Tatbestand
Die Klägerin begehrt (noch) die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „RF“.
Die am xxxxx 1938 geborene Klägerin stellte im September 2018 einen Erstantrag nach dem Schwerbehindertenrecht, mit dem sie
insbesondere die Feststellung der Merkzeichen „B“, „aG“ und „RF“ beantragte. Hierzu gab sie u.a. an, unter einer Abnutzung
der Gelenke und einem operierten Bandscheibenschaden zu leiden. Dem Antrag beigefügt waren vier Arztbriefe über Behandlungen
im A. Klinikum H. wegen einer Schädelprellung nach einem Verkehrsunfall, eines Bandscheibenvorfall LW4/5 links, einer Nasenbeinprellung
nach einem Sturz in der Häuslichkeit sowie einer Urosepsis. Außerdem teilte die Klägerin mit, dass bei ihr von der Pflegeversicherung
der Pflegegrad 3 anerkannt worden sei.
Die Beklagte forderte ergänzend einen Befundbericht von Dr. Ö. sowie das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit
an. Aus dem von Herrn B. erstatteten Pflegegutachten vom 17. August 2018 ergab sich, dass die Klägerin wegen ihrer Hüftkopfnekrose
das rechte Bein nicht belasten dürfe. Die Rumpfstabilität sei jedoch erhalten und sie könne aufrecht im Rollstuhl oder WC-Stuhl
sitzen. Zu den außerhäuslichen Aktivitäten wurde ausgeführt, dass die Klägerin ihren Wohnbereich mit Unterstützung verlassen
und auch öffentliche Verkehrsmittel mit personeller Hilfe nutzen könne. Das Mitfahren in einem Kraftfahrzeug sei hingegen
nicht möglich, da ein Liegendtransport oder Transport im Rollstuhl notwendig sei. Die Klägerin könne auch noch an kulturellen,
religiösen oder sportlichen Veranstaltungen sowie sonstigen Freizeitaktivitäten teilnehmen, jedoch ebenfalls nur mit unterstützender
Begleitung.
Nach der Auswertung der Befunde durch den versorgungsärztlichen Dienst stellte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Januar 2019
einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 sowie das Merkzeichen „G“ fest. Hierbei berücksichtigte sie eine Funktionsstörung beider Hüftgelenke mit einem Teil-GdB
von 50 und eine Funktionsstörung der Wirbelsäule (operierter Bandscheibenvorfall) mit einem Teil-GdB von 20. Die Feststellung der Merkzeichen „B“, „aG“ und „RF“ lehnte die Beklagte ab, da deren Voraussetzungen
nicht vorlägen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 4. Februar 2019 Widerspruch ein und führte aus, dass sie sowohl den Behindertenausweis
als auch die Freifahrkarte und die Genehmigung, den Behindertenparkplatz vor dem Arzthaus benutzen zu dürfen, nicht mehr benötige,
da sie ihre Wohnung kaum noch verlasse. Da sie nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, stehe ihr jedoch
das Merkzeichen „RF“ zu. So habe sie ihre Wohnung seit der Antragstellung nur einmal verlassen, um mithilfe von 2 Personen
und eines Rollstuhls einen Zahnarzt aufzusuchen. Einen Bus könne sie nur mit Rollstuhl und Hilfsperson benutzen, dies sei
jedoch zu umständlich. Sie sei auch nicht in der Lage, in einen Pkw zu steigen oder diesen zu verlassen, auch nicht mit fremder
Hilfe.
Die Beklagte beauftragte daher Dr. K., die Klägerin in ihrer Häuslichkeit zu untersuchen. Dieser traf die Klägerin bei seiner
Untersuchung am 23. April 2019 im Wohnzimmer in Tageskleidung in einem Sessel sitzend an. Sie habe sich dann schwerfällig
erhoben und sei langsam und etwas unsicher am Rollator in den Flur gegangen, um nach ihrem Personalausweis zu suchen. An Beschwerden
habe die Klägerin Schmerzen im Rücken, die in die Beine ziehen, eine Harninkontinenz und eine schnelle Erschöpfbarkeit angegeben.
Zum Untersuchungsbefund teilte Dr. K. mit, dass die Klägerin ohne Hilfe Aufstehen, Stehen und Gehen konnte. Die angegebene
Harndranginkontinenz habe sich über den gesamten Untersuchungszeitraum nicht gezeigt. Dr. K. bewertete die Hüftkopfnekrose
sowie die aktivierte Coxarthrose links mit einem Teil-GdB von 60 und die Funktionsstörung der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB
von 20. Insgesamt schlug er einen GdB von 70 vor. Da eine begleitende Sicherung beim Gehen notwendig sei, empfahl er außerdem
die Anerkennung des Merkzeichens „B“.
Dementsprechend stellte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2019 ab Antragstellung einen GdB von 70 mit den
Merkzeichen „G“ und „B“ fest. Die Feststellung der Merkzeichen „aG“ und „RF“ lehnte sie weiterhin ab, da die Klägerin nach
den vorliegenden Befunden nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre.
Mit ihrer am 13. Mai 2019 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren zunächst auf Feststellung
des Merkzeichens „RF“ weiterverfolgt. Zusätzlich hat sie dann die Auffassung vertreten, dass die Harninkontinenz einen GdB
von 80 rechtfertigen würde. Dies hat sie damit begründet, dass sie insbesondere aufgrund ihrer Inkontinenz öffentliche Veranstaltungen
nicht mehr besuchen könne. Da sie ein behindertengerechtes WC benötige und dieses recht häufig aufsuchen müsse, sei es für
sie zu aufwendig, ihre Wohnung zu verlassen. Zudem könne man ihre Anwesenheit auch anderen Gästen nicht zumuten. Die Klägerin
hat zur Unterstützung ihres Vortrags ein ärztliches Attest von Dr. Ö. vom 14. Mai 2019 vorgelegt, in dem dieser darum bat,
sie von der Ausweispflicht zu befreien, da sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, am öffentlichen Leben
teilzunehmen. Beigefügt war außerdem die daraufhin ausgestellte Bescheinigung über die Befreiung von der Ausweispflicht vom
21. Mai 2019.
Die Beklagte hat sich zur Begründung auf den Akteninhalt und die in den angefochtenen Bescheiden dargelegten Gründe bezogen.
Das Klagevorbringen sei nicht geeignet, eine günstigere Beurteilung zu rechtfertigen. Bei der Klägerin sei weder durch die
vorliegenden Befundberichte noch durch die Untersuchung des ärztlichen Dienstes des Versorgungsamtes nachgewiesen, dass eine
Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht erfolgen könne.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. Ö. angefordert und die Klägerin gebeten mitzuteilen, welcher Arzt Angaben
zum Ausmaß der Inkontinenz machen könne. Die Klägerin hat daraufhin eine Bescheinigung der Krankenkasse über aufsaugendes
Inkontinenzmaterial übersandt und erneut darauf hingewiesen, dass sie Arztbesuche nur mit einem Krankenwagen durchführen könne.
Am 20. Februar 2020 hat das Sozialgericht die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört
und darauf hingewiesen, dass mit einer Abweisung der Klage gerechnet werden müsse, da weder eine Inkontinenz noch die dauerhafte
Notwendigkeit, einen Rollstuhl zu benutzen, für die Feststellung des begehrten Merkzeichens „RF“ genüge.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. April 2020 abgewiesen. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen
für die Feststellung des Merkzeichens „RF“ nicht. Sie sei nicht in dem geforderten Umfang seh- oder hörbeeinträchtigt und
habe (derzeit) weder einen GdB von wenigstens 80 noch sei sie wegen ihres Leidens dauerhaft von öffentlichen Veranstaltungen
ausgeschlossen. Das Sozialgericht hat seine Einschätzung mit den im Verwaltungsverfahren eingeholten Pflegegutachten begründet.
Die Klägerin sei danach zwar in ihrer Mobilität deutlich eingeschränkt, aber gleichwohl in der Lage, mit einer Hilfsperson
und einem Rollstuhl die Wohnung zu verlassen. Dass sie auf einen Transport angewiesen sei, bedeute jedoch nicht, dass sie
dauerhaft von allen öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Zum einen könnte sie mithilfe ihres Rollstuhles und einer
Begleitperson an Veranstaltungen in ihrem näheren räumlichen Umfeld teilnehmen. Zum anderen spreche auch nach den vorliegenden
Befunden und Untersuchungsergebnissen nichts dagegen, dass sie zusammen mit einer Hilfsperson den öffentlichen Nahverkehr
nutzt, auch wenn sie selbst diese Möglichkeit nicht wahrnehme, weil es ihr zu umständlich erscheine. Auch eine mögliche Harninkontinenz
ändere hieran nichts. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes seien Behinderte, die an einer Harninkontinenz
mit unwillkürlichem Harnabgang leiden, nicht allein aus diesem Grunde gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Ihnen sei es zuzumuten, Windelhosen zu benutzen, die den Harn ohne Geruchsbelästigung für die Umwelt für die Dauer von zwei
Stunden aufnehmen könnten.
Gegen den am 17. April 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin, vertreten durch ihren Ehemann, am 20. April 2020
Berufung eingelegt und nochmals auf das vorgelegte Attest des behandelnden Hausarztes verwiesen, wonach die Klägerin nicht
mehr am öffentlichen Leben teilnehmen könne. Es sei unverständlich, wieso das Attest ignoriert worden sei, die Klägerin leide
trotz Einnahme von Schmerzmitteln an starken Schmerzen und könne ihr Bett nicht mehr verlassen. Außerdem sei aufgrund der
Harninkontinenz ein GdB von 80 angemessen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß nach ihrem schriftlichen Vorbringen und einem Teilanerkenntnis der Beklagten durch Bescheid
vom 1. Oktober 2020,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2019 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2019 in Gestalt des Gegenstandsbescheides vom 1. Oktober 2020 dahingehend abzuändern,
dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen „RF“ festgestellt werden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Das Berufungsgericht hat ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin W. ist
in seinem Gutachten vom 4. September 2020 nach Untersuchung der Klägerin am 17. August 2020 zu dem Ergebnis gelangt, dass
zumindest ab dem Zeitpunkt der Untersuchung aufgrund der gravierenden und zahlreichen Erkrankungen (komplexe Gangsstörung, Herzleistungsminderung, Gefäßerkrankung der Beine, relative Harninkontinenz, Wirbelsäulenschaden mit
schweren funktionellen Auswirkungen auf die Hals- und Lendenwirbelsäule, schwere Hüftgelenksarthrose, ausgeprägte Senk- und
Spreizfüße) ein Gesamt-GdB von 100 angemessen sei, die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens „RF“ jedoch nicht vorliegen
würden. Die Klägerin erfülle zwar die Voraussetzungen mit einem GdB von mindestens 80, sei jedoch aufgrund ihrer Leiden nicht
daran gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Klägerin sei mit ihren schweren Bewegungsstörungen in der
Lage mithilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln zum Beispiel einem Rollstuhl an derartigen Veranstaltungen
teilzunehmen. Das Merkzeichen könne nur vergeben werden, wenn öffentliche Veranstaltungen auch mit Hilfsperson und Hilfsmittel
nicht mehr besucht werden können. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall. Auch im Hinblick auf die relative Harninkontinenz
würden die Voraussetzungen nicht vorliegen. Die Inkontinenz könne mit Hilfe von Vorlagen, die dreimal täglich gewechselt werden,
und einer Windelhose versorgt werden.
Mit Schriftsatz vom 29. September 2020 hat die Beklagte angekündigt, umgehend einen Neufeststellungsbescheid mit dem vom gerichtlichen
Gutachter vorgeschlagenen GdB von 100 und den Merkzeichen „B“, „G“ und „aG“ zu erteilen. Dieser Bescheid ist am 1. Oktober
2020 mit Wirkung für die Zeit ab 17. August 2020 erlassen worden und die Beklagte hat am 7. Oktober 2020 ein Teilanerkenntnis
abgegeben.
Der Ehemann der Klägerin hat unterdessen ausgeführt, dass ein Verlassen des Hauses für seine Ehefrau unmöglich sei, weshalb
sie an Veranstaltungen selbstverständlich nicht mehr teilnehmen könnte. Es sei nur möglich, sie mithilfe eines Krankentransportes
zu befördern. Selbst das habe in der Vergangenheit teilweise gar nicht oder nur sehr schwer bewerkstelligt werden können.
Dies habe er dem Sachverständigen anlässlich der Untersuchung auch mitgeteilt. Insofern sei nicht nachzuvollziehen, dass dieser
die Voraussetzungen für das Merkzeichen „RF“ abgelehnt habe. Das Gerichtsgutachten stünde auch im Widerspruch zu den Gutachten,
die von der Pflegekasse eingeholt worden seien.
Nach Anforderung von Pflegeunterlagen der Pflegeversicherung hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen
W. veranlasst. Dieser hat am 30. Oktober 2020 dargelegt, dass er in vollem Umfang an den Feststellungen seines Sachverständigengutachtens
festhalte und noch einmal auf die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ verwiesen. Dabei komme es nicht
auf die individuelle Wohnsituation des behinderten Menschen an, sondern darauf, ob er objektiv gehindert sei, an öffentlichen
Veranstaltungen teilzunehmen. So sei es nicht von Belang, ob kein Rollstuhl vorhanden sei oder gegebenenfalls keine Hilfspersonen,
die den behinderten Menschen transportieren können. Gleiches gelte, wenn sich die Wohnung sehr weit entfernt von öffentlichen
Veranstaltungen befinde. Der von der Pflegekasse ermittelte Pflegegrad sei nicht relevant für die Beantwortung der Frage,
ob auch mit Hilfspersonen eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich sei.
Der Ehemann der Klägerin hat unterdessen eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes seiner Ehefrau mitgeteilt.
Die Schmerzen seien größer geworden und es sei schwierig, sie zu mobilisieren, auch mit einem Rollstuhl. Darüber hinaus sei
der Sachverständige Arzt, jedoch kein Jurist. Grundgedanke des Gesetzes sei es, Personen zu begünstigen, die in der Realität
nicht mehr an Veranstaltungen teilnehmen könnten, was bei seiner Frau der Fall sei.
Das Gericht hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass losgelöst von der individuellen Wohnsituation maßgeblich sei, ob theoretisch
mithilfe von technischen Hilfsmitteln wie einem Rollstuhl und Hilfspersonen ein Transport zu einer Veranstaltung und die Teilnahme
an der Veranstaltung möglich sei, hiervon sei nach dem Sachverständigengutachten auszugehen.
Der Ehemann der Klägerin hat darauf erwidert, dass grundsätzlich jede Person ins Krankenhaus befördert werden könne und somit
transportfähig sei.
Darüber hinaus ist ein aktuelles Pflegegutachten auf der Basis einer Untersuchung am 18. Dezember 2020 vom Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK) vorgelegt worden. Hier ist der Pflegegrad 4 seit dem 1. November 2020 festgestellt worden. Unter anderem geht aus dem Gutachten
hervor, dass ein aufrechtes Sitzen möglich sei und die Versicherte tagsüber auch mehrere Stunden im Rollstuhl verbringe, sich
aber mangels Kraft nur wenige Meter fortbewegen könne.
Das Gericht hat die Klägerin noch einmal darauf hingewiesen, dass selbst aus dem vorgelegten Gutachten des MDK hervorgehe,
dass die Klägerin nicht bettlägerig sei und sich gegebenenfalls eine längere Zeiten Rollstuhl aufhalten könne. Daher sei es
ihr theoretisch möglich, an Veranstaltungen teilzunehmen. Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 ist die Berufung dem Berichterstatter
übertragen worden, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten
und die Prozessakte verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Danach gehören zum anspruchsberechtigten Personenkreis Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen
mit einem GdB von 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung und hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen
eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist sowie behinderte Menschen, deren Grad der
Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig
nicht teilnehmen können.
Der Klägerin ist nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen jedoch die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen
möglich. Die Klägerin ist zwar in ihrer Mobilität und Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt und nicht mehr ohne fremde Hilfe
in der Lage, ihr Haus zu verlassen und selbstständig Veranstaltungsorte aufzusuchen. Dies reicht jedoch nicht aus, maßgeblich
ist, ob die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung auch unter dem Einsatz von Hilfspersonen und technischen Hilfsmitteln
wie einem Rollstuhl nicht mehr möglich ist. Es kommt nicht darauf an, wie die individuellen Wohn-und Lebensverhältnisse des
behinderten Menschen sind oder ob tatsächlich Hilfsmittel oder Hilfspersonen zur Verfügung stehen, sondern von Bedeutung ist
grundsätzlich, ob die abstrakte Fähigkeit an einer derartigen Veranstaltung für eine gewisse Zeit - beispielsweise in einem
Rollstuhl - teilnehmen zu können, noch vorhanden ist (Wendler in Wendler/Schilings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 8. Auflage, S. 514-515).
Der Sachverständige W. hat jedoch dargelegt und festgestellt, dass die Klägerin mithilfe von Begleitpersonen und technischen
Hilfsmitteln öffentliche Veranstaltungen besuchen und auch daran für eine gewisse Zeit teilnehmen kann. Die Klägerin ist nicht
bettlägerig und hält sich in der Wohnung tagsüber in einem Rollstuhl auf. Damit kann sie – jedenfalls für die Dauer von ein
bis zwei Stunden – auch während einer Veranstaltung im Rollstuhl sitzen, wenn der Transport erfolgt und bewerkstelligt ist.
Wie bereits dargelegt bleibt die konkrete Wohnsituation bei der Beurteilung der Voraussetzungen für das Merkzeichen „RF“ außer
Betracht. Das gilt ebenso für die Frage, ob gegebenenfalls eine Hilfsperson für den Transport zur Verfügung steht. Die Auffassung
des Sachverständigen wird auch durch das Pflegegutachten des MDK vom 18. Dezember 2020 bestätigt. Denn dort heißt es auf Seite
5, dass die Rumpfstabilität erhalten sei, die Klägerin daher aufrecht sitzen könne und tagsüber auch mehrere Stunden im Rollstuhl
sitze. Damit ist sie auch in der Lage, während einer Veranstaltung im Rollstuhl zu sitzen.
Soweit der Ehemann der Klägerin darauf abstellt, dass bei Notfallsituationen und besonderen Schmerzzuständen ein Transport
auch mithilfe von Rettungssanitätern kaum möglich gewesen sei, handelt es sich hierbei um eine medizinische Ausnahmesituation
und nicht um den Normalfall, wie sich aus den Beschreibungen des Sachverständigen W., der die Klägerin in häuslicher Umgebung
besucht und begutachtet hat, und auch aus dem Pflegegutachten vom 18. Dezember 2020, ergibt. Aus beiden Gutachten ist ersichtlich,
dass die Klägerin in der Wohnung in den Rollstuhl mobilisiert werden kann und sich dort auch längere Zeit aufhält.
Bei den progredient verlaufenden Erkrankungen, unter denen die Klägerin leidet, ist es gut möglich, dass in naher Zukunft
der Besuch bzw. die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen tatsächlich nicht mehr möglich ist. Das kann bei einer Verschlimmerung
der Harninkontinenz der Fall sein, aber auch, wenn der Aufenthalt in einem Rollstuhl nicht mehr für längere Zeit möglich ist
oder aufgrund des Fortschreitens der sich im Anfangsstadium befindlichen Demenz, wenn zum Beispiel ein Aufenthalt in fremder
Umgebung nicht mehr möglich ist. In einem solchen Fall wäre bei der Beklagten ein Neufeststellungsantrag zu stellen. Zum gegenwärtigen
Zeitpunkt liegen die Voraussetzungen jedoch noch nicht vor.