Anspruch auf Versorgung mit der sogenannten Electromotive Drug Administration Therapie - EMDA – zur Behandlung der Interstitiellen
Cystitis in der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an ein sogenanntes Systemversagen
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit der sog Electromotive Drug Administration
(EMDA) Therapie (spezielle Form der Medikamentenapplikation bei bestimmten Harnblasenerkrankungen).
Die 1959 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert.
Sie bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einer laufenden monatlichen Zahlung von derzeit 1.063,25 € sowie
eine Blindenhilfe in Höhe von monatlich 355,43 €.
Am 23.09.2020 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Versorgung mit einer EMDA-Therapie. Zur Begründung ihres Antrages
führte sie aus, als Alternative zu dieser Therapie käme nur ein künstlicher Ausgang in Frage, welchen sie aufgrund ihrer gesundheitlichen
Situation nicht selbst versorgen könne. Nach Angaben ihrer Ärzte würde sie damit in den Pflegegrad 2 eingestuft werden, was
dazu führen würde, dass sich ihr Anspruch auf Blindenhilfe um 50 % vermindern würde. Sie verwies ferner auf eine beigefügte
Stellungnahme von Prof. Dr. S.-L., Direktorin des Kontinenzzentrums S., vom 16.09.2020. In ihrer Stellungnahme führt Prof.
Dr. S.-L. ua aus, die Antragstellerin leide an einer therapieresistenten Interstitiellen Zystitis (ICD 10 Code N 30.1 G) bzw
an einem chronischen Blasenschmerz- und Harndrangsyndrom. Daneben leide sie an einer erheblichen Sehbehinderung; das Merkzeichen
BL sei ihr zuerkannt. Die eingeschränkte Blasenkapazität führe zu einer Pollakisurie bis zu 60 Mal am Tag und einer Nykturie
bis zu 20 Mal in der Nacht und bestimme den ganzen Tagesablauf der Antragstellerin. Die Schmerzen würden in den Darm, den
Beckenboden, die Genitalien und den ganzen Unterleib ausstrahlen. Alle oralen anticholinergen und analgetischen Behandlungen
seien austherapiert. Das Medikament Elmiron sei nicht effektiv oder nicht verträglich. Die EMDA-Therapie sei für die Patientin
die einzige Methode, mit der ein positiver Effekt auf die Blasenschmerzen und Harndrangsymptome zu erwarten sei und invasive
Therapieoptionen wie die Entfernung der Harnblase vermieden werden könnten. Bei der EMDA-Therapie werde ein Gemisch aus einem
örtlichen Betäubungsmittel (Lidocain oder Naropin) und Cortison zusammen mit Epinephrin über einen Spezialkatheter in die
Blase eingeführt. Durch das kontrollierte und gezielte Einbringen von analgetischen und antiinflammatorischen Medikamenten
direkt in die Wand der Harnblase könnten die Symptome der Interstitiellen Zystitis wirkungsvoll reduziert und die Lebensqualität
gesteigert werden. Durch die Zugabe von schwachem Strom werde erreicht, dass die Wirkstoffe per Iontophorese in die tiefen
Schichten der Blasenwand eindringen und nachhaltig wirken könnten. Eine Kombination mit die Blasenschleimhaut regenerierenden
Medikamenten sei möglich.
Dem Schreiben von Prof. Dr. S.-L. war außerdem ein Kostenvoranschlag beigefügt. Danach betragen die Kosten für eine Behandlung
insgesamt 434,11 € (Sachkosten des notwendigen Spezialkatheters und der dazugehörigen Elektroden 183,02 €, Kosten der für
die Instillationsbehandlung vorgesehenen Medikamente 222,58 €, weitere Kosten von 28,51 €). In der Stellungnahme vom 16.09.2020
wird darauf hingewiesen, dass ca 3 Instillationsbehandlungen innerhalb eines Jahres notwendig seien, um in der Regel ein gutes
Ansprechen der Patienten zu erreichen. Die Behandlung sei oft über mehrere Jahre erforderlich.
Die Antragsgegnerin holte die gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 05.10.2020
(Dr. B.) ein. Darin wird die beantragte Therapie nicht befürwortet. Bei der EMDA handele es sich um eine Modifikation der
Iontophorese, bei der Medikamente mittels elektrischen Stroms hochkonzentriert am Zielort appliziert würden. Durch dieses
neue Wirkprinzip habe sich aber das Verfahren derart geändert, dass es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode
(NUB) handele. Die Voraussetzungen des §
2 Abs
1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) lägen nicht vor. Mit Bescheid vom 12.10.2020 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab mit der Begründung, der MDK habe festgestellt,
dass es sich bei der EMDA-Therapie um eine NUB handele, die nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen umfasst
sei. Eine Kostenübernahme sei daher nicht möglich.
Die Antragstellerin erhob hiergegen mit Schreiben vom 14.10.2020 Widerspruch. Ohne die EMDA-Therapie müsse ihr die Harnblase
entnommen und ein künstlicher Ausgang gelegt werden. Das wolle sie nicht. Der Widerspruchsausschuss der Antragsgegnerin wies
den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2020 als unbegründet zurück. NUB dürften in der vertragsärztlichen Versorgung
zu Lasten der Krankenkasse nur nach positiver Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) erbracht werden. Eine positive
Empfehlung des GBA liege für die beantragte EMDA-Therapie bislang nicht vor. Diese Therapie könne deshalb nicht im Rahmen
der von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu tragenden vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden. Auch die Voraussetzungen
einer ausnahmsweisen Leistungserbringung nach §
2 Abs
1a SGB V lägen nicht vor. Der MDK habe in seinem Gutachten vom 05.10.2020 hierzu ausdrücklich festgestellt, dass es sich nicht um
eine lebensbedrohliche Erkrankung oder eine notstandsähnliche Situation handele; diese trete auch nicht ein, wenn eine Kostenübernahme
der beantragten Methode abgelehnt werde. Eine Übernahme der Kosten für die beantragte EMDA-Therapie komme daher nicht in Betracht.
Diese Beurteilung ändere sich auch nicht dadurch, dass im Falle einer als Therapieoption in Betracht kommenden Blasenoperation
ein künstlicher Ausgang gelegt werden müsse und dieser dann durch eine Pflegefachkraft versorgt werden müsste. Die Kosten
für die NUB könnten auch dann nicht übernommen werden, wenn durch die damit verbundene Inanspruchnahme des Pflegedienstes
als Sachleistung und der parallel hierzu zu erwartenden Einstufung in den Pflegegrad 2 durch die Pflegeversicherung das zurzeit
bezogene Blindengeld gekürzt werden sollte.
Die Antragstellerin hat am 18.11.2020 Klage vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben (S 5 KR 4027/20) und gleichzeitig den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung ihres Eilantrages
führt sie die bereits im Widerspruchsverfahren vorgebrachten Argumente an. Sie habe unerträgliche Schmerzen, wolle aber die
Entfernung der Blase in jedem Falle verhindern. Hierfür sei sie mit 61 Jahren zu jung. Außerdem wolle sie nicht die Hälfte
der Blindenhilfe verlieren und sie wolle auch keinen künstlichen Ausgang. Ohne die EMDA-Spülung könne sie kein adäquates Leben
mehr führen. Die Antragsgegnerin ist dem Antrag unter Hinweis auf die Ausführungen im Widerspruchbescheid entgegengetreten.
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 14.12.2020 abgelehnt. Die Antragstellerin habe
keinen Anspruch auf die vorläufige Übernahme der Kosten für die begehrte EMDA-Therapie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die Antragstellerin habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, einen Anordnungsanspruch zu haben.
Die Leistung gelte nicht nach §
13 Abs
3a Satz 6
SGB V als genehmigt, denn die fingierte Genehmigung - unterstellt, sie sei eingetreten, was offenbleiben könne - begründe keinen
eigenständigen Sachleistungsanspruch. Die Genehmigungsfiktion solle dem Versicherten nach neuester Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) nur eine vorläufige Rechtsposition vermitteln, die es ihm erlauben solle, sich die Leistung selbst zu beschaffen (BSG Urteil v. 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R). Voraussetzung sei, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung gutgläubig gewesen sei. Für die Gutgläubigkeit
solle es darauf ankommen, ob dem Versicherten das Nichtbestehen des Anspruchs bekannt gewesen bzw ob es ihm grob fahrlässig
nicht bekannt gewesen sei. Das Selbstbeschaffungsrecht bestehe nur solange, wie der Versicherte gutgläubig gewesen sei, und
ende, wenn über den Leistungsanspruch bindend entschieden worden sei oder sich der Antrag anderweitig erledigt habe, spätestens
mit der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung. Der Anspruch auf Selbstbeschaffung sei damit spätestens durch die abschließende
Entscheidung der Antragsgegnerin im Verwaltungsverfahren mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2020 erloschen, da der Antragstellerin
mit diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, dass jedenfalls nach Auffassung der Antragsgegnerin kein Anspruch auf die Leistung
bestehe.
Die Antragstellerin habe auch aus den §§
2,
27,
12 SGB V keinen Anspruch auf Behandlung mittels der EMDA-Therapie. NUB könnten nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht
werden, wenn der GBA in Richtlinien nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben habe. Die Krankenkassen
seien nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder des
behandelnden Arztes positiv verlaufen sei oder einzelne Ärzte die Therapie befürworteten. Die Therapie mittels EMDA sei eine
neue Behandlungsmethode, weil sie nicht als abrechenbare Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßmaßstab (EBM) enthalten sei.
Ferner liege keine positive Empfehlung des GBA für diese Methode vor. Entsprechend könne die Behandlung nicht zu Lasten der
Antragsgegnerin erbracht werden. Eine Erkrankung, die so selten auftrete, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheide
(sog Seltenheitsfall), liege bei der Antragstellerin ebenfalls nicht vor, so dass auch unter diesem Aspekt kein ausnahmsweiser
Anspruch auf eine nichtvertragliche Leistung gegeben sei. So führe die S2K Leitlinie Diagnostik und Therapie der Interstitiellen
Cystitis (IC/BPS) vom 30.09.2018 unter Punkt 1.2. Epidemiologie auf, dass es sich um eine in Deutschland selten diagnostizierte
Erkrankung handele. Von einer Erkrankung, die so selten auftrete, dass ihre Erforschung quasi ausscheide, sei nicht die Rede.
Ferner liege auch kein sog Systemversagen vor. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse wegen Systemversagens könne ausnahmsweise
ungeachtet des in §
135 Abs
1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer NUB darauf zurückzuführen
sei, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen
nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden sei. Jedoch setze dies auch voraus, dass dies auf eine willkürliche oder
sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen sei. Die Anknüpfung an ein willkürliches Verhalten des GBA
oder der antragsberechtigten Stellen sei von Verfassung wegen nicht zu beanstanden (vgl BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom
23.03.2017, 1 BvR 2861/16, zitiert nach juris). Ein solcher Fall sei bisher angenommen worden, wenn der GBA aufgrund eines Bewertungsverfahrens für
den stationären Behandlungsbereich nach §
137c SGB V Erkenntnisse habe, die er im Rahmen des Verfahrens nach §
135 Abs
1 SGB V nicht nutze und deshalb keine Empfehlung für den ambulanten Versorgungsbereich abgebe. Anhaltspunkte für ein solches Systemversagen
lägen hier nicht vor, zumal ein Zulassungsverfahren vor dem GBA im Hinblick auf die EMDA-Therapie gar nicht laufe.
Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf §
2 Abs l a
SGB V, eingefügt mit Wirkung vom 01.01.2012 durch Art 1 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV- VStG) vom 22.12.2011 (BGBI. 1, S. 2983), berufen. Diese Vorschrift setze die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005,
1 BvR 347/98) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden um, die Untersuchungsmethoden einschlössen
in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten
auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen GBA bisher nicht anerkannt seien,
setze eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung
voraus. Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden
Erkrankung in der Bewertung vergleichbar sei, sei eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis
einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert sei. Gerechtfertigt sei hiernach
eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen ua nur, wenn eine notstandsähnliche Situation
im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliege, wie sie für einen zur Lebenserhaltung
bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch sei. Das bedeute, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen
müsse, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit
verwirklichen werde; Ähnliches könne für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen
Körperfunktion gelten.
Für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung bei der Antragstellerin lägen keine
Anhaltspunkte vor. So verneine auch der MDK in seinem Gutachten vom 05.10.2020 das Vorliegen einer solchen Erkrankung. Auch
das Vorbringen der Antragstellerin selbst bzw ihrer Ärztin lege das nicht nahe. Selbst der möglicherweise drohende Verlust
der Harnblase sei in Schwere und Bedeutung nicht wertungsmäßig vergleichbar mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich
verlaufenden Erkrankung oder mit dem unmittelbar drohenden Verlust eines Sinnesorganes. Dabei verkenne die Kammer nicht, dass
der Verlust der Harnblase und der damit im Zusammenhang stehende "künstliche Ausgang" eine schwerwiegende Beeinträchtigung
für die Antragstellerin darstellen könne. Gleichwohl seien die strengen Voraussetzungen, die von der Rechtsprechung an das
Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbaren
Erkrankung gestellt würden, damit nicht erfüllt. Es komme somit nicht mehr darauf an, ob durch die EMDA-Therapie möglicherweise
eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
bestehe.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 16.12.2020 Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Sie wiederholt im Wesentlichen ihr früheres Vorbringen und weist darauf hin, dass die von Prof. Dr. S.-L. empfohlene Methode
eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit habe.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 14.12.2020 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
zu verpflichten, ihr die von Prof. Dr. S.-L. empfohlene Behandlung mittels Elektromotive Drug Administration (EMDA) als Sachleistung
zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Sie führt außerdem aus, auch der Eintritt einer Genehmigungsfiktion komme nicht in Betracht. Bereits mit
Schriftsatz vom 09.12.2020 sei mitgeteilt worden, dass die Ablehnung des Antrags der Versicherten bereits am Donnerstag, den
08.10.2020, durch den Teamleiter des Kundencenters H. telefonisch mitgeteilt wurde. Zudem sei der Versicherten auf deren Rückruf
nochmals am Dienstag, den 13.10.2020, ebenfalls telefonisch mitgeteilt worden, dass es bei dieser Ablehnung bleibe. Der Ablehnungsbescheid
sei der Versicherten daneben auch mit Schreiben vom 12.10.2020 in schriftlicher Form zusammen mit einer ausführlichen Begründung
übermittelt worden. Die Entscheidungsfristen seien damit ebenfalls gewahrt worden. Ein Sachleistungsanspruch oder ein Anspruch
auf Kostenerstattung komme somit unter keinem Gesichtspunkt in Betracht.
Das Amtsgericht W. - Betreuungsgericht - hat auf Anregung der Antragsgegnerin vom 17.12.2020 ein Betreuungsverfahren bezüglich
der Antragstellerin eingeleitet (XVII 118/20). Dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Der Senat hat zur Prüfung der Erfolgsaussicht des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die behandelnden Ärzte der Antragstellerin
schriftlich befragt. Auf deren Antwortschreiben (Prof. Dr. S.-L. vom 15.01.2021; Dr. B., Praktische Ärztin, vom 26.01.2021
und Dr. H., Facharzt für Urologie, vom 27.01.2021) wird Bezug genommen. Hierzu haben sich sowohl die Antragstellerin als auch
die Antragsgegnerin geäußert. Die Antragsgegnerin hat zudem das Gutachten des MDK (Dr. B.) vom 02.02.2021 vorgelegt; hierauf
wird verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig.
Der Senat hält die Antragstellerin für prozessfähig, obwohl das Amtsgericht W. auf Anregung der Antragsgegnerin ein Betreuungsverfahren
eingeleitet hat. Die Antragstellerin vertritt ihre Auffassung zwar mit Nachdruck, aber völlig nachvollziehbar. Zwar bringt
sie den Ärzten, der Antragsgegnerin und auch den Gerichten ein großes Misstrauen entgegen, soweit sie den Verdacht hat, dass
diese ihr Anliegen nicht richtig einschätzen. So hat Prof. Dr. S.-L. in ihrem Schreiben vom 15.01.2021 an den Senat ausgeführt,
dass die nach der einschlägigen Leitlinie empfohlenen allgemeinen Maßnahmen wie Anpassung der Lebensumstände, Unterstützung
des sozialen Umfeldes, psychologische und psychiatrische Betreuung bei der Antragstellerin schwierig umzusetzen seien, da
die Patientin bei allen Vorstellungen und in ihren schriftlichen Äußerungen psychisch stark alteriert wirke. Gezielte Empfehlung
seien daher nicht erfolgt. Auch wenn manche sinnvolle Therapieempfehlung wegen eines übertriebenen Misstrauens nicht umgesetzt
werden kann, rechtfertigt dies noch nicht die Annahme, dass die Antragstellerin nicht prozessfähig ist. Es muss auch berücksichtigt
werden, dass die Antragstellerin an einer sehr schmerzhaften Erkrankung leidet und (aus ihrer Sicht) nicht immer nur positive
Erfahrungen mit ärztlichen Behandlungen gemacht hat. So berichtet Prof. Dr. S.-L. in ihrer Antwort vom 15.01.2021 auf eine
Anfrage des Senats (Näheres hierzu siehe unten) auch, dass bei der Vorstellung der Antragstellerin am 14.04.2020 in der Urologischen
Klinik eine Fehllage des suprapubischen Katheters festgestellt worden sei, der daraufhin entfernt worden sei.
Der Senat entscheidet durch Beschluss (§
176 Sozialgerichtsgesetz <
SGG >). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§
153 Abs
1,
124 Abs
3 SGG). Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht erhoben (§
173 SGG); sie ist auch nach §
172 SGG statthaft. Die Beschwerde ist nicht nach §
172 Abs
3 Nr
1 SGG ausgeschlossen. Der Senat geht davon aus, dass die Antragstellerin in der Hauptsache nicht nur eine Instillation begehrt,
sondern dauerhaft damit versorgt werden will, sofern hierfür eine medizinische Indikation gegeben ist.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach §
86b Abs
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand
treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der
Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend begehrt die Antragstellerin die Gewährung von Sachleistungen durch die Antragsgegnerin.
Damit richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach §
86b Abs
2 Satz 2
SGG. Die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten
in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs
(Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen
(§
86b Abs
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs
2 der
Zivilprozessordnung).
Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen, da der Antragstellerin angesichts der starken Beschwerden und der verminderten Therapieoptionen
nicht zugemutet werden kann, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Außerdem kann sie angesichts ihrer Einkommensverhältnisse
nicht darauf verwiesen werden, die Leistungen selbst zu bezahlen und anschließend einen Kostenerstattungsanspruch geltend
zu machen. Aus diesem Grund erfolgt die Verpflichtung zur Leistungserbringung durch die Antragsgegnerin zudem unter Vorwegnahme
der Hauptsache.
Auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige Anordnungsanspruch besteht. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung
eines Anordnungsanspruchs dürfen, gemessen an der drohenden Rechtsverletzung, nicht überspannt werden (BVerfG, stattgebender
Kammerbeschluss vom 14.03.2019, 1 BvR 169/19, Rn. 14, juris). Grundsätzlich ist allerdings bei der Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eine summarische
Prüfung verfassungsrechtlich unbedenklich; die notwendige Prüfungsintensität steigt jedoch mit der drohenden Rechtsverletzung,
die bis dahin reichen kann, dass die Gerichte unter besonderen Umständen - wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache
orientieren wollen - dazu verpflichtet sein können, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu
prüfen. Droht einem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende
Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt
werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren
geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders
gewichtige Gründe entgegenstehen. Denn in diesen Fällen kann das Gericht nur im einstweiligen Rechtsschutz eine endgültige
Grundrechtsverletzung verhindern. Ausschließlich auf eine sorgfältige und hinreichend substantiierte Folgenabwägung kommt
es nur an, soweit eine - nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende - Rechtmäßigkeitsprüfung nicht möglich ist (BVerfG, stattgebender
Kammerbeschluss vom 14.09.2016, 1 BvR 1335/13, NVwZ 2017, 244 unter Hinweis auf BVerfG 03.03.2004, 1 BvR 461/03, BVerfGE 110, 77, <87 f.> für das Versammlungsrecht).
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf die von ihr beantragten Leistungen der EMDA-Therapie. Die Leistungen werden ihr
in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang bewilligt, und zwar - insoweit unter Vorwegnahme der Hauptsache - endgültig und
nicht nur vorläufig. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass zum jeweiligen Zeitpunkt der Leistungserbringung (weiterhin)
eine medizinische Indikation vorliegt und dies vertragsärztlich festgestellt wird.
Versicherte haben nach §
27 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V Anspruch auf ärztliche Behandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenkassen stellen den Versicherten die geschuldete ärztliche Behandlung
grundsätzlich als Sachleistung zur Verfügung. Qualität und Wirksamkeit dieser Leistungen müssen nach §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen.
NUB dürfen nach §
135 Abs
1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der GBA auf Antrag eines Unparteiischen
nach §
91 Abs
2 Satz 1
SGB V, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen
in Richtlinien nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über
1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit
und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung,
um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Krankheiten einen Anspruch
auf Krankenbehandlung hat. Dies wird auch von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt. Die Antragstellerin leidet an
einer komplexen Blasenfunktionsstörung mit Harndranginkontinenz, Blasenentleerungsstörungen sowie Blasenschmerzen. Zur weiteren
Abklärung, ob den Blasenschmerzen eine Interstitielle Zystitis zugrunde liegen könnte, wurde eine Zystoskopie mit Hydrodistension
der Blase und Biopsie empfohlen, die am 04.08.2020 im Rahmen des stationären Aufenthaltes vom 03. bis 06.08.2020 in der Urologischen
Klinik des S.-B.-Klinikums durchgeführt wurde. Nach einer Narkoseuntersuchung sowie einer histologischen Untersuchung wurde
dann auch die Diagnose einer Interstitiellen Zystitis (N30.1) gestellt. Dies entnimmt der Senat vor allem der ausführlichen
Auskunft der Direktorin des Kontinenzzentrums S., S.-B.-Klinikum, Prof. Dr. S.-L. vom 15.01.2021.
Der Anspruch auf Behandlung der Interstitiellen Zystitis umfasst bei der Antragstellerin auch die Durchführung einer EMDA-Therapie.
Dabei geht der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens davon aus, dass es sich bei dieser Therapie um eine
NUB handelt. Allerdings ist dies keineswegs als geklärt anzusehen. Richtig ist, dass eine ausdrückliche Empfehlung des GBA
bezüglich dieser Methode nicht vorliegt. Es ist aber fraglich, ob die EMDA-Therapie tatsächlich als "neu" einzustufen ist.
Der MDK führt zu dieser Methode im Gutachten vom 02.02.2021 aus, beim EMDA-Verfahren würden Arzneimittel (ein Gemisch aus
einem örtlichen Betäubungsmittel <Lidocain oder Naropin> und Cortison zusammen mit Epinephrin - um welche Fertigarzneimittel
es sich hier im konkreten Fall handeln solle, werde nicht benannt) über einen Spezialkatheter bzw Blasenkatheter in die Blase
eingebracht. Die Arzneimittel müssten entweder eine elektrische Ladung aufweisen oder würden mit einem elektrisch geladenen
Trägermolekül gekoppelt. Durch Anlegen eines korrespondierenden elektrischen Feldes an den Körper solle dann das Arzneimittel
- den elektromagnetischen Anziehungskräften folgend - nach dem Iontophorese-Prinzip in der Blasenwand vermehrt eingelagert
werden. Im EBM sei zwar die Gebührenordnungsposition 02511 - Elektrotherapie unter Anwendung niederfrequenter und/oder mittelfrequenter
Ströme - enthalten. Es handele sich somit um ein modifiziertes Iontophorese-Verfahren, bei der Medikamente über den elektrischen
Strom hochkonzentriert am Zielort appliziert würden. Durch dieses Wirkprinzip habe sich jedoch das im EBM abgebildete Verfahren
derart verändert, dass es sich bei der EMDA um eine NUB handele. Ob dies zutrifft, ob also deshalb die im EBM bereits enthaltenen
ärztlichen Einzelleistungen oder bereits zugelassene Behandlungsmethoden eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren
(vgl BSG 08.07.2015, B 3 KR 6/14 R, BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, Rn. 20), lässt der Senat offen, weil es letztlich hierauf nicht ankommt. Wird davon ausgegangen,
dass die EMDA-Therapie eine NUB ist, besteht dennoch ein Anspruch der Antragstellerin auf diese Therapie. In diesem Fall liegt
ein sog Systemversagen vor, was zur Folge hat, dass die Krankenkasse diese Therapie den Versicherten bei Vorliegen einer entsprechenden
medizinischen Indikation zur Verfügung stellen muss.
Zu einem Systemversagen kann es kommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst
überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde
Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (vgl BSGE 81, 54, 65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 - Immunbiologische Therapie; BSG SozR 42500 § 27 Nr 10 RdNr 24 - Neuropsychologische Therapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 - ICL, jeweils mwN). In einem derartigen Fall widersprechen die einschlägigen RL einer den Anforderungen des
Qualitätsgebots genügenden Krankenbehandlung. Es fordert, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen haben, welche sich wiederum in zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren
Aussagen niedergeschlagen haben, und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen (stRspr, vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R, BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, Rn 18 mwN).
In der S2K-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Interstitiellen Cystitis (IC/BPS) vom 30.09.2018 wird zu der hier streitigen
Methode unter 3. Therapie, 3.5. Transurethrale Verfahren, 3.5.4. Elektromotive Drug Administration (EMDA) ua ausgeführt: "Eine
Studie zur Versorgungssituation der IC/BPS-Patienten in Deutschland ergab, dass 180 von 270 Studienteilnehmer das EMDA®-Verfahren
zur Behandlung der Symptomatik in Anspruch genommen hatten. Bei der Einschätzung des Behandlungserfolges invasiver Behandlungsmethoden
berichteten mehr als 60% der Behandelten über eine erfolgreiche Behandlung. Damit stellt die EMDA®Methode die am besten wirksame
invasive Therapie in dieser Studie dar [3, 88, 296]." Die Empfehlung für die Anwendung dieser Methode lautet: "sollte" und
der Konsens für diese Empfehlung betrug 100%. Bei diesem Sachverhalt gibt es keine sachlichen Gründe mehr, weshalb beim GBA
noch kein Antrag auf Überprüfung dieser Methode gestellt wurde. Nach dem Urteil des BSG vom 12.08.2009 (B 3 KR 10/07 R, BSGE 104, 95-108, SozR 4-2500 §
139 Nr
4, Rn 26) verdichtet sich die Antragsbefugnis aus §
135 Abs
1 Satz 1
SGB V zu einer Antragspflicht, sobald nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse eine positive Abschätzung des diagnostischen
oder therapeutischen Nutzens der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode iS von §
135 Abs
1 Nr
1 SGB V durch den GBA wahrscheinlich ist und im Übrigen eine positive Bewertung der Methode nicht aus anderen Gründen - etwa der
fehlenden Wirtschaftlichkeit - ausgeschlossen erscheint. Der Senat hält es nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme
für wahrscheinlich, dass der GBA entweder die Auffassung vertritt, dass es sich bei der EMDA-Therapie gar nicht um eine NUB
handelt, oder die EMDA-Therapie - jedenfalls bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - positiv bewertet.
In beiden Fällen hat die Antragstellerin einen Anspruch auf diese Therapie, wie sie in der S2K-Leitlinie vom 30.09.2018 beschrieben
wird. Dies gilt zumindest für die Fälle, in denen - wie hier - andere Therapien nicht erfolgsversprechend sind oder wegen
bestehender Kontraindikationen nicht angewendet werden können. Als eine Kontraindikation ist es auch zu werten, wenn eine
Änderung der Lebensumstände aufgrund der psychischen Verfassung der Versicherten nicht möglich oder nicht sinnvoll erschient.
Bei der Antragstellerin sind alle oralen anticholinergen und analgetischen Behandlungen austherapiert. Dies entnimmt der Senat
den schriftlichen Ausführungen von Prof. Dr. S.-L. und von Dr. H.. In ihrer Stellungnahme vom 15.01.2021 hat Prof. Dr. S.-L.
ausgeführt, dass eine medikamentöse Therapie mit oralem Pentosanpolysulfat (Elmiron) wegen des im "Rote Hand Brief" mitgeteilten
Risikos der Makuladegeneration mit konsekutiver Blindheit bei der ohnehin schwerst sehbehinderten, nahezu blinden Patientin
nicht erwogen worden sei. Eine andere medikamentöse Therapie mit anticholinerg wirksamen Medikamenten sei wegen des Glaukoms
kontraindiziert und daher auch nicht eingeleitet worden. Eine Instillationstherapie mit die Blasenschleimhaut aufbauenden
Substanzen wie Chondroitinsulfat und Hyaluronsäure sei bei der Patientin nicht praktikabel erschienen. Auch der Facharzt für
Urologie Dr. H., bei dem die Antragstellerin vom 18.08.2011 bis 16.09.2020 in Behandlung war, hat dem Senat mitgeteilt, der
Einsatz von Anticholinergika sei bei der Antragstellerin aufgrund ihrer ausgeprägten Glaukom-Erkrankung nicht möglich. Der
Beta-3-Adrenozeptoragonist Mirabegron (Betmiga®) sei bei der Antragstellerin eingesetzt worden, habe aber in den letzten Monaten
keine Wirkung auf die Beschwerdesymptomatik mehr gehabt. Nach der Botox-Injektion im Jahr 2019 hätten sich die Beschwerden
eher verschlechtert als gebessert.
Die Antragstellerin kann nach Auffassung des Senats nicht darauf verwiesen werden, dass noch eine operative Ausschaltung der
Harnblase durch Anlage eines Ileum-Conduits in Betracht kommt. Dabei handelt es sich um die letzte Möglichkeit einer Behandlung
(Prof. Dr. S.-L.: Als ultima ratio kann der Patientin - wenn eine EMDA-Therapie keine Verbesserung bringt - nur eine Zystektomie
mit einer Harnableitung angeboten werden), die einer Versicherten nicht abverlangt werden kann, wenn noch andere, weniger
belastende Behandlungsoptionen bestehen. Zumindest für die hier vorliegende Konstellation hält es der Senat für wahrscheinlich,
dass der GBA eine positive Empfehlung aussprechen würde.
Die gegenteilige Auffassung der Antragsgegnerin und des MDK überzeugt den Senat nicht. Der MDK kommt zwar zusammengefasst
zu der Bewertung, dass die Wirksamkeit der EMDA-Methode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen
aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Studien und Statistiken für die EMDA bei der Zystitis nicht belegt sei. Eine
wie vom GBA geforderte Evidenzstufe, die eine Aufnahme in Anlage I der MVV-RL erwarten ließe, liege für die EMDA weder zum
Zeitpunkt der Erstellung der Leitlinie noch zum jetzigen Zeitpunkt vor. Dem steht aber entgegen, dass die Prüfung der Voraussetzungen,
die vorliegen müssen, um eine Pflicht zur Antragstellung auszulösen, nicht die vom GBA erst durchzuführende Prüfung vorwegnehmen
muss. Die Antragsgegnerin beruft sich auch zu Unrecht auf das Urteil des BSG vom 12.08.2009 (B 3 KR 10/07 R, BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4). Dieser Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem die Anerkennung der Methode zu einem früheren
Zeitpunkt von dem damals zuständigen NUB-Ausschuss bereits einmal geprüft und als nicht hinreichend belegt von der Versorgung
in der Krankenversicherung ausgeschlossen wurde. Das BSG verlangte in dieser Entscheidung zumindest ausreichende Anhaltspunkte für die medizinische Wirksamkeit der Methode. Voraussetzung
dafür sei, dass die Wirksamkeit der NUB in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund
wissenschaftlich einwandfrei geführter Studien und Statistiken belegt sei. Zur Feststellung der Leistungspflicht der GKV komme
es nicht auf die Auffassung Einzelner an, sondern auf den weitgehenden Konsens der beteiligten Fachleute. Einen solchen Konsens
sieht der Senat hier in der S2K-Leitlinie.
Im Übrigen hat das BSG die im Urteil vom 12.08.2009 aufgestellten Anforderungen in einem neueren Urteil (das ebenfalls zu einem der Aufnahme eines
Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis vorgehenden Methodenbewertungsverfahren nach §
135 SGB V ergangen ist) relativiert. Jedenfalls dann, wenn nicht ohne Weiteres zu erkennen sei, dass eine Versorgung der Versicherten
mit dem Hilfsmittel nicht in Betracht kommt, und Unterlagen vorlägen, die eine nähere Befassung mit der zugrunde liegenden
Behandlungsmethode erforderlich machten (strenger hierzu für den Fall, dass die Methode bereits einmal vom GBA abgelehnt wurde:
BSG 12.08.2009, B 3 KR 10/07 R, BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4), müsse der GKV-Spitzenverband Bund den GBA nach § 12 Abs 2 SGB X bereits im Verwaltungsverfahren beteiligen und die Einleitung eines Bewertungsverfahrens nach §
135 Abs
1 Satz 1
SGB V beantragen (BSG 08.07.2015, B 3 KR 6/14 R, BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7, Rn. 29). Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich die Antragsbefugnis aus
§
135 Abs
1 Satz 1
SGB V aufgrund der Konsensempfehlung in der S2K-Leitlinie und der darin aufgeführten Referenzen zu einer Antragspflicht verdichtet
hat. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der GBA keineswegs verpflichtet ist, eine bestimmte Methode
entweder ganz oder gar nicht anzuerkennen. Wie das Beispiel der Extrakorporalen Stoßwellentherapie beim Fersenschmerz zeigt,
kann der GBA die Indikation für eine Anwendung der Therapie in der GKV auch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen bejahen
("Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (MVV-RL):
Extrakorporale Stoßwellentherapie beim Fersenschmerz" vom 19. April 2018).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).