Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Haftung des Klägers für die Beiträge der Beigeladenen in der Zeit vom 24.04.2004 bis 31.05.2005
in Höhe von 2.554 EUR.
Der 1963 geborene Kläger ist Nebenerwerbslandwirt mit Flächen von ca. 17 ha. Hauptberuflich übt er bei einer Behörde eine
sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aus. Er ist seit 01.12.1987 von der Versicherungspflicht befreit.
Am 24.04.2004 heiratete er die Beigeladene, eine rumänische Staatsangehörige (A.); 2005 wurde das gemeinsame Kind geboren.
Am 31.11.2006 übermittelte die Beklagte an den Kläger die Unterlagen für einen Befreiungsantrag für die Ehefrau.
Mit Eingang vom 15.03.2007 bei der Beklagten beantragte die Ehefrau die Befreiung von der Versicherungspflicht wegen Kindererziehung
und legte als "Befreiungsnachweis für die Zeit ab Heirat bis Geburt des Kindes" den bis 23.04.2005 gültigen Aufenthaltstitel
der zuständigen Ausländerbehörde vor, wonach die Aufnahme einer selbständigen oder vergleichbaren unselbständigen Erwerbstätigkeit
nicht gestattet war.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 21.03.2007 gegenüber der Beigeladenen fest, dass sie als Ehefrau eines Landwirts ab
24.04.2004 als versicherungspflichtige Landwirtin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 ALG gelte. Der Beitrag betrage im Jahr 2004 monatlich 201 EUR und im Jahr 2005 monatlich 199 EUR, so dass die Beitragsschuld
bis Mai 2005 insgesamt 2.804 EUR betrage. Mit Wirkung vom 01.06.2005 wurde die Beigeladene von der Versicherungspflicht wegen
Erziehung eines Kindes nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ALG befreit.
Mit Widerspruch vom 20.04.2007 machte die Beigeladene geltend, dass sie ab April 2004 voll erwerbsgemindert gewesen sei. Hierzu
legte sie ein Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B. vom 04.04.2007 vor, wonach sie in der Zeit vom 24.04.2004
bis 06.05.2005 wegen chronischer Depressionen keine berufliche Tätigkeit ausüben konnte. Die eventuelle Arbeitszeit habe unter
3 Stunden gelegen.
Auf telefonische Nachfrage der Beklagten wies Dr. B. darauf hin, dass er der allein behandelnde Arzt gewesen sei.
Am 09.01.2007 hatte sich die Beigeladene bei der Dipl. Psych T. vorgestellt; deren Bericht vom 16.04.2007 enthält die Diagnosen:
Panikstörung, Anpassungsstörungen, rez. depressive Störung - gegenwärtig remittiert. Die derzeitige Arbeitsfähigkeit sei eingeschränkt,
die berufliche Anforderung sollte auf ein Minimum beschränkt sein.
In einem weiteren Attest des Dr. B. vom 12.07.2007 schildert der Arzt die Einschränkungen der Beigeladenen in der Zeit von
April 2004 bis Mai 2005. Sie sei nicht in der Lage gewesen, ohne fremde Hilfe den Haushalt zu versorgen.
Vorgelegt wurde auch ein Bericht über einen Aufenthalt im Krankenhaus vom 19.06.2002 bis 03.07.2002 wegen eines akuten Bauchs
bei Zöliakie mit einer diagnostischen Laparotomie.
Die Beklagte ließ ein sozialmedizinisches Gutachten durch die Dipl. Psychologin Dr. W. erstatten. Diese untersuchte die Beigeladene
am 09.08.2007. Die Gutachterin beschrieb die Ehefrau als lebhaft, ausgeglichen, kooperativ. Hinweise für Denkstörungen oder
Wahrnehmungsstörungen lägen nicht vor. Neurologische Auffälligkeiten bestünden keine. Zusammenfassend haben sich aus Sicht
der Gutacherin keine wesentlichen körperlichen oder seelischen Gesundheitsstörungen finden lassen. Die aufgetretene Anpassungsstörung
habe sich überwiegend zurückgebildet. Es seien leichte und mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes 6 Stunden
und mehr möglich. Für den Zeitraum vom 24.04.2004 bis 31.05.2005 lägen keine fachspezifischen Befunde über psychiatrische
Störungen mit objektiven, valide ableitbaren schweren Funktionsbehinderungen vor, welche eine quantitative Minderung des Leistungsvermögens
für diesen Zeitraum belegen könnten.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch der Beigeladenen mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2007 zurück. Rechtsmittel
dagegen wurden nicht eingelegt.
Am 26.10.2007 beantragte die Schwester des Klägers telefonisch die Einräumung von Ratenzahlungen; am 20.11.2007 ging ein entsprechender
schriftlicher Antrag der Beigeladenen ein, worauf Ratenzahlungen von monatlich 250 EUR vereinbart wurden. Die Ratenzahlung
konnte jedoch nur einmal vom Konto abgebucht werden.
Am 18.03.2008 erklärte die Beigeladene, dass sie seit 15.03.2008 von ihrem Ehemann dauernd getrennt lebe. Daraufhin teilte
die Beklagte der Beigeladenen mit Bescheid vom 27.03.2008 das Ende der Versicherungspflicht zum 15.03.2008 mit. Außerdem wurde
die Ratenzahlungsvereinbarung aufgehoben, weil die Buchung für Januar bis März 2008 uneingelöst zurückgegeben worden sei,
und der Rückstand in Höhe von 2.554 EUR zuzüglich 9 EUR Rücklaufgebühr eingefordert. Dagegen erhob die Beigeladene Widerspruch
und legte u.a. einen Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II vor.
Daraufhin forderte die Beklagte den Kläger mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22.04.2008 auf, den Beitragsrückstand der
Beigeladenen in Höhe von 2.563 EUR zu begleichen. Er hafte nach § 70 Abs. 1 ALG gesamtschuldnerisch für die Beiträge. Gegenüber der Beigeladenen erklärte die Beklagte, dass sie deren Widerspruch damit
als erledigt ansehe.
Der Kläger erhob Widerspruch und erklärte, er zahle seiner "Noch-Frau" Unterhalt, so dass sie ihren Zahlungsverpflichtungen
selbst nachkommen müsse. Er beauftragte seinen Prozessbevollmächtigten, der Akteneinsicht nahm.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Darin wurde auf die bestandskräftige Feststellung
der Versicherungspflicht der Ehefrau mit Bescheid vom 21.03.2007 hingewiesen. Die Ehefrau sei glaubhaft nicht in der Lage,
den Beitragsrückstand zu zahlen. Nach § 70 ALG könne ein Ehegatte für die Schulden des Ehepartners in Anspruch genommen werden. Die Auflösung der Ehe beende die während
der Ehe entstandene Beitragsforderung nicht. Der Betrag von 2.554 EUR solle innerhalb von 14 Tagen überwiesen werden.
Am 09.01.2009 ist Klage beim Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben worden. In der Begründung wird u.a. darauf abgestellt, dass die Beigeladene zu keiner Zeit landwirtschaftliche Tätigkeiten
ausgeübt habe. Sie sei während des streitgegenständlichen Zeitraumes voll erwerbsgemindert gewesen. Dies ergebe sich aus dem
Attest des Dr. B ... Der Kläger sei selbst von der Versicherungspflicht befreit. Auch deshalb bestehe kein Anspruch auf Beitragszahlung
der Beigeladenen.
Die Beklagte hat sich auf die bestandskräftige Feststellung der Versicherungspflicht der Ehefrau berufen. Derartigen Statusfeststellungen
komme Tatbestandswirkung zu; sie könnte von Dritten nicht angefochten werden. Im Übrigen könne dem Bescheid vom 22.04.2008
auch die erneute Feststellung der Versicherungspflicht der Beigeladenen entnommen werden - insoweit hätten sich seit März
2007 keine neuen Erkenntnisse ergeben. Rechtsgrundlage für die Haftung des Klägers sei § 70 Abs. 1 Satz 2 ALG, wonach beide Ehegatten gesamtschuldnerisch haften, wenn sie Landwirte sind. Der Begriff des Landwirts sei umfassend zu verstehen,
der versicherungsrechtliche Status sei unerheblich. Der Status als Landwirt bleibe auch bei einer Befreiung bestehen; die
Pflicht zur Beitragstragung für die im Unternehmen tätigen Versicherungspflichtigen bleibe unberührt (BSG - B 10 LW 40/00 R).
Die Beklagte hat außerdem mitgeteilt, dass sie von der Anwendung des §
197a SGG ausgehe, da der Kläger die Klage nicht in seiner Eigenschaft als Versicherter erhoben habe.
Die Klage ist mit Urteil vom 24.11.2009 abgewiesen worden. Der Kläger müsse sich die bestandskräftige Feststellung der Versicherungspflicht
entgegenhalten lassen, ohne dass er erneut geltend machen könne, es hätte Versicherungsfreiheit wegen voller Erwerbsminderung
vorgelegen. Eine Verfahrensbeteiligung des mithaftenden Ehegatten an der Statusfeststellung sei weder gesetzlich vorgesehen
noch aufgrund eines besonderen Schutzbedürfnisses des Ehegatten zu postulieren. Es könne daher dahinstehen, ob der Kläger
von dem Verwaltungsverfahren der Ehefrau Kenntnis gehabt habe. Eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit der bestandskräftigen
Feststellung der Versicherungspflicht liege nicht vor. Selbst wenn eine Drittwirkung der getroffenen Feststellungen verneint
würde, so bestünden keine Anhaltspunkte, dass die Depressionen der Ehefrau so schwer gewesen wären, dass selbst leichte Tätigkeiten
nicht mehr drei Stunden täglich verrichtet werden konnten. Insoweit stütze sich das Gericht auf die schlüssigen Feststellungen
der Dr. W ...
Die Versicherungsfreiheit des Klägers bei gleichzeitiger Landwirtseigenschaft bleibe nach dem Gesetzeswortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 2 ALG in der seit 01.04.2008 gültigen Fassung ohne Bedeutung. Mit der Neufassung sei die bisherige Bezugnahme auf die Versicherungspflicht
der Ehegatten beseitigt worden, nachdem die frühere Formulierung zu unterschiedlichen Auslegungen geführt hatte (LSG Brandenburg
- L 2 LW 5/00 und BSG - B 10 LW 40/00 R). Dadurch sei klargestellt, dass es bei der Haftung bleibe, auch wenn der Landwirt von der Verpflichtung zur Leistung eigener
Beiträge freigestellt sei. Die gesetzliche Regelung trage dabei dem Schutzbedürfnis der Landwirtsehegatten zum Aufbau einer
eigenen Altersversorgung Rechnung und diene der Stabilisierung des Versicherungssystems. Daher begegne die gesamtschuldnerische
Haftung auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Höhe der Beitragsforderung sei nicht streitig. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit lägen nicht vor.
Die Kostenentscheidung ergebe sich aus §
193 SGG. Auch für den gesamtschuldnerisch haftenden Landwirt greife die Privilegierung des §
183 SGG, da dieser in gleicher Weise wie ein Versicherter gegen die Beitragshaftung vorgehe und unter den Schutzzweck der Norm falle.
Gegen das am 03.12.2009 zugestellte Urteil ist am 29.12.2009 Berufung eingelegt worden. Der Prozessbevollmächtigte hat mitgeteilt,
dass die Ehe am 02.05.2009 geschieden worden ist.
Er betont insbesondere, dass der Kläger von der Beitragszahlung in die Alterskasse der Landwirte befreit sei und in die gesetzliche
Rentenversicherung einzahle. Die Beigeladene habe von den Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung partizipiert,
so dass für sie ebenfalls die Voraussetzungen für eine Befreiung vorgelegen hätten. Die Befreiung des Klägers werde sonst
ad absurdum geführt. § 70 Abs. 1 Satz 2 ALG sage nichts darüber, welche Folgen die Befreiung eines Ehegatten für die Beitragspflicht des anderen Ehegatten habe. Der
gegen die Ehefrau ergangene Bescheid vom 31.03.2007 entfalte gegenüber dem Kläger keine allgemein verbindliche Wirkung. Der
Kläger habe weder Kenntnis von dem Verfahren gehabt, noch sei er daran beteiligt gewesen. Jedermann, der durch eine Entscheidung
rechtlich betroffen sei, habe einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Es sei unklar, ob das Gericht selbst eine Wertung anhand
des Gutachtens aus dem Verfahren gegen die Ehefrau des Klägers vorgenommen habe. Das Gutachten sei nicht in das streitgegenständliche
Verfahren eingeführt und nicht zur Kenntnisnahme und Stellungnahme vorgelegt worden. Außerdem habe sich das SG nicht mit dem Attest des Dr. B. auseinandergesetzt.
Die Beklagte hat insbesondere ausgeführt, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 1 Abs. 3 ALG bestätigt habe (1 BvR 558/99). Aus der Entscheidung ergebe sich, dass die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht unerheblich sei. Die Versicherungspflicht
der Beigeladenen sei auch dann verfassungskonform, wenn eine Doppelversicherung bestehen würde. Der Gesetzgeber habe Einzahlungen
in die gesetzliche Rentenversicherung nicht als Befreiungstatbestand vorgesehen. Auch der befreite Landwirt hafte gesamtschuldnerisch
nach § 70 ALG. Die Auslegung der Vorschrift gründe sich nicht nur auf den Wortlaut; es seien die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesbegründung
(BTDrs 15/2149, = Bl. 34 LSG-A) zu beachten. Durch die Änderung des § 70 Abs. 1 ALG sei sichergestellt worden, dass eine gesamtschuldnerische Haftung der Ehegatten entgegen dem Urteil des BSG vom 25.07.2002
(B 10 LW 40/00 R) auch dann greife, wenn nur einer der Ehegatten in der Alterssicherung der Landwirte aktiv versichert sei. Soweit bemängelt
werde, dass das Gutachten der Dr. W. nicht in das Verfahren eingeführt worden sei, so sei dies nicht nachvollziehbar. Das
Gericht sei nicht gehindert, einem Verwaltungsgutachten zu folgen; dabei genüge es zur Einführung in den Prozess, dass die
Akte Gegenstand des Verfahrens sei. Dies sei mit der Ladung geschehen; der Prozessbevollmächtigte habe im Übrigen Akteneinsicht
genommen.
Der Klägerbevollmächtigte hat dazu erwidert, dass die Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 3 ALG nicht in Zweifel gezogen werde. Es gehe um die Frage der Versicherungspflicht in Bezug auf die soziale Schutzbedürftigkeit
der Landwirtsehegattin im Alter. Diese benötige keinen zusätzlichen Schutz, da sie zu 50% an den Einzahlungen ihres Mannes
in die gesetzliche Rentenversicherung teilnehme. Die Gesetzesbegründung zu § 70 ALG passe nicht, da die Ehefrau keine Landwirtin sei und nur aufgrund behaupteter Fiktion versichert sei.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 08.02.2012 beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. November 2009 sowie den Bescheid vom 22. April 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 12. Dezember 2008 aufzuheben.
Der Vertreter der Beklagten hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 13.01.2012 ist die Ehefrau des Klägers zum Verfahren beigeladen worden.
Ergänzend wird auf die Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 22.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
12.12.2008, mit dem die gesamtschuldnerische Haftung für die Beiträge der Beigeladenen festgestellt wurde, ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Beklagte hat die Regelung zur gesamtschuldnerischen Haftung richtig angewandt.
§ 70 Abs. 1 Satz 2 ALG in der Fassung des Art. 5 Nr. 2 des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz)
vom 21.07.2004 (BGBl I S. 1791) lautet:
"Sind beide Ehegatten Landwirte, haften sie gesamtschuldnerisch."
Diese Vorschrift geht auf den Entwurf des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes vom 09.12.2003 (BTDrucks 15/2149 S. 15) zurück und wird
dort als Reaktion auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.07.2002 (B 10 LW 40/00 R) verstanden.
Die Auslegung der Norm erschließt sich daher - worauf die Beklagte richtig hingewiesen hat - durch einen Vergleich mit der
Vorgängervorschrift ("Die Beiträge für die Versicherungspflichtigen trägt der Landwirt; sind beide Ehegatten versichert, haften
sie gesamtschuldnerisch").
In dem genannten Urteil des BSG vom 25.07.2002 (B 10 LW 40/00 R, SozR 3-5868 § 70 Nr 1, juris) wird zunächst zum Begriff des Landwirts überzeugend dargelegt, dass dieser umfassend zu verstehen
ist und nicht nur den landwirtschaftlichen Unternehmer im Sinne von § 1 Abs. 2 ALG, sondern grundsätzlich auch deren Ehegatten einschließt. Diese Auslegung entspricht der Gesetzesbegründung zum Entwurf des
Agrarsozialreformgesetz 1995 zu § 70 Abs. 1 ALG (BTDrs 12/5700 S. 81), in der es ausdrücklich heißt, dass der "Landwirt, also auch der nach § 1 Abs. 3 Versicherte" den Beitrag
trägt. Es wird außerdem auf die Abkehr von dem bisher im Zusammenhang mit der Beitragspflicht verwendeten Begriff des landwirtschaftlichen
Unternehmers hingewiesen. Ausdrücklich heißt es auch, dass der Status des Landwirts für denjenigen, der von der Versicherungspflicht
befreit wird, für die Zeit der Befreiung bestehen bleibt (BSG, aaO., juris Rn. 20).
Im Unterschied dazu bedeutet der Wortlaut "versichert sind" ein tatsächliches, aktuelles Versichertsein; das Bestehen eines
"latenten Versicherungsverhältnisses", wie es im Falle der Befreiung vorliegt, reichte dem BSG dafür nicht aus. Dies ergab
sich nachvollziehbar aus der unterschiedlichen Wortwahl der Halbsätze 1 und 2 des § 70 Abs. 1 ALG a.F. und dem Bestimmtheitsgrundsatz.
Im Ergebnis folgerte das BSG im damaligen Fall (B 10 LW 40/00 R, aaO.), dass zwar eine Haftung der von der Versicherungspflicht befreiten Ehegattin eines Landwirts ("Gilt-Landwirtin" nach
§ 1 Abs. 3 ALG) nach § 70 Abs. 1 Halbsatz 1 ALG a.F., nicht aber eine gesamtschuldnerische Haftung nach Abs. 1 Halbsatz 2 a.F. bestehe. Die Ehegattin sollte im Ergebnis
als Teilschuldnerin (§
420 BGB) haften.
Die Änderung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes zu § 70 ALG (BTDrs 15/2149, S. 30 = 35 LSG- A), die nunmehr für die gesamtschuldnerische Haftung auf die Eigenschaft als Landwirt abstellt,
nimmt auf die o.g. Rechtsprechung des BSG ausdrücklich Bezug. Die Gesetzesänderung sollte "entsprechend der bisherigen Praxis
und dem Gesetzeszweck" sicherstellen, dass eine gesamtschuldnerische Haftung der Ehegatten auch dann greift, wenn nur einer
der Ehegatten in der Alterssicherung der Landwirte aktiv versichert ist. Der Gesetzgeber sah die Gefahr, dass die Auslegung
des BSG die gesamtschuldnerische Haftung in einer Weise einschränken würde, die den Gesetzeszweck in Frage stelle. Eine aus
dem Urteil folgende hälftige Aufteilung würde erheblichen Verwaltungsaufwand und eine verschlechterte Beitreibungsmöglichkeit
bedeuten.
Vor dem Hintergrund dieser Entstehungsgeschichte kann die geänderte Fassung des § 70 Abs. 1 ALG n.F. nach Auffassung des Senats nur so verstanden werden, dass die gesamtschuldnerische Haftung auch Gilt-Landwirte im Sinne
des § 1 Abs. 3 ALG einbezieht und Landwirte auch für die Zeit einer Befreiung umfasst.
Sowohl der Kläger als auch die Beigeladene sind in dem streitgegenständlichen Zeitraum vom 24.04.2004 bis 31.05.2005 Landwirte
im Sinne der Vorschrift gewesen.
Der Kläger ist Landwirt im Sinne des § 1 Abs. 2 ALG, da er ein Unternehmen der Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße überschreitet. Die Befreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG ändert an diesem Status nichts.
Die Beigeladene ist Landwirtin nach § 1 Abs. 3 ALG, da sie im fraglichen Zeitraum mit dem Kläger verheiratet war, nicht dauernd getrennt lebte und nicht voll erwerbsgemindert
im Sinne des §
43 Abs.
2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) war.
Hinsichtlich der Bindungswirkung des Bescheids vom 21.03.2007 ist dem Klägerbevollmächtigten zwar insoweit recht zu geben,
dass dafür grundsätzlich eine Beteiligung im Verwaltungsverfahren erforderlich gewesen wäre.
Nach der Rechtsprechung des BSG kann die Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht der Ehefrau (so BSG
- Urteil vom 16.10.2002 - B 10 LW 5/01 R, juris Rn. 15) wegen der gesamtschuldnerischen Haftung des Landwirts auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen, so dass
er zum Rechtsstreit der Ehefrau nach §
75 Abs.
2 Alternative 1
SGG notwendig beizuladen ist. Nichts anderes kann aber im Fall der erstmaligen Feststellung der Versicherungspflicht gelten (vgl.
BSG vom 16.12.1976 - 12/3/12 RK 23/74 Breith. 1977, 846). Entsprechend zur notwendigen Beiladung im Gerichtsverfahren ist auch über eine Einbindung in das Verwaltungsverfahren nach
§ 12 Abs. 2 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu entscheiden (vgl. BSGE 55, 160, 162).
Zur Herbeiführung einer Bindungswirkung hätte die Beklagte den Kläger daher von der Einleitung des Verfahrens benachrichtigen
und darauf hinweisen müssen, dass ein Antrag auf Beteiligung an dem Verwaltungsverfahren gestellt werden könne (vgl. Krasney
in Kasseler Kommentar § 12 SGB X Rn. 14).
Von der Benachrichtigung kann allerdings abgesehen werden, wenn feststeht, dass ein Familienangehöriger von dem Verfahren
in Kenntnis gesetzt worden ist (vgl. BSGE 72, 292, 294). Für die bestehende Kenntnis spricht die Zuleitung des Befreiungsantrags für die Ehefrau an den Kläger. Nach aktenkundigen
Telefonnotizen gab außerdem die Schwester des Klägers z.B. am 25.06.2007 an, dass sie sich mit ihrem Bruder nochmals besprechen
werde und dieser rechtliche Schritte erwäge.
Letztlich kann die Frage der Bindungswirkung aber dahinstehen, da die Versicherungs- und Beitragspflicht der Beigeladenen
als Vorfrage streitgegenständlichen im Bescheid vom 22.04.2008 zutreffend bejaht wurde.
Soweit sich der Kläger wegen der Erwerbsminderung der Ehefrau auf das Attest des Allgemeinarztes Dr. B. beruft, so weist dieses
eine volle Erwerbsminderung im fraglichen Zeitraum nicht zur Überzeugung des Senats nach. Allein die Diagnose einer Depression
oder Angststörung ist nicht geeignet, eine volle Erwerbsminderung zu begründen. Selbst wenn depressive Episoden Arbeitsunfähigkeit
bedingen, so ist deshalb noch nicht der Schluss auf eine Erwerbsminderung möglich. Die rückschauende Wertung des behandelnden
Arztes, dass volle Erwerbsminderung vorgelegen habe, ist aufgrund seiner Angaben nicht nachvollziehbar. Zum Ausmaß einer psychischen
Erkrankung fehlen zeitnahe fachspezifische Befunde, aus denen die Funktionsbehinderungen abgeleitet werden könnten. Weitere
Aufklärung war nicht veranlasst, da keine neuen medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden und Dr. B. nach eigenen Angaben
der einzige im fraglichen Zeitraum behandelnde Arzt war. Aus dem von der Gutachterin erhobenen Befund lassen sich auch keine
Rückschlüsse ziehen, die eine volle Erwerbsminderung begründen könnten. Dort ist etwa festgehalten, dass sich die aufgetretene
Anpassungsstörung zurückgebildet habe. Nervenärztliche Behandlungen seien nie notwendig geworden. Die Beigeladene hat auch
selbst gegenüber der Gutachterin angegeben, dass die Lebensfreude immer in Ordnung gewesen sei.
Eine Einschränkung in dem Ausmaß, dass der Beigeladenen nicht einmal eine 3-stündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
möglich gewesen wäre, ist damit nicht nachgewiesen.
Die Tatsache, dass die Beigeladene eine Tätigkeit wegen des Ausländertitels nicht ausüben durfte, ist für den vorliegenden
Rechtstreit unerheblich. Sie sagt nichts über die gesundheitlichen Einschränkungen der Beigeladenen aus, auf die es für die
Frage der Erwerbsminderung ankommt.
Auch der Einwand des Klägers, die Ehefrau benötige den Schutz des ALG nicht, da sie an seiner Rentenversicherung teilhaben werde, ist unbeachtlich. Ein Grundsatz, dass Doppelversicherungen zu
vermeiden seien, ist mit der Systematik des ALG unvereinbar (s. BSG, Urteil vom 25.07.2002 - B 10 LW 12/01 R). Gäbe es einen solchen Grundsatz, bedürfte es nicht der Befreiungsregelungen in § 3 ALG, die grundsätzlich auch keiner gesetzesergänzenden, lückenschließenden Auslegung zugänglich sind (vgl. BSG Beschluss vom
20.01.2009 - B 10 LW 9/08 B; BSG SozR 3-5868 § 2 Nr. 2 S 14). Im Übrigen stellt die Alterssicherung der Landwirte ihrem Charakter nach nur eine Teil-
bzw. Grundsicherung dar (s. BSG, aaO.).
Schließlich hilft auch der Hinweis, dass die Beigeladene nicht im Betrieb ihres Ehemannes mitarbeitete, nicht. Auf eine tatsächliche
Mitarbeit im landwirtschaftlichen Unternehmen kommt es bei der Fiktion des § 1 Abs. 3 ALG nicht an (vgl. BSG - B 10 LW 40/00 R, aaO., juris Rn. 19 m.w.N: BSGE 81, 294, 295 f, BSGE 83, 145). Das BVerfG hat in der Entscheidung des Ersten Senats vom 09.12.2003 - 1 BvR 558/99 - dargelegt, dass die Einbeziehung der Ehegatten von Landwirten in die Versicherungspflicht der landwirtschaftlichen Alterssicherung
nach § 1 Abs. 3 ALG mit dem
Grundgesetz auch insoweit vereinbar ist, als sie Ehegatten betrifft, die im Betrieb des Ehepartners nicht mitarbeiten. Die Einbeziehung
der Ehegatten von Landwirten in die Versicherungspflicht war geeignet, einen wirksamen Beitrag zur Alterssicherung dieses
Personenkreises zu leisten. Der Gesetzgeber durfte annehmen, dass das bisherige Recht die Bäuerinnen nicht ausreichend absicherte.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung einer funktionsfähigen Alterssicherung in der Landwirtschaft war die Einbeziehung
der Ehegatten geeignet und erforderlich. Der Gesetzgeber durfte sich am Regelfall orientieren und unter Zugrundelegung eines
Konzepts der Typisierung und Generalisierung alle Ehegatten für schutzbedürftig halten (s. dazu im Einzelnen BVerfG, aaO.,
juris Rnn. 48 ff.).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Der Senat legt der Kostenentscheidung §
193 SGG und nicht §
197a SGG zugrunde.
Soweit §
183 SGG darauf abstellt, dass ein Kläger gerade in seiner Eigenschaft als Versicherter, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger,
behinderter Mensch oder dessen Sonderrechtsnachfolger beteiligt ist, ist der hier vorliegende Sonderfall der gesamtschuldnerischen
Haftung eines befreiten Landwirts, bei dem nur ein latentes Versicherungsverhältnis vorliegt, nicht klar erfasst. Es handelt
sich um eine Gesetzeslücke, die in sinngemäßer Anwendung zu schließen ist.
Für eine analoge Anwendung des §
183 SGG und damit für die Kostenprivilegierung spricht der Zweck des §
183 SGG, typisierend schutzbedürftige Leistungsempfänger hinsichtlich der Kosten zu privilegieren (BSG SozR 4-1500 §
183 Nr. 3 Nr. 9). Gerade der Gedanke der sozialen Schutzbedürftigkeit ist auch Grundlage für die Versicherungs- und Beitragspflicht
der Landwirte und ihrer Ehegatten.
Der Landwirt ist im Verhältnis zu seiner Ehegattin dagegen nicht mit einem Arbeitgeber vergleichbar, der nicht als Versicherter
gilt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., 3 183 Rn.5a), wenn er zur Beitragszahlung für seine versicherten Arbeitnehmer herangezogen wird. Die gesamtschuldnerische
Haftung setzt nicht an eine arbeitgebertypische Pflicht an, sondern stellt darauf ab, dass bei beiden Ehegatten gleichermaßen
die Landwirtschafteigenschaft vorliegt.
Würde in einem solchen Fall die Anwendung des §
183 SGG abgelehnt, so bestünde die Möglichkeit, das Kostenprivileg durch die Inanspruchnahme des jeweils anderen Ehegatten auszuhebeln.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und Nr.
2 SGG), liegen nicht vor.