Anspruch auf Prozesskostenhilfe; Prüfung der Erfolgsaussichten; Höhe des Regelbedarfs für Arbeitslosengeld II
Gründe:
I. Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.05.2011 "nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften".
Mit Bescheid vom 23.11.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1 und deren jüngerer Tochter, der Klägerin zu 2, vorläufig
Alg II für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.05.2011 unter Berücksichtigung von anzurechnendem Einkommen der Klägerin zu 1. Den
hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2011 zurück. Änderungsbescheide zum
Bescheid vom 23.11.2010 erließ der Beklagte am 21.03.2011 (2 Bescheide), 07.04.2011 und 04.05.2011 nach Einzug der weiteren
Tochter der Klägerin zu 1, M., in die Familienwohnung und wegen Bezuges von Wohngeld sowie anderweitiger Sozialleistungen.
Mit Bescheid vom 20.06.2011 bewilligte der Beklagte Alg II für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.05.2011 endgültig. Danach bestand
für die Klägerin zu 1. durchgehend ein Anspruch auf Alg II in unterschiedlicher Höhe, für die Klägerin zu 2. lediglich für
die Zeit vom 01.01.2011 bis 20.01.2011 und für die Tochter M. für die Zeit vom 21.01.2011 bis 31.03.2011.
Mit den zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobenen Klagen haben die Klägerinnen zu 1. und 2. beantragt, den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides
vom 23.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2011 weitere Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der
gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen und auszuzahlen. Zudem haben sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) begehrt.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 09.02.2010 seien die Regelungen über die Regelsatzhöhe verfassungswidrig
und nur bis 31.12.2010 anwendbar. Dennoch habe der Beklagte weiterhin diese Regelungen seiner Berechnung zugrunde gelegt.
Ab dem 01.01.2011 würden keine Rentenversicherungsbeiträge mehr abgeführt. Für diese Einschränkung finde sich jedoch - noch
- keine gesetzliche Grundlage. Im Übrigen sei der Ausschluss von Leistungsbeziehern aus dem System der gesetzlichen Rentenversicherung
ebenso verfassungswidrig wie die neuen Regelsätze. Selbst die UNO habe sich zur sozialen Lage in Deutschland tief besorgt
geäußert. Es werde auf ein vom DGB in Auftrag gegebenes Gutachten von Münder (Soziale Sicherheit Extra 2011, 63ff) verwiesen,
wonach das soziokulturelle Existenzminimum durch die neuen Regelsätze nicht sichergestellt sei. Die Vergleichsgruppe sei falsch
abgegrenzt, Fälle in verdeckter Armut lebender Haushalte seien aus der Reverenzgruppe ebenso herauszunehmen wie Personen,
die von Sozialleistungen leben und bis zu 73,00 EUR netto im Monat hinzu verdienen. Der Finanzbedarf für langlebige Gebrauchsgüter
sei vom Gesetzgeber nicht ermittelt worden, die Auswertung sei nur über 3 Monate erfolgt. Die Herausnahme von Konsumausgaben
der Vergleichsgruppe als nicht regelsatzrelevant führe zu einer "Unterschätzung des Existenzminimums". Das Statistikmodell
werde dadurch ausgehöhlt, ein interner Ausgleich zwischen den Warenkategorien werde eingeschränkt. Nicht nachvollziehbar sei
die Herunterrechnung des Mobilitätsbedarfes Bedürftiger; bei Nichtberücksichtigung der Ausgaben für Auto oder Motorrad müssten
die Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel erhöht werden. Das Bildungspaket sei verfassungsrechtlich als problematisch anzusehen,
denn es kollidiere mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und könne bei Nichtvorhandensein entsprechender Sport-
oder Musikangebote im Wohnumfeld nicht in Anspruch genommen werden. Zuletzt sei auch der Inflationsausgleich zu spät erfolgt;
die Preissteigerung des 1. Halbjahres 2010 sei nicht berücksichtigt worden.
Mit Beschluss vom 07.11.2011 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht sei nicht gegeben. Der vom Gesetzgeber festgelegte
Regelbedarf sei nicht als evident unzureichend anzusehen. Die Festlegung des Regelbedarfes anhand des Statistikmodells sei
vom BVerfG ebenso wenig beanstandet worden wie die Festlegung des regelleistungsrelevanten Verbrauch durch den Gesetzgeber.
Dagegen haben die Klägerinnen Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und die Klagebegründung im Wesentlichen
wiederholt. Der klägerische Standpunkt sei zumindest vertretbar und hierüber sei höchstrichterlich noch nicht entschieden
worden, ein Verfahren vor dem Bundessozialgericht sei anhängig. Vom Sozialgericht Stade sei PKH in einem vergleichbaren Verfahren
bewilligt worden. Selbst der Geschäftsführer eines Jobcenters habe geäußert, dass die Angebote des Bildungspaketes nicht sonderlich
attraktiv seien, wobei auch der bürokratische Aufwand zu berücksichtigen sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Nach §
73a Absatz
1 SGG (
Sozialgerichtsgesetz) i.V.m. §
114 Satz 1
ZPO (
Zivilprozessordnung) erhält PKH ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die
Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für sich hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R (Rn.26) - SozR 3-1500 § 62 Nr.19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht
den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder
zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl zum Ganzen:
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. §
73a Rn.7a).
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist bereits mangels Zulässigkeit der von den Klägerinnen - die Tochter M. hat bislang keine
Klage erhoben - zu verneinen. Die von einem fachkundigen Bevollmächtigten vertretenen Klägerinnen begehren bislang ausdrücklich
Alg II "nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften". Mit Bescheid vom 23.11.2010 für die Zeit ab 01.12.2010 in der Fassung
der Änderungsbescheide vom 21.03.2011, 07.04.2011 und 04.05.2011 und spätestens mit der endgültigen Leistungsbewilligung aufgrund
des Bescheides vom 20.06.2011 sind den Klägerinnen für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.05.2011 die ihnen nach den gesetzlichen
Regelungen vorgesehenen Leistungen bewilligt worden. Damit haben die Klägerinnen das von ihnen formuliertes Klageziel bereits
erreicht, sie haben Alg II unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgegebenen Regelbedarfe erhalten und diesbezüglich somit
kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr).
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist auch deswegen zu verneinen, weil sich die Klage gegen den Bescheid vom 23.11.2010 richtet,
der die Leistungsbewilligung ebenso für vorläufig erklärt wie die gemäß §
96 SGG zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheide vom 21.03.2011, 07.04.2011 und 04.05.2011. Diese Bescheide haben sich
jedoch durch die endgültige Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 20.06.2011, der ebenfalls zum Gegenstand des Verfahrens
geworden ist, erledigt, so dass auch deswegen das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses zu verneinen ist. Die Klage ist
vielmehr gegen den Bescheid vom 20.06.2011 zu richten. Eine Umstellung des Klageantrages ist jedoch durch die fachkundig vertretenen
Klägerinnen bislang nicht erfolgt.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht auch in materiell-rechtlicher Hinsicht für die Klage auf höheres Alg II für die
Zeit vom 01.12.2010 bis 31.12.2010 nicht. Nach den Entscheidungen des BVerfG vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - ist eine höhere Regelleistung für Dezember 2010 nicht zu berücksichtigen, Rentenbeiträge für diesen Monat hat der Beklagte
noch erbracht.
Soweit sich die Klägerinnen gegen die Höhe des zu berücksichtigenden Regelbedarfs ab 01.01.2011 wenden, ist der Senat ebenfalls
nicht davon überzeugt, dass den Klägerinnen die Beweisführung hinsichtlich einer Verfassungswidrigkeit der Festlegung des
Regelbedarfes durch den Gesetzgeber gelingt.
Die ab 01.01.2011 anzuwendenden Regelbedarfe wurden durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des
Zweiten und Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII) vom 24.03.2011 (BGBl I S 453 ff) festgelegt. Gerichte sind an das Gesetz
gebunden (Art
20 Abs
3, Art
97 Abs
1 Grundgesetz -
GG-). Bei einem Konflikt zwischen einem einfachen Gesetz und der Verfassung kann sich ein Gericht nicht über das Gesetz stellen,
es kann das Gesetz nur gemäß Art
100 Abs
1 GG dem BVerfG vorlegen. Dies kommt aber nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit des
einfachen Gesetzes überzeugt ist (Jarass/Pieroth,
GG, Art
100 Rn 10). Für eine Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfsgesetzes gibt es selbst unter Berücksichtigung des Gutachtens
von Münder (aaO.) nach Auffassung des Senates keine entsprechenden Anhaltspunkte (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 12.10.2011
- L 11 AS 686/11 B PKH - mwN).
Die Auswahl der Vergleichsgruppe hat der Gesetzgeber zutreffend vorgenommen, die Auswahl einer anderen Vergleichsgruppen mag
- den Klägerinnen - als sinnvoll erscheinen, jedoch hat der Gesetzgeber diesbezüglich einen Gestaltungsspielraum. Bei der
Auswahl der Reverenzgruppe hat der Gesetzgeber lediglich Zirkelschlüsse zu vermeiden. Dieses vom BVerfG ihm auferlegte Gebot
hat er beachtet. Er hat Haushalte, deren Nettoeinkommen unter dem Niveau der Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII liegen,
nicht in die Reverenzgruppe aufgenommen. Im Übrigen ist es allein die Entscheidung des Gesetzgebers, ob er auch diejenigen
Haushalte aus der Reverenzgruppe herausnehmen will, die über ein - wenn auch geringes - zusätzliches Einkommen verfügen. Wie
Fälle "verdeckter Armut" entsprechend berücksichtigt werden sollten, ist dem Senat derzeit nicht nachvollziehbar, wobei jedoch
der Gesetzgeber beabsichtigt, die Abgrenzung der Reverenzhaushalte weiter zu entwickeln (vgl. zum Ganzen u.a.: LSG Baden Württemberg,
Urteil vom 21.10.2011 - L 12 AS 3445/11 -; Mogwitz in ZFSH SGB 2011, 323ff; Groth in NZS 2011, 571 ff).
Auch das Vorbringen der Klägerinnen, der Finanzbedarf für langlebige Gebrauchsgüter sei nicht zutreffend ermittelt worden,
da die zur Berechnung herangezogenen Haushalte jeweils nur 3 Monate lang Aufzeichnungen gefertigt hätten, kann nicht durchgreifen.
Vielmehr haben 4 Gruppen jeweils über ein Quartal, insgesamt also kontinuierlich über ein Jahr lang, ihre Verbrauchsausgaben
in einem Haushaltsbuch aufgezeichnet (vgl. Mogwitz aaO.). Es erschließt sich dem Senat nicht, weshalb hierdurch die Ausgaben
für langlebige Gebrauchsgüter nicht berücksichtigt sein sollten.
Die Nichtberücksichtigung von verschiedenen Ausgabenpositionen lässt den vom Gesetzgeber berechneten Regelbedarf ebenfalls
nicht als verfassungswidrig erscheinen. Dem Gesetzgeber obliegt hier, eine Wertentscheidung zu treffen, welche Ausgaben er
als regelbedarfsrelevant ansieht. Dabei hat er lediglich Positionen als nicht regelbedarfsrelevant bewertet, die allein die
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, jedoch nicht die Sicherung der physischen Existenz betreffen (vgl. Mogwitz aaO.). Dieses
Vorgehen ist vom BVerfG nicht beanstandet worden. Hinsichtlich des von den Klägerinnen angesprochenen Mobilitätsbedarfs ist
darauf hinzuweisen, dass die Kosten für ein Kfz oder Motorrad als nicht regelsatzrelevant zwar herausgenommen wurden, aber
Ausgaben zugrunde gelegt wurden, die sich aus einer Sonderauswertung von Personen ohne Kfz ergeben haben.
Teilhabeleistungen für Kinder hat der Gesetzgeber im Rahmen des sog. Bildungspaketes berücksichtigt. Es obliegt seiner Gestaltungsfreiheit,
wie er diese Leistung gestalten will. Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen, diese Leistung als Bestandteil des Regelbedarfs
anzusehen und als rein monetäre Leistung zu erbringen, insbesondere wenn er dadurch sicherstellen will, dass die Leistung
die Begünstigenden tatsächlich erreicht. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, Minderjährigen, die diese Leistung - warum auch
immer - nicht in Anspruch nehmen können, den entsprechenden Betrag als Geldleistung auszuzahlen.
Auch die Regelung zur Fortschreibung der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben (§ 7 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe
nach § 28 SGB XII - Regelbedarfsermittlungsgesetz -) stellt sich für den Senat als verfassungsgemäß dar. Hier hat der Gesetzgeber
den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum mit der Regelung des § 7 Abs 2 Regelbedarfsermittlungsgesetz ausgeübt.
Wegen des Nichtbestehens einer Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung haben sich die Klägerinnen an den
Rentenversicherungsträger zu wenden, wobei sie erneut die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu berücksichtigen haben.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen, der Senat hält die Festlegung der Regelbedarfe durch den Gesetzgeber für die
Zeit ab 01.01.2011 nicht für (evident) verfassungswidrig und sieht keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die von den Klägerinnen
zu 1. und zu 2. bislang erhobenen Klagen. Die Aussagekraft des von den Klägerinnen genannten, aber nicht begründeten Beschlusses
des SG Stade erschließt sich dem Senat nicht.
Die Entscheidung ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§
177 SGG).