Bemessung des Grades der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung bei Kniebeschwerden
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
von 20 v.H. bereits ab 18.03.2008 (Datum der Untersuchung durch Prof. N.) statt ab 05.11.2009 (Tag der Untersuchung durch
Dr. D.) hat.
Der 1971 geborene Kläger ist als abhängig beschäftigter Eishockeyspieler der H. bei einem Spiel am 13.03.2003 gestürzt und
verdrehte sich das linke Kniegelenk.
In seiner ärztlichen Unfallmeldung vom 14.03.2003 diagnostizierte Prof. Dr. K. eine Innenbandruptur, eine Innenmeniskusläsion
sowie eine vordere Kreuzbandruptur. Es bestand eine Schwellung, ein Erguss, ein Druckschmerz des medialen Collateralbandes,
eine Valgusinstabilität 2. bis 3. Grades, eine ein- bis zweifach positive vordere Schublade und ein Hyperextensionsschmerz.
Die MRT-Untersuchung vom selben Tag ergab eine Teilruptur des Innenbandes mit Gelenkerguss, einen hochgradigen Verdacht auf
Partialruptur des vorderen Kreuzbandes und einen Innenmeniskushinterhorndefekt.
Am 17.03.2003 wurde der Kläger operiert. Laut Operations (OP)-Bericht zeigte sich ein Einriss der Kapsel bei kompletter Innenbandruptur,
ein inkompletter Längsriss des Innenmeniskus und ein partieller Riss des vorderen Kreuzbandes (VKB). Der Kreuzbandstumpf wurde
reseziert und das Innenmeniskushinterhorn angefrischt. Im femoropatellaren und lateralen Compartment bestanden keine Knorpelschäden.
Laut Zwischenbericht von Dr. L. vom 20.06.2003 war das Knie bei Untersuchung am 02.04.2003 im Wesentlichen reizlos, ohne nennenswerte
Ergussbildung bei schmerzhaft bedingt lediglich endgradiger Bewegungseinschränkung. Am 28.08.2007 wurde eine Semimembranosuszyste
des linken Kniegelenks reseziert. Prof. K. teile mit Arztbrief vom 09.09.2003 mit, dass der Kläger bei der letztmaligen Untersuchung
am 31.07.2003 beschwerdefrei gewesen sei.
Mit Schreiben vom 04.12.2007 stellte der Kläger Antrag auf Rentenleistungen. Die Knieverletzung bereite ihm nach wie vor Probleme.
Er könne seinen Beruf als Eishockeyspieler nur noch mit einer Bandage ausüben. Die Instabilität sei erheblich. Er habe mittlerweile
zwei Verletzungen am linken Kniegelenk erlitten.
Die Beklagte zog einen Arztbrief des Orthopäden Dr. A. vom 15.01.2008, medizinische Unterlagen von Prof. K. sowie einen Bericht
des Krankenhauses der B. in R. vom 20.03.2008 bei.
Anschließend holte sie ein Gutachten des Chefarztes Prof. Dr. N. ein. Im Gutachten vom 14.04.2008 stellte Prof. N. nach Untersuchung
des Klägers am 18.03.2008 als Unfallfolgen eine anteromediale Instabilität des linken Kniegelenks sowie eine posttraumatische
sekundäre mediale Gonarthrose links bei Zustand nach unhappy triad (vordere Kreuzbandruptur, Innenbandruptur und Innenmeniskusläsion)
sowie eine Verminderung der Oberschenkelmuskulatur links fest. Entgegen der Angaben im OP-Bericht vom 17.03.2003 ging Prof.
N. im Gutachten von einer OP mit vorderer Kreuzbandplastik aus.
Laut Gutachten war die Muskulatur von Ober- und Unterschenkel rechts etwas kräftiger ausgebildet als links bei seitengleicher,
kräftiger Fußsohlenbeschwielung. Beim freien Barfußgang zeigte sich ein angedeutetes linksseitiges Hinken bei seitengleicher
Schrittgröße; beide Kniegelenke wurden seitengleich abgerollt. Der Einbeinstand war rechts und links sicher und balancefähig,
die Kniebeugung bis 70° in beiden Kniegelenken ausführbar. Die Kniegelenksbeweglichkeit betrug für Streckung/Beugung links
0-0-130° und rechts 5-0-140°. Der Kläger solle bei jeder Sportausübung konsequent eine Kniege-lenksorthese tragen. Seinem
Beruf als Eishockeyspieler könne er nachgehen, allerdings sollten Trainings- und Spielumfänge, abhängig von Befund und Beschwerden,
reduziert werden. Die MdE schätzte Prof. Dr. N. vom 13.03.2003 bis 31.07.2003 mit 100 v.H., ab 01.08.2003 mit 20 v. H ...
Prof. Dr. H. führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 23.07.2008 aus, dass angesichts der Befunde von Prof.
Dr. N. die MdE ab dem Untersuchungstag mit 10 v.H. angesetzt werden könne.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.08.2008 einen Anspruch auf Verletztenrente ab. Die Erwerbsfähigkeit sei
nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert.
Als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt: endgradige Beugebehinderung im linken Kniegelenk (0-0-130 links), Minderung
der Muskulatur des linken Oberschenkels, einfach positive vordere Schublade und einfach bis zweifach positive innenseitige
Aufklappbarkeit, beginnende mediale Arthrose nach (partieller) vorderer Kreuzbandruptur, (inkompletter) Innenmeniskusläsion
und (kompletter) medialer Kollateralbandruptur links.
Zur Begründung seines Widerspruchs vom 31.08.2008, eingegangen am 05.09.2008, führte der Kläger im Wesentlichen aus, die Begründung
sei auf die Aussagen des damaligen Mannschaftsarztes gestützt worden; es könne aber durchaus eine Verschlimmerung der Verletzungsfolgen
in den vergangenen fünf Jahren eingetreten sein, zumal er seinen Beruf weiter ausgeübt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Beratungsarzt habe auf Basis der aktuellen
Gutachtensliteratur überzeugend dargestellt, dass dem Gutachten von Prof. Dr. N. nicht zu folgen sei und nur eine MdE von
10 v.H. vorliege. Die Bewegungseinschränkungen des linken Kniegelenks seien gegenüber dem rechten minimal und die Beweglichkeit
liege noch im Normbereich. Neben einer Muskelminderung am Oberschenkel und einer geringen Knieinstabilität bestünden noch
keine Funktionseinschränkungen. Die Gonarthrose habe noch keine wesentlichen Auswirkungen auf die Kniefunktionalität.
Dagegen hat der Kläger am 25.03.2009 Klage zum Sozialgericht (SG) Regensburg erhoben und beantragt, ab dem Untersuchungstag durch Prof. N. Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Die Stellungnahme von Prof. H. vermöge das Gutachten von Prof. N. nicht zu entkräften.
Mit Bescheid vom 04.08.2009 gewährte die Beklagte dem Kläger Stützrente ab 19.09.2006 nach einer MdE von 10 v.H., nachdem
der Kläger am 19.09.2006 einen weiteren Arbeitsunfall erlitten hatte, der nach einer Schulterverletzung links eine MdE von
10 v.H. zur Folge hatte. Als Unfallfolgen wurden dieselben Gesundheitsstörungen wie im Bescheid vom 05.08.2008 anerkannt.
Das SG hat Röntgenbilder und Befundberichte über bildgebende Verfahren sowie die vorliegenden ärztlichen Unterlagen des Orthopäden
Dr. E. (Praxis Dr. A.) und Prof. K. beigezogen.
In den Unterlagen sind insbesondere Berichte des H-Arztes Dr. G. über Behandlungen nach einem Unfall am 04.03.2007 während
eines Spiels für "D. E." R. enthalten, wonach sich der Kläger eine Innenbandruptur Grad 1/2 am linken Kniegelenk zugezogen
haben soll, sowie Berichte von Dr. E. (Praxis Dr. A.) über eine Achillessehnenruptur links, die am 04.07.2008 ambulant operiert
worden war.
Anschließend hat das SG den Orthopäden Dr. D. beauftragt, ein Gutachten zu erstatten. In seinem Gutachten vom 09.11.2009 hat Dr. D. nach ambulanter
Untersuchung des Klägers am 05.11.2009 als Unfallfolgen eine operativ behandelte vordere Kreuzbandruptur, eine Läsion des
Innenbandes, eine Partialläsion des Innenmeniskus mit verbliebener Beugehemmung des linken Kniegelenks von 25° gegenüber rechts,
eine einfach positive, muskulär kompensierbare Schublade, einen leichten Reizerguss festgestellt sowie degenerative Veränderungen,
soweit diese nicht vorbestanden hätten und nicht auch am rechten Kniegelenk zu sehen seien. Die MdE hat Dr. D. mit 20 v.H.
bewertet. Auf die Höhe der MdE würden sich die Bewegungseinschränkung, die muskulär kompensierbare Bänderschwäche, die Arthrose
mit leichtem Funktionsverlust sowie ein Reizknie in Form einer leichten Ergussbildung des linken Kniegelenks auswirken.
Im Vergleich dazu sei der Funktionsverlust des linken Knies gegenüber rechts bei Untersuchung durch Prof. N. deutlich geringer
ausgeprägt gewesen und es habe kein Reizerguss bestanden. Die der Erhöhung der MdE auf 20 v.H. zu Grunde gelegten schlechteren
Befunde seien daher erst ab der eigenen Untersuchung am 05.11.2009 nachgewiesen.
Sowohl der Kläger als auch die Beklagte haben gegen das Gutachten Einwendungen erhoben.
Der Kläger hat den angesetzten Zeitpunkt für die Erhöhung der MdE für willkürlich gehalten und moniert, dass ein vollständiger
Muskelaufbau nach einer Kreuzbandplastik nicht möglich sei.
Die Beklagte hat eingewandt, dass die fehlende Muskelminderung am linken Oberschenkel für einen besseren funktionellen Zustand
als im Vorgutachten spreche; die Bandinstabilität sei derzeit muskulär kompensiert und führe nicht zu einer Verschlimmerung
der Bewegungseinschränkung. Die Bewegungsbehinderung allein sei mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Eine Arthrose sei erst
in die MdE-Bewertung einzubeziehen, wenn sie zu einer Funktionsbehinderung führe. Ein Reizknie könne nicht als voll bewiesen
anerkannt werden.
In weiteren Stellungnahmen vom 03.01.2010 und 02.02.2010 hat Dr. D. ausgeführt, dass eine Kreuzbandplastik beim Kläger nicht
durchgeführt worden sei. Es bestehe eine Beuge-, aber keine Streckhemmung. Zwar sei der funktionelle Zustand des linken Knies
aufgrund der wiederhergestellten Oberschenkelmuskulatur relativ günstig; allerdings rechtfertige allein die gemessene Funktionseinschränkung
schon eine MdE von 10 v. H. (nach Schönberger/Mehrtens/Valentin "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 8. Auflage). In Zusammenschau
mit dem leichten Reizzustand in Form eines angedeuteten Ergusses, der muskulär kompensierbaren Bänderschwäche, die unverändert
nach neuerer Literatur mit einer MdE von 10% eingestuft werde, und des Ausmaßes der gesicherten Arthrose, die zum Bewegungsverlust
beitrage, sei eine MdE von 20 v.H. angemessen.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme von Prof. H. vom 24.02.2010 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, dass in Kenntnis der aktuellen
Literatur aus den Befunden von Dr. D. allenfalls eine MdE mit 10 v.H. resultieren könne.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 03.03.2010 und der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 22.02. und 15.03.2010
Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 30.03.2010 verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides
vom 05.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26.02.2009 sowie des Bescheides vom 04.08.2009 Verletztenrente
nach einer MdE von 20 v.H. ab 5.11.2009 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Die Kammer hat sich der Beurteilung von Dr. D. angeschlossen, die mit den Ausführungen von SMV (aaO.) übereinstimme. Die Funktionseinschränkungen
durch die Bewegungseinschränkung und die Bänderschwäche ergäben zusammen zumindest eine MdE von 15%. Dazu komme die Arthrose
und der leichte Reizzustand, selbst wenn dafür jeweils noch keine MdE von 10 % angesetzt werden könne. Unter Berücksichtigung
dieser vier Komponenten hat die Kammer die MdE des Klägers ab Untersuchung durch Dr. D. mit 20 % eingeschätzt. Prof. H. könne
nicht gefolgt werden. Dieser stütze zwar die Bewertung der Lockerung des Kniebandapparates auf SMV, berufe sich bei Beurteilung
der Bewegungseinschränkung aber auf Rompe/Erlenkämper/Schilten- wolf/Hollo ("Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane",
im Folgenden: Rompe), wonach eine MdE von 10 v.H. nur bei Einschränkung der Kniebeugung auf 90° vergeben werde. Die Kammer
hat die in SMV in der überarbeiteten 8. Auflage differenzierteren Tabellenwerte für überzeugend gehalten. Dr. D. habe das
Ausmaß der Arthrose ausdrücklich beschrieben. Ferner lasse Prof. H. den von Dr. D. festgestellten leichten Reizzustand in
Form eines angedeuteten Ergusses unberücksichtigt. Die fehlende Muskelminderung am linken Oberschenkel spreche nicht gegen
eine Funktionsbeeinträchtigung des Kniegelenks. Denn dieser Muskelaufbau sei dem Kläger nur durch entsprechenden Einsatz trotz
seines Handicaps gelungen.
Allerdings könne eine höhere MdE als 10 v.H. nicht für die Zeit vor dem Tag der Untersuchung durch Dr. D. angenommen werden.
Denn sie beruhe auf der am Untersuchungstag erhobenen Feststellung einer verschlechterten Kniegelenksbeweglichkeit gegenüber
dem Befund bei Untersuchung durch Prof. Dr. N ... Zum damaligen Zeitpunkt habe der Kläger das linke Knie noch bis 130° beugen
könne, so das sich aus diesem Befund eine messbare MdE nicht ableiten lasse. Aufgrund der übrigen von Prof. Dr. N. festgestellten
Unfallfolgen sei keine höhere MdE als 10 v.H. begründbar.
Hiergegen hat der Kläger am 18.05.2010 Berufung eingelegt und eine Verletztenrente nach einer MdE von 20% bereits seit dem
18.03.2008 begehrt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass bereits die von Prof. N. festgestellten Unfallfolgen,
insbesondere die Arthrose eine MdE von 20 v.H. rechtfertigen würden. Die Arthrose als das entscheidende zusätzliche Kriterium
für die Zahlung der Verletztenrente sei schon fast eineinhalb Jahre vorher festgestellt worden; daher sei der Beginn der Rente
auf den Untersuchungstag von Prof. Dr. N. zu legen.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 11.06.2010 das SG-Urteil ausgeführt und dem Kläger ab 05.11.2009 Verletztenrente nach einer MdE von 20% als Rente auf unbestimmte Zeit gewährt.
Der Kläger hat weitere Unterlagen, nämlich ein Attest der R. P. vom 23.08.2007, Röntgenaufnahmen, eine Stellungnahme zur Begutachtung
von MRT-Aufnahmen durch die Praxis für Kernspintomographie Dr. G. vom 06.11.2009, Nachbehandlungsempfehlungen vom 27.08.2007
sowie eine Untersuchungsdokumentation vom 27.08.2007 vorgelegt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23.09.2010 entgegnet, dass
eine Änderung der MdE-Einschätzung zum 18.3.2008 durch die vorgelegten Unterlagen nicht erfolgen könne.
Das LSG hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. D. vom 20.10.2010 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass das MRT vom 22.08.2007
sehr unterschiedlich ausgewertet worden sei, soweit Knorpelläsionen an der Rückfläche der Kniescheibe betroffen sind. So werde
in den Berichten vom 22.08.2007 neben einer riesigen Ganglionszyste entlang der Bursa anserina und einer Insertionstendopathie
der Semimembranosussehne auch eine drittgradige Schädigung des Kniescheibenknorpels bei deutlichem Gelenkerguss beschrieben.
In der Nachbefundung dieses MRT vom 06.11.2009 wurde zwar das Synovialganglion, eine diskret subluxierte Kniescheibe und eine
abgelaufene Schädigung der tiefen Innenbandanteile bei unauffälligen Kreuzbändern beschrieben, hingegen kein eindeutiger Knorpelschaden.
Dr. D. hat dargelegt, dass eine so genannte Pan-Gonarthrose, also der arthrotische Befall aller Kompartimente, in beiden Auswertungen
nicht beschrieben werde. Die Anhebung der MdE auf 20 v.H. habe er in seinem Gutachten mit der verschlechterten Funktion des
linken Kniegelenks begründet. Zwar seien auch schon zum Zeitpunkt des Vorgutachtens degenerative Veränderungen vorhanden gewesen;
allerdings sei die MdE bei festgestellter Kniearthrose in Abhängigkeit von den damit verbundenen Funktionsstörungen zu bilden.
Bei nicht oder kaum existenter Bewegungsreduktion wirke sich auch eine Arthrose nur in geringem Umfang auf die Höhe der MdE
aus. Seines Erachtens sei daher eine rückwirkende Anhebung der MdE auf 20 v.H. ab dem Gutachten von Prof. N. selbst unter
Berücksichtigung der vorgelegten Befunde nicht ausreichend begründbar.
Im Erörterungstermin vom 11.05.2011 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren
zu Protokoll erklärt.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt,
das Urteil des SG Regensburg vom 30.03.2010 mit der Maßgabe zu ändern, dass dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom
05.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2009 sowie des Bescheides vom 04.08.2009 Verletztenrente nach
einer ME von 20 % bereits ab 18.03.2008 gewährt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akten der Beklagten sowie des SG und LSG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
A) Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist die Berufungsfrist von einem Monat gegen das am 01.04.2010 zugestellte Urteil
mit der am Montag, dem 03.05.2010, beim SG Regensburg eingegangenen Berufungsschrift gewahrt gemäß § 151 Abs. 1, Abs.
2 Satz 1 i.V.m. §
64 Abs.
1, Abs.
3 SGG, weil der 01.05.2010 ein Samstag war. Die Entscheidung kann mit Einverständnis der Beteiligten auch ohne mündliche Verhandlung
ergehen gemäß §
124 Abs.
2 SGG.
B) Die Berufung erweist sich jedoch als unbegründet. Denn das SG Regensburg hat mit Urteil vom 30.03.2010 zu Recht die zulässige
Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bescheid der Beklagten 05.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26.02.2009 und gegen den Bescheid vom 04.08.2009 insoweit als unbegründet abgewiesen; der Kläger hat wegen der Folgen des
anerkannten Arbeitsunfalls vom 13.03.2003 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf eine Verletztenrente in Form einer Teilrente
nach einer MdE von 20 v.H. bereits ab 18.03.2008.
Gemäß §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.
Zwar bestanden beim Kläger aufgrund des am 13.03.2003 erlittenen Arbeitsunfalls am 18.03.2008 bereits Unfallfolgen, nämlich
eine endgradige Beugebehinderung im linken Kniegelenk bei einer Beweglichkeit von 0-0-130° (Streckung/Beugung), eine Minderung
der Muskulatur des linken Oberschenkels, eine einfach positive vordere Schublade und eine einfach bis zweifach positive innenseitige
Aufklappbarkeit sowie eine beginnende mediale Arthrose nach operativ behandelter partieller vorderer Kreuzbandruptur, inkompletter
Innenmeniskusläsion und (kompletter) medialer Kollateralbandruptur links.
Die von Dr. D. in seinem Gutachten bei Untersuchung am 05.11.2009 festgestellten, darüber hinausgehenden Unfallfolgen einer
Beugehemmung des linken Kniegelenks von 25 Grad gegenüber rechts und des leichten Reizergusses des linken Knies sind hingegen
nach Überzeugung des Senats für den Zeitraum vor der Untersuchung durch Dr. D. nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen (vgl. BSG vom 02.04.2009 - B 2 U 29/07 R - Juris RdNr. 16). Insbesondere lässt sich eine entsprechende dauerhafte Funktionsstörung des linken Kniegelenks weder aus
den beigezogenen noch aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Unterlagen für den Zeitraum ab 18.03.2008 bzw. vor Untersuchung
von Dr. D. am 05.11.2009 entnehmen.
So hatte Prof. Dr. N. bei seiner Untersuchung am 18.03.2008 eine Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks nur für die
Beugung auf 130° festgehalten, gegenüber einer Beugefähigkeit des rechten Kniegelenks von 140°. Ferner konnte das linke Kniegelenk
vollständig bis auf 0° gestreckt werden.
Soweit der Kläger geltend gemacht hat, dass Art und Ausmaß der Unfallfolgen zumindest seit 18.03.2008 bzw. schon vor der Untersuchung
durch Dr. D. unverändert gewesen seien, ist zum einen entgegenzuhalten, dass Prof. Dr. N. gerade keine Einschränkung der Beweglichkeit
des linken Kniegelenks oder einen Reizerguss festgestellt hatte. Zwar ist einzuräumen, dass Änderungen des Gesundheitszustandes,
sofern kein besonderes Ereignis einwirkt, in der Regel allmählich vonstatten gehen und damit ein objektives konkretes Datum
für eine wesentliche Verschlechterung häufig nicht benannt werden kann. Soweit der Zeitpunkt einer gesundheitlichen Verschlechterung
und der damit einhergehenden weiteren Einschränkung der Erwerbsfähigkeit unter Ausschöpfung der Beweismöglichkeiten im Rahmen
der Amtsermittlung (§
103 SGG) nicht hinreichend nachgewiesen werden kann, geht dies jedoch nach den Regeln der objektiven Beweislast zu Lasten desjenigen,
der sich darauf beruft; hier also des Klägers.
Nach den schlüssigen Ausführungen von Dr. D. in seinem Gutachten sowie den ergänzenden Stellungnahmen lässt sich auch unter
Auswertung der ärztlichen Unterlagen ein früherer Zeitpunkt für die Annahme insbesondere der schlechteren Beugefähigkeit des
linken Kniegelenks nicht sicher entnehmen. Vor diesem Hintergrund sieht auch der Senat keine andere Möglichkeit, als den Zeitpunkt
der Untersuchung durch Dr. D. als frühesten Zeitpunkt anzusetzen, an dem diese Funktionsbeeinträchtigung sicher festgestellt
und objektiviert worden ist.
Die zum 18.03.2008 vorliegenden Unfallfolgen bedingen nach Überzeugung des Senats aber keine MdE des Klägers von 20 v.H ...
Der erkennende Senat folgt in der Beurteilung der Auswirkungen der Gesundheitsbeeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten
des Klägers auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens der Einschätzung des Sachverständigen Dr. D., der auf Grundlage der aktuellen
Begutachtungsliteratur schlüssig und nachvollziehbar für den Zeitraum vor seiner Untersuchung angesichts der vorliegenden
Unterlagen und der von Prof. Dr. N. erhobenen Befunde eine MdE von 10 v.H. vorgeschlagen hat.
Die MdE richtet sich gemäß §
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten
Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Damit wird nicht auf die konkrete Beeinträchtigung im Beruf
des Versicherten abgestellt, sondern eine abstrakte Berechnung vorgenommen (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung,
§ 56 Rdnr.10.1).
Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht gemäß §
128 Abs.
1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. BSG vom 05.09.2006 - B 2 U 25/05 - Juris RdNr. 10; BSG vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S. 36). Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten
ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher
oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (vgl. BSG ebenda). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken,
sind eine wichtige Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie den Umfang der Beeinträchtigung
der körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen betreffen (vgl. BSG vom 05.09.2006 - B 2 U 25/05 R - Juris RdNr. 10). Erst aus der Anwendung (medizinischer) Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter Gesundheitsbeeinträchtigungen
auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens unter Berücksichtigung der
gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (vgl. dazu BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Bei der Beurteilung der MdE sind die von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen
Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten. Diese sind zwar nicht bindend, bilden aber die Grundlage für eine
gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel
(vgl. BSG vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1 - Juris RdNr. 12).
Dr. D. hat schlüssig und in Übereinstimmung mit Standardwerken zur medizinischen Begutachtung in diesem Bereich ausgeführt,
dass eine Einschränkung der Beugefähigkeit auf noch 130° bei möglicher Streckung bis 0°, wie sie im Gutachten von Prof. N.
belegt ist, keine MdE von wenigstens 10 v.H. begründet, zumal diese Beweglichkeit noch im Normbereich liegt. Dies stimmt überein
mit den überzeugenden Ausführungen in der Literatur SMV, S. 654, in Rompe/Erlenkämper/Schiltenwolf/Hollo "Begutachtung der
Haltungs- und Bewegungsorgane, 5. Auflage 2009 S. 721 und in Merhhoff/Meindl/Muhr "Unfallbegutachtung" 12. Auflage 2009 S.
165.
Das Maß der MdE bei Gesundheitsschäden des Kniegelenks hängt insbesondere vom Funktionsausfall und damit der tatsächlichen
Minderung der Gebrauchsfähigkeit des verletzten Beines ab. Die MdE wird daher insbesondere bestimmt durch die Verminderung
der Beweglichkeit, eine unphysiologische Zunahme der Beweglichkeit wie Überstreckbarkeit, Wackelbeweglichkeit, Verschieblichkeit
oder Neigung zu Teilverrenkungen sowie objektiv belegbare Schmerzhaftigkeit (vgl. SMV S. 612 und 653). Dabei ist eine Streckbehinderung
von 5-10 Grad meist einschneidender als eine Beugebehinderung von 30-40 Grad, denn zu den meisten Arbeiten genügt eine Beugefähigkeit
bis 80 Grad (vgl. SMV 653 f.).
Vor diesem Hintergrund schließt sich der Senat auch den Ausführungen von Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.10.2010
an, dass die zur Arthrose vorliegenden Befunde eine frühere höhere MdE-Bewertung nicht rechtfertigen können.
Eine Pangonarthrose wird in Auswertung der vom Kläger nochmals übersandten MRT-Befunde nicht beschrieben, wobei in diesen
Arztbriefen das MRT vom 22.08.2007 hinsichtlich der Ausprägung von Knorpelschäden sehr unterschiedlich gewertet worden ist.
Dass die MdE bei festgestellter Kniearthrose in Abhängigkeit von dem mit der Arthrose verbundenen Funktionsstörungen zu bilden
ist, stimmt mit den Ausführungen in der Begutachtungsliteratur überein (vgl. z.B. SMV S. 655; Mehrhoff S. 165, Rompe kennt
für Arthrose keine gesonderten MdE-Werte S. 721 f.), wobei MdE-Werte zwischen 10 und 30 v.H. vorgeschlagen werden. Vor diesem
Hintergrund ist für den Senat sehr gut nachvollziehbar, dass Dr. D. bei nicht oder kaum existenter Bewegungsreduktion nur
eine geringe Auswirkung der Arthrose auf die Höhe der MdE angenommen hat.
Ein Gelenkerguss ist von Prof. Dr. N. nicht festgehalten worden und in den vorliegenden ärztlichen Unterlagen finden sich
keine Hinweis für auf den Unfall vom 13.03.2003 zurückzuführende rezidivierende Gelenkergüsse.
Auch die weiteren Unfallfolgen, nämlich die anteromediale Instabilität des linken Kniegelenks mit einfach positiver vorderer
Schublade, einfach bis zweifach positiver innenseitiger Aufklappbarkeit nach operativ behandelter partieller vorderer Kreuzbandruptur,
inkompletter Innenmeniskusläsion und kompletter medialer Kollateralbandruptur links bei Minderung der Muskulatur des linken
Oberschenkels bedingen keine MdE von 20 v.H.; das gilt selbst unter Berücksichtigung der sekundären medialen Gonarthrose.
Der Senat folgt auch insoweit der Einschätzung von Dr. D ... Nach der Begutachtungsliteratur wird bei Lockerung des Kniebandapparates
bei endgradiger Behinderung der Beugung/Streckung mit muskulär kompensierbaren instabilen Bandverhältnissen eine MdE von 10
v.H. vorgeschlagen und bei muskulär nicht kompensierbaren Seitenbandinstabilitäten eine MdE von 20 v.H. (vgl. SMV S. 612).
Das entspricht den Ausführungen von Mehrhoff (S. 165), der für ein leichtes, muskulär kompensiertes Wackelknie eine MdE von
10 v.H. und bei fehlender muskulärer Kompensierung von 20 vorschlägt. Auch Rompe (S. 722) sieht eine MdE von 20 v.H. bei Lockerung
des Kniebandapparates nur bei unvollständiger muskulärer Kompensierbarkeit und Gangunsicherheit vor. Insbesondere sollen mäßige
Bandlockerungen, die muskulär durch eine gut entwickelten Beinmuskulatur ausgeglichen werden, nicht überschätzt werden (vgl.
SMV S. 654).
Auch wenn zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. N. noch eine Muskelminderung des linken Oberschenkels von 3 bzw.
2,5 cm gegenüber dem rechten Bein bestand, hat die weitere Entwicklung gezeigt, dass durch Muskelaufbau die Bandinstabilität
kompensierbar war und ist.
Zudem wies das Gangbild auch bei der Untersuchung am 18.03.2008 lediglich ein angedeutetes linksseitiges Hinken auf. Die Kniegelenke
wurden seitengleich abgerollt und der Stand auf beiden Beinen wie der rechte und linke Einbeinstand waren sicher und balancefähig.
Eine Gangunsicherheit des Klägers bzw. Einschränkungen bei nicht überdurchschnittlichen Anforderungen an die Geh- und Stehfähigkeit
sind daher nicht ersichtlich. Die beschriebene beidseits kräftige Fußsohlenbeschwielung spricht ebenso wie die fehlende Demineralisierung
des linken Kniegelenks gegenüber rechts gegen eine Schonung des Beines. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Funktionseinschränkung,
die eine MdE von 20 v.H. begründen können, nach Überzeugung des Senats nicht belegen. Damit kann dahinstehen, ob Art und Ausmaß
der Instabilität vollständig auf den Unfall vom 13.03.2003 zurückzuführen sind oder teilweise auf das in den ärztlichen Unterlagen
beschriebene Unfallereignis vom 04.03.2007.
Die MdE-Einschätzung von Prof. Dr. N., die er nicht im Einzelnen begründet hat, überzeugt den Senat demgegenüber aus den dargelegten
Gründen nicht. Nicht ausgeschlossen erscheint, dass Prof. N. die höhere MdE wegen des von ihm angenommenen Zustandes nach
Kreuzbandplastik vorgenommen hat. Eine solche war ausweislich des OP-Berichts vom 17.07.2003 aber nicht erfolgt.
Da der Kläger nach Einschätzung von Prof. Dr. N. weiterhin als Eishockeyspieler einsatzfähig war und in diesem Zeitraum diesem
Beruf auch nachgegangen ist, kommt auch keine höhere Bewertung der MdE nach §
56 Abs.
2 Absatz
3 SGB VII in Betracht.
C) Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
D) Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG sind nicht ersichtlich.