Kostenerstattung für einen Hilfefall
Vorrangigkeit von Erstattungsansprüchen gemäß §§ 106 ff. SGB XII
Ausgleich von ungerechten Lastenverteilungen
Gleichmäßige Lastenverteilung unter den Trägern der Sozialhilfe
Tatbestand:
Der Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Potsdam, mit dem er verurteilt wurde, 6.441,60
Euro für den Zeitraum Mai 2009 bis Dezember 2009 für den Hilfefall L zu erstatten.
Der 2001 geborene Hilfeempfänger L (im Folgenden: HE) leidet laut Attest des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie
Dr. H vom 2. Februar 2006 an einem frühkindlichen Autismus und laut Attest der Klinik für Audiologie und Phoniatrie der C
vom 10. Februar 2006 an Surditas (Taubheit) beidseits. Für ihn sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen
G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), H (Hilflosigkeit), RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht),
und Gl (Gehörlosigkeit) festgestellt. Der HE und seine Mutter waren zunächst wohnhaft in N/Ortsteil S, im Zuständigkeitsbereich
des Beklagten. Der HE hatte zunächst eine Integrationskindertagesstätte in P besucht. Hierfür hatte der Beklagte die Kosten
übernommen.
Seit dem 1. September 2008 besuchte der HE die Schule des O in P und lebte in dessen Wohnheim. Es handelte sich um eine Schule
mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt "körperliche und motorische Entwicklung". Zuletzt mit Bescheid vom 26. November 2008
bewilligte der Beklagte dem HE hierfür Leistungen der Eingliederungshilfe.
Am 2. Oktober 2008 beantragte der HE die Bewilligung von Einzelfallhilfe.
Am 27. Januar 2009 zog der HE mit seiner Mutter nach P, also in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin. Das Internat der O
besuchte der HE in der Folge nicht mehr. Der Beklagte gewährte dem HE mit Bescheid vom 12. Februar 2009 Eingliederungshilfe
in Form der Einzelfallhilfe im Umfang von zunächst 17 Stunden wöchentlich. Die Stunden reduzierten sich monatlich um eine
Stunde, so dass im Juli 2009 nur noch 12 Stunden wöchentliche Schulbegleitung übernommen wurden. Da die Familie im Januar
2009 nach Potsdam gezogen sei, werde die Hilfe bis zur Übernahme der Leistungen durch die Stadt Potsdam, spätestens bis zum
Schuljahresende 2008/2009, gewährt. Die Leistungen wurden erbracht durch P e. V., mit dem der Beklagte eine Leistungs-, Vergütungs-
und Prüfvereinbarung gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII geschlossen hatte. Im gleichen Bescheid (vom 12. Februar 2009) teilte der Beklagte mit, dass die vollstationäre Hilfe mit
Ablauf des 30. Januar 2009 ende.
Mit Schreiben vom 14. April 2009 übersandte der Beklagte der Klägerin die Leistungsakte und bat um Übernahme der Hilfe sowie
Kostenerstattung ab 27. Januar 2009.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2009 übernahm die Klägerin den Fall, lehnte die Kostenerstattung jedoch ab, bezog sich zur Begründung
auf § 106 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) und machte für einen Zeitraum von zwei Jahren einen Erstattungsanspruch geltend.
Mit Bescheid vom 19. Juni 2009 bewilligte die Klägerin dem HE Eingliederungshilfe in Form der schulbegleitenden Einzelfallhilfe
für 20 Stunden pro Schulwoche für die Zeit vom 22. Juni 2009 bis 15. Juli 2009 sowie für das Schuljahr 2009/2010 vom 31. August
2009 bis zum 7. Juli 2010. Der Stundensatz betrug 14,64 Euro. Die Einzelfallhilfe wurde weiterhin durch P e. V. erbracht.
Mit Fax-Schreiben vom 20. November 2009 erklärte der Beklagte die Übernahme der Kosten gemäß § 106 Abs. 3 SGB XII. Er bat, zu gegebener Zeit die Höhe der Erstattungskosten mit geeigneten Unterlagen mitzuteilen.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 2013 übersandte die Klägerin dem Beklagten ihre Kostenforderung in Höhe von 20.767,72 Euro.
Mit der am 30. Dezember 2013 bei dem Sozialgericht Potsdam eingegangenen Klage hat die Klägerin beantragt, den Beklagten zu
verurteilen, die für den Hilfefall des HE im Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 31. Dezember 2009 entstandenen Kosten für die
Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe von 6.441,60 Euro zu erstatten. Sie hat ausgeführt, dass die Klage vorsorglich
fristwahrend erhoben werde, um eine Verjährung zu vermeiden. Sie hat eine Berechnung beigefügt, aus der sich eine Forderung
von 6.441,60 Euro ergibt, allerdings nur für die Zeit von Mai 2009 bis Dezember 2009.
Der Beklagte ist der Erstattungsforderung entgegengetreten. Es handele sich - nur - um Kosten der Einzelfallhilfe für die
Schule. Diese Kosten seien vorher (bei stationärem Aufenthalt) genauso angefallen. Der Schutz des Einrichtungsortes beziehe
sich nur auf die Kosten, die ersatzweise als Surrogat für die vorher erbrachte stationäre Leistung erbracht würden, nicht
aber auf solche, die nur zufälligerweise zeitgleich, inhaltlich jedoch unabhängig von der Beendigung der stationären Maßnahme,
entstünden. Die Einzelfallhilfe für den Schulbesuch sei auch vorher schon geleistet worden. Die Klägerin sei auch vor dem
Leistungsbeginn eigentlich schon zuständig gewesen.
Die Klägerin hat ausgeführt, dass sie die seitens des Beklagten vertretene Rechtsauffassung nicht nachvollziehen könne. Diese
finde im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Der Klägerin sei auch aus der Rechtsprechung kein Fall bekannt, in dem eine Auslegung
des § 106 Abs. 3 SGB XII im Sinne des Vorbringens des Beklagten vertreten werde. Der HE habe zum 30. Januar 2009 die Einrichtung verlassen und danach
weiterhin - ambulante - Sozialhilfeleistungen im Bereich des örtlichen Sozialhilfeträgers, in dem die Einrichtung liege, erhalten.
Damit seien die Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 SGB XII für einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten erfüllt. Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei die Verlängerung des
Schutzes des Einrichtungsortes durch einen Kostenerstattungsanspruch bei nachfolgenden nichtstationären Leistungen. Jede Leistung
der Sozialhilfe, deren die leistungsberechtigte Person nach dem Verlassen der Einrichtung bedürfe, falle unter den Erstattungstatbestand,
also die Hilfe nach dem 3. bis 9. Kapitel. Es komme lediglich darauf an, dass es sich nicht um stationäre Leistungen handele.
Völlig unerheblich sei dabei, dass diese Leistungen auch schon während der stationären Unterbringung zu gewähren gewesen seien.
Die Klägerin teile ebenfalls nicht die Auffassung des Beklagten, dass sie mit dem Umzug der Kindesmutter für die Gewährung
der Einzelfallhilfe im Rahmen des Schulbesuchs zuständig geworden wäre, auch wenn das Kind weiterhin im Internat geblieben
wäre, da aus ihrer Sicht der Besuch der O und die Unterbringung im Internat der Ound die als flankierende Maßnahme jeweils
gewährte Unterstützung durch den Einzelfallhelfer eine einheitliche Maßnahme bildeten.
Mit Urteil vom 3. Dezember 2014 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, der Klägerin 6.441,60 Euro für den Zeitraum
von Mai 2009 bis einschließlich Dezember 2009 für den Hilfefall L zu erstatten. Anspruchsgrundlage sei § 106 Abs. 3 SGB XII, der die sozialhilferechtliche Kostenerstattung für den Fall des Anschlusses an einen Aufenthalt in einer stationären Einrichtung
regele. Es liege ein Fall des § 98 Abs. 2 SGB XII vor. Denn der Beklagte habe dem HE mit Bescheid vom 24. Juli 2008 für den Zeitraum ab dem 1. September 2008 Eingliederungshilfe
für stationäre Leistungen für die Unterbringung im Internat des O bewilligt. Entgegen der Auffassung des Beklagten müsse es
sich bei der zu gewährenden Hilfeleistung auch nicht um ein "Surrogat" für die zuvor gewährte stationäre Hilfeleistung handeln.
Der Wortlaut des § 106 Abs. 3 SGB XII gehe nämlich einschränkungslos davon aus, dass Anknüpfungspunkt für die Leistungspflicht des vor dem stationären Aufenthalt
zuständigen Leistungsträgers der Erhalt von "Sozialhilfe" sei, was sämtliche Leistungsarten des § 8 SGB XII und damit auch die hier gewährten ambulanten Eingliederungshilfeleistungen für den schulischen Bereich einschlösse. Der Kammer
sei auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber etwas anderes als eine "Gesamtfallkostenerstattung" durch den früher zuständigen
Hilfeträger an den nunmehr zuständigen örtlichen Sozialleistungsträger für den Zeitraum von zwei Jahren im Blick gehabt habe.
Die Höhe der von der Klägerin aufgewendeten Kosten für ambulante Eingliederungshilfeleistungen von 6.441,60 Euro sei zwischen
den Beteiligten nicht streitig. Dies habe der Beklagte ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember
2014 ausdrücklich mitgeteilt.
Die Berufung gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.
Gegen das ihm am 17. Februar 2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12. März 2015 Nichtzulassungsbeschwerde bei dem Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg eingelegt. Streitig sei die Rechtsfrage der Auslegung des § 106 Abs. 3 SGB XII und mittelbar des § 98 Abs. 2 SGB XII. Fraglich sei, ob die Erstattungsvorschrift des § 106 Abs. 3 SGB XII wegen des Wegfalls des Gesamtfallgrundsatzes für die Zuständigkeit bei vollstationären Leistungen durch die Einführung des
SGB XII dahingehend einschränkend auszulegen sei, dass eine Kostenerstattung nur für solche Hilfen erfolge, die - ohne Erstattungsregelung
- nach Verlassen der Einrichtung zu einer Kostenverschiebung zulasten des Anstaltsortes führen würden und nicht auch für solche
Hilfen, für die der Anstaltsort bereits während des Einrichtungsaufenthalts originär zuständig und kostentragungspflichtig
gewesen sei. Zum vormaligen § 97 Abs. 2 BSHG sei weitgehend die Auffassung vertreten worden, dass diese Vorschrift eine Gesamtfallzuständigkeit begründe in dem Sinn,
dass der für die stationäre Leistung zuständige Träger auch für etwaige ergänzende oder zusätzliche ambulante Leistungen zuständig
sei. Hinsichtlich der Nachfolgeregelung des § 98 Abs. 2 SGB XII lasse sich dieser Gedanke angesichts der strukturellen Unterschiede jedoch nicht problemlos übertragen.
Das Bundessozialgericht (BSG) habe sich offenbar vom Gesamtfallgrundsatz bereits verabschiedet, wenn es in seiner Entscheidung vom 13. Februar 2014, Az.:
B 8 SO 11/12 R, bei Zusammentreffen von stationärer Hilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt die Zuständigkeit für letztere nicht
mehr nach § 98 Abs. 2 SGB XII (im Sinne des bisherigen Gesamtfallgrundsatzes) bestimme, sondern allenfalls und auch nur bei andernfalls eintretender Doppelzuständigkeit
eine analoge Anwendung der Vorschrift erwäge, ohne die Frage letztlich zu beantworten. Die aktuelle Kommentierung in Hauck/Noftz,
SGB XII, § 98 Rn. 46, halte die Vorschrift dementsprechend auch nur noch für die stationäre Leistung anwendbar und verweise zur Zuständigkeit
für parallel anfallende ambulante Bedarfe auf die Zuständigkeitsregelung des § 98 Absatz 1 SGB XII. Für diese Auffassung spreche der im Vergleich zur Vorgängerregelung engere Wortlaut: Während § 97 Abs. 2 BSHG die Zuständigkeit "für die Hilfe in einer Anstalt " geregelt habe, befasse sich § 98 Abs. 2 SGB XII mit der Zuständigkeit "für die stationäre Leistung". Auch die Absätze 4 und 5 sprächen für die benannte Auffassung, weil
der Gesetzgeber hier im Gegensatz zu Abs. 2 bereits durch die Wortwahl deutlich mache, dass diese Zuständigkeitsregelungen
jegliche Hilfe für die genannten Personenkreise umfassten. Die enge Auslegung des § 98 Abs. 2 SGB XII werde auch durch die Vorschrift des § 97 Abs. 4 SGB XII nahegelegt, wo im Gegensatz zu § 98 Abs. 2 SGB XII ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass die dortige Zuständigkeit für stationäre Leistungen auch die sachliche Zuständigkeit
für andere Leistungen umfasse.
Mit Beschluss vom 29. August 2018 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Dezember 2014
zugelassen.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Dezember 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus ihrer Sicht sei für die Anwendbarkeit des § 106 Abs. 3 SGB XII lediglich erforderlich, dass nach dem Verlassen der stationären Einrichtung Sozialhilfe gewährt werde. Insofern hat sie auf
den bisherigen Vortrag Bezug genommen. Die Frage, ob der sogenannte "Gesamtfallgrundsatz" durch eine veränderte Rechtsprechung
des BSG entfallen sei, dürfte daher keine Rolle bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 SGB XII spielen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten
und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die den HE betreffenden Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist auf Grund der Zulassung durch den Senat zulässig und statthaft. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Urteil
des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Dezember 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Beklagten nicht in seinen Rechten. Er ist
der Klägerin in Höhe des ausgeurteilten Betrages von 6.441,60 Euro erstattungspflichtig.
Rechtsgrundlage für den Anspruch ist § 106 Abs. 3 SGB XII in der - bisher unveränderten - Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.
Dezember 2003, BGBl. I Seite 3022. Diese Vorschrift lautet: Verlässt in den Fällen des § 98 Abs. 2 die leistungsberechtigte Person die Einrichtung und erhält
sie im Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, innerhalb von einem Monat danach Leistungen der Sozialhilfe,
sind dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die aufgewendeten Kosten von dem Träger der Sozialhilfe zu erstatten, in dessen
Bereich die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 hatte. Absatz 1 Satz
2 gilt entsprechend. Die Erstattungspflicht wird nicht durch einen Aufenthalt außerhalb dieses Bereichs oder in einer Einrichtung
im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 unterbrochen, wenn dieser zwei Monate nicht übersteigt; sie endet, wenn für einen zusammenhängenden
Zeitraum von zwei Monaten Leistungen nicht zu erbringen waren, spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Verlassen der
Einrichtung.
Die sachliche Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte - also hier auch der Klägerin und des Beklagten - im Land
Brandenburg beurteilt sich für den hier in Rede stehenden Zeitraum, also Mai bis Dezember 2009, unmittelbar nach § 3 Abs. 1, § 97 Abs. 1 SGB XII, wonach für die Sozialhilfe sachlich zuständig der örtlich zuständige Träger ist. Abweichende Bestimmungen im Sinne des §
97 Abs. 2 SGB XII enthielt das bis zum 31. Dezember 2010 maßgebliche brandenburgische Landesrecht nicht (vgl. das Gesetz zur Ausführung des
SGB XII und zur Änderung des Brandenburgischen Finanzausgleichsgesetzes vom 6. Dezember 2006 - AG-SGB XII 2006 -, Gesetz und Verordnungsblatt - GVBl. - für das Land Brandenburg Teil I Nr. 16, Seite 166 ff)
§ 104 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X), das nach seinem Wortlaut auch als Anspruchsgrundlage in Betracht käme, ist gegenüber dem Erstattungsanspruch nach § 106 SGB XII nachrangig. § 106 SGB XII geht den Erstattungsansprüchen nach den §§ 102ff SGB X gemäß §
37 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (
SGB I) als speziellere Regelung vor. Es handelt sich bei den Erstattungsansprüchen der §§ 106 ff. SGB XII um besondere Lastenausgleichsregelungen. Sie dienen einer gleichmäßigen Lastenverteilung unter den Trägern der Sozialhilfe,
um eine als unbillig empfundene Kostenverteilung zu vermeiden. Diesen Aspekt der Ausgleichung von ungerechten Lastenverteilungen
hat das BSG in den Vordergrund gerückt und sieht so gegenüber den Erstattungsansprüchen der §§ 102 ff. SGB X einen besonderen Zweck der Erstattungsansprüche nach den §§ 106 ff. SGB XII (Böttiger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand 13. Mai 2015, § 106 SGB XII, Rn. 13 unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 22. März 2012, Az. B 8 SO 2/11 R, juris Rn. 12; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 5. Auflage 2014, § 106 Rn. 4).
Unerheblich ist, dass der Beklagte wohl gemäß §
14 SGB IX zuständig für die Leistungen geblieben ist, weil er erst nach dem Umzug des HE nach Potsdam die Einzelfallhilfe bewilligt
hat (mit Bescheid vom 12. Februar 2009). Unerheblich ist es, weil es für den Erstattungsanspruch nicht auf die aktuelle Zuständigkeit
ankommt, sondern darauf, wer "eigentlich" die Kosten zu tragen hat. Die Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 SGB XII sind vorliegend erfüllt. Es liegt ein Fall des § 98 Abs. 2 SGB XII vor. Die Sätze 1 bis 3 des § 98 Abs. 2 SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006, BGBl. I Seite 2670 lauteten: Für die stationäre Leistung ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten
ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme
zuletzt gehabt hatten. Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes
1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung
ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend. Steht innerhalb
von vier Wochen nicht fest, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach Satz 1 oder 2 begründet worden ist oder ist ein gewöhnlicher
Aufenthaltsort nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln oder liegt ein Eilfall vor, hat der nach Absatz 1 zuständige Träger
der Sozialhilfe über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und sie vorläufig zu erbringen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme des
HE in Schule und Wohnheim des O am 1. September 2008 wohnte er in N/Ortsteil S, also im Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
Bei der Betreuung in Schule und Wohnheim handelte es sich um eine stationäre Leistung im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Der Einrichtungsbegriff des § 98 Abs. 2 SGB XII ist bundesrechtlich anhand von § 13 Abs. 2 SGB XII zu bestimmen. Diese Vorschrift lautet:
Einrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch
zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen.
Eine Einrichtung gemäß § 13 Abs. 2 SGB XII ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher
Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und der Pflege, der
Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dient. Die Vorhaltung von Wohnraum durch den Träger der Einrichtung selbst ist wesentliches
Merkmal einer Zuordnung zur Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers. Zudem ist erforderlich, dass der Einrichtungsträger
von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfeempfängers nach Maßgabe des angewandten Konzepts die Gesamtverantwortung für
dessen tägliche Lebensführung übernimmt (BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017, Az. B 8 SO 12/16 R, juris Rn.27-28 = SozR 4-1750 § 524 Nr. 1). Dies war hier gegeben. Laut
der fachärztlich-gutachterlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2007 (Name des Arztes unleserlich) wurde die neben der Einschulung
gleichzeitige Aufnahme in das angrenzende Internat unter der Woche als aus medizinischer Sicht von Vorteil angesehen, weil
dort eine Förderung aus "einer Hand", auch am Nachmittag und nachts, erfolgt. Es werden dort für Autisten sehr wichtige geregelte
Strukturen eingehalten. Dies kann sich auf die Entwicklung des Kindes sehr positiv auswirken, vor allem in der Erziehung zur
Selbständigkeit und zur Bewältigung alltäglicher Handlungen.
Der HE hat diese Einrichtung - das Wohnheim des O - auch verlassen, und zwar mit Ablauf des 30. Januar 2009. Er hat auch im
Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, nämlich der Klägerin, innerhalb von einem Monat danach Leistungen
der Sozialhilfe, nämlich Eingliederungshilfe in Form von Einzelfallhilfe laut Bescheid des Beklagten vom 12. Februar 2009,
erhalten. Diese Leistungen wurden zwar anfangs, bis zum 30. April 2009, noch von dem Beklagten erbracht, es genügt zur Erfüllung
der Tatbestandsvoraussetzungen des § 106 Abs. 3 SGB XII jedoch, dass Sozialhilfeleistungen auf dem Gebiet des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, erbracht werden, sie
müssen nicht durch ihn erbracht werden (so wohl auch Schoch in LPK-SGB XII, 11. Auflage 2018, §
106 Rn. 22; W. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, Kommentar zum
SGG, 19. Auflage 2015, § 106 Rn. 28; Klinge in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB XII, Stand März 2012, § 106 Rn. 31; Wahrendorf, aaO., § 106 Rn. 22). Soweit Böttiger, aaO.,§ 106 SGB XII, Rn. 205, als Voraussetzung für den Erstattungsanspruch nach § 106 Abs. 3 Satz 1 SGB XII annimmt, dass der für den Einrichtungsort zuständige örtliche Träger der Sozialhilfe einer Person, die eine in seinem Gebiet
liegende Einrichtung verlassen und sich weiterhin in seinem Gebiet aufhält, rechtmäßig Leistungen der Sozialhilfe für einen
innerhalb eines Monats nach Verlassen der Einrichtung beginnenden Zeitraum erbracht haben muss, so folgt der Senat dem nicht.
Dies ist mit dem Wortlaut des § 106 Abs. 3 SGB XII nicht zu vereinbaren. Außerdem würde dies bedeuten, dass der Träger, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte sich stationär
aufgehalten hat, den Erstattungsanspruch dadurch vereiteln könnte, dass er die Leistung selbst mehr als einen Monat lang (weiter)
erbringt.
Daraus ergibt sich, dass bereits nach dem eindeutigen Wortlaut des § 106 Abs. 3 SGB XII hier ein Erstattungsanspruch der Klägerin besteht. Dieser ist auch entgegen der Auffassung des Beklagten nicht dadurch ausgeschlossen,
dass es sich bei den Leistungen, für die die Erstattung verlangt wird, um Leistungen der Einzelfallhilfe und damit um sogenannte
"Zusammenhangskosten" handelt, d.h. solchen Kosten, die nicht beschränkt sind auf die konkret in der stationären Einrichtung
erbrachten Leistungen. Es ist auch weiterhin, wie nach dem Recht des BSHG, von dem Grundsatz der Gesamtfallhilfe auszugehen. Dafür sprechen auch nach dem im Vergleich zu § 97 Abs. 2 BSHG geänderten Wortlaut des § 98 Abs. 2 SGB XII (statt "Hilfen in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung" heißt es jetzt "stationäre Leistung") insbesondere
Sinn und Zweck dieser Vorschriften. Denn gesetzgeberisches Motiv für § 98 Abs. 2 SGB XII ist, wie schon für § 97 Abs. 2 BSHG, der Schutz der Einrichtungsorte. Zwar kann eine einheitliche Zuständigkeit, sei es sachlich oder örtlich, nur erreicht werden,
wenn das Gesetz es zulässt. Aber es verdienen die Auslegungen den Vorzug, die ein unnötiges Auseinanderfallen von Zuständigkeiten
vermeiden (vgl. dazu z.B. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 19. Oktober 2006, Az. 5 C 26/06, juris Rn. 12 = BVerwGE 127, 74-79). Dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 98 Abs. 2 SGB XII keine Änderung der Regelung des § 97 Abs. 2 BSHG (in der Auslegung, die sie durch die Rechtsprechung gefunden hatte und die dem Gesetzgeber bekannt war) herbeiführen wollte,
spricht auch die Gesetzesbegründung. Dort heißt es, dass die Vorschrift des § 93 (im Entwurf § 93, im Gesetz dann § 98 SGB XII) im Wesentlichen inhaltsgleich den bisherigen § 97 des BSHG überträgt. Die Absätze 1 bis 3 übertragen dabei weitgehend inhaltsgleich den bisherigen § 97 Abs. 1 bis 3 BSHG sowie Absatz 4 den bisherigen § 97 Abs. 5 BSHG (vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 5. September 2003, Bundestags-Drucksache
15/1514, Seite 67 zu § 93). Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Senat in dem anderslautenden Wortlaut des § 98 Abs. 2 SGB XII gegenüber § 97 Abs. 2 BSHG keine "engere Wortwahl" erkennen. Es ist eher eine Zusammenfassung der drei Einzelaufzählungen in "stationäre Leistung" erfolgt.
Nach Sinn und Zweck der Regelung des § 98 Abs. 2 SGB XII, den Einrichtungsort zu schützen, gehören zu den aufgewendeten und damit erstattungsfähigen Kosten die Nettoaufwendungen,
und zwar auch die Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel, also auch die im Sechsten Kapitel geregelten Leistungen
der Eingliederungshilfe (Schoch, aaO., § 98 Rn. 32; so auch Söhngen in juris-PK SGB XII, § 98 Rn. 33; Wahrendorf, aaO., § 98 Rn. 20; Steimer in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 98 Rn. 55ff; anderer Auffassung Schlette in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB XII, Stand März 2018, § 98 Rn. 46). Wollte man dies anders sehen, wäre der Schutz des Einrichtungsortes nicht gewährleistet. Es können bei stationärer
Betreuung erhebliche zusätzliche Kosten entstehen, z.B. für eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen
oder, wie im Falle des HE, für Einzelfallhilfe. Wenn das Risiko bestünde, dass der für den Einrichtungsort zuständige Sozialhilfeträger
für diese Kosten aufkommen müsste, würde die Bereitschaft sinken, auch Hilfebedürftige aus anderen Zuständigkeitsbereichen
aufzunehmen. Gerade dies wollte der Gesetzgeber aber mit der Vorschrift des § 98 Abs. 2 SGB XII verhindern.
Die Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 SGB XII sind damit erfüllt und der Beklagte hat der Klägerin die aufgewendeten Kosten für den Zeitraum Mai 2009 bis Dezember 2009
zu erstatten. Diese belaufen sich laut der Berechnung der Klägerin vom 30. Dezember 2013 auf 6.441,60 Euro. Der Betrag ist
rechnerisch richtig und der Beklagte hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vom 3.
Dezember 2014 hiergegen keine Einwände erhoben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) und umfasst auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens über die Nichtzulassung der Berufung. Wenn aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde
das BSG [hier das Landessozialgericht] die Revision [hier die Berufung] zulässt und das Revisionsverfahren [hier das Berufungsverfahren]
dann durchgeführt wird, darf über die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht gesondert entschieden werden. Denn der Erfolg
des Beschwerdeführers mit der Nichtzulassungsbeschwerde rechtfertigt noch nicht eine Kostenentscheidung zu seinen Gunsten.
Wer die Kosten eines Gerichtsverfahrens zu tragen hat, hängt vom Ausgang des gesamten Rechtsstreits ab (BSG, Beschluss vom 1. Dezember 1988, Az. 8/5a RKn 11/87, juris Rn. 2 = SozR 1500 § 193 Nr. 7).
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG) zuzulassen.