Rente wegen voller Erwerbsminderung
Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für einen Minijob
Kein Beanstandungsrecht
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Streitig ist insbesondere, ob die besonderen versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen für den während des Sozialgerichtsverfahrens festgestellten Leistungsfall vom 5. Oktober 2018 vorliegen.
Die 1968 geborene Klägerin hat zu ihrem beruflichen und rentenversicherungsrechtlichen Werdegang angegeben:
Von 1985 bis 1987 hat sie eine Ausbildung als Köchin absolviert und mit der Prüfung bestanden und danach bis 1990 als Köchin
gearbeitet, anschließend von 1991 bis 1992 als Servicekraft. Von 1997 bis 1998 hat sie eine Umschulung zur Bürokauffrau erhalten.
Von 2001 bis 2008 war sie als Büroangestellte in der Sanitärfirma ihres Mannes tätig, danach erkrankte sie. Von 2010 bis 2012
hat sie noch einmal in der Firma ihres Ehemannes gearbeitet.
Ab dem 30. Januar 2012 bis zum 27. Oktober 2014 sind im Versicherungsverlauf Zeiten der Arbeitslosigkeit gespeichert. Ab dem
28. Oktober 2014 finden sich im Versicherungsverlauf vom 10. Januar 2019 keine Beiträge oder rentenrechtliche Zeiten mehr.
Im Termin vor dem Sozialgericht am 12. April 2019 hat die Klägerin erklärt, seit ihrer letzten Tätigkeit sei sie arbeitslos
gewesen, beim Arbeitsamt sei sie dann „abgewimmelt“ worden. Auf dieser Tatsachengrundlage hat das Sozialgericht zu den besonderen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen entschieden.
Im Berufungsverfahren legte die Klägerin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die nach Bestätigung durch die Krankenkasse
zusätzlich zum bisherigen Versicherungsverlauf zur Anerkennung von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit für 3 Jahre vom 12. Januar
2012 bis 11. Januar 2015 führten (Versicherungsverlauf vom 27. September 2019). Dadurch kam es zu einer Verlängerung des 5-Jahreszeitraums
und zur Anerkennung von 16 Pflichtbeiträgen im verlängerten 5-Jahres-Zeitraum (Schriftsatz der Beklagten vom 27. September
2019). Die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ab dem 12. Januar 2015 wurden nicht als rentenrechtliche Zeiten der Arbeitsunfähigkeit
im Sinne von § 58 Satz 1 Nr.1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch, sondern als sogenannte Überbrückungszeit ohne Auswirkung auf
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorgemerkt.
Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2020 beantragte die Klägerin, den nunmehr geklärten Versicherungsverlauf zu berücksichtigen und
legte 4 Meldungen zur Sozialversicherung vom 21. Mai 2020 im sogenannten Haushaltsscheckverfahren der Rentenversicherung Knappschaft
Bahn See für die Jahre 2016 bis 2019 vor. Den Bescheinigungen ist die Entrichtung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung
aufgrund einer geringfügig entlohnten Beschäftigung (200 Euro monatlich) zu entnehmen. Die Tätigkeit sei im Haushalt des Herrn
L, Witwer einer Tante ihres Ehemannes, ausgeübt worden. Wegen der Einzelheiten der Beitragsentrichtung wird auf die Abgabenberechnung
im Bescheid der Knappschaft Bahn See vom 5. Juni 2020 verwiesen.
Am 1. September 2015 stellte die Klägerin einen Rentenantrag wegen Erwerbsminderung und gab an, eine berufliche Tätigkeit
sei nicht möglich. Sie habe Schwierigkeiten bei der Umstellung/Anpassungsfähigkeit. Sie leide unter Konzentrations- und Gedächtnisstörungen.
Die Beklagte holte ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten der Frau Dr. S vom 25. November 2016 ein. Diese diagnostizierte
„Angst und depressive Störung gemischt“ sowie eine Persönlichkeitsakzentuierung mit selbstunsicheren und ängstlich-vermeidenden
Zügen. Aus psychiatrischer Sicht lasse sich keine das quantitative Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindernde
Symptomatik feststellen. Bei dem vorliegenden Verlauf und der Persönlichkeitsstruktur der Versicherten sei die Erwerbsfähigkeit
aber erheblich gefährdet. Ein psychosomatisches Heilverfahren sei indiziert. Aus psychiatrischer Sicht bestehe ein vollschichtiges
Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, Nachtschicht und besonderer Zeitdruck sollten vermieden werden.
Die Versicherte sei auch in ihrer letzten Tätigkeit als Büroangestellte vollschichtig belastbar.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2016 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung
ab.
Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 16. Dezember 2016 Widerspruch.
Während des Widerspruchsverfahrens absolvierte die Klägerin vom 16. Mai bis zum 4. Juli 2017 eine medizinische Rehabilitation
in der M klinik H. Dort wurde eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine ängstliche (vermeidende)
Persönlichkeitsstörung, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie eine essentielle Hypertonie
festgestellt. Im Entlassungsbericht vom 18. Juli 2017 ist ausgeführt, dass es im Verlauf der Behandlung zu keiner ausreichenden
Besserung der Symptomatik gekommen sei. Die bisherige Medikation habe sich nicht als ausreichend wirksam erwiesen, so dass
die Patientin arbeitsunfähig mit der dringenden Empfehlung zur tagesklinischen bzw. stationären psychiatrischen Behandlung
zwecks Umstellung der Medikation und Einleitung entsprechender ambulanter psychotherapeutischer Angebote entlassen werde.
Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bürokauffrau sei die Klägerin vollschichtig leistungsfähig, ebenso im Hinblick auf
den allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen. Beim Krankheitsbild der Klägerin handele es sich um eine depressive
Episode, ausgelöst u. a. durch massive Partnerschaftskonflikte und Arbeitsbelastungen. Unter einer entsprechenden zunächst
tagesklinischen bzw. stationären psychiatrischen Behandlung und im Anschluss ambulanten psychotherapeutischen und psychiatrischen
Maßnahmen sei davon auszugehen, dass sich das Leistungsvermögen der Klägerin langfristig stabilisieren werde. Aufgrund der
Persönlichkeitsstörung und der depressiven Symptomatik bestünden allerdings Hemmungen bezüglich der Inanspruchnahme der Behandlungsmaßnahmen,
so dass insgesamt die Prognose unsicher erscheine.
Dem Widerspruch blieb mit zurückweisendem Widerspruchsbescheid vom 14. August 2017 der Erfolg versagt.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage zum Sozialgericht Berlin vom 14. September 2017.
Das Sozialgericht hat ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. B vom 6. Oktober 2018
eingeholt. Die Gutachterin diagnostizierte auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet:
Anhaltende schwere depressive Symptomatik, vermutlich im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung mit hohem psychoneurotischen
Anteil (F 33.2),
ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung mit Hinweisen auf Frühstörungsanteile (frühstrukturelle Störung) (F 60.8)
chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei orthopädischen Auffälligkeiten (Bandscheibenprotrusionen
und Osteochondrose) (F 45.41)
schwere kombinierte Angststörung mit sozialphobischem und agoraphobischem Anteil und Syndrom einer generalisierten Angststörung
auf der Grundlage der frühen Bindungsunsicherheit und anderer traumatischer Kindheitserfahrungen (F 41.3 G).
Die wesentliche Symptomatik der Klägerin bestehe aus Ängsten und depressiven Symptomen mit psychoneurotischer Ursache. Es
handele sich um eine zu objektivierende psychische Symptomatik und auch eine nachvollziehbare Traumatisierung in der frühkindlichen
Entwicklung. Es sei festzustellen, dass die Klägerin seelisch schwer beschädigt worden sei. Die Klägerin sei nur noch in der
Lage, ein bis drei Stunden einer Erwerbstätigkeit leichter körperlicher Art mit qualitativen Einschränkungen nachzugehen.
Die jetzt festgestellte Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe vermutlich seit Rentenantragstellung, auf alle Fälle
jedoch seit der Reha-Behandlung 2017. Grundsätzlich sei es bei psychoneurotischer Verursachung trotz der komplexen psychischen
Schädigung und der frühstrukturellen Persönlichkeitsstörung nicht unwahrscheinlich, dass die jetzt vorliegende Minderung der
Erwerbsfähigkeit behoben werden könne.
In Auswertung der fachärztlichen Stellungnahme des Dr. F (Abteilung Rehabilitation und Gesundheitsförderung der Beklagten)
führte die Beklagte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2019 aus, von Seiten der Beklagten werde festgestellt, dass bei der Klägerin
seit der Begutachtung am 5. Oktober 2018 ein zeitlich befristet aufgehobenes Leistungsvermögen vorliege und danach dem Grunde
nach ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für drei Jahre bestehen dürfte. Allerdings fehlten hierfür die erforderlichen
besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Diese seien letztmalig im November 2016 erfüllt.
Mit Urteil vom 12. April 2019 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung
einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Nach §
43 Abs.
2 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (
SGB VI) hätten Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn
die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorlägen, die Wartezeit erfüllt sei und sie voll erwerbsgemindert
seien. Voll erwerbsgemindert seien diejenigen Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit
außerstande seien, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig
zu sein (§
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert seien diejenigen Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit
außerstande seien, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden erwerbstätig zu
sein (§
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI). Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin nicht. Denn bei ihr zwar der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eingetreten,
doch seien zu diesem Zeitpunkt die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Rente
nicht mehr erfüllt. Dass die Klägerin nur noch über ein auf weniger als drei Stunden pro Tag herabgesunkenes Leistungsvermögen
verfüge, folge zur Überzeugung der Kammer aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere aus dem Gutachten der gerichtlichen
Sachverständigen Dr. B. Diese Ärztin habe bei der Klägerin ein entsprechendes Leistungsvermögen festgestellt. Die Kammer folge
dem Gutachten in vollem Umfang, denn es sei schlüssig und berücksichtige die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen
umfassend und begründe die vorgenommene Leistungseinschätzung nachvollziehbar und überzeugend. Der Leistungsfall sei zur Überzeugung
der Kammer am 5. Oktober 2018, dem Tag der ambulanten Untersuchung der Klägerin durch die gerichtliche Sachverständige, eingetreten.
An diesem Tag seien jedoch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die von der Klägerin begehrte Rente
nicht erfüllt. Diese Voraussetzungen seien gemäß §
43 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB VI erfüllt, wenn der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für
eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit habe. Im Zeitraum vom 6. Oktober 2013 bis zum 5. Oktober 2018 sei kein einziger
Monat mit Pflichtbeiträgen belegt. In diesem Zeitraum lägen 13 Monate der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, so dass allenfalls
eine Verlängerung des Zeitraums um 13 Monate in Frage käme, wodurch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aber nicht
erfüllt werden könnten. Erhebliche Einwendungen gegen den Versicherungsverlauf vom 10. Januar 2019 habe die Klägerin nicht
vorgebracht. Nach §
241 Abs.
2 Satz 1
SGB VI seien Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit
für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt hätten, wenn jeder Monat vom
1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den in dieser Vorschrift
genannten Anwartschaftserhaltungszeiten belegt sei oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1. Januar
1984 eingetreten sei. Die Erwerbsminderung sei nicht vor dem 1. Januar 1984 eingetreten. An diesem Tag sei auch die allgemeine
Wartezeit noch nicht erfüllt gewesen, denn das Versicherungsleben der Klägerin habe erst am 1. September 1985 begonnen. Nach
§
241 Abs.
2 Satz 2
SGB VI sei für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig sei, eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht
erforderlich. Zur Überzeugung der Kammer beziehe sich die Vorschrift auf Satz 1 dieses Absatzes. Nach Satz 2 könne daher nur
die Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten ersetzt werden, nicht jedoch der Tatbestand der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit
vor dem 1. Januar 1984. Die Kammer habe sich auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen können, dass der
Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung bis spätestens 30. November 2016 eingetreten sei. Die gerichtliche Sachverständige
habe sich insofern nicht festgelegt. Soweit sie ausführt, der Leistungsfall sei bereits bei der am 1. September 2015 erfolgten
Antragstellung eingetreten, äußere sie dies ausdrücklich als Vermutung. Dies sei keine hinreichende Grundlage für eine Verurteilung.
Ob der Leistungsfalls nach der Rehabilitationsbehandlung im Jahre 2017 eingetreten sei, bedürfe keiner weiteren Prüfung, weil
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente auch zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr erfüllt seien.
Unmittelbar vor dem letztmöglichen Tag der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sei die Klägerin durch die
von der Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. S untersucht worden. An diesem Tag sei noch ein vollschichtiges, wenn auch
gefährdetes Leistungsvermögen diagnostiziert worden. Die Sachverständige Dr. B habe hinsichtlich dieses Gutachtens zwar gewisse
Zweifel anklingen lassen, jedoch nicht ausgeführt, dass sie die Schlussfolgerungen von Dr. S für verfehlt halte. Sowohl bei
der Diskussion des Gutachtens von Dr. S als auch bei der Beantwortung der Frage nach dem Zeitpunkt des Leistungsfalles hat
die gerichtliche Sachverständige ausgeführt, dass der gesundheitliche Zustand der Klägerin sich verschlechtert habe. Auch
der Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie L biete keine hinreichende Grundlage für die Feststellung, dass
der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung vor dem 30. November 2016 eingetreten sei. Dieser Arzt habe zwar ausgeführt,
dass die Klägerin bereits seit 2000 erwerbsgemindert sei, habe jedoch nur sehr knappe Ausführungen hierzu gemacht, was auch
die gerichtliche Sachverständige in ihrem Gutachten vermerkt habe.
Gegen das ihr am 24. April 2019 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung vom 22. Mai 2019. Zur Begründung
bezieht die Klägerin sich nunmehr auf einen Versicherungsverlauf vom 9. Mai 2019, der für die Zeiträume ab 16. September 2014
bis 29. April 2019 „krank/Gesundheitsmaßnahme ohne Beitragszahlung“ ausweist und auf die Beitragsnachweise der Knappschaft
Bahn See mit Bescheid vom 5. Juni 2020. Sie habe seit Januar 2016 im Haushalt des Herrn L gearbeitet und 200 Euro monatlich
erhalten. Weder sie selbst als psychisch kranke Frau noch der damals 88-jährige Herr L habe erkannt, dass es sich um eine
rentenversicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt habe. Nachdem bekannt geworden sei, dass Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Rentenversicherung bestehe, seien die Beiträge ab 2016 wirksam nachentrichtet worden. Weiter wurden vorgelegt
zwei Schreiben der Psychologischen Psychotherapeutin G vom 2. September 2020 und 26. April 2021, in denen bestätigt wird,
dass die Klägerin sich vom 20. Oktober 2017 bis 18. Dezember 2019 in ihrer ambulanten psychotherapeutischen Betreuung befunden
habe. Während der Therapie sei die Tätigkeit der Klägerin im Haushalt eines hilfebedürftigen Verwandten immer wieder Thema
gewesen.
Auf Nachfrage des Senats zum Verfahren der Beanstandung angeblich zu Unrecht entrichteter Beiträge im Falle der Ausübung eines
Minijobs (Schreiben vom 21. April 2021, 280 GA) hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26. April 2021 ausgeführt, zuständig
sei allein die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See ( § 28i Satz 5
SGB IV). Die Minijobzentrale prüfe nach Eingang des Haushaltsschecks die Arbeitsentgeltgrenzen, vergebe die Versicherungsnummer
und ermittele die Beiträge. Arbeitgeber würden nach § 28p Abs. 10
SGB IV wegen der beschäftigten Arbeitnehmer in Privathaushalten nicht geprüft und seien von der Führung von Lohnunterlagen freigestellt
(§
28 f Abs.
1 Satz 2
SGB IV). Eine Beanstandung nach §
26 SGB IV scheide daher aus. Es sei aber zu prüfen, ob ein Scheingeschäft nach §
117 Bürgerliches Gesetzbuch(
BGB) vorliege.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. April 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2016 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller
Erwerbsminderung ab dem 1. September 2015 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht Zweifel am Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses geltend, da dieses vor der Nachentrichtung der Beiträge nie
Gegenstand des klägerischen Vortrags gewesen sei. Auch in den Begutachtungssituationen sei von einem Beschäftigungsverhältnis
nie die Rede gewesen. Es liege nahe, dass die Beiträge nur zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen entrichtet
worden seien. Herr L und die Klägerin selbst seien nach ihren Angaben im vorliegenden Verfahren nicht von einem Arbeitsvertrag
ausgegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsausführungen und der Sachdarstellung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der
Beklagten und auf die Gerichtsakten verwiesen. Diese haben im Termin vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet. Die Klägerin
hat einen Anspruch auf eine Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung, ein Anspruch auf eine Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung
besteht nicht.
Auch nach Auffassung des Senats ist der Leistungsfall einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach §
43 Abs.
2 Nr.
1 SGB VI mit dem Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin bei der Gerichtssachverständigen Dr. B am 5. Oktober 2018 eingetreten. Dies
ergibt sich aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten der Sachverständigen, welches auch die Beklagte nicht in Frage
stellt. Für einen vor diesem Zeitpunkt eingetretenen Leistungsfall, wie ihn die Klägerin behauptet, finden sich allerdings
keine überzeugenden Tatsachen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf das ausführlich und zutreffend begründete
Urteil des Sozialgerichts Bezug genommen (§
153 Abs.
2 SGG).
Die Ausübung eines Minijobs in einem Privathaushalt nach §
8a SGB IV in einem Umfang von etwa einer Stunde täglich steht der Annahme voller Erwerbsminderung nicht entgegen, da diese „lediglich“
ein Leistungsvermögen von unter 3 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfordert. Ein vollständig aufgehobenes
Leistungsvermögen ist nicht erforderlich.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegen aber nach den Feststellungen im Berufungsverfahren auch die so genannten
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diesen Versicherungsfall nach §
43 Abs.
2 Nr.
2 SGB VI vor.
Zunächst ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Sozialgerichts unter Zugrundelegung des ihm bekannten Sachverhalts zu
Recht davon ausgegangen ist, dass im zu berücksichtigenden Fünfjahreszeitraum keine drei Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine
versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind.
Zum Vorbringen im Berufungsverfahren ist noch darauf hinzuweisen, dass auch aus den vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
keine Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (36 Pflichtbeiträge im maßgeblichen verlängerten 60-Monatszeitraum)
abzuleiten ist. Denn die Beklagte hat in dem durch Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit verlängerten 60-Monatszeitraum
nur 16 Monate mit Pflichtbeiträgen festgestellt. Diese Feststellungen sind nach Prüfung durch den Senat auch zutreffend und
werden von der Klägerin nicht infrage gestellt. Die nachgewiesenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit über den 11. Januar 2015
hinaus können nicht berücksichtigt werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17. Februar 2005
– B 13 RJ 1/04R – zitiert nach juris) endet eine Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit spätestens drei Jahre nach Eintritt
der Arbeitsunfähigkeit (so auch Beschluss des Bundessozialgerichtes vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 324/18 B Rdnr. 9 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Entgegen der Auffassung der Beklagten erfüllt die Klägerin aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen deshalb, weil
seit dem 1. Januar 2016 bis zum Eintritt des Versicherungsfalles am 5. Oktober 2018 monatlich Pflichtbeiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung aufgrund einer Beschäftigung in einem Privathaushalt entrichtet wurden. Eine solche geringfügige Beschäftigung
ist seit dem 1. Januar 2013 versicherungspflichtig (Gesetz vom 5. Dezember 2012, BGBl. I S. 2474, 2475). Nach §
5 Abs.
2 Nr.
1 SGB VI sind versicherungsfrei nämlich nur Personen im Sinne des §
8 Abs. 1 Nr. 2 oder §
8 a i. V. m. §
8 Abs.
1 Nr.
2 SGB IV, also nur diejenigen geringfügig Beschäftigten, deren Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate
unter weiteren Voraussetzungen begrenzt ist. Die Beschäftigung nach § 8, 8 a mit einer Beschäftigung die regelmäßig ein Arbeitsentgelt
von 450 Euro im Monat nicht übersteigt, ist versicherungspflichtig. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach §
6 Abs.
1 b SGB VI liegt nicht vor. Danach steht fest, dass ein Beschäftigungsverhältnis der Klägerin im Privathaushalt des Herrn L grundsätzlich
versicherungspflichtig ist und die entsprechenden Beiträge nach den Bescheinigungen der Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See
auch geleistet wurden.
Soweit die Beklagte meint, die Beiträge seien deshalb zu Unrecht entrichtet, weil ihnen nicht ein Beschäftigungsverhältnis
zugrunde gelegen habe, sondern eine familienhafte Mitarbeit, kann sie mit diesem Einwand im vorliegenden Verfahren nicht gehört
werden. Denn zunächst kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Beiträge durch die Klägerin tatsächlich geleistet und von
der allein zuständigen Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn See (vgl. §
28 i Satz 5
SGB IV) auch entgegengenommen wurden (vgl. Abgabenbescheid vom 5. Juni 2020).
Eine Beanstandung der Beiträge im Sinne des §
26 SGB IV kann vorliegend nicht erfolgen. Die Beklagte selbst hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Arbeitgeber nach §
28 p Abs.
10 SGB IV wegen der beschäftigten Arbeitnehmer in Privathaushalten nicht geprüft werden und darüber hinaus von der Führung von Lohnunterlagen
freigestellt sind (§
28 f Abs.
1 Satz 2
SGB IV), was eine Beanstandung der Beiträge nach §
26 SGB IV ausschließt. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber für die Beschäftigung in den Privathaushalten gerade keine Prüfung
und damit auch keine Beanstandung der Beiträge vorgesehen hat. Dies lag schon deshalb nahe, weil eine solche Prüfung grundsätzlich
mit einem hohen Aufwand verbunden ist, der angesichts der Rentenansprüche, die mit den Beiträgen aus einer geringfügigen Beschäftigung
erworben werden können, unverhältnismäßig wäre.
Mit Urteil vom 29. August 2012 (B 12 R 4/10 R Rdnr. 18, zitiert nach juris) zu den zum 1. April 2003 eingeführten Sonderregelungen für geringfügige Beschäftigungen in
Privathaushalten (§
8 a SGB IV) hat das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, dass die Norm dazu dienen solle, illegale Beschäftigungen in Privathaushalten zu legalisieren. Einkünfte aus
bisher an der Sozialversicherung vorbei ausgeübter Schwarzarbeit sollten legalisiert werden. Entsprechende Beschäftigte sollten
motiviert werden, dies zukünftig legal und unter dem Dach der Sozialversicherung zu tun. Nach den Ausführungen des BSG hat der Gesetzgeber die Ursachen der Illegalität geringfügiger Beschäftigung in Privathaushalten insbesondere in der Kompliziertheit
der Regelungsmaterie gesehen und daher die Vereinfachung der geltenden Regelungen für Privathaushalte geschaffen. Insbesondere
ist darauf hingewiesen worden, dass zur Förderung der Legalisierung dieser geringfügigen Beschäftigungen insbesondere von
Betriebsprüfungen (§
28 p Abs.
10 SGB IV) abgesehen wurde.
Verzichtet der Gesetzgeber aber zur Erreichung eines anderen Ziels – hier der Legalisierung der geringfügigen Beschäftigung
– auf Betriebsprüfungen und somit auf Beanstandungen der in solchen Beschäftigungsverhältnissen geleisteten Beiträge, so kann
eine solche Prüfung im Gerichtsverfahren nicht „quasi durch die Hintertür“ wieder eingeführt werden.
Abgesehen davon, dass die Entrichtung von Beiträgen für geringfügige Beschäftigungen in Privathaushalten nach §
8 a SGB IV nach Auffassung des Senats nach entsprechender hier vorliegender Bescheiderteilung der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft
Bahn See ohne weitere Prüfung als wirksam hingenommen werden muss, fehlt es auch an einer tatsächlichen Beanstandung der Beiträge
durch die Beklagte gegenüber der allein zuständigen Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See. Unabhängig vom Erfolg
einer solchen Beanstandung ist vorliegend festzustellen, dass diese schon in tatsächlicher Hinsicht fehlt. Damit hätte die
von der Beklagten als rechtmäßig angesehene Nichtberücksichtigung der Pflichtbeiträge zur Folge, dass die Klägerin diese Beiträge
von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn See nicht erstattet erhalten könnte, da diese nach Abschluss ihres eigenen
Verwaltungsverfahrens zur Beitragspflicht und –erhebung mit Bescheid vom 5. Juni 2020 weder rechtlich noch tatsächlich Anlass
hat, der Klägerin die geleisteten Beiträge zu erstatten. Für eine solche Fallgestaltung außerhalb des §
8 a SGB IV schreibt §
26 Abs.
1 Satz 2
SGB IV vor, dass Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, als Pflichtbeiträge gelten. Dieser Rechtsgedanke muss auch
vorliegend Gültigkeit haben, wenn eine Prüfung des §
8 a SGB IV unterfallenden Beschäftigungsverhältnisses gesetzlich ausgeschlossen ist und damit auch eine Beanstandung nicht erfolgen
kann.
Danach steht fest, dass die tatsächlich entrichteten Beiträge zur Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See vorliegend
als Pflichtbeiträge zu berücksichtigen sind. Damit addieren sich zu den von der Beklagten festgestellten 16 Pflichtbeiträgen
im aufgrund der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit verlängerten Fünfjahreszeitraum weitere 34 Pflichtbeiträge im bisher nicht belegten
Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 4. Oktober 2018. Damit liegen mehr als 36 Pflichtbeiträge vor und die besonderen versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen sind erfüllt.
Vorliegend kommt es daher nicht mehr darauf an, ob die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit im Privathaushalt des Herrn L als sozialversicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis oder als familiäre Hilfeleistung zu qualifizieren wäre. Nicht entscheidungserheblich ist weiter,
ob die Klägerin und Herr L von einem Arbeitsvertrag ausgegangen sind. Denn für die Feststellung eines sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses i.S. des §
7 Abs.
1 Satz 1
SGB IV kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf die mehr oder weniger sachlich begründeten Annahmen von Arbeitgeber
und Arbeitnehmer an. Ein Arbeitsvertrag ist nicht zwingende Voraussetzung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses
wie schon der Wortlaut von §
7 Abs.
1 Satz 1
SGB IV (insbesondere in einem Arbeitsverhältnis) belegt
Soweit die Beklagte ein Scheingeschäft im Sinne des §
117 BGB rügt, führt dies nach Auffassung des Senats nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn zunächst ist festzustellen, dass der Senat
aufgrund der schriftlichen Ausführungen des Herrn Lh und auch der Angabe der behandelnden Psychologischen Psychotherapeutin
G keine Bedenken daran hat, dass die Tätigkeit auch tatsächlich ausgeübt wurde. Deshalb kann nach Auffassung des Senats auch
dahinstehen, ob der Ausschluss von Betriebsprüfungen und Beanstandungen auch dann zu gelten hätte, wenn feststünde, dass gar
keine Beschäftigung ausgeübt wurde. Eine solche Fallgestaltung liegt nicht vor. Nach der bereits oben zitierten Gesetzesbegründung
ging es dem Gesetzgeber hier vor allem darum, in Privathaushalten ausgeübte Beschäftigungen aus der Illegalität heraus unter
das Dach der Sozialversicherung zu bringen. Vor dem Hintergrund dieses Gesetzeszweckes und dem ihm zugrunde liegenden gesellschaftlichen
Befund scheint es dem Senat mehr als nachvollziehbar, dass die Klägerin und Herr L gezweifelt haben, ob für diese tatsächliche
Beschäftigung nun Rentenversicherungsbeiträge zu entrichten sein könnten oder nicht. Vor dem Hintergrund, solche Beschäftigungsverhältnisse
gerade in die Sozialversicherung zu integrieren, spricht nichts dagegen, das hier ausgeübte Beschäftigungsverhältnis im Haushalt
von Herrn L auch als entsprechend sozialversicherungspflichtig zu behandeln. Ein bloßes Scheingeschäft im Sinne einer Beitragsentrichtung
ohne tatsächliche Tätigkeit liegt nicht vor.
Damit hat die Klägerin einen Rentenanspruch wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Ein Anspruch auf Dauer scheidet auch deshalb
aus, weil die Gerichtssachverständige Dr. B eindeutig darauf hingewiesen hat, dass eine Besserung mit entsprechenden therapeutischen
Maßnahmen durchaus zu erzielen sei. Die Befristung ergibt sich aus §
102 Abs.
2 Satz 2
SGB VI. Die Ausnahme, dass Renten wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit unbefristet geleistet werden, wenn unwahrscheinlich ist,
dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, liegt nicht vor (§
102 Abs.
2 Satz 5
SGB VI).
Nach §
101 Abs.
1 Satz 1
SGB VI werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt
der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Damit hat die Klägerin einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
aufgrund eines Leistungsfalles vom 5. Oktober 2018 ab dem 1. Mai 2019 bis zum 30. September 2021. Im Übrigen war die Berufung
im Hinblick auf die Gewährung einer Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG liegen nicht vor.