Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Unbegründetheit der Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Schutzmasken
nach dem FFP2-, KN95-, N95- oder einem vergleichbaren Standard als Mehrbedarf
Gründe
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 08.03.2021 haben keinen Erfolg.
A) Der Senat lässt dahinstehen, ob die Beschwerden zulässig und insbesondere der maßgebliche Beschwerdestreitwert von mehr
als 750 € erreicht wird (§§
172 Abs.
3 Nr.
1,
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), weil die Beschwerden jedenfalls unbegründet sind (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, vor §
51 Rn. 13b).
B) Die Beschwerden sind unbegründet. Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Sache zu Recht abgelehnt.
I. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs,
für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus,
bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch
(Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund),
die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§
86 Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes
im summarischen Verfahren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen
entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht
nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden.
Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005,
1 BvR 569/05).
1. Es fehlt bereits an einem Anordnungsanspruch. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass hinsichtlich des Begehrens, den Antragstellern
Schutzmasken nach dem FFP2 oder einem vergleichbaren Standard zur Verfügung zu stellen, hilfsweise, einen Betrag in Höhe von
monatlich 129 € zu gewähren, die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) i.d.F. des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zwölften und Zweiten Buches Sozialgesetzbuch sowie weiterer Gesetze vom 09.12.2020, BGBl. I S. 2855) erfüllt wären.
Das Vorliegen eines Einzelfalls i.S.d. § 21 Abs. 6 S. 1 Halbsatz 1 SGB II ist nicht glaubhaft gemacht. Der geltend gemachte Bedarf dürfte vielmehr ausnahmslos alle Leistungsberechtigten nach dem
SGB II treffen, denn die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gilt grundsätzlich für alle natürlichen Personen im
Geltungsbereich der jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften (für Nordrhein-Westfalen: § 3 Abs. 2 Coronaschutzverordnung
(CoronaSchVO); zu Ausnahmen s. § 3 Abs. 4 ebenda). Selbst wenn man davon ausginge, dass mit den in die Regelbedarfsbemessung
eingeflossenen Verbrauchsausgaben für Gesundheitspflege (vgl. § 5 Abs. 1 Regelbedarfsermittlungsgesetz 2021, dort Abt. 6)
die durch die landesrechtlichen Vorschriften verursachten Ausgaben für Mund-Nasen-Bedeckungen "strukturell unzutreffend" erfasst
wären (vgl. Bundessozialgericht [BSG), Urteil vom 08.05.2019, B 14 AS 13/18 R, juris Rn. 20 ff.) und damit ein "besonderer Bedarf" i.S.d. § 21 Abs. 6 S. 1 Halbsatz1 SGB II vorläge (vgl. dazu BSG, a.a.O., juris Rn. 27; sowie Urteil vom 20.01.2016, B 14 AS 8/15 R juris Rn. 20; zudem auch BT-Drs. 17/1465, S. 8; BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 u.a., juris Rn. 207f.), weil die maßgebliche Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie
stattfand (zur [Nicht-]Berücksichtigung pandemiebedingter Bedarfe bei der Regelbedarfsermittlung vgl. auch Groth in Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 70 Rn. 16), fehlt es jedenfalls an einem Einzelfall i.S.d. § 21 Abs. 6 S. 1 Halbsatz 1 SGB II. Von einem ausnahmsweise überdurchschnittlichen Bedarf kann angesichts eines grundsätzlich alle Leistungsberechtigten gleichermaßen
treffenden Bedarfs nach Mund-Nasen-Bedeckungen nicht ausgegangen werden. Der Anspruch aus §
21 Abs.
6 SGB III ist aber, soweit es strukturell unzureichend erfasste Bedarfe angeht, auf Fälle "eines ausnahmsweise höheren, überdurchschnittlichen
Bedarfs" beschränkt (BT-Drs. 17/1465, S. 8 f.). Dagegen dient die Regelung nicht dazu, einen für unzureichend erachteten Regelbedarf
aufzustocken (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen [LSG NRW], Beschluss vom 29.03.2021, L 12 AS 377/21 B ER; vgl. Blüggel in Eicher/Luik, 4. Auflage 2017, § 21 Rn. 67, LSG NRW, Beschluss vom 19.04.2021, L 19 AS 391/21 B ER).
2. Auch ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft gemacht.
a) Soweit die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung ausdrücklich ab Antragstellung beim Antragsgegner (14.02.2021)
und damit auch für Zeiten vor Antragstellung beim SG am 20.02.2021 begehren, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits deshalb ausgeschlossen, weil Leistungen im gerichtlichen
Eilverfahren grundsätzlich erst ab Antragstellung gewährt werden können (Keller a.a.O. § 86b Rn. 35 m.w.N.). Eine Ausnahme
kommt nur dann in Betracht, wenn durch die Nichtgewährung einer Leistung in der Vergangenheit eine Notlage entstanden ist,
die in der Gegenwart fortwirkt (sog. Nachholbedarf; vgl. dazu Keller a.a.O.). Hierfür ist vorliegend jedoch weder etwas vorgetragen
noch sonst aus den Akten ersichtlich.
b) Darüber hinaus haben die Antragsteller auch mit ihrer Beschwerde nicht ausreichend vorgetragen, weshalb es ihnen derzeit
unzumutbar sein sollte, den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache anderweitig zu überbrücken.
aa) Insoweit müssen sich die Antragsteller zum einen darauf verweisen lassen, ihren Anspruch auf Schutzmasken nach der Ersten
Verordnung zur Änderung der Coronavirsus-Schutzmasken-Verordnung vom 04.02.2021 (SchutzmaskenVO) durchzusetzen. Den Antragstellern
stehen nach dieser Verordnung für den Zeitraum vom Januar 2021 bis 15.04.2021 insgesamt jeweils 12 Schutzmasken zu. Daran,
dass die Antragsteller sich zumindest für die Zwecke des Eilverfahrens auf diese Masken verweisen lassen müssen, ändert die
hierfür zu leistende Eigenbeteiligung schon angesichts ihrer geringen Höhe von 2 € je Abgabe von sechs Schutzmasken (§ 6 S.
1 SchutzmVO) nichts. Angesichts einer Eigenbeteiligung von lediglich rd. 0,33 Euro je Maske, kann nicht ohne weiteres davon
ausgegangen werden, dass es den Antragstellern unzumutbar wäre, ihren Bedarf zumindest bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache
aus dem Regelbedarf zu decken (zu notwendigen Ansparungen aus dem Regelbedarf vgl. § 12 Abs. 2 S.1 Nr. 4 SGB II).
Zudem müssen sich die Antragsteller darauf verweisen lassen, dass ihnen im März 2021 Schutzmasken aus dem Kontingent des Landes
NRW über den Beklagten übersandt wurden.
bb) Weiter ist jedenfalls perspektivisch zu beachten, dass die Antragsteller Anspruch auf die in § 70 S. 1 SGB II (i.d.F. des Sozialschutz-Pakets III vom 10.03.2021, BGBl. I S. 335) vorgesehene Einmalzahlung von 150 Euro Anspruch haben. Diese Einmalzahlung wird ausweislich des Gesetzeswortlauts "zum Ausgleich
der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen" gewährt und im Mai 2021 ausgezahlt. Zu diesen Mehraufwendungen
zählen zusätzliche finanzielle Belastungen, die sich z.B. aus der Notwendigkeit der Versorgung mit nötigen Hygieneprodukten
und Gesundheitsartikeln ergeben (so BT-Drs. 19/26542, S. 19).
cc) Zudem weist der Senat darauf hin, dass die Antragsteller zur Menge der von ihnen begehrten Masken sowie zur Anzahl der
Anlässe, zu denen sie diese benötigen, nichts weiter vorgetragen haben. Die Antragsteller haben lediglich pauschal einen Bedarf
von wöchentlich 20 FFP2- oder vergleichbaren Masken geltend gemacht, ohne das Zustandekommen dieser Zahl zu begründen. Der
Senat weist insoweit darauf hin, dass es in Zeiten des Lockdowns - insbesondere unter Berücksichtigung des Rücksichtnahmegebotes
des § 1 Abs. 2 CoronaSchVO - zumutbar erscheint, Einkäufe und Kontakte mit anderen Menschen auf das Notwendigste zu beschränken
(vgl. in diesem Zusammenhang auch Blüggel, jurisPR-SozR 6/2021 Anm. 1, LSG NRW, Beschluss vom 29.03.2021, L 12 AS 377/21 B ER).
II. Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen, da das Sozialgericht in dem angefochtenen
Beschluss zu Recht davon ausgegangen ist, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragsteller keine hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet.
B) Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG bzw. auf §
73a SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO.
C) Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).