Anspruch auf Gewährung höherer Rentenleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Unfalls
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung höherer Rentenleistungen wegen eines Unfalls vom 21.05.1976.
Die 1952 geborene Klägerin erlitt in der ehemaligen DDR einen versicherten Wegeunfall, bei dem sie sich eine leichte gedeckte
Schädel-Hirnverletzung ohne neurologische Ausfälle, Mittelgesichtsfrakturen, eine offene dislozierte Unterkieferfraktur rechts,
Frakturen des Metacarpale (MC) IV und V links, eine Platzwunde am rechten Kinn und eine Femurfraktur rechts in Schaftmitte
zuzog. Aufgrund des Gutachtens vom 30.06.1977 wurden folgende Unfallfolgen festgestellt: "Die Öffnung des Mundes beim Essen
gelingt nicht vollständig. Im Bereich der linken Hand lässt sich an der Dorsalseite eine Stufenbildung der MC-Frakturen IV
und V erkennen. Die Dorsalflexion der linken Hand ist gering eingeschränkt". Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde
mit 20 v.H. eingeschätzt.
Am 24.05.1978 wurde ein weiteres Gutachten eingeholt. Der Untersuchungsbefund ergab eine Asymmetrie des Gesichtsschädels,
multiple reizlose Narben am Kopf, eine unvollständige Mundöffnung bei in Stufenbildung disloziert verheilter Unterkieferfraktur
rechts. An der linken Hand fand sich eine in Fehlstellung verheilte Schrägfraktur MC IV und V mit Deformierung der Mittelhand.
Der Faustschluss gelang regelrecht. Die grobe Kraft und die Dorsalflexion waren um 15 Grad eingeschränkt. Am rechten Bein
fand sich eine reizlose Narbe an der Außenseite des Oberschenkels. Die Beweglichkeit in allen Gelenken war frei. Gegenüber
dem Vorgutachten vom 30.06.1977 war keine Veränderung eingetreten. Die MdE wurde nach wie vor mit 20 v.H. eingeschätzt. Die
Klägerin bezog daraufhin Rente nach einer MdE um 20 v.H. aufgrund des Bescheides vom 09.08.1977.
Infolge der Wiedervereinigung fiel der Vorgang in die Zuständigkeit der Beklagten, wobei diese für die Unfallfolgen weiterhin
Zahlungen nach einer MdE um 20 v.H. erbrachte.
In Nachschauberichten vom 23.04.1999 und 28.09.1999 stellte der Orthopäde Dr. S. als Unfallfolgen eine fortgeschrittene Handwurzelarthrose
mit Handgelenksarthrose links fest.
Am 30.05.2001 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung höherer Unfallrente. Nach Beiziehung eines Befundberichtes des
Dr. S. erstellte Prof. Dr. E., Klinikum E-Stadt, am 28.11.2001 ein Gutachten. Die vorhandenen Unfallfolgen seien im Wesentlichen
durch Schmerzen gegeben, die bei Bewegung der betroffenen Extremitäten, vor allem jedoch des linken Handgelenkes, wie auch
des rechten Oberschenkels verursacht würden. Die MdE schätzte der Gutachter mit 30 v.H. ein. Er diagnostizierte eine deutlich
ausgeprägte Arthrose in der Handgelenksformation, eine ähnlich ausgeprägte Präarthrose am rechten Unterkieferast und eine
Weichteilverkalkung im Sinne einer Myositis ossificans (Muskelverknöcherung) am rechten Oberschenkel.
Mit Bescheid vom 05.03.2002 lehnte die Beklagte eine Rentenerhöhung ab. Eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen
sei nicht eingetreten. Die im Gutachten von Prof. Dr. E. geschilderten Funktionsverhältnisse gäben keinen Anhalt für eine
Verschlimmerung und rechtfertigten keine Erhöhung der Rente.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch, der sich auf das Gutachten des Prof. Dr. E. stützte, wurde mit Widerspruchsbescheid
vom 24.04.2002 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 07.05.2002 Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG). Das Gericht holte ein Gutachten des Chirurgen Dr. K., W., ein, wonach eine MdE von 30 v.H. angemessen sei. Die Unfallfolgen
seien im Gutachten des Klinikums E-Stadt zutreffend beschrieben. Die Verschlimmerung sei etwa 1999 eingetreten. Dr. K. wies
darauf hin, dass die Gutachten aus den Jahren 1977 und 1978 nicht den Anforderungen eines Gutachtens entsprächen. Deshalb
sei ein Vergleich schwierig.
In einem weiteren Gutachten für das SG wies der Mund-Kiefer-Gesichtschirurg Dr. Dr. G. darauf hin, die Dokumentation zum Unfallgeschehen sei sehr spärlich. Falls
eine Kiefergelenksfraktur zum Verletzungszeitpunkt vorgelegen habe, sei sie nicht dokumentiert worden. Dies gelte auch für
eine Nasenbeinfraktur. Der Hinweis auf eine Mittelgesichtsfraktur in den Krankenakten sei mehr als dürftig, da diese in mehreren
Etagen des Gesichtes sowie einseitig oder zweiseitig vorliegen könne. Die Begutachtung habe keinen Hinweis auf eine unfallbedingte
Asymmetrie im Bereich des Gesichtsschädels ergeben. Es liege eine Fehlstellung des Unterkiefers im Sinne eines Distalbisses
vor. Die Mundöffnung der Klägerin sei geringfügig eingeschränkt. Eine MdE auf seinem Fachgebiet könne nicht bestätigt werden.
Die Beklagte legte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. M. vor. Dieser schätzte die MdE mit 20 v.H. ein. Eine Myositis
ossificans des rechten Oberschenkels bestehe nicht. Das Ergebnis aus dem "Messen" der Handkraft mittels "Händedruck" sei ausschließlich
von der Mitarbeit der untersuchten Person abhängig und nicht objektivierbar.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 25.01.2005 schloss sich daraufhin Dr. K. der Meinung des Dr. M. an. Auf Antrag der
Klägerin erstellte der Orthopäde Dr. S. ein weiteres Gutachten. Dieser schätzte die MdE mit 30 v.H. ein. Es liege eine Myositis
ossificans vor. Die Gebrauchsminderung des rechten Beines der Klägerin entspreche 10 %. Auch im Kieferbereich sei eine MdE
von 10 % angemessen. Die Beweglichkeit der Finger sei deutlich eingeschränkt. Insgesamt ergebe sich eine MdE von 30.
Das SG holte ein weiteres kieferchirurgisches Gutachten ein. Prof. Dr. R., Klinikum E-Stadt, kam am 24.04.2006 zum Ergebnis, es
bestehe eine Verkürzung und Verplumpung des linken Unterkiefergelenkfortsatzes mit Bewegungseinschränkung und daraus resultierender
Abweichung des Unterkiefers nach links bei maximaler Mundöffnung, des Weiteren eine in Verkürzung und mit Defektbildung verheilte
Fraktur des horizontalen Unterkieferastes rechts. Auf Grund der Defektbildung und Verheilung in Fehlstellung sei zumindest
ein Zahnverlust im Bereich des rechten Unterkiefers als Unfallfolge anzunehmen. Es bestünden glaubhafte Beschwerden im Bereich
der Kiefergelenke und der Kaumuskulatur. Die MdE sei auf seinem Fachgebiet mit 5 v.H. angemessen. Im Auftrag des SG erstellte Frau Dr. D. ein handchirurgisches Gutachten. Neben einer geringen Einschränkung der Streckung des Handgelenkes
(15 Grad) bestehe auch eine Behinderung in allen Bewegungsrichtungen mit einem Gesamtwert von 60 Grad. Der Faustschluss sei
wesentlich behindert, ebenso die Feinbewegungen der dreigliedrigen Finger. Die Schmerzen seien glaubhaft. Die Herabsetzung
des Kalksalzgehaltes im Vergleichsröntgenbild belege den funktionellen Mindereinsatz der linken Hand auf Grund der Schmerzen.
Insgesamt sei eine wesentliche Verschlimmerung gegeben. Die MdE schätzte sie auf 30 v.H.
Mit Schreiben vom 05.12.2006 stellte die Klägerin vorsorglich Antrag, die Bescheide gemäß § 44 des Zehnten Sozialgesetzbuches (SGB X) zurückzunehmen und die Folgen des Unfalls vom 21.05.1976 nach einer MdE von wenigstens 30 v.H. zu entschädigen. Die Beklagte
holte erneut eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Dr. M. ein. Dieser befürwortete weiter eine MdE von 20 v.H., auch wenn
der Erstschaden der linken Mittelhand umfangreicher war, als es bisher bekannt war. Daraufhin gab die Handchirurgin Dr. D.
eine ergänzende Stellungnahme ab. 1977 sei der Funktionszustand nicht sachgerecht festgehalten worden. Schon auf Grund der
Röntgenbefunde könne sicher gesagt werden, dass der jetzige Befund auch damals schon vorgelegen haben müsse. Sie blieb bei
ihrer Bewertung mit 30 v.H.
Die Beklagte wies in ihrer Stellungnahme vom 23.07.2007 darauf hin, eine Überprüfung des von einem DDR-Leistungsträger erlassenen,
bindend gewordenen Bescheides nach § 44 SGB X sei ausgeschlossen.
Mit Urteil vom 25.10.2007 hob das SG die Bescheide der Beklagten auf und sprach der Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 21.05.1976 mit Wirkung ab 22.04.1999
Rentenleistungen nach einer MdE um 30 v.H zu. Das Gericht stützte sich hierbei auf § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X. Im Übrigen befürwortete es eine sog. Wahlfeststellung in analoger Anwendung. Wenn zwei Lebensachverhalte nebeneinander möglich
seien, scheine es nicht gerechtfertigt, dass sich der Entscheidungsträger von vornherein auf die für den Antragsteller ungünstigere
Lösung zurückziehe.
Dagegen legte die Beklagte am 25.03.2008 Berufung ein. Zur Begründung führt sie aus, weder die gerichtliche Sachverständige
Dr. D. noch Dr. M. hätten eine wesentliche Änderung bejaht. Der Senat ernannte den Chirurgen Dr. H. zum gerichtlichen Sachverständigen.
Dieser kam in seinem Gutachten vom 29.01.2009 zum Ergebnis, unter Einschluss der glaubwürdigen subjektiven Beschwerden sowie
leichtgradig erschwerter Ausführbarkeit der Grob- und Feingriffformen, auch auf dem Boden einer Achsendrehfehlstellung des
4. und 5. Mittelhandknochens und einer globalen Bewegungseinschränkung des linken Handgelenkes von 60 Grad könne eine Minderung
der Erwerbsfähigkeit mit 25 v.H. bescheinigt werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 25.10.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß §
136 Abs.2
SGG auf die Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 25.10.2007 ist
aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Rentenleistungen als nach einer MdE von 20 v.H. Der Verschlimmerungsantrag
vom 30.05.2001 wurde von der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.
Gemäß § 48 Abs.1 SGB X ist Voraussetzung für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes für die Zukunft, dass in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Gemäß
§ 73 Abs.3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SG VII) ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs.1 SGB X nur wesentlich bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt. Eine solche wesentliche
Änderung ist nicht nachgewiesen.
Der vom Senat ernannte Sachverständige Dr. H. führt in seinem Gutachten aus, dass jetzt eine MdE von 25 v.H. angemessen sei.
Er weist zu Recht darauf hin, dass eine Befundverschlimmerung aufgrund der fehlenden funktionsanalytischen Eckdaten schwierig
ist. Eine MdE von 30 v.H. wird derzeit nicht erreicht. Unter Berücksichtigung der Vorgaben in der Unfallbegutachtung wird
diese erreicht bei in erheblicher Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit von insgesamt 80 Grad bzw.
in schlechter Stellung oder Falschgelenksbildung verheilten Brüchen mehrerer Mittelhandknochen mit Beteiligung der Beweglichkeit
von Fingern. Bei der Klägerin hingegen konnte Dr. H. lediglich eine leichtgradig erschwerte Ausübbarkeit der Grob- und Feingriffformen
sowie eine Achsendrehfehlstellung des 4. und 5. Mittelhandknochens und eine globale Bewegungseinschränkung des linken Handgelenkes
von 60 Grad feststellen. Er hält unter Einschluss der glaubwürdigen subjektiven Beschwerden hierfür eine Minderung der Erwerbsfähigkeit
von 25 v.H. für angemessen. Diese Einschätzung hält der Senat für überzeugend.
Eine wesentliche Verschlimmerung ergibt sich auch nicht aus dem fachärztlich-orthopädischen Gutachten des Dr. S. vom 19.05.2005
im Auftrag des SG. Dieser beschreibt eine eingeschränkte Handbeugung links, ohne diesbezüglich vergleichende Messdaten rechts zu dokumentieren.
Auch der MdE-Einschätzung der Sachverständigen Dr. D. kann aufgrund der Vorgaben in der Begutachtungsliteratur nicht gefolgt
werden. Es ist hier von einer Einschränkung der Gesamtfunktion des linken Handgelenkes von insgesamt 60 Grad auszugehen.
Eine Verschlimmerung hinsichtlich der Funktionsdaten des linken Handgelenkes, die eine Änderung der MdE um mehr als 5 v.H.
bedingen, ist somit nicht nachgewiesen.
Dies gilt auch in Zusammenschau mit den Befunden am rechten Oberschenkel und im Kieferbereich. Die von Dr. S. festgestellte
Gebrauchsminderung des rechten Beines von 10 v.H. lässt eine Auswirkung auf die MdE nicht erkennen. Dies gilt auch hinsichtlich
der Unfallverletzungen im Kieferbereich. Zwar diagnostizierte Prof. Dr. R., Klinikum E-Stadt, in seinem kieferchirurgischen
Gutachten eine Verkürzung und Verplumpung des linken Unterkiefergelenkfortsatzes mit Bewegungseinschränkung und daraus resultierender
Abweichung des Unterkiefers nach links bei maximaler Mundöffnung. Aufgrund der Defektbildung und Verheilung in Fehlstellung
ist zumindest ein Zahnverlust im Bereich des rechten Unterkiefers als Unfallfolge anzunehmen, des Weiteren glaubhafte Beschwerden
im Bereich der Kiefergelenke und der Kaumuskulatur, was eine MdE von 5 v.H. bedinge. Hieraus ist jedoch eine Verschlimmerung,
die eine Erhöhung der MdE um mehr als 5 v.H. zur Folge hätte, nicht zu entnehmen.
Die Beklagte hat deshalb den Verschlimmerungsantrag der Klägerin zu Recht zurückgewiesen.
Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Urteil führt hier auch eine Wahlfeststellung nicht zum Ziel. Nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und dem diese bestätigenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG),
1 BvR 1982/01 vom 27.02.2007, können vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR nur aufgehoben werden, wenn
sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des Einigungsvertrages (EV) unvereinbar sind. Art.19 Satz 2
EV ermöglicht die Aufhebung nur solcher Verwaltungsentscheidungen, die mit tragenden rechtsstaatlichen Grundsätzen in einer
Weise unvereinbar sind, dass der Fortbestand in der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland
nicht hingenommen werden kann. Eine Entscheidung nach § 44 SGB X ist deshalb im konkreten Fall ausgeschlossen.
Im Übrigen weist Dr. H. darauf hin, dass er sich auch nicht der Meinung von Frau Dr. D. anschließen könne, dass eine MdE von
30 v.H. bereits 1977/78 gerechtfertigt gewesen sei. Er verweist insoweit auf die Funktionswerte des linken Handgelenkes im
Nachschaubericht des Orthopäden Dr. S. vom 28.09.1999.
Im Ergebnis ist eine MdE von 25 v.H. nach Auswertung sämtlicher Sachverständigengutachten hier angemessen. Eine MdE von 30
v.H. lässt sich nicht begründen. Tatsächlich wird im Ergebnis von allen Gutachtern übereinstimmend eine wesentliche Änderung
der Verhältnisse, nämlich um mehr als 5 v.H., verneint.
Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 25.10.2007 ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG liegen nicht vor.