknahme auf der Grundlage von § 44 SGB X nur nach dessen Abs 2 in Betracht. Eine Rücknahme des Statusfeststellungsbescheides auch für die Vergangenheit wäre somit nur als Ermessensentscheidung
zulässig. Ein Anspruch der Beigeladenen zu 1) auf Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2013 würde in diesem Fall voraussetzen,
dass ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, was wohl kaum angenommen werden kann. Ist davon auszugehen, dass
der Bescheid vom 26.03.2013 für die Beigeladene zu 1) zwar nicht begünstigend ist, weil der Gesamtsozialversicherungsbeitrag
von ihr zu zahlen ist (§
28e Abs
1 Satz 1
SGB IV), für den Kläger aber nur begünstigend ist, weil die Beigeladene zu 1 den Gesamtsozialversicherungsbeitrag wegen §
28g Sätze 2 und 3
SGB IV auch endgültig zu tragen hätte, müsste die Rücknahme insgesamt auf der Grundlage von § 45 SGB X erfolgen. Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit käme danach nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 bzw Abs 3 Satz 2 SGB X in Betracht (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGBX) und würde ebenfalls eine Ermessensentscheidung voraussetzen.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 24.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2010 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in eigenen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von einer sich aus §
2 Satz 1 Nr 9
SGB VI ergebenden Rentenversicherungspflicht. Das SG hat seiner Klage deshalb zu Unrecht stattgegeben.
Nach §
6 Abs
1a Satz 1
SGB VI können Personen, die nach §
2 Satz 1 Nr
9 SGBVI versicherungspflichtig sind, unter bestimmten Voraussetzungen von dieser Versicherungspflicht befreit werden. Die Voraussetzungen
für eine Befreiung liegen hier schon deshalb nicht vor, weil der Kläger in seiner Tätigkeit als Berater für die Beigeladene
zu 1) nicht nach §
2 Satz 1 Nr 9
SGB VI versicherungspflichtig war. Dies ergibt sich aus dem bindend gewordenen Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 26.03.2013. Darin
hat die Beigeladene zu 2) für die Beteiligten verbindlich entschieden, dass die Tätigkeit des Klägers als Berater für die
Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2012 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses durchgeführt
wurde und aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung
bestanden hat. Da eine zur Rentenversicherungspflicht führende abhängige Beschäftigung eine Rentenversicherungspflicht als
Selbständiger ausschließt, liegt keine Versicherungspflicht vor, von der der Kläger befreit werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.