Übernahme der Kosten für die Teilnahme an einem Trainingsprogramm in den USA
Primäranspruch nach vorheriger Antragstellung und rechtswidriger Ablehnung der Kostenübernahme
Einhaltung des Beschaffungsweges
Rehabilitationsmaßnahme
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung der im Zeitraum 27.02.2014 bis 31.05.2015 angefallenen Kosten für die Teilnahme am Trainingsprogramm
"Project Walk" in C., USA, nebst weiteren in diesem Zusammenhang angefallenen Kosten.
Die 1991 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Im Januar 2006 war sie bei einem Reitunfall verunglückt
und hatte dabei eine Trümmerfraktur des 4. und 5. Halswirbelkörpers erlitten. Seither ist sie querschnittsgelähmt (inkomplette
Tetraparese unterhalb C4).
Am 12.03.2014 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für ein Training im Rahmen des "Project Walk" in C., USA. Seit
dem 27.02.2014 sei sie wieder in den USA. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung des Arztes für Naturheilverfahren P.
W. vom 11.03.2014, in der mitgeteilt wird, dass die Klägerin bereits vom 23.11.2013 bis 23.12.2013 auf eigene Kosten im Trainingszentrum
"Project Walk" gewesen sei, wo sie bis zu fünf Stunden täglich an Therapie-Programmen teilgenommen und signifikante Fortschritte
erzielt habe.
Vorgelegt wurde eine Kostenaufstellung für die Monate März bis Oktober 2014, in der die voraussichtlichen Therapiekosten mit
monatlich 5.201,09 EUR (62,25 h à 79,71 EUR) veranschlagt werden. Ferner werden u. a. Kosten für die angemietete Wohnung (1.750
EUR), Unterstützung (2.000 EUR), Auto (1.000 EUR), und Flüge (Kosten variieren) aufgeführt.
Die Beklagte erklärte sich mit Bescheid vom 14.04.2014 bereit, im Rahmen einer Einzelfallentscheidung und ohne präjudizierende
Wirkung für künftige Anfragen sich im angegebenen Zeitraum vom 01.03.2014 bis 31.10.2014 an den Kosten der im Trainingsprogramm
"Project Walk" stattfindenden Therapie mit monatlich 800 EUR zu beteiligen.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29.08.2014). In Deutschland stünden adäquate
Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zudem habe die Klägerin mit der Therapie in den USA schon vor Antragsstellung begonnen,
so dass die Krankenkasse keine Möglichkeit gehabt habe, im Vorfeld beratend tätig zu werden und ggf. Alternativen aufzuzeigen.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München hat die Klägerin vorgetragen, dass es in Deutschland keine
geeigneten Trainingszentren gebe. Von Reha-Einrichtungen in Deutschland und EU-weit habe sie immer die Antwort erhalten, bei
einem so hohen Querschnitt könne man nichts machen. "Project Walk" sei eine weltweit einzigartige Therapieeinrichtung, die
ein individuelles Trainingsprogramm mit hochintensivem Training anbiete. Sie habe damit Erfolge erzielt, die sie in Deutschland
nicht hätte erzielen können.
Ihr Bevollmächtigter hat eine Kostenaufstellung für den Zeitraum März 2014 bis Februar 2015 vorgelegt über einen Gesamtbetrag
von 106.845 EUR, der sich aus den Behandlungskosten für "Project Walk" (48.650 EUR), Mietkosten (21.000 EUR), Betreuungskosten
(18.000 EUR), Kosten für Flüge und Mietwagen (16.855 EUR), Mietkosten für ein behindertengerechtes Bett (1.740 EUR) und Kosten
für Fahrdienste (600 EUR) zusammensetzt.
In einer Stellungnahme des MDK vom 27.04.2015 wird ausgeführt, dass dem Trainingsprogramm "Project Walk" die Annahme zugrunde
liege, dass durch intensives Training über eine Hochregulation von BDNF (brain derived neurotrophic factor) die Regeneration
von Nervenzellen gefördert werde und auf diese Weise fehlende Funktionen wiederhergestellt werden könnten. Tatsächlich gäbe
es keine klinischen Studien, die gezeigt hätten, dass eine intensive Trainingstherapie zu einer Verbesserung der motorischen
Funktionen bei Menschen mit chronischer inkompletter Querschnittslähmung führen könne. Systematische Studien, insbesondere
zur Methode "Project Walk", lägen nach aktueller PubMed Recherche nicht vor. Ein klinisch relevanter Nutzen der Methode sei
bisher nicht bewiesen. Die Methode entspreche nicht dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. In
Deutschland gäbe es eine Reihe von Einrichtungen, die als spezialisierte Querschnittszentren anerkannt seien. In diesem Zusammenhang
werde auf das Europäische Konsortium zur Erforschung der Rückenmarkschädigungen (EMSC) verwiesen. Die beteiligten Einrichtungen
seien wissenschaftlich tätig (klinische Studien, Grundlagenforschung). Zum anderen böten sie im Rahmen der jeweiligen Kliniken
eine Querschnittsbehandlung auf aktuellem wissenschaftlichem Stand an, darunter eine Lokomat-Therapie, ein robotergestütztes
Gangtraining, das dem von "Project Walk" durchgeführten Training ähnele. Regelmäßige Untersuchungen in einem spezialisierten
Zentrum böten die Möglichkeit, im Falle einer Änderung des neurologischen Befundes Maßnahmen zur intensiven rehabilitativen
Behandlung einzuleiten. Damit sei eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung im Inland
verfügbar.
Das Sozialgericht hat den neurologischen Gutachter am Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Medizin der Luftwaffe W. mit der Erstellung
eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung der Klägerin beauftragt und um Beantwortung folgender Fragen gebeten:
1. Welche Behandlungsmethoden werden bei dem hier in Rede stehenden und derzeit nur in Amerika durchgeführten "Project Walk"
im Rahmen der Erkrankung angewandt?
2. Inwieweit unterscheidet sich die Behandlung von der in Deutschland bzw. in der EU (inklusive dem europäischen Wirtschaftraum)
durchgeführten Behandlungen für Erkrankungen, wie sie die Klägerin hat? Wie gravierend sind gegebenenfalls vorliegende Unterschiede?
3. Lässt sich die Behandlungsmethode "Project Walk" als eigenständige Behandlungsmethode einordnen oder handelt es sich nur
um eine neue Zusammenstellung bereits bekannter, auch in Deutschland bzw. EU/ EWR praktizierter Behandlungsformen?
4. Entspricht die Behandlungsmethode in Bezug auf die Erkrankung der Klägerin dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse?
5. Gibt es in Deutschland, der EU/ EWR andere Behandlungsmöglichkeiten für die Erkrankung der Klägerin, die dem anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und vergleichbare Ergebnisse bringen?
Der Sachverständige hat die Klägerin Anfang April 2016 in den USA besucht und das Training beobachtet. Eine Untersuchung der
Klägerin ist aufgrund einer Erkrankung der Klägerin nicht möglich gewesen.
Im Gutachten vom 19.03.2016 kommt der Sachverständige zu folgenden Ergebnissen:
Zu Frage 1: Es würden passive Dehnübungen durchgeführt, um Kontrakturen entgegenzuwirken und Spastiken zu minimieren, ferner
Kräftigungsübungen der Rumpf- und proximalen Extremitätenmuskulatur. Dabei kämen Geräte zum Einsatz, die auch in Deutschland
verwendet würden (den Vorgaben aus dem "Konzept zur trägerübergreifenden umfassenden Behandlung und Rehabilitation querschnittsgelähmter
Menschen" entsprechend), allerdings mit vielfachen Modifikationen (z.B. in ihrer Nutzfläche stark vergrößerte Bobathliegen).
Bei dem angestellten Personal handele es sich um Physiotherapeuten mit mehrjähriger Berufserfahrung.
Zu Frage 2: Die Trainingsmethoden seien im großen Ganzen die gleichen, der Hauptunterschied sei die Herangehensweise. Während
man in Deutschland versucht habe, dass die Klägerin mit der Spastik gehen könne, sei im Rahmen des "Project Walk" zunächst
das Ziel, von der Spastik loszukommen. Das Ziel, wieder gehen zu können, komme bei "Project Walk" an allerletzter Stelle.
Dies sei besser, da es der Bewegung eines "gesunden" Menschen mittels willkürlicher Muskelkontraktion entspreche. Auch die
Dauer der Trainingseinheiten unterscheide sich deutlich von dem in Deutschland und der EU üblichen Procedere, wo mehr als
eine Stunde pro Trainingseinheit schon unüblich sei. Die bei "Project Walk" als normal veranschlagten drei Stunden täglich
ermöglichten eine deutlich höhere Trainingsintensität und brächten - wie neuere Studien zeigten - einen signifikanten Fortschritt
der motorischen Funktion.
Zu Frage 3: Das Projekt sei eine neue Zusammenstellung bereits bekannter und wissenschaftlich anerkannter Behandlungsmethoden,
jedoch mache im speziellen Fall der Klägerin gerade die neue Zusammenstellung den Unterschied aus. "Project Walk" habe nicht
zum Ziel, den Patienten in möglichst kurzer Zeit alltagstauglich zu machen, sondern in einem großzügig angelegten Zeitraum
ihn möglichst viele der verlorenen Fähigkeiten wieder erlernen zu lassen und die gesündere natürliche Muskelkontraktion zu
nutzen.
Zu Frage 4: Den Status, dass "die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute die Behandlungsmethode befürwortet, habe "Project
Walk" noch nicht erreicht.
Frage 5: Selbstverständlich gäbe es in Deutschland bzw. der EU andere Behandlungsmöglichkeiten für die Erkrankung der Klägerin,
die dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Es gäbe aber in Deutschland bzw. der EU keine Einrichtung/Methode,
welche Hoffnung auf ein ähnliches Ergebnis wie PW machen könne, da die Zielsetzung unterschiedlich sei.
Mit Stellungnahme vom 03.05.2016 hat die Beklagte ausgeführt, dass es sich bei "Project Walk" um eine neue Behandlungsmethode
handele. Ein Anerkennungsverfahren hierfür sei im Inland nie betrieben worden, es liege auch keine positive Empfehlung von
Seiten des GBA vor.
In einer ergänzenden Stellungnahme hat der Sachverständige geäußert, dass es denkbar sei, die spezifische Zusammenstellung
der Trainingseinheiten unter Einfluss der besonderen Project-Walk-Herangehensweise nach Deutschland zu transferieren, also
dort in ähnlicher Weise durchzuführen. Er habe kein generelles Versorgungsdefizit in Deutschland festgestellt, sondern nur
geäußert, dass die in Deutschland durchgeführten Maßnahmen ab einem bestimmten Punkt bei der Klägerin keine signifikanten
Fortschritte mehr gebracht hätten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 12.10.2016 die Klage abgewiesen. Ein Anspruch aufgrund Genehmigungsfiktion (§
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V) komme vorliegend nicht in Betracht. Für einen Anspruch auf teilweise oder vollständige Kostenübernahme nach §
18 Abs.
1 SGB V fehle es an dem dafür notwendigen erheblichen Versorgungsdefizit in Deutschland. Der Begriff "Project Walk" fasse eine Vielzahl
von Behandlungsmaßnahmen zusammen, die in Deutschland bzw. in der EU dem Grunde nach ebenfalls angeboten werden. Wesentliche
Unterschiede seien der sehr viel höhere personelle und zeitliche Aufwand und eine andere Herangehensweise. Welches Konzept
- das der größtmöglichen Wiederherstellung der Selbstständigkeit oder das der größtmöglichen Wiederherstellung der Körperfunktionen
- im Einzelfall das richtige sei, sei gerichtlicherseits nicht zu entscheiden. Entscheidungserheblich sei, ob in Deutschland
bzw. in der EU für die Erkrankung der Klägerin nach Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit (§
2 Abs.
1 SGB V) ausreichende Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stünden. Dies könne insbesondere nach
den gutachterlichen Feststellungen nicht verneint werden. Die Methode "Project Walk" sei als anerkannter Stand der medizinischen
Erkenntnisse derzeit noch als unsicher anzusehen und komme damit als Vergleichsbehandlungsmethode dem Grunde nach (§
18 Abs.
1 Satz 1
SGB V) nicht in Frage. Auch könne ein Wirksamkeitsvergleich mit den in Deutschland zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden
gerade nicht stattfinden, da in diesem Zeitraum keine Behandlung in Deutschland stattgefunden habe. Eine eindeutige qualitative
Überlegenheit der Projekt-Walk-Methode sei in keiner Weise ausreichend zu belegen. Notwendig wäre dazu - wie grundsätzlich
im Krankenversicherungsrecht (Ausnahmen seien nur in besonderen Fällen möglich, BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005,1 BvR 347/98) - der allgemein nachgewiesene Wirkzusammenhang und nicht nur ein individueller Wirkzusammenhang, wie er hier durch die Klägerin
hauptsächlich thematisiert worden sei.
Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben und auf die Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005,
1 BvR 347/98, verwiesen. Danach sei maßgebend, ob die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte,
nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspreche.
Dies sei hier der Fall.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass weder vorgetragen noch belegt sei, dass die Klägerin mit einem der 26 Querschnittszentren
in Deutschland Kontakt aufgenommen habe und entweder keine Behandlungskapazitäten zur Verfügung gestanden hätten oder eine
Aufnahme der Klägerin aus anderen Gründen abgelehnt worden sei. Im ambulanten Rahmen erfolge die Behandlung Querschnittsgelähmter
insbesondere durch Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage und Ergotherapie in mehreren Varianten. Die Überlegenheit
der Project-Walk-Methode sei nicht nachgewiesen. Auch aus dem Gutachten des Sachverständigen W. ergäben sich keine validen
Studien, die eine Überlegenheit dieser Behandlung bewiesen. "Project Walk" stelle ein experimentelles Verfahren dar.
Die Beklagte hat das Pflegegutachten des MDK vom 12.06.2015 übersandt, in dem festgestellt wird, dass sich bei der Klägerin
im Vergleich zum Vorgutachten (13.01.2011) keine pflegestufenrelevanten Veränderungen ergeben hätten.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat angegeben, dass es mit "Project Walk" keinen schriftlichen Vertrag gegeben habe. Man
habe lediglich bei Wochenbeginn der Leitung mitgeteilt, wann und in welchem Umfang man Stunden nehmen wolle.
Die Beklagte erklärte dazu, dass es offenbar kein Training nach einem ärztlichen Behandlungsplan gegeben und keine ärztliche
Kontrolle stattgefunden habe.
Im Übrigen wird, insbesondere zur Berichtigung des bisherigen Berufungsantrags, auf die Niederschrift der Sitzung am 22.11.2018
verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.10.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.04.2014
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2014 zu verpflichten, die Kosten der Klägerin für die Teilnahme am "Project
Walk", C., USA, vom 27.02.2014 bis 28.02.2015 in Höhe von 106.845,00 EUR zu übernehmen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen,
den Antrag der Klägerin vom 12.03.2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und
der Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§§
143,
151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.
Das Sozialgericht München hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Recht abgewiesen. Die streitgegenständlichen Bescheide
der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der im Zeitraum 27.02.2014 bis 28.02.2015
angefallenen Kosten für die Teilnahme am Trainingsprogramm "Project Walk" nebst weiteren in diesem Zusammenhang angefallenen
Kosten.
Nach §
16 Abs.
1 Nr.
1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, soweit im Sozialgesetzbuch nichts Abweichendes
bestimmt ist.
Als davon abweichende Regelung stellt §
30 Abs.
2 SGB I klar, dass Vorschriften des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den USA gibt es zwar ein Sozialversicherungsabkommen (Abkommen vom 7. Januar 1976 - BGBl II 1358 - i.d.F. der Zusatzabkommen
vom 2. Oktober 1986 - BGBl II 1988, 83 - und vom 6. März 1995 - BGBl II 1996, 302). Dieses betrifft jedoch keine Rechtsvorschriften des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ein Anspruch auf Kostenerstattung lässt sich nicht mit Erfolg auf eine fiktive Genehmigung nach §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V stützen. Nach Überzeugung des Senats handelt es sich bei der von der Klägerin in Anspruch genommenen "Project Walk"-Trainingsmethode
um eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation, welche nach §
13 Abs.
3a Satz 9
SGB V vom sachlichen Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion nicht erfasst wird (vgl. dazu BSG, Urteil v. 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R). "Project Walk" umfasst im Wesentlichen - wenn nicht ausschließlich - physiotherapeutische Trainingseinheiten, welche nach
ihrem Schwerpunkt und ihrer Zielrichtung die bestehenden Behinderungen der Klägerin günstig beeinflussen sollen, um ihre Selbstbestimmung
und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Damit waren die Trainingseinheiten bei "Project Walk"
von vornherein nicht der Genehmigungsfiktion des §
13 Abs.
3a SGB V zugänglich.
Doch selbst wenn der Schwerpunkt der in Anspruch genommenen Maßnahmen im kurativ-therapeutischen Bereich anzusiedeln wäre,
käme ein Anspruch aufgrund fingierter Genehmigung nicht in Betracht. Denn die Klägerin hatte sich von Anfang an darauf festgelegt,
die Behandlungen im Ausland außerhalb des EU-/EWR-Raums durchführen zu lassen, und damit eine Leistung beantragt, die grundsätzlich
außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Zudem war dem Antrag keine ärztliche Verordnung der gewünschten Therapie bei
"Project Walk" beigefügt. Damit lag nach Überzeugung des Senats bereits kein genehmigungsfähiger Antrag vor.
Mögliche Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Kosten ist damit allein §
18 Abs.
1 und Abs.
2 SGB V. Diese Regelung erlaubt es der Krankenkasse im Falle einer Behandlung außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung
der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausnahmsweise die Kosten der erforderlichen
Behandlung einschließlich notwendiger Begleitleistungen ganz oder teilweise zu übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland möglich ist.
§
18 Abs.
1 SGB V ist grundsätzlich auch auf Rehabilitationsmaßnahmen anwendbar (BSG vom 06.03.2012, B 1 KR 17/11 R, juris Rn. 20).
Der Primäranspruch des §
18 Abs.
1 SGB V ist auf Kostenübernahme gerichtet. Die Regelung lässt aber auch - nach entsprechender vorheriger Antragstellung und rechtswidriger
Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse - Kostenerstattung zu. Dabei ist der in §
13 Abs.
3 SGB V vorgeschriebene Beschaffungsweg auch im Rahmen des §
18 SGB V einzuhalten (BSG, a.a.O., Rn. 17, 18).
Die Klägerin hat vorliegend bereits den Beschaffungsweg nicht eingehalten, da sie mit dem Trainingsprogramm "Project Walk"
schon vor Antragstellung begonnen hatte. Sie war auch fest entschlossen, unabhängig vom Ausgang des Antragsverfahrens die
Therapie für einen geraumen Zeitraum in Anspruch zu nehmen, wie insbesondere das eigens für die geplante Therapie erfolgte
Anmieten einer Wohnung in C. sowie die im März 2014 vorgelegte Kostenaufstellung für die Monate März bis Oktober 2014 zeigen.
Bei laufenden Leistungen oder sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Behandlungen ist zwar die ablehnende Entscheidung
der Krankenkasse im Allgemeinen als Zäsur anzusehen (vgl. dazu BVerfG vom 19.03.2009, 1 BvR 316/09). Die Kostenerstattung ist dann in aller Regel nur für diejenigen Leistungen ausgeschlossen, die bis zum Zeitpunkt der Entscheidung
auf eigene Rechnung beschafft worden sind. Im vorliegenden Fall spricht allerdings viel dafür, dass ein Kausalzusammenhang
zwischen dem ablehnenden Bescheid und den danach in Anspruch genommenen Behandlungen in den USA gerade nicht vorhanden ist.
Letztlich kann diese Frage jedoch offenbleiben. Denn die mit Bescheid vom 14.04.2014 ergangene Ablehnung einer Kostenbeteiligung,
welche über die angebotenen 800 EUR monatlich für den Zeitraum 3/14 bis 10/14 hinausgeht, ist nicht zu Unrecht erfolgt.
§
18 Abs.
1 SGB V knüpft eine volle oder teilweise Übernahme der Kosten einer Behandlung außerhalb des EU-/EWR-Raums an zwei Bedingungen, die
kumulativ erfüllt sein müssen: Die im Ausland angebotene Behandlung muss dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechen und im Inland bzw. im EU-/EWR-Raum darf keine diesem Standard entsprechende Behandlung der beim Versicherten
bestehenden Erkrankung möglich sein. Beide Voraussetzungen liegen nicht vor.
Für den Senat steht außer Zweifel, dass die bei der Klägerin vorliegende Verletzungsfolge einer inkompletten Tetraparese unterhalb
C4 in Deutschland bzw. innerhalb des EU-/EWR-Bereichs entsprechend dem allgemeinen Stand der Wissenschaft behandelt werden
kann. Ebenso steht für den Senat fest, dass die in den USA praktizierte Behandlungsmethode "Projekt Walk" (noch) nicht für
sich in Anspruch nehmen kann, dem allgemeinen Stand der Wissenschaft zu entsprechen.
Dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft entspricht eine Behandlung, wenn sie nicht nur von einzelnen Ärzten, sondern
von der großen Mehrheit der fachlich relevanten Kapazitäten (Ärzte, Wissenschaftler) befürwortet wird. Von einzelnen, nicht
ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, muss quantitativ und qualitativ über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens
bestehen, was voraussetzt, dass Wirksamkeit und Qualität der Therapie zuverlässig und wissenschaftlich nachprüfbar dokumentiert
sind (Noftz in: Hauck/Noftz
SGB V, §
18, Rn 14 b). Maßgeblich für die Beurteilung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Behandlung (Noftz, a.a.O., Rn 14d).
Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es allein in Deutschland 26 Querschnittszentren gibt, die sich auf die
Behandlung dieser Verletzungsfolge spezialisiert haben. Die genannten Einrichtungen sind aufgrund des §
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V verpflichtet, ihre Leistungen entsprechend dem allgemeinen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erbringen. Die genannten
Querschnittszentren gehören dem Europäischen Konsortium zur Erforschung der Rückenmarkschädigungen an und sind selbst wissenschaftlich
tätig. Dass sie eine Behandlung auf aktuellem wissenschaftlichem Niveau anbieten, ist auch von der Klägerseite nicht in Zweifel
gezogen worden.
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in keinem der Zentren einen Behandlungsplatz erhalten hat und damit ein Versorgungsdefizit
in Deutschland bestehen könnte, liegen nicht vor. Nach ihren Angaben hat sie vielmehr bislang kein Interesse an einer Behandlung
in einem Querschnittszentrum gehabt.
Ein im Rahmen des §
18 SGB V erhebliches Versorgungsdefizit liegt grundsätzlich erst dann vor, wenn für die jeweilige Krankheit im EU/EWR- Raum überhaupt
keine Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Dies ist hier eindeutig
nicht der Fall.
Darüber hinaus wird eine Versorgungslücke auch dann angenommen, wenn eine Behandlung nach dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse im Inland zwar generell möglich ist, aber im konkreten Fall wegen des spezifischen Krankheitsbildes
des Versicherten individuell keinen Erfolg verspricht. Auch eine solche Konstellation liegt hier nicht vor. Dass speziell
die Klägerin aufgrund spezifischer Besonderheiten einer anderen Behandlung bedarf als Patienten mit vergleichbaren Verletzungsfolgen,
ist nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht erkennbar.
Eine Versorgungslücke im Sinne von §
18 Abs.
1 SGB V kann nach der Rechtsprechung des BSG auch dann vorliegen, wenn die ausländische Behandlungsmethode der inländischen qualitativ eindeutig überlegen ist (BSG, 06.03.2012, B 1 KR 17/11 Rn 27). Das sei, so das BSG in der erwähnten Entscheidung, etwa dann der Fall, wenn im Inland nur symptomatisch, im Ausland dagegen kausal - die Krankheitsursache
beseitigend - behandelt werde. Die Überlegenheit könne sich auch im Rahmen eines Vergleichs lediglich symptomatisch behandelnder
Therapien ergeben. Aber auch in einem so gelagerten Fall müssen die im Ausland erbrachten Behandlungen im Zeitpunkt der Leistungserbringung
den Kriterien des in § 2 Abs. 1 Satz 3 geregelten Qualitätsgebots entsprechen (BSG vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R), d. h. die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute muss die Behandlungsmethode befürworten und es muss Konsens über die
Zweckmäßigkeit bestehen.
Dies ist bei der Behandlungsmethode "Project Walk" nicht der Fall, wie sich den Ausführungen des MDK sowie dem Gutachten des
Sachverständigen W. klar entnehmen lässt. Der Sachverständige stellt in seinem Gutachten ausdrücklich fest, dass die Behandlungsmethode
"Project Walk" noch nicht den Status erreicht hat, dass sie von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute befürwortet
wird. Es fehlen unabhängige Studien nach anerkannten wissenschaftlichen Standards zur Wirksamkeit der Methode.
Die Klägerin kann sich zu ihren Gunsten auch nicht auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des §
18 Abs.
1 SGB V berufen. Nach der Rechtsprechung des BSG besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach dieser Rechtsgrundlage auch dann, wenn für Versicherte eine nach
den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu beanspruchende
Leistung nur im Ausland möglich ist (BSGE 106, 81; BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R, Rn 13). Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden,
sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden Erblindung in Betracht.
Die grundrechtsorientierte Auslegung einer Regelung des
SGB V über einen Anspruch auf Übernahme einer Behandlungsmethode zu Lasten der GKV setzt voraus, dass folgende drei Voraussetzungen
kumulativ erfüllt sind (vgl. BSG, a.a.O., Rn 15):
(1) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder wertungsmäßig damit vergleichbaren
Erkrankung vor.
(2) Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht
zur Verfügung.
(3) Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine
"auf Indizien gestützte", nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung
auf den Krankheitsverlauf.
Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin nicht alle erfüllt.
Es liegt bereits keine lebensbedrohliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor. Für die dogmatische Erfassung der
"wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung" orientiert sich die Rechtsprechung an der "extremen" bzw. "notstandsähnlichen" Situation
der krankheitsbedingten Lebensgefahr (vgl. Hauck/Noftz,
SGB V, § 2 Rn 76 e). Das BSG ist bei einem akut drohenden Verlust eines wichtigen Sinnesorgans (Augenlicht) von einer vergleichbaren Erkrankung ausgegangen.
Im Falle der Klägerin ist zunächst zu konstatieren, dass eine notstandsähnliche Situation mit akuter Lebensgefahr oder einem
drohendem Verlust einer wichtigen Körperfunktion im Zeitpunkt der Antragstellung und danach nicht vorlag. Die Verletzungsfolgen
in Gestalt einer inkompletten Tetraparese unterhalb C4 waren bei der Klägerin bereits eingetreten. Mit der beantragten Behandlung
sollte nicht die (schon vorliegende) Querschnittslähmung verhindert, sondern eine spürbare Besserung, ja sogar Heilung herbeigeführt
werden.
In der oben erwähnten Entscheidung des BSG vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R, auf die sich der Klägerbevollmächtigte zuletzt berufen hat, hat es das BSG nicht völlig ausgeschlossen, dass die Auswirkungen einer infantilen Zerebralparese mit Bewegungsstörungen, einer spastischen
Tetraplegie und einer ausgeprägten statomotorischen Retardierung beim dortigen Kläger eine Ausprägung erreichen, welche allgemein
für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist. Im Ergebnis hat es aber offengelassen,
ob in dem von ihm zu entscheidenden Fall eine Erkrankung vorliegt, die wertungsmäßig einen Schweregrad etwa wie bei einer
völligen Erblindung erreicht.
Im Vergleich dazu stellen sich die bei der Klägerin bestehenden Verletzungsfolgen als weniger schwerwiegend dar. Die Klägerin
leidet nicht an einer Tetraplegie, d.h. an einer vollständigen Lähmung der vier Extremitäten, sondern an einer inkompletten
Tetraparese, also einer unvollständigen Lähmung der vier Extremitäten. Kopf- und Augenkontrolle sowie die Sprachmotorik sind
nicht - wie bei dem Versicherten in dem vom BSG entschiedenen Fall - regelmäßig erschwert.
Dessen ungeachtet steht im Falle der Klägerin eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung
zur Verfügung (s.o.).
Schließlich ist zu beachten, dass auch im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung der Arztvorbehalt nach §
15 Abs.
1 SGB V zu beachten ist. Nach dem Vortrag der Klägerin hat sie aufgrund eigener Recherchen die Behandlungsmethode "Projekt Walk"
ausfindig gemacht und mit dem Trainingszentrum von "Projekt Walk" auf eigene Faust Therapiestunden vereinbart. Es ist nicht
erkennbar, dass die Behandlung in den USA in irgendeiner Form unter ärztlicher Verantwortung stand. Ärztliche Verordnungen
für die in Anspruch genommenen physiotherapeutischen Leistungen im Trainingszentrum "Project Walk" wurden nicht vorgelegt
(§
15 Abs.
1 Satz 2
SGB V).
Da bereits die Voraussetzungen für eine Erstattung der Kosten nach §
18 Abs.
1 SGB V nicht vorliegen, kommt auch eine Übernahme der weiteren Kosten gemäß §
18 Abs.
2 SGB V nicht in Betracht.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.