Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren über die Verfassungsmäßigkeit der Neubemessung der Regelbedarfe
beim Anspruch auf Arbeitslosengeld II
Gründe:
Die Beschwerde der Kläger gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren S 21 AS 221/12 versagenden Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 13. November 2012 hat keinen Erfolg.
Zugunsten der Kläger geht der Senat davon aus, dass die Klageforderung, welche die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für eine fünfköpfige Bedarfsgemeinschaft für den Bewilligungszeitraum vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 wegen geltend
gemachter Verfassungswidrigkeit der bei der Leistungsberechnung zugrunde gelegten Regelbedarfe betrifft, den für eine zulassungsfreie
Berufung maßgeblichen Beschwerdewert von 750,00 EUR (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) übersteigt und danach die Beschwerde gegen die Versagung von PKH nicht nach §
73 a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
127 Abs.
2 Satz 2 HS 2
Zivilprozessordnung (
ZPO) ausgeschlossen ist.
Die Beschwerde ist aber in der Sache nicht begründet. Der Senat lässt offen, ob die Klage entsprechend der Begründung des
angefochtenen Beschlusses keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Gegen das Argument, dass das auf Gewährung höherer
Leistungen nach dem SGB II gerichtete Klagebegehren ohne Erfolgsaussicht sei, da es selbst bei unterstellter Verfassungswidrigkeit der Regelsätze fernliegend
erscheine, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die zugrunde liegenden einfachgesetzlichen Regelungen rückwirkend für
verfassungswidrig erkläre bzw. eine Übergangsregelung mit Rückwirkung für die Vergangenheit treffe (so u. a. auch Landessozialgericht
- LSG - Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Oktober 2011 - L 2 AS 99/11 B - Rdnr. 31 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen - 13. Senat -, Beschluss vom 25. April 2012 - L 13 AS 80/12 B - mit weiteren Nachweisen), ließe sich einwenden, dass das BVerfG dem Gesetzgeber in seinem Urteil vom 9. Februar 2010
(1 BvL 1/09 u. a.) aufgegeben hat, eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende Neuregelung bis zum 31. Dezember 2010 zu treffen.
Ferner könnte eine hinreichende Erfolgsaussicht unabhängig von der Frage, ob die Kläger für den Fall der Verfassungswidrigkeit
der von ihnen angegriffenen gesetzlichen Regelungen mit ihrem Begehren auf Gewährung höherer Leistungen für den streitbefangenen
Bewilligungszeitraum durchdringen könnten, unter den Gesichtspunkt bejaht werden, dass mit der Klage letztlich die Klärung
der Frage angestrebt wird, ob die Neuberechnung der Regelbedarfe den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht (vgl. zu diesem
Gesichtpunkt LSG Niedersachsen-Bremen - 11. Senat -, Beschluss vom 18. Oktober 2012 - L 11 AS 1165/11 B - Rdnr. 12). Zwar liegen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Neuermittlung des Regelbedarfs für Alleinstehende zwischenzeitlich
die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Juli 2012 (B 14 AS 153/11 R und B 14 AS 189/11 R) vor; die Verfassungsbeschwerden gegen diese Urteile wurden nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG - 3. Kammer -, Beschlüsse
vom 20. November 2012 - 1 BvR 2203/12 - und vom 27. Dezember 2012 - 1 BvR 2471/12). Die im vorliegenden Fall auch entscheidungserhebliche Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche
ist bislang aber noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. hierzu Vorlagebeschlüsse des SG Berlin vom 25. April 2012 - S
55 AS 9238/12 u. a.).
Der Senat lässt die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht letztlich offen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls
als mutwillig i. S. d. §
114 Satz 1
ZPO anzusehen ist. Das BVerfG hat im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Klärung von verfassungsrechtlichen Fragen bereits
entschieden, dass die sich aus Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
3 GG) ergebende Rechtsschutzgleichheit keine vollständige Gleichheit Unbemittelter, sondern nur eine weitgehende Angleichung gebietet.
Vergleichsperson ist derjenige Bemittelte, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt.
Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren
nicht (weiter) betreiben, solange dieselbe Rechtsfrage bereits in anderen Verfahren in der Revisionsinstanz anhängig ist (sogenannte
unechte Musterverfahren). Er kann auf diesem Wege - im Falle einer in seinem Sinne positiven Entscheidung des Revisionsgerichts
- vom Ausgang dieser Verfahren profitieren, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen. Solange ein Betreiben
des eigenen Verfahrens in zumutbarer Weise zurückgestellt bzw. auch formell ruhend gestellt werden kann, ist es verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte davon ausgehen, dass eine anwaltliche Vertretung nicht erforderlich ist. Sind
die unechten Musterverfahren zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits beim Revisionsgericht anhängig, gilt dies regelmäßig
auch für die Klageerhebung selbst (vgl. zum Vorstehenden: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. November 2009 - 1 BvR 2455/08 - Rdnr. 9 ff.).
Der Senat geht mit dem Schleswig-Holsteinischen LSG (Beschluss vom 9. Juli 2012 - L 6 AS 12/12 B PKH - Rdnr. 20 ff.) davon aus, dass ein Beteiligter, der das Kostenrisiko eines sozialgerichtlichen Verfahrens im Hinblick
auf die Anwaltsgebühren vernünftig abwägt, versuchen wird, sein Ziel höherer Leistungen wegen aus seiner Sicht verfassungswidrig
zu niedrig festgelegter Regelbedarfe möglichst ohne Inanspruchnahme der Gerichte zu erreichen, und daher ein Widerspruchsverfahren
nicht weiter betreiben wird, sobald diese Frage bereits in anderen Verfahren in der Revisionsinstanz anhängig ist. Durch eine
solche Vorgehensweise entstehen dem Leistungsberechtigten auch keine Nachteile; es bei der Massenverwaltung im SGB II, in der in nahezu jedem Einzelfall die Höhe der Regelbedarfe leistungsrelevant ist, gerade nicht erforderlich ist, dass zahllose
gleichartige Verfahren vor den Sozialgerichten betrieben werden (so zutreffend Schleswig-Holsteinisches LSG, aaO. Rn. 22).
Hier haben die Kläger bereits im Widerspruchsverfahren ausschließlich die Verfassungswidrigkeit der bei der Leistungsberechnung
des Beklagten zugrunde gelegten Regelbedarfe geltend gemacht. Weitere Einwände gegen den angefochtenen Bewilligungsbescheid
vom 24. Oktober 2011 haben sie nicht erhoben, insbesondere die Berechnung ihrer Leistungsansprüche nicht beanstandet. Über
die Leistungen für Unterkunft und Heizung hatte der Beklagte ohnehin nur vorläufig entschieden. Bereits in dem von ihrem jetzigen
Prozessbevollmächtigten verfassten Widerspruchsschreiben vom 21. November 2011 hatten die Kläger auf die seinerzeit bei dem
BSG anhängigen Revisionsverfahren zu den Aktenzeichen B 14 AS 131/11 R und B 14 AS 153/11 R Bezug genommen. Gleichzeitig hatten sie die den Beklagten ohne nähere Widerspruchsbegründung aufgefordert, über ihren Widerspruch
zur Vermeidung einer Untätigkeitsklage binnen der Frist des §
88 Abs.
2 SGG zu entscheiden. Mit dieser Vorgehensweise haben die Kläger den Beklagten zu einer möglichst kurzfristigen Bescheidung des
Widerspruchs gedrängt, obwohl ein das Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger - wie ausgeführt - nach Wegen gesucht hätte,
ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden. Namentlich wäre hier ein Antrag in Betracht gekommen, das Widerspruchsverfahren
bis zur Entscheidung der in der Widerspruchsbegründung genannten Revisionsverfahren ruhend zu stellen und damit eine Vorgehensweise
zu wählen, wie sie etwa regelmäßig in beamtenrechtlichen Widerspruchsverfahren wegen der Höhe der Besoldung gerade zur Vermeidung
der Kosten eines Gerichtsverfahrens gewählt wird. Auch wäre die Erwirkung einer vorläufiger Entscheidung nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. §
328 Abs.
1 S. 1 Nr.
2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch -
SGB III - in Betracht gekommen.
Selbst wenn der Beklagte das Widerspruchsverfahren trotz eines entsprechenden Antrags der Kläger nicht ruhend gestellt hätte
und damit nach Erteilung des Widerspruchsbescheides eine Klageerhebung unumgänglich geworden wäre, um das Verfahren "offen"
zu halten, wäre hierfür eine anwaltliche Vertretung nicht erforderlich gewesen (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom
11. Oktober 2011 - L 2 AS 99/11 B - Rdnr. 33 und Schleswig-Holsteinisches LSG, aaO. Rdnr. 22 zu gleich gelagerten Verfahren). Der Senat schließt sich auch
insoweit der Auffassung des Schleswig-Holsteinischen LSG an, wonach in Verfahren, in denen ausschließlich die Verfassungswidrigkeit
der Regelbedarfe ohne Besonderheiten im Einzelfall geltend gemacht wird, ein Ruhen des Verfahrens nach § 202 SGB i. V. m. §
251 ZPO auf Antrag der Beteiligten möglich und zweckmäßig ist. Diese Möglichkeit haben die Kläger am Ende ihrer umfangreichen Klagebegründung,
bei der es sich um einen standardisierten Schriftsatz ohne Einzelfallbezug handelt, selbst angesprochen. Das SG hat bereits mit der Eingangsverfügung vom 8. Februar 2012 sowie erneut mit Verfügung vom 15. März 2012 das Ruhen des Verfahrens
vorgeschlagen. Während der Beklagte sich mit Schriftsatz vom 20. März 2012 hiermit einverstanden erklärt hat, ist eine Zustimmung
des Klägerseite bislang offensichtlich allein daran gescheitert, dass im Hinblick auf die erfolgte anwaltliche Vertretung
zuvor noch eine Entscheidung über den PKH-Antrag begehrt worden ist (vgl. Schriftsatz vom 29. Mai 2012).
Kosten des PKH-Beschwerdeverfahrens werden gemäß §
127 Abs.
4 ZPO nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.