Anfechtung von Prozesshandlungen im sozialgerichtlichen Verfahren; Rücknahme der Berufung und eines Antrags auf Fortsetzung
des Verfahrens
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Antrag vom 15. Januar 2008 auf Fortsetzung des Verfahrens L 2 U 169/00 in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2008 wirksam zurückgenommen wurde.
Der 1953 geborene Kläger war von 1979 bis 1989 als Chemiearbeiter in einem Elektroschmelzwerk beschäftigt und hatte dabei
Kontakt zu zahlreichen Chemikalien. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Das Sozialgericht Augsburg
wies die Klage mit Urteil vom 31. Juli 1996 ab. Im Berufungsverfahren schlossen die Beteiligten im Erörterungstermin vom 3.
Februar 1999 einen Vergleich, in dem die Beklagte sich bereit erklärte, bezüglich einer gesundheitsschädigenden Belastung
durch die vom Kläger angegebenen Chemikalien nach weiteren Ermittlungen einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen und
der Bevollmächtigte des Klägers im Einvernehmen mit dem Kläger die Rücknahme der Berufung erklärte. Mit Schreiben vom 16.
April 2000 erklärte der Kläger, der Vergleich sei rechtswidrig. Er habe der Verhandlung nicht folgen können. Im Termin zur
mündlichen Verhandlung vom 23. August 2000 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers im Einvernehmen mit dem Kläger, der Antrag
auf Fortsetzung des Verfahrens werde zurückgenommen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23. September 1999 sowie mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2000 die Anerkennung
einer Berufskrankheit ab. Mit Urteil vom 9. Oktober 2006 wies das Sozialgericht Augsburg die Klage ab. Keiner der zu prüfenden
Berufskrankheitentatbestände sei erfüllt, auch weitere Berufskrankheiten im Sinne von §
9 Abs.
2 des Siebten Sozialgesetzbuches (
SGB VII) kämen nicht in Betracht. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg nahm der Bevollmächtigte des Klägers
mit dessen Einverständnis im Erörterungstermin vom 28. November 2007 zurück. Der Kläger focht die Berufungsrücknahme an. Mit
Beschluss vom 10. Juli 2008 stellte der 3. Senat des Bayer. Landessozialgerichts fest, dass die Berufung zurückgenommen sei.
Der Kläger machte mit Schreiben vom 16. April 2000 und 15. Januar 2008 geltend, er sei bei dem Erörterungstermin vom 3. Februar
1999 belogen worden und hätte den Vergleich, wenn er richtig informiert gewesen wäre, nicht abgeschlossen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2008 erklärte der Kläger die Rücknahme des Antrags vom 15. Januar 2008
auf Fortsetzung des Verfahrens L 2 U 169/00.
Der Kläger wandte mit der Beschwerde vom 20. Dezember 2008 ein, die Vorsitzende Richterin und die Berichterstatterin seien
befangen und hätten deshalb an der Verhandlung nicht teilnehmen dürfen. Mit Beschluss vom 29. September 2009 stellte der 2.
Senat des Bayer. Landessozialgerichts fest, die Ablehnung der Richterinnen wegen Besorgnis der Befangenheit sei unbegründet.
Die Anhörungsrüge des Klägers vom 17. Oktober 2009 wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger macht weiterhin geltend, man habe ihm ein gerechtes Urteil verweigert.
Der Kläger stellt sinngemäß den Antrag,
das Verfahren L 2 U 169/00 fortzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass die Berufung rechtswirksam zurückgenommen wurde.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31. Juli 1996 ist durch die Berufungsrücknahme im
Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23. August 2000 beendet worden. Der Kläger hat den Antrag vom 15. Januar 2008 auf Fortsetzung
des Verfahrens im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2008 zurückgenommen.
Diese Prozesserklärungen vom 23. August 2000 und vom 10. Dezember 2008 können nicht angefochten werden. Die Vorschriften des
bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit und Anfechtung sind auf Prozesshandlungen nicht anwendbar (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Auflage, vor §
60, Rn. 12 m.w.N.). Prozesshandlungen können nur unter engen Voraussetzungen widerrufen werden. Das kommt in Betracht, wenn
Restitutionsgründe im Sinne von §
580 der
Zivilprozessordnung -
ZPO - vorliegen oder wenn der Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung verbietet.
Ein Restitutionsgrund im Sinne von §
580 ZPO ist nicht ersichtlich; insbesondere keine strafbare Verletzung der Amtspflichten der beteiligten Richter. Der Antrag des
Klägers auf Ablehnung der Vorsitzenden Richterin und der Berichterstatterin wegen Befangenheit wurde mit Beschluss vom 29.
September 2009 für unbegründet erklärt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ist gleichfalls nicht ersichtlich,
da der Kläger nicht durch eine richterliche Belehrung oder Empfehlung zu einer bestimmten Erklärung veranlasst worden ist
(vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O. Rdnr. 12a m.w.N.). Der Kläger wurde in den mündlichen Verhandlungen von 3. Februar 1999, 23. August
2000, 28. November 2007 und 10. Dezember 2008 jeweils über die Sach- und Rechtslage ausführlich informiert. Dies ergibt sich
aus den vorliegenden Protokollen der mündlichen Verhandlungen.
Es ist daher festzustellen, dass das Verfahren L 2 U 169/00 durch Rücknahme der Berufung beendet ist.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.