Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die hinreichenden Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits über die Höhe der Erstattungsforderung aus einem
Erstattungsbescheid nach dem SGB II
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Köln, das die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
für eine auf Aufhebung einer endgültigen Leistungsfestsetzung und Erstattung gerichtete Klage abgelehnt hat.
Der 1974 geborene Kläger lebte bis 2014 mit seiner Partnerin und drei gemeinsamen Kindern in einer Eigentumswohnung in der
X-Straße 6, Köln, die jeweils zur Hälfte ihm und seiner früheren Partnerin gehörte. Nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin
beantragte der Kläger im August 2014 erstmalig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Das hälftige Eigentum an der Wohnung gab der Kläger an. Der Beklagte bewilligte dem Kläger zunächst darlehens- und später
zuschussweise Leistungen, weil er davon ausging, dass das Vermögen des Klägers angesichts einer Gesamtgrundschuld von 193.500
€ nicht die Freibetragsgrenzen überstieg.
Am 19.07.2018 beantragte der Kläger Leistungen ab September 2018. Er gab erneut das Teileigentum an seiner Eigentumswohnung
an. Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 27.08.2018 Leistungen für September 2018 bis August 2019 iHv monatlich
1.174,27 €.
Im Oktober 2018 nahm der Kläger eine geringfügige Beschäftigung im Sicherheitsgewerbe auf. Aufgrund des voraussichtlich schwankenden
Einkommens hob der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 12.11.2018 den Leistungsbescheid vom 27.08.2018 ab Dezember
2018 auf und bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 12.11.2018 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 24.11.2018 und 06.06.2019
auf vorläufiger Basis Leistungen für Dezember 2018 iHv 1.054,27 €, für Januar bis April 2019 iHv monatlich 1.062,45 € (Regel-
und Mehrbedarfsanpassung zum 01.01.2019) und für Mai 2019 iHv 1.429,27 € (inklusive Heizkostennachzahlung iHv 366,82 €).
Mit notariellem Vertrag vom 19.12.2018 übereignete der Kläger seinen Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung an seine frühere
Partnerin für 100.000 €, "jederzeit zahlbar, jedoch fällig am 31.03.2019". Die frühere Partnerin übernahm im Innenverhältnis
die Grundschulden und alle auf diesen Grundschulden valutierenden Verbindlichkeiten und überwies das Auseinandersetzungsguthaben
von 100.000 € am 14.03.2019 auf ein vom Antragsteller am 17.12.2018 eröffnetes Konto bei der Fidor-Bank. Von dem Fidor-Bankkonto
sowie dem Zufluss der 100.000 € unterrichtete der Kläger den Beklagten nicht. Das Konto wurde nach sukzessiver Abbuchung auch
größerer Summen ohne Restguthaben am 02.03.2020 geschlossen.
Mit Schreiben vom 13.06.2019 wurde das geringfügige Beschäftigungsverhältnis des Klägers zum 30.06.2019 gekündigt. Zum Zwecke
der abschließenden Leistungsfestsetzung forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 28.08.2019 auf, u.a. seine Lohnabrechnungen
vorzulegen. Er belehrte den Kläger darüber, dass bei mangelnder Mitwirkung eine Nullfestsetzung und vollständige Erstattungspflicht
in Betracht komme. Mit Schreiben vom 27.11.2019 erinnerte der Beklagte an sein Mitwirkungsschreiben vom 28.08.2019. Der Kläger
legte seine Lohnabrechnungen nicht vor.
Mit Bescheid vom 30.12.2019 setzte der Beklagte die Leistungen des Klägers für Dezember 2018 bis Mai 2019 mit monatlich 0
€ endgültig fest. Mit gesondertem Erstattungsbescheid vom 30.12.2019 forderte der Beklagte vom Kläger die in Dezember 2018
bis Mai 2019 erbrachten Leistungen iHv (1.054,27 € + (4 x 1062,45 €) +1.429,27 € =) 6.733,34 € zurück.
Der Kläger überreichte dem Beklagten am 23.01.2020 eine Lohnabrechnung für September 2018, eine Einkommensbescheinigung vom
16.11.2018, die Einkünfte von jeweils 153,90 € im September und Oktober 2018 auswies sowie das Kündigungsschreibens des Arbeitgebers
vom 13.06.2019. Der Kläger legte am 03.02.2020 gegen "die Rückforderung" Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 17.07.2020 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung verwies der Beklagte auf die Tatbestandswirkung der endgültigen
Leistungsfestsetzung.
Hiergegen hat der Kläger am 23.07.2020 Klage bei dem Sozialgericht Köln erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Er habe
alle angeforderten Unterlagen eingereicht. Die Rechtsfolgenbelehrung in dem Aufforderungsschreiben vom 28.08.2019 sei fehlerhaft,
denn § 41a Abs. 3 SGB II sei keine Präklusionsvorschrift. Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz sei zudem davon auszugehen, dass sich der Kläger gegen
beide Bescheide vom 30.12.2019 zur Wehr setzen wollte. Über den Widerspruch gegen den die Leistungen endgültig festsetzenden
Bescheid habe der Beklagte noch nicht entschieden.
Mit Beschluss vom 04.01.2021 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Bei sachgerechter Auslegung
sei nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz davon auszugehen, dass sich der Kläger mit seinem Widerspruch und der Klage gegen
beide Bescheide vom 30.12.2019 wenden wollte. Es sei unschädlich, dass der Widerspruchsbescheid nur einen Teil des Streitgegenstandes
behandle. Die so verstandene Klage habe aber keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Nullfestsetzung und volle Erstattung
für Dezember 2018 bis Mai 2019 sei nicht zu beanstanden, da der Kläger in diesem Zeitraum über verwertbares Vermögen oberhalb
der Schonvermögensgrenze verfügt und damit mangels Hilfebedürftigkeit zu Unrecht Leistungen bezogen habe.
Am 21.01.2021 hat der Kläger Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Das Sozialgericht habe die Hauptsache
in das PKH-Antragsverfahren vorverlagert, was unzulässig sei. Ferner sei dem Beklagten das Vermögen vom Zeitpunkt des ersten
Leistungsantrags im August 2014 bekannt gewesen. Der Beklagte habe dieses Vermögen selbst als unterhalb der Schonvermögensgrenzen
bewertet. Bei seinem Fortzahlungsantrag im Juli 2018 habe der Kläger die Auseinandersetzungssumme von 100.000 € von seiner
früheren Lebensgefährtin, die erst kurz vor Abschluss des notariellen Vertrages das Angebot unterbreitet habe, ihm seinen
Miteigentumsanteil abzukaufen, noch nicht erhalten. Die Auseinandersetzungssumme sei ihm erst im März 2019 zugeflossen und
könne daher allenfalls als Einkommen berücksichtigt werden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Abs.
1 Satz 1
ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann der am 23.07.2021 vom Kläger erhobenen Klage hinreichende Erfolgsaussicht
nicht abgesprochen werden. Bei verständiger Würdigung des klägerseitigen Begehrens hat dieser - entsprechend dem mit Schriftsatz
vom 11.09.2020 angekündigten Klageantrag - lediglich Anfechtungsklage gegen den Erstattungsbescheid vom 30.12.2019, aber keine
(kombinierte Anfechtungs- und Leistungs-) Klage gegen den die Leistungen für den Zeitraum 01.12.2018 bis 31.05.2019 endgültig
festsetzenden (gesonderten) Bescheid vom 30.12.2019 erhoben.
Eine andere Auslegung des Klagebegehrens widerspricht den schriftsätzlich formulierten Anträgen des rechtsanwaltlich vertretenen
Klägers einerseits und der von diesem geäußerten Rechtsauffassung, dass über den Widerspruch gegen letzteren Bescheid durch
den Beklagten noch nicht entschieden worden sei. Der formulierte Hilfsantrag betreffend den die endgültige Festsetzung der
Leistungen regelnden Bescheid vom 30.12.2019 ist lediglich aus Gründen anwaltlicher Vorsorge angekündigt worden für den Fall
einer abweichenden rechtlichen Würdigung durch das Sozialgericht.
Zu Recht ist das Sozialgericht mit zutreffender Begründung hingegen unter Verweis auf den Meistbegünstigungsgrundsatz davon
ausgegangen, dass der Kläger (natürlich) gegen beide Bescheide des Beklagten vom 30.12.2019 Widerspruch einlegen wollte. Hinsichtlich
des Widerspruchs gegen die endgültige bescheidmäßige Festsetzung der Leistungen fehlt es jedoch entgegen der Auffassung des
Sozialgerichts an der Durchführung des nach §
78 Abs.
1 SGG obligatorischen Vorverfahrens. Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit erkannt, dass der Widerspruchsbescheid sich zu diesem
gesonderten Bescheid nicht verhält, sondern lediglich auf dessen Tatbestandswirkung für den Erstattungsbescheid vom 30.12.2019
verweist. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt auch nicht der Fall einer (im Einzelfall ggf. genügenden) Entscheidung
nur über "einen Teil der belastenden Regelungen des angefochtenen Verwaltungsaktes" vor. Vielmehr behandelt der Widerspruchsbescheid
vom 17.07.2020 "sämtliche" Regelungen des Erstattungsbescheides, nicht jedoch den (weiteren) Bescheid vom 30.12.2019 über
die endgültige Leistungsfestsetzung.
Eine (inzidenter) Prüfung der endgültigen Leistungsfestsetzung erfolgt im Verfahren gegen den Erstattungsbescheid nicht (vgl.
schon Beschluss des Senats vom 13.06.2016 - L 7 AS 707/16 B; LSG NRW Beschluss vom 11.03.2021 - L 6 AS 2081/19 B, jeweils m.w.N.). Der Betroffene muss vielmehr, wenn er Einwände gegen die Höhe der Erstattungsforderung aufgrund der endgültigen
Leistungsfestsetzung hat, auch gegen diese Entscheidung vorgehen. Dementsprechend wird der Beklagte über den unbeschieden
gebliebenen Widerspruch gegen den endgültigen Festsetzungsbescheid vom 30.12.2019 zu entscheiden haben. Voraussetzung für
eine rechtmäßige Erstattungsforderung ist nämlich, dass die endgültig zustehende Leistungshöhe feststeht (LSG NRW Beschluss
vom 11.03.2021 a.a.O.).
Ist der endgültige Leistungsbescheid mit Aussicht auf Erfolg angefochten (vgl. BSG Urteil vom 28.11.2018 - B 14 AS 34/17 R für den hier nicht gegebenen Fall der Bestandskraft dieses Bescheids), ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass sich dies
auch auf die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreites gegen den Erstattungsbescheid auswirkt, der korrigiert werden muss, wenn
der endgültige Leistungsbescheid geändert wird (zu dieser Konstellation etwa LSG NRW Beschluss vom 11.03.2021 - L 6 AS 2081/19 B a.a.O., Rn. 19, juris). Zur Überzeugung des Senats gilt dies auch, wenn nicht einmal eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde
als "Herrin des Vorverfahrens" über den Widerspruch gegen den endgültigen Leistungsbescheid vorliegt.
Der Senat lässt dahinstehen, wie die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Erstattungsbescheid in der hier gegebenen Konstellation
zu beurteilen sind, wenn ein Erfolg des Widerspruchs gegen den endgültigen Leistungsbescheid ausgeschlossen erscheint. Ein
solcher Fall ist hier nicht gegeben, weil sich etwa im Zusammenhang mit der Verwertung des Miteigentumsanteils ersichtlich
komplexe tatsächliche und rechtliche Fragen stellen, etwa hinsichtlich der Frage der zeitnahen Verwertbarkeit durch Veräußerung
an die ehemalige Lebensgefährtin sowie des Vorhandenseines bereiter Mittel und ggf. anderweitiger Verwertungsmöglichkeiten
z.B. durch Beleihung).
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen ausweislich der Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vom 30.07.2020 vor. Nach den vorliegenden Fidor-Kontoauszügen ist
die Abstandszahlung von 100.000 € vollständig verbraucht. Ggf. daran bestehenden (berechtigten) Zweifeln, wird in den Hauptsacheverfahren
nachzugehen sein und kann nicht vorgreiflich im auf summarische Prüfung angelegten PKH-Verfahren geklärt werden.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).