Vergütung stationärer Krankenhausbehandlungen in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Fallpauschalen
Anforderungen an die Kodierung der Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin ist Trägerin eines (Plan-)Krankenhauses nach §
108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) für die Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Dort wurde in der Zeit vom 11.03.2013 bis 22.03.2013
die bei der beklagten Krankenkasse versicherte H (geboren 1951; im Folgenden Versicherte) stationär behandelt. Die stationäre
Aufnahme der Versicherten am 11.03.2013 erfolgte aufgrund eines diabetischen Fußsyndroms am rechten Fuß bei Diabetes mellitus
Typ II (Erstdiagnose 2007), das unter ambulanter Behandlung nicht zur Abheilung gekommen war. Bei der Aufnahmeuntersuchung
wurden ein tiefes, unter der Haut befindliches (subkutanes) Malum perforans (chronische Wunde/Fußsohlengeschwür) D 1 plantar
(ICD-10 L89.28) von der Größe 2,2 cm x 2 cm sowie ein feuchter Einriss interdigital zwischen D3 und D4 links (L89.18) festgestellt.
Die Fußwunden wurden in der Fußambulanz der Klägerin gereinigt, mit Geh- und Schaumverband versorgt sowie mit Antibiotika
behandelt. Weiterhin wurde die Medikation des Diabetes neu eingestellt. Die Versicherte gab bei der Aufnahme an, dass sie
seit Oktober 2012 Diabetikerschuhe trage und deshalb die Kompressionsstrümpfe nicht mehr benutzen könne. In der Fußdokumentation
wurde zu dem Malum perforans festgehalten: "Wundentstehungsgrund ist eventuell eine Blase, die vor gut 1/2 Jahr aufgetreten
ist, die an sich besteht seit 3 Wochen. Blasenentstehung wohl bei zu engem Schuhwerk zusammen mit Stützstrümpfen."
Die Klägerin stellte der Beklagten mit Rechnung vom 15.04.2013 unter Zugrundelegung der Diagnosis-Relates-Group (DRG) F27
B ("verschiedene Eingriffe bei Diabetes mellitus mit Komplikationen, ohne Gefäßeingriff, mit äußerst schweren CC oder komplexer
Arthrodese des Fußes") einen Gesamtbetrag in Höhe von 6.478,54 € in Rechnung. Die Klägerin verschlüsselte als Hauptdiagnose
E11.75 (nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus <Typ-II-Diabetes>, mit multiplen Komplikationen, mit diabetischem
Fußsyndrom, als entgleist bezeichnet) und als Nebendiagnose ua T79.3 (Posttraumatische Wundinfektion, anderenorts nicht klassifiziert).
Die Beklagte zahlte den Betrag zunächst vollständig. Sie leitete ein Prüfverfahren ein und teilte dies der Klägerin mit. Nachdem
die Klägerin dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) die Behandlungsunterlagen vorgelegt hatte, gelangte der
MDK in seinem Gutachten vom 29.08.2013 zu dem Ergebnis, dass die DRG F27 C ("verschiedene Eingriffe bei Diabetes mellitus
mit Komplikationen, ohne Gefäßeingriff, ohne äußerst schwere CC, ohne komplexe Arthrodese des Fußes") abzurechnen sei. Die
von der Klägerin gestellte Nebendiagnose T79.3 (Posttraumatische Wundinfektion, anderenorts nicht klassifiziert) sei keine
im Sinne der Kodierrichtlinien relevante Diagnose. Eine posttraumatische Wundinfektion liege nicht vor. Das diabetische Fußsyndrom
sei in der Hauptdiagnose abgebildet. Die Beklagte forderte von der Klägerin unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten vom 29.08.2013
1.809,53 € zurück und verrechnete diesen Betrag am 18.03.2014 mit einer unstreitigen Forderung der Klägerin. Die Klägerin
widersprach der Beurteilung durch den MDK. Der MDK blieb in seinem Gutachten vom 18.11.2016 durch G bei seiner bisherigen
Einschätzung. Der Argumentation der Klägerin, dass die Wunde an der Großzehe des rechten Fußes traumatisch verursacht worden
sei, könne nicht gefolgt werden. In der Fußdokumentation der Klägerin sei niedergelegt, dass Wundentstehungsgrund eventuell
eine Blase sei, die vor gut einem halben Jahr aufgetreten sei, und die Wunde an sich seit ca drei Wochen bestehe. Somit sei
eine traumatische Entstehung keinesfalls nachgewiesen, sondern nur möglich. Die Überschrift über Kapitel T79.X laute: Bestimmte
Frühkomplikationen eines Traumas. Hier seien Läsionen, die möglicherweise nach sechs Monaten aufgrund eines Traumas entstanden
seien, nicht impliziert. Von einer rein deskriptiven Benennung eines Befundes auf die Ursache zu schließen, verbiete sich
im vorliegenden Fall. Es bleibe bei der kodierten DRG F27 C.
Die Klägerin hat am 02.11.2017 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und den Differenzbetrag in Höhe von 1.809,53 € nebst Zinsen geltend gemacht. Die Kriterien für eine vollstationäre
Behandlung im Sinne von §
39 SGB V hätten während des gesamten stationären Aufenthalts vorgelegen. Die Versicherte habe während des gesamten Zeitraums einer
stationären Krankenhausbehandlung bedurft, die aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands nur mit den besonderen Mitteln eines
Krankenhauses zu erreichen gewesen sei. Die Kodierung sei nicht zu beanstanden. Die stationäre Aufnahme der Versicherten sei
bei nicht heilendem Malum perforans an D1 plantar mit Keimnachweis sowie erhöhten Entzündungsparametern und deshalb erforderlicher
antibiotischer Behandlung erfolgt. Aus der Fußdokumentation sei bezüglich der Wundentstehung zu entnehmen, dass diese traumatisch
verursacht worden sei. Vor ca einem halben Jahr habe sich die Versicherte durch Druckeinwirkung von außen (unpassende Schuhe
und zugleich diabetische Neuropathie mit herabgesetztem/fehlendem Druck-/Schmerzempfinden) zuerst eine Blase gelaufen, aus
der sich die Wunde allmählich entwickelt habe. Somit sei unstreitige Ursache für die Wunde ein Druckulkus, ein von außen einwirkendes
schädigendes Ereignis (= Trauma). Der diese Diagnose bezeichnende lateinische Name sei Malum perforans, übersetzt durchbohrendes
Übel. Somit müsse die infolge eines Druckulkus entstandene Infektion korrekterweise mit T79.3 (Posttraumatische Wundinfektion)
verschlüsselt werden.
Weiter hat die Klägerin vorgetragen, dass ausweislich der dokumentierten Fußbilder des Malum perforans an D1 rechts ein Trauma
infolge einer Druckbelastung mit Bildung einer Hyperkeratose (Hornhautplatte an der äußersten Schicht der Oberhaut) und subkallöser
Abszesshöhle (unter der Hornhautplatte bildet sich ein Abszess) sowie eine umkapselte Eiteransammlung in einer nicht von Natur
aus vorhandenen Körperhöhle, die durch entzündliche Gewebseinschmelzung entstanden sei, vorgelegen habe. Die Fußbilder bewiesen
diese traumatische Entstehung infolge von Druckbelastung. Ob diese ursprünglich mit einer Blasenbildung einhergegangen sei
oder nicht, sei für die Kodierung irrelevant. Das Druck-Ulkus mit Infektion habe sich sofort nach dem Trauma entwickelt, habe
aber durch seine subkallöse Lage nicht entdeckt werden können. Erst nach Abtragung der Hyperkeratose sei das unter der Hornhautplatte
schleichend entwickelte, verborgene Ulkus sichtbar geworden. Somit habe eine nach dem Trauma früh entstandene posttraumatische
Wundinfektion vorgelegen, die aber aufgrund der unter der dicken Hornhautplatte versteckten Lage erst viel später entdeckt
worden sei, nämlich erst dann, nachdem der subkallöse eitrige Infektionsprozess eine größer werdende Abszesshöhle entwickelt
habe und ein Malum perforans nach außen sichtbar geworden sei.
Die Beklagte ist der Klage unter Berufung auf die MDK-Gutachten entgegengetreten.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. S der M Klinik und Pklinik des Uklinikums
G und M mit den Schwerpunkten Endokrinologie und Diabetologie, hat in seinem Gutachten vom 14.08.2018 ausgeführt, dass während
des stationären Aufenthalts eine effektive Versorgung des Malum perforans nach den Regeln der ärztlichen Kunst, bestehend
aus Antibiose, chirurgischem Wund-Debridement, Wundkontrollen und Wundverbänden erfolgt sei. Daneben habe eine multidimensionale
Behandlung des Diabetes mellitus stattgefunden. Aus der Dokumentation lasse sich entnehmen, dass an typischer Stelle, nämlich
plantar an D1 ein klassisches diabetisches Fuß-Ulkus (Druck-Ulkus) im Sinne eines Malum perforans vorliege. Ein externes Trauma
im eigentlichen Traumasinn sei in den Unterlagen nicht dokumentiert. Ein externes Trauma wäre beispielsweise eine eindeutige
Einwirkung von außen wie eine Einwirkung durch Fremdkörper (Stichverletzung, Schnittverletzung) oder eine Einwirkung von außen
durch physikalische, thermische oder chemische Noxen. Die im ICD-10-Verzeichnis unter der Rubrik T79 aufgeführten Traumata
seien eindeutig auf Traumata durch externe Einflüsse bezogen und beträfen nicht Traumata aus rein endogenen Ursachen. Als
Hauptdiagnose sei E11.75 (Diabetes mellitus Typ II, mit multiplen Komplikationen, mit diabetischem Fußsyndrom, als entgleist
bezeichnet) zu kodieren. Die zusätzliche Komplikation einer diabetischen Polyneuropathie sei als Nebendiagnose zu kennzeichnen.
Es handle sich um ein klassisches Malum perforans, also um ein Druck-Ulkus im Rahmen eines klassischen diabetischen Fuß-Syndroms
bei langjährigem und entgleistem Diabetes mellitus Typ II. Diese Druck-Ulcera seien für den Diabetes mellitus typisch, träten
sehr häufig auf und kämen durch eine chronische Fehlbelastung des Fußes und eine fehlende Schmerzempfindung im Rahmen der
symmetrischen sensiblen diabetischen Polyneuropathie zustande. Der klassische Verlauf sei schleichend, es bestehe zunächst
eine chronische Fehlbelastung. Aufgrund der schmerzlosen Fehlbelastung könne diese vom Patienten nicht wahrgenommen werden.
Infolge der chronischen Druckbelastung an den Hauptbelastungspunkten entstünden Hyperkeratosen, also eine vermehrte Hornhautbildung.
Diese Stellen verhärteten sich und übten vermehrten Druck nach innen auf das Gewebe aus. Hier könne auch die Durchblutung
und die Geweberegeneration negativ beeinflusst werden. Schließlich könne es an diesen typischen Stellen zu einer Ulkus-Bildung
kommen, also zu einem Geschwür, welches meist dann sekundär auch infiziere. Dieses Fuß-Syndrom werde klinisch nach der Wagner-Armstrong-Klassifikation
eingeteilt, welche im Rahmen des ICD-Kataloges dann in verschiedene Dekubitus-Formen umgesetzt werde. Danach sei L89.28 R
zu kodieren. Zusätzlich liege bei Diabetes mellitus Typ II eine Störung der Mikrozirkulation vor. Die Infektion und Entwicklung
eines Ulkus könne direkt aus der Hyperkeratose erfolgen, es könne sich jedoch aber auch eine Blasenbildung nach innen mit
Eiteransammlung entwickeln. Im vorliegenden Fall sei das Malum perforans durch endogene Faktoren (abnorme Druckbelastung,
Polyneuropathie, Schmerzwahrnehmungsstörung, gestörte Mikrozirkulation) entstanden und nicht durch ein exogenes Trauma der
T-Gruppe. Ein Trauma wie eine Entwicklung von außen durch physikalisch-chemische Noxen oder durch eine Stich- und Schnittverletzung
etc habe nicht stattgefunden. Am rechten Bein habe ein Dekubitus III. Grades bestanden, welcher mit L89.28 R zu kodieren sei.
Dies werde von allen Beteiligten bestätigt. Nun ergebe sich aus der Kodierung des Malum perforans als Dekubitus III. Grades,
dass die Ätiologie dieses Malum perforans irgendeine Druckbelastung infolge endogener Faktoren, also der Neuropathie, sei,
da der Definition des Dekubitus zugrunde liege, dass es eine Reaktion auf eine Druckfehlbelastung sei und nicht die Reaktion
auf ein exogenes Trauma. Würde im Umkehrschluss die Kodierung mit T79.3 R als posttraumatische Wundinfektion, nicht näher
klassifiziert, richtig sein, so würde die Kodierung L89.28 R als Dekubitus III. Grades falsch sein. Beides sei miteinander
nicht zu vereinbaren. Da die Kodierung als Dekubitus eine Reaktion auf eine Druckbelastung widerspiegle, könne das Malum perforans
nicht Folge eines exogenen Traumas sein und umgekehrt. Danach seinen folgende Nebendiagnosen nach den Unterlagen zu kodieren:
- diabetische distal symmetrische periphere Neuropathie E63.2,
- Infektion des Malum perforans mit Streptokokken der Gruppe G B95.42 R,
- Dekubitus III. Grades im Sinne eines Malum perforans an D1 plantar L89.28 R,
-Dekubitus II. Grades am Fuß links L89.18 L,
-Adipositas mit einem BMI von 34,1 kg/m2, somit Grad I nach WHO E66.00,
- Fettleber im Sinne einer Steatosis Hepatis K76.0, gemischte Hyperlipidämie E78.2, essenzielle Hypertonie E10.00,
- Restless-Legs-Syndrom G25.81,
- Allergie gegen Jod, Aciclover und Diclofenac D88.7,
- Candidose der Vagina B73.3,
- Migräne G43.9.
Die Nebendiagnose posttraumatische Wundinfektion, anderenorts nicht klassifiziert (T79.3 R), sei zu streichen. Entstehung,
Ausprägung und Infektion des Malum perforans seien eindeutig durch die obigen Diagnosen zu kodieren und zuzuordnen. Somit
hätte nach DRG F72 C abgerechnet werden müssen.
Die Klägerin ist dem Gutachten durch Vorlage einer Stellungnahme von H1 vom 29.11.2018 entgegengetreten. Die von dem Sachverständigen
als Druck-Ulkus im Sinne eines Malum perforans bezeichnete Schädigung sei infolge einer Einwirkung von außen durch eine physikalische
Noxe - hier durch Druck - entstanden. Ein Druck-Ulkus entstehe nicht ohne Druck endogen von innen heraus, sondern ausschließlich
mit der exogenen physikalischen Noxe Druck. Da die physikalische Noxe Druck exogen von außen auf den diabetischen Fuß bei
gleichzeitig bestehender diabetischer Neuropathie schädigend einwirke und ein Malum perforans ausgelöst habe, seien die vom
Sachverständigen genannten Anforderungen für Traumata durch externe Einflüsse erfüllt. Traumatisch sei zwingend auch ein Malum
perforans bzw ein Dekubitalgeschwür.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.01.2019 hat S an seiner Beurteilung festgehalten. Das Malum perforans als Manifestation
des diabetischen Fußsyndroms sei unter der Hauptdiagnose E11.75 (Diabetes mellitus Typ II, mit multiplen Komplikationen, mit
diabetischem Fuß-Syndrom, als entgleist bezeichnet) sowie unter der Nebendiagnose Dekubitus III. Grades im Sinne eines Malum
perforans an D1 plantar (L89.28 R) korrekt kodiert. Eine Kodierung nach der T-Gruppe (traumatische Wunden) komme nicht in
Betracht, aufgrund der bei der Versicherten bestehenden diabetischen Polyneuropathie und Mikroangiopathie sei das Fuß-Ulkus
ohne offensichtliche Traumata von außen entstanden. Zumindest seien derartige Traumata der T-Gruppe nicht in den originären
Behandlungsunterlagen dokumentiert, insbesondere auch keine Blasen. Dies sei auch nichts Ungewöhnliches, da aufgrund der Neuropathie
und der damit verbundenen Schmerzlosigkeit und vor allem der damit verbundenen Fehlbelastung ein Fuß-Ulkus auch ohne exogene
Noxe und auch bei optimalem Schuhwerk entstehen könnten. Wenn man die einzelnen ätiologischen Einteilungen traumatischer Wunden
betrachte, so sei die endogene Entstehung eines diabetischen Fuß-Ulkus ohne Einwirkung von außen infolge einer chronischen
Fehlbelastung nicht aufgeführt. Hätte die Versicherte eine Schnittwunde oder eine Erfrierung erlitten oder wäre sie in einen
Reißnagel getreten, so wäre möglicherweise ein anderer Sachverhalt gegeben, nämlich die Provokation eines diabetischen Fuß-Ulkus
durch eine rein exogene und traumatische Noxe. Aufgrund der bei der Versicherten bestehenden endogenen Kausalkette der Ulkus-Entstehung
erfolge auch die korrekte Zuteilung zur Nebendiagnose Dekubitus III. Grades.
Dazu hat die Klägerin eine weitere Stellungnahme (L/T) vom 01.03.2019 vorgelegt. Die Klägerin hat zudem eine Stellungnahme
der Deutschen Diabetesgesellschaft, Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß, vom 11.07.2020 zur Kodierung posttraumatischer Wundinfektionen
vorgelegt.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten hat die Beklagte für den Fall, dass das Gericht von der Unzulässigkeit der Aufrechnung
ausgehe, hilfsweise widerklagend beantragt, die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 1.809,53 € zu zahlen.
Das SG hat mit Urteil vom 16.07.2020 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.809,53 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz ab dem 19.03.2014 zu zahlen, und der Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt. Zwar habe die Beklagte
die Aufrechnung wirksam erklärt, jedoch habe die Beklagte gegen die Klägerin keinen Rückzahlungsanspruch aus der ursprünglich
für die stationäre Behandlung der Versicherten gezahlten Vergütung. Die Klägerin habe zutreffend die Fallpauschale F27.B sowie
die streitige Nebendiagnose T79.3 (Posttraumatische Wundinfektion, anderenorts nicht klassifiziert) in Ansatz gebracht. Nach
den Deutschen Kodierrichtlinien D 003 sei der Begriff der Nebendiagnose definiert als eine Krankheit oder Beschwerde, die
entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose bestehe oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickle. Für Kodierungszwecke
müssten Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussten, dass
irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich sei: Therapeutische Maßnahmen, diagnostische Maßnahmen, erhöhter Betreuungs-,
Pflege- und/oder Überwachungsaufwand. Die fragliche Diagnose müsse sich auf das Versorgungsgeschehen tatsächlich im Sinne
eines zusätzlichen Aufwandes auswirken, dh sie müsse für das Versorgungsgeschehen tatsächlich bedeutsam geworden sein. Entscheidend
für die Kodierung der Nebendiagnosen sei der Ressourcenverbrauch, denn diesbezüglich solle eine Vergütung erfolgen. Diese
Voraussetzungen seien hinsichtlich der Nebendiagnose T79.3 erfüllt. Insbesondere werde durch die von der Beklagten zugrunde
gelegte Kodierung L89.28 R (Dekubitus III. Grades) der Ressourcenverbrauch der Klägerin sowie die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen
nur unzureichend erfasst. So beinhalte die Kodierung L89.28 zwar die Tatsache, dass ein Druckgeschwür vorgelegen habe und
welcher Wundgrad hierbei erreicht worden sei (hier III. Grades - Verlust aller Hautschichten mit Schädigung und Nekrose des
subkutanen Gewebes, die bis auf die darunterliegende Faszie reichen könne). Die Kodierung bilde jedoch den Umstand, dass bei
der Versicherten zusätzlich ein Infektionsgeschehen im Bereich der Wunde vorgelegen habe, nicht ab. Dieser Umstand sei für
die Kodierung nach L 89.- vielmehr unerheblich. Hinsichtlich dieser bei der Versicherten insoweit vorliegenden Infektion sei
im Rahmen des stationären Aufenthalts ein Wundabstrich zum Keimnachweis sowie eine antibiotische Behandlung und eine engmaschige
lokale Wundbehandlung durchgeführt worden. Dieser therapeutische und diagnostische Ressourcenverbrauch auf Seiten der Klägerin
werde von der Kodierung L89.28 nicht erfasst. Zur Erfassung dieses Aufwandes der Klägerin hinsichtlich des Infektionsgeschehens
im Bereich der Wunde sei die Kodierung T79.3 heranzuziehen. Die hierzu geäußerte Ansicht des Sachverständigen S überzeuge
nicht. Insoweit lasse sich der beigezogenen Patientenakte entnehmen, dass die Wundentstehung bei der Versicherten auf die
Druckeinwirkungen von zu engem Schuhwerk zusammen mit Stützstrümpfen zurückzuführen gewesen sei. Hierin sei gerade eine Einwirkung
von außen im Sinne eines Traumas zu sehen. Zwar sei die Wundentstehung im weiteren Verlauf durch endogene Faktoren begünstigt
worden (Polyneuropathie, arterielle Hypertonie). Dies ändere allerdings nichts an der Tatsache, dass auch die Druckeinwirkung
von außen durch das Schuhwerk hierfür zumindest mitursächlich gewesen sei. Die Wunde sei vorliegend auf der Grundlage einer
Kombination aus endogenen und exogenen Einflüssen entstanden. Eine Kodierung als posttraumatische Wundinfektion nach T79.3
könne damit nicht mit dem Argument verneint werden, es habe kein Trauma vorgelegen. Für die Abrechnung ergebe sich damit die
von der Klägerin angesetzte DRG F27 B.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 19.08.2020 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 17.09.2020 beim Landessozialgericht
(LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie eine Klageabweisung verfolgt.
Laut der Behandlungsdokumentation habe bei der Versicherten ein diabetisches Fußsyndrom vorgelegen, bei dem es häufig zu infizierten
Wunden komme. Dabei ergebe sich weder aus der Behandlungsdokumentation noch aus einer anderen Tatsache, dass es einen direkten
oder mittelbaren Zusammenhang zwischen einem etwaigen Trauma durch zu enge Schuhe bzw Stützstrümpfen und der erst sechs Monate
später auftretenden Wunde der Versicherten gebe. Dieser Umstand sei durch den Sachverständigen bestätigt worden, der ein externes
Trauma als Ursache für die Wunde und deren Infektion ausgeschlossen und zugleich begründet habe, warum das Malum perforans
durch endogene Faktoren verursacht worden sei. Seitens der Dokumentation werde lediglich angegeben, dass der Wundentstehungsgrund
eventuell eine Blase gewesen sein könne, die die Versicherte vor einem halben Jahr bemerkt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16.07.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise für den Fall, dass
das Gericht von der Unzulässigkeit der Aufrechnung ausgehen sollte, die Klägerin widerklagend zu verurteilen, an die Beklagte
1.809,53 € zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Die Ausführungen der Beklagten zu der Frage, ob das Druck-Ulkus infolge einer
Blase, engen Schuhwerks und Stützstrümpfen entstanden sei, sei letztlich irrelevant. Denn eindeutig dokumentiert liege eine
traumatische Wunde vor.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Patientenakte der
Klägerin, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
Die gemäß §§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheidet (§§
153 Abs
1,
124 Abs
2 SGG), ist zulässig.
Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an die Klägerin 1.809,53 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Klage der Klägerin ist zulässig,
aber unbegründet.
Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach §
54 Abs
5 SGG die richtige Klageart gewählt (dazu nur Bundessozialgericht <BSG> 14.10.2014, B 1 KR 25/13; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt
nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch iHv 1.809,53 € nicht zu. Zwar hatte
die Beklagte ursprünglich den gesamten von der Klägerin für die Behandlung des Versicherten geltend gemachten Betrag iHv 6.478,54
€ gezahlt, jedoch nachträglich den Vergütungsanspruch mit einem zwischen den Beteiligten nicht streitigen Vergütungsanspruch
der Klägerin aus einem anderen Behandlungsfall gegen die Beklagte iHv 1.809,53 € verrechnet. Da die Beklagte sich ausschließlich
im Wege der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, steht die Hauptforderung selbst außer Streit (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, aaO; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 2).
Die für eine Aufrechnung erforderliche Gegenforderung der Beklagten, mit der sie gegen die Hauptforderung der Klägerin wegen
Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten analog §
387 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) aufrechnen kann (zur Aufrechnung analog §
387 BGB BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, aaO), liegt vor. Der Beklagten steht als Grundlage für ihre Gegenforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
iHv 1.809,53 € zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R), denn die ursprüngliche Zahlung der Beklagten erfolgte insoweit ohne Rechtsgrund. Denn ein (weiterer) Vergütungsanspruch
der Klägerin iHv 1.809,53 € gegen die Beklagte für die Behandlung der Versicherten vom 11.03.2013 bis 22.03.2013 bestand nicht.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist §
109 Abs
4 Satz 3
SGB V idF vom 26.03.2007, BGBl I 378) in Verbindung mit § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG (jeweils idF vom 22.12.2010, BGBl I 2309) sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; idF durch das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz vom 17.03.2009, BGBl I 534) und die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem
für Krankenhäuser für das Jahr 2013 (Fallpauschalenvereinbarung 2013 - FPV-2013).
Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung eines gesetzlich Krankenversicherten und damit korrespondierend die Zahlungspflicht
einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den
Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von §
39 Abs
1 Satz 2
SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R; BSG, Urt. v. 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R). Bei der Klägerin handelt es sich um ein Krankenhaus, das in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen
ist (§
108 Nr 2
SGB V); die medizinische Notwendigkeit der vollstationären Krankenhausbehandlung der Versicherten war gegeben und wird von der
Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.
In seiner Höhe wird der Vergütungsanspruch durch Normsetzungsverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen
und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG mit der Deutschen
Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen
Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelation sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit
von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen
in der Fallpauschalenvereinbarung auf der Grundlage des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 3 KHEntgG.
Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) geordnet. Welche DRG-Position abzurechnen
ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe
von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen
Anwendung (dazu und zum Folgenden BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, jeweils unter Hinweis auf BSGE 109, 236 ff.). Nach § 1 Abs 6 Satz 1 FPV sind in diesem Sinne zur Einstufung des Behandlungsfalles in die jeweils abzurechnende Fallpauschale
Programme (Grouper) einzusetzen. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH - Institut für das Entgeltsystem
im Krankenhaus, einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b Abs 2 Satz 1 KHG und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind.
Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale
Bestandteile des Programms mit vereinbart sind, zB die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen
im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum, oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die
Fallpauschalen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom (damaligen)
Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation (DIMDI; seit 26.05.2020: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte)
im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung sowie die Klassifikationen des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (hier in der Version 2013). Die Verbindlichkeit der in dem jeweiligen
Vertragswerk angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass sie in die zertifizierten Grouper einbezogen
sind (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R).
Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert
und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper
ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft (dazu und zum Folgenden: BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R). Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb
eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen.
Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren
Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt
wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach
ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem
vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten
oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, dies mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3; BSG 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R).
Unstreitig sind die Hauptdiagnose (E11.75; nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus <Typ-II-Diabetes>, mit multiplen
Komplikationen, mit diabetischem Fußsyndrom, als entgleist bezeichnet), weitere Nebendiagnosen und die durchgeführten Prozeduren.
Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob die Klägerin zu Recht die Nebendiagnose T79.3 kodiert hat, denn das Vorliegen
bereits dieser Nebendiagnose entscheidet darüber, ob die von der Klägerin angesetzte DRG F27 B (verschiedene Eingriffe bei
Diabetes mellitus mit Komplikationen, ohne Gefäßeingriff, mit äußerst schweren CC oder komplexer Arthrodese des Fußes) im
Groupierungsvorgang angesteuert wird oder die von der Beklagten angenommene DRG F27 C (verschiedene Eingriffe bei Diabetes
mellitus mit Komplikationen, ohne Gefäßeingriff, ohne äußerst schwere CC, ohne komplexe Arthrodese des Fußes), was zu der
hier streitigen Entgeltdifferenz von 1.809,53 € führt. Die Klägerin hat die Nebendiagnose T79.3 zu Unrecht kodiert.
Nach DKR 2013 0401h ist bei der Kodierung im Falle der Hauptdiagnose Diabetes mellitus mit Komplikationen Folgendes zu beachten:
"Liegt eine Form des Diabetes mellitus vor, die mit einem Kode aus E10.? bis E14.? verschlüsselt wird, und bestehen Komplikationen
des Diabetes, so ist für die korrekte Verschlüsselung zunächst festzustellen, ob
- die Behandlung der Grunderkrankung Diabetes mellitus oder
- die Behandlung einer oder mehrerer Komplikationen
hauptsächlich die stationäre Aufnahme veranlasst hat. Des Weiteren ist für die Kodierung von Bedeutung, wie viele Komplikationen
des Diabetes mellitus vorliegen, und ob diese die Nebendiagnosendefinition erfüllen. ...
Sofern die Grunderkrankung Diabetes mellitus behandelt wird und multiple Komplikationen (Manifestationen) des Diabetes mellitus
vorliegen, ohne dass die Behandlung einer Manifestation im Vordergrund steht, ist E10-E14, vierte Stelle ".7" zu kodieren.
Außerdem sind die Kodes für die einzelnen Manifestationen anzugeben, sofern diese der Nebendiagnosendefinition entsprechen.
...
Diabetisches Fußsyndrom
Die Diagnose "Diabetischer Fuß" wird kodiert mit E10-E14, vierte und fünfte Stelle ".74" Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen,
mit diabetischem Fußsyndrom, nicht als entgleist bezeichnet oder ".75" Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen, mit
diabetischem Fußsyndrom, als entgleist bezeichnet. Die Kodes für die vorhandenen Manifestationen, z.B. G63.2* Diabetische
Polyneuropathie, I79.2* Periphere Angiopathie bei anderenorts klassifizierten Krankheiten sind danach anzugeben. Alle vorliegenden
Manifestationen und Komplikationen sind zu kodieren, wenn sie der Definition einer Nebendiagnose entsprechen. Die folgende
Liste gibt eine Auswahl von Diagnosen wieder, die zum klinischen Bild des "diabetischen Fußsyndroms" gehören können:
1. Infektion und/oder Ulcus
Hautabszess, Furunkel und Karbunkel an Extremitäten
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L02.4
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Phlegmone an Zehen
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L03.02
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Phlegmone an der unteren Extremität
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L03.11
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Hinweis: Die folgenden Viersteller zu L89.- Dekubitalgeschwür und Druckzone verschlüsseln an 5. Stelle die Lokalisation der
Druckstellen (siehe ICD-10-GM).
Dekubitus 1. Grades
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L89.0-
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Dekubitus 2. Grades
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L89.1-
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Dekubitus 3. Grades
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L89.2-
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Dekubitus 4. Grades
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L89.3-
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Dekubitus, Grad nicht näher bezeichnet
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L89.9-
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Ulcus cruris, anderenorts nicht klassifiziert
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L97 2.
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Periphere vaskuläre Erkrankung
Atherosklerose der Extremitätenarterien, sonstige und nicht näher bezeichnet
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I70.20
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Atherosklerose der Extremitätenarterien, Becken-Bein-Typ, mit belastungsinduziertem Ischämieschmerz
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I70.21
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Atherosklerose der Extremitätenarterien, Becken-Bein-Typ, mit Ruheschmerzen
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I70.22
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Atherosklerose der Extremitätenarterien, Becken-Bein-Typ, mit Ulzeration
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I70.23
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Atherosklerose der Extremitätenarterien, Becken-Bein-Typ, mit Gangrän
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I70.24
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3. Periphere Neuropathie
Diabetische Polyneuropathie
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G63.2*
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Autonome Neuropathie bei endokrinen und Stoffwechselkrankheiten
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G99.0*
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4. Deformitäten
Hallux valgus (erworben)
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M20.1
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Hallux rigidus
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M20.2
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Sonstige Deformität der Großzehe (erworben)
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M20.3
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Sonstige Hammerzehe(n) (erworben)
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M20.4
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Sonstige Deformitäten der Zehen (erworben)
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M20.5
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Flexionsdeformität, Knöchel und Fuß
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M21.27
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Hängefuß (erworben), Knöchel und Fuß
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M21.37
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Plattfuß [Pes planus] (erworben)
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M21.4
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Erworbener Klauenfuß und Klumpfuß, Knöchel und Fuß
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M21.57
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onstige erworbene Deformitäten des Knöchels und des Fußes
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SM21.67
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Sonstige näher bezeichnete erworbene Deformitäten der Extremitäten, des Knöchels und des Fußes
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M21.87
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5. Frühere Amputation(en)
Verlust des Fußes und des Knöchels, einseitig Zehe(n), auch beidseitig
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Z89.4
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Verlust der unteren Extremität unterhalb oder bis zum Knie, einseitig
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Z89.5
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Verlust der unteren Extremität oberhalb des Knies, einseitig
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Z89.6
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(Teilweiser) Verlust der unteren Extremität, beidseitig Exkl.: Isolierter Verlust der Zehen, beidseitig
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(Z89.4)"
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Nach DKR 2013 1905l gilt:
"Für jede Körperregion steht im Kapitel XIX ein Abschnitt für offene Wunden zur Verfügung. Hier sind auch Kodes aufgeführt,
mit denen offene Wunden verschlüsselt werden, die mit einer Fraktur oder einer Luxation in Verbindung stehen oder bei denen
durch die Haut in Körperhöhlen eingedrungen wurde (d.h. intrakranielle Wunden, intrathorakale Wunden und intraabdominale Wunden).
Die offene Wunde ist in diesen Fällen zusätzlich zur Verletzung (z.B. der Fraktur) zu kodieren, s.a. DKR 1903 Fraktur und
Luxation (Seite 137)."
Nach DKR 2013 D003l ist die Nebendiagnose definiert als:
"Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthalts
entwickelt."
Weiter wird dort bestimmt:
"Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise
beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
- therapeutische Maßnahmen
- diagnostische Maßnahmen
- erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand.
Symptome als Nebendiagnose: Für Symptome gelten die Regelungen zur Kodierung von Nebendiagnosen entsprechend."
Im vorliegenden Fall ist nach Maßgabe des dargestellten Regelungssystems die Nebendiagnose T79.3 nicht zu kodieren. Die Voraussetzungen
für die Kodierung der Diagnose T79.3 (Posttraumatische Wundinfektion, anderenorts nicht klassifiziert) liegen nicht vor. Die
Beteiligten haben unter Beachtung der DKR 2013 0401g die Hauptdiagnose E11.75 (nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus
<Typ-II-Diabetes>, mit multiplen Komplikationen, mit diabetischem Fußsyndrom, als entgleist bezeichnet) kodiert und den Aufnahmegrund,
nämlich das diabetische Fußsyndrom mit einem subkutanen Malum perforans erfasst. Daneben sind alle vorliegenden Manifestationen
und Komplikationen des diabetischen Fußsyndroms zu kodieren, wenn sie der Definition einer Nebendiagnose entsprechen. Entsprechend
der in DKR 2013 0401h aufgeführten Liste der Nebendiagnosen haben die Beteiligten den Druck-Ulkus, dh ein Geschwür, welches
sich meist auch sekundär infiziert, im Rahmen des ICD-Katalogs entsprechend der bei der Versicherten vorliegenden Dekubitus-Form
mit L89.28 R kodiert. Diese Kodierung hat auch der Sachverständige S als zutreffend angesehen. Entgegen der Auffassung der
Klägerin und des SG ist wegen des diabetischen Fußsyndroms mit einem subkutanen Malum perforans nicht auch noch die Nebendiagnose T79.3 zu kodieren.
Zunächst ist diese Diagnose in der Diagnoseliste gemäß DKR 2013 0401h nicht aufgeführt. Weiterhin ist zu beachten, dass entgegen
der Annahme des SG als Ursache des Druck-Ulkus an der Großzehe des rechten Fußes der Versicherten eine (traumatische) Blasenbildung von sechs
Monaten wegen zu enger Schuhe gerade nicht feststeht. Vielmehr wurde dies ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Behandlungsunterlagen
lediglich als eventueller Wundentstehungsgrund in den Raum gestellt und (spekulativ) vermutet. Ein externes Trauma in diesem
Sinne konnte sowohl der MDK als auch der Sachverständige S den Behandlungsunterlagen der Klägerin gerade nicht entnehmen.
Dies sieht die Klägerin mittlerweile wohl in der Sache ebenso und argumentiert, dass das subkutane Malum perforans durch die
physikalische Noxe Druck exogen von außen auf den diabetischen Fuß bei gleichzeitig bestehender diabetischer Neuropathie (endogene
Ursache) ausgelöst worden sei. Zur Begründung angeführt werden wiederholte geringfügige und unterschwellige Verletzungen (Traumen)
im Bereich des Fußes, die aufgrund der diabetischen Neuropathie mit eingeschränktem bzw aufgehobenem Schmerzempfinden zu einer
fortgesetzten Gewebeschädigung und einem Ulkus führen. Dabei erscheint sehr zweifelhaft, ob solche "Mikrotraumen" als Trauma
iS eines akut durch äußere Einflüsse entstandenen körperlichen Schadens mit Zerstörung von Gewebestrukturen (vgl Pschyrembel,
268. Aufl 2020, Stichwort Trauma <somatisch>) angesehen werden können, weil diese gerade nicht akut, dh unmittelbar und im
Augenblick, auftreten, sondern fortgesetzt und schleichend über einen längeren Zeitraum auf das Gewebe einwirken. Die Druckbelastung
des Fußes hätte in diesem Fall zunächst auch gar nicht zu einer unmittelbaren Schädigung des Fußes geführt, sondern nur zur
vermehrten Bildung einer Hornhaut. Diese Stellen hätten sich verhärtet und vermehrten Druck nach innen auf das Gewebe ausgeübt,
wie dies der Sachverständige S in seinem Gutachten beschrieben hat. Eine posttraumatische Wundinfektion setzt jedoch voraus,
dass schon das Trauma alleine eine Wunde verursacht hat. Entscheidend ist für den Senat, dass das Kapitel XIX nach DKR 2013
1905l Diagnosen für jede Körperregion für offene Wunden zur Verfügung stellt. Nach dem Vorbringen der Klägerin handelte es
sich aber nicht um eine offene Wunde, sondern ein tiefes, unter der Haut befindliches (subkutanes) Malum perforans. Die Klägerin
hat selbst angegeben, dass sich bei der Versicherten zunächst eine Hyperkeratose (Hornhautplatte an der äußersten Schicht
der Oberhaut) und darunter eine subkallöse Abszesshöhle sowie eine umkapselte Eiteransammlung gebildet haben, die durch die
subkallöse Lage zunächst nicht entdeckt werden konnten. Das unter der Hornhautplatte schleichend entwickelte, verborgene Ulkus
wurde erst im Rahmen des stationären Aufenthalts nach Abtragung der Hyperkeratose sichtbar. Mithin lag gar keine offene Wunde
vor.
Schließlich wird in der von der Klägerin zur Stützung ihrer Auffassung vorgelegten Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer
Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft vom 11.07.2020 eingeräumt, dass aus ihrer Sicht für das diabetische Fußsyndrom ein
spezifischer Algorithmus für die Abbildung der Wundtiefe fehle und die Kodierung mittels L89 (Dekubitus) - wie hier auch vorgenommen
- gebräuchlich sei. Die Verschlüsselung über T79 wird lediglich als "behelfsweise Analogziffer" und "Hilfskonstruktion" vorgeschlagen
und damit in der Sache eingeräumt, dass die Kodierung T79 für Fälle - wie den vorliegenden -, in denen eine eindeutig exogene
Ursache (zB Eintreten eines Nagels) nicht vorliegt, nicht passt und über deren Wortlaut hinausgeht.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG) liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 HS. 1
SGG i.V.m. § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz.