Nachweis der Wirksamkeit eines Mietvertrags des Hilfebedürftigen als Voraussetzung der Bewilligung von Leistungen der Unterkunft
und Heizung durch den Grundsicherungsträger
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten der Unterkunft in Höhe von 470,-- monatlich für die Zeit vom 1. April 2018 bis
zum 30. September 2018 nach den Vorschriften des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Kläger steht im fortlaufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte der Kläger für die Zeit ab Oktober 2017 Leistungen
einschließlich der Kosten der Unterkunft. Er bewohne in einem seinen Eltern gehörenden Haus, I. in H., eine Wohnung und es
sei eine Miete über 470,-- monatlich vereinbart worden. Das Sozialgericht führte in diesem Eilverfahren (S 35 AS 3400/17 ER) am 30. November 2017 einen Erörterungstermin durch und hörte den Kläger sowie dessen Vater an. Der Vater des Klägers
gab u.a. an, dass zwar eine Miete von 470,-- Euro vereinbart sei, er bisher aber keine Gelder vom Kläger erhalten habe, selbst
in den Zeiten nicht, in denen dieser Leistungen für die Unterkunft vom Beklagten erhalten habe. Es gehe ihm wirtschaftlich
gut, er sei auf die Miete nicht angewiesen und überlasse es dem Kläger, wie es weitergehen solle. Das Sozialgericht lehnte
die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten der Unterkunft daraufhin mit Beschluss vom 1. Dezember 2017 ab.
Bereits zuvor, in einem Eilverfahren vor dem Sozialgericht im Jahr 2015 (S 35 AS 3773/15 ER), war zu Tage getreten, dass der Kläger mit einem Mietvertrag, der als Vermieter einen Herrn H1 auswies, eine Mietzinsverpflichtung
glaubhaft machen wollte. In diesem Eilverfahren zeigte sich dann, dass der angebliche Vermieter Herr H1 nicht existierte und
der Mietvertrag vom Kläger hergestellt worden war für die Zwecke des Leistungserhalts. Das Strafverfahren endete mit einer
Verurteilung des Klägers wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 8,-- Euro
(Landgericht Hamburg, Urteil vom 27.6.2019 – 701 Ns 5/18).
Im Rahmen der Weiterbewilligung bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 23. April 2018 dem Kläger für die Zeit vom 1. April
2018 bis zum 30. September 2018 den Regelsatz nach dem SGB II abzüglich einer Sanktion. Kosten der Unterkunft wurden nicht bewilligt. Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch
wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2018 zurück. Es liege kein wirksamer Mietvertrag vor. Der Kläger
habe selbst die vom Beklagten früher geleisteten Mietzahlungen nicht weitergeleitet. Hier liege ein Scheingeschäft vor.
Der Kläger hat 14. September 2018 Klage erhoben und geltend gemacht, dass ein mündlicher, wirksamer Mietvertrag vorliege.
Mit Gerichtsbescheid vom 23. Juni 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch nach § 22 SGB II setze einen wirksamen Mietvertrag voraus; daran fehle es. Angesichts der Aussagen des Vaters des Klägers im Erörterungstermin
im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes könne kein Zweifel daran besteht, dass dieser keine Mietzahlungen
von seinem Sohn verlange. So habe er auch in den Zeiten, in den der Kläger Leistungen für die Unterkunft erhalten habe, diese
nie vom Kläger erhalten. Zudem habe er ausgesagt, dass er das weitere Vorgehen dem Kläger überlasse. Hierin sei ein Verzicht
auf die Geltendmachung von Mietzahlungen zu sehen.
Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 25. Juni 2020 zugestellt worden. Am 25. Juli 2020 hat der Kläger Berufung eingelegt.
Sein Vater habe auf nichts verzichtet und er habe die Leistungen des Beklagten für die Wohnung nicht weitergeleitet, weil
er dies in einer Gesamtzahlung der Rückstände habe erledigen wollen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Juni 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids
vom 23. April 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2018 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.
April 2018 bis zum 30. September 2018 monatlich 470,00 Euro als Kosten der Unterkunft zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil und trägt ergänzend vor, dass der Kläger erst Ende 2018 seinen Umzug
in das Elternhaus, D., zum Januar 2018 mitgeteilt habe. Der Klage liege damit ein Antrag für eine Wohnung –I. – zugrunde,
die der Kläger im Leistungszeitraum gar nicht mehr bewohnt habe.
Der Kläger hat repliziert, dass hinsichtlich der Wohnung D. dieselbe mündliche Abrede mit seinem Vater gelte wie zuvor hinsichtlich
der Wohnung I..
Mit Beschluss vom 15. September 2020 hat der Senat die Berufung nach §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat
der Senat den Kläger informatorisch befragt. Die als Zeugen geladenen Eltern des Klägers haben von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht
Gebrauch gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf das Verhandlungsprotokoll
und den übrigen Inhalt der Prozessakte sowie der Gerichtsakten der Verfahren S 35 AS 3400/17 ER, S 35 AS 1188/15 ER, S 17 AS 3179/20 ER (L 4 AS 356/20 B ER) und der Akten der Staatsanwaltschaft verwiesen.
Entscheidungsgründe
Nach §
153 Abs.
5 SGG kann der Senat durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden.
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Gegenstand des Verfahrens ist auf die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt (zur Zulässigkeit der
Abtrennung dieser Leistungen vgl. BSG, Urteil vom 4.6.2014 – B 14 AS 42/13 R und Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 8/06 R).
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
Nach dem Gesetzeswortlaut sind nur „tatsächliche Aufwendungen“ zu berücksichtigen. Es kommt also entscheidend darauf an, ob
dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich Kosten für Unterkunft und Heizung entstanden sind (vgl. zur Auslegung
des Wortlauts BSG, Urteil vom 3.3.2009 – B 4 AS 37/08 R). Tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft hat der Hilfebedürftige zunächst dann, wenn er tatsächlich Mietzahlungen
erbringt. Tatsächliche Aufwendungen sind aber nicht nur im Fall tatsächlicher erbrachter Mietzahlungen anzuerkennen. Nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts reicht es aus, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer
wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (vgl. BSG, Urteil vom 3.3.2009 – B 4 AS 37/08 R). Grundsätzlich ohne Bedeutung ist die Person des Vermieters. Auch unter engen Verwandten können rechtlich wirksam Mietverträge
geschlossen und damit vertragliche Verpflichtungen, wie beispielsweise die Mietzahlungspflicht, begründet werden. Voraussetzung
für die Annahme einer wirksamen Mietzinsforderung zwischen Verwandten ist auch nicht, dass ein Mietvertrag vorliegt, der einem
sog. Fremdvergleich standhält, d.h. nach Inhalt und tatsächlicher Durchführung dem zwischen Fremden Üblichen entspricht (vgl.
BSG, Urteil vom 3.3.2009 – B 4 AS 37/08 R). Entscheidend ist daher letztlich allein, ob der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft
gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt war.
Das ist zur Überzeugung des Senats indes nicht der Fall. Einen schriftlichen Mietvertrag mit seinen Eltern hat der Kläger
nicht vorgelegt. Der stattdessen zunächst vom Kläger vorgelegte Mietvertrag mit einem Herrn H1 hat sich als Fälschung erwiesen.
Dies spricht aber bereits dafür, dass eine Abrede zwischen dem Kläger und seinen Eltern, auf die ein Verlangen nach Unterkunftskostenübernahme
hätte gestützt werden können, gar nicht existierte. Dass ein mündlicher Vertrag zwischen ihnen geschlossen worden sei, kann
das Gericht ihm nicht abnehmen. Denn seine Erklärung, dass sein Vater aus beruflichem Kontext die Schriftlichkeit von Vereinbarungen
scheue, kann das Gericht nicht nachvollziehen. Vielmehr ist gerade die Schriftlichkeit von Vereinbarungen dazu geeignet, unmissverständliche
Abreden zu treffen und nachweisen zu können. Überdies zeigen die zuletzt vom Kläger vorgelegten, von seinen Eltern unterzeichneten
Erklärungen über die angeblichen Mietvereinbarungen, dass der Vater des Klägers durchaus Vereinbartes schriftlich fixiert.
Auch demonstriert der Umstand, dass der Kläger entsprechende Leistungen des Beklagten nicht an seine Eltern weiterleitete,
nachdrücklich, dass er keiner ernsthaften Verpflichtung ausgesetzt war. Denn diese Möglichkeit hätte jeder, den eine ernsthafte
vertraglichen Pflicht getroffen hätte, genutzt. Auch hier kann der Senat dem Kläger nicht abnehmen, was er zur Erklärung vorträgt.
Dass seine Eltern den Nachzahlungsbetrag nur vollständig und nicht in Teilzahlungen hätten entgegennehmen wollen, ist ökonomisch
nicht nachvollziehbar und passt ganz offensichtlich nicht zum beruflichen Hintergrund des Vaters. Aber auch, dass eine Offenlegung
des gefälschten Mietvertrags gedroht und der Kläger dies gegenüber seinen Eltern verheimlichen wollte, erscheint nicht plausibel.
Denn der Kläger meinte doch nach seinen Angaben damit eine Vertragskonstruktion gefunden zu haben, um die fehlende Schriftlichkeit
der Abreden mit seinen Eltern dokumentieren zu können; wie sollten sie ihm dies übelnehmen?
Die schriftlichen Erklärungen der Eltern des Klägers sind nach allem als Schutz- bzw. Gefälligkeitsbehauptungen zu werten.
Der Versuch des Senats, mittels Zeugenvernehmung der Eltern des Klägers den Sachverhalt aufzuhellen, ist wegen der Inanspruchnahme
des Zeugnisverweigerungsrechts erfolglos geblieben.
Dahinstehen kann nach allem, ob ein Anspruch nicht auch scheitern müsste, weil der Leistungsantrag des Klägers sich auf die
Wohnung I. bezog, während er tatsächlich im D. wohnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.