Gründe
I.
In einem vor dem Senat anhängig gewesenen Hauptsacheverfahren (Az.: L 12 SO 227/19) stritten die Kläger als Verbände der freien
Wohlfahrtspflege mit der Beklagten um die Rechtmäßigkeit eines Vergabeverfahrens für Eingliederungshilfeleistungen für Kinder
mit Behinderung an Schulen in E. Im Zuge dieses im Jahr 2016 durchgeführten Vergabeverfahrens erhielten zwei Mitbewerber der
Kläger den Loszuschlag und erbrachten fortan für fünf Schuljahre Eingliederungshilfeleistungen an Schulen im Zuständigkeitsbereich
der Beklagten. Die Kläger betreuten in dieser Zeit faktisch keine Kinder an Schulen in E, konnten aber einen Großteil der
frei gewordenen Kapazitäten ihrer Mitarbeiter für andere Integrations- und Betreuungsleistungen nutzen. Bis zum streitigen
Vergabeverfahren hatten die Kläger zu Lasten der Beklagten entsprechende Leistungen erbracht und angegeben, im Jahr 2015 einen
Umsatz von rund 715.000 Euro und 730.000 Euro erzielt zu haben.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 23.03.2022 auf die Berufung der Kläger das erstinstanzliche Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf geändert und festgestellt, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens im Jahr 2016 und die Zuschlagserteilung
durch die Beklagte rechtswidrig waren. In einem Schreiben vom 27.06.2022 ist den Beteiligten Gelegenheit zur beabsichtigten
Streitwertfestsetzung gegeben worden.
II.
1) Zuständig für die Entscheidung ist der Senat und nicht der Berichterstatter gemäß §
155 Abs.
4 i.V.m. Abs.
2 S. 1 Nr.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Das vorbereitende Verfahren nach §
155 Abs.
2 SGG erfasst den Verfahrensabschnitt, der der mündlichen Verhandlung vorausgeht. Es endet mit Beginn des Termins zur mündlichen
Verhandlung, in der die Entscheidung ergehen soll. Trifft der Senat - wie hier - die abschließende Hauptsacheentscheidung,
sind die in §
155 Abs.
2 SGG genannten Entscheidungen fortan von ihm zu treffen (so auch BVerwG Urteil vom 29.12.2004, 9 KSt 6/04, Rn. 3, juris, zu §
87a VwGO; Binder in Berchtold,
SGG, 6. Auflage 2021, §
155 Rn. 10; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Auflage 2020, §
155 Rn. 8; Rieke in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Auflage 2020, §
155 SGG (Stand: 23.12.2021), Rn. 7; Sommer in BeckOGK-
SGG, Stand: 01.05.2022, §
155 Rn. 9; Knittel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 2. Auflage 2022, §
155 (Stand: 15.06.2022) Rn. 44; a.A. LSG Saarland Beschluss vom 29.06.2011, L 2 U 99/05, Rn. 11, juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 05.03.2008, L 14 B 133/08 AS ER, Rn. 1, juris). Diese Auslegung ist geboten, da die anderweitige Erledigung wie auch die Hauptsacheentscheidung Ausfluss
des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung sind. Zu einem Rückfall in das vorbereitende Verfahren kann es in diesem Fall -
anders als bei einer Vertagung der mündlichen Verhandlung - wegen der Erledigung der Hauptsache nicht mehr kommen. Soweit
die gegenteilige Auffassung darauf verweist, aus §
155 Abs.
2 SGG sei zu entnehmen, dass nach Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache der Senat nicht mehr mit noch zu treffenden Nebenentscheidungen
befasst werden solle (LSG Saarland, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.), folgt der Senat dem nach dem insoweit eindeutigen
Wortlaut nicht. Nach Abschluss des Verfahrens durch eine Entscheidung des Senats kann von einem "vorbereitenden Verfahren"
nicht mehr die Rede sein. In solchen Fällen ist nichts weiter vor-, sondern allenfalls nachzubereiten. Bei einer Auslegung
gegen den Wortlaut verbietet sich auch eine entsprechende Anwendung mangels planwidriger Regelungslücke (Sommer, a.a.O.).
Dabei ist zu betonen, dass das Gesetz die Anwendung aller Varianten in §
155 Abs.
2 S. 1
SGG, auch der in Nrn. 2 und 3, an das Tatbestandsmerkmal des "vorbereitenden Verfahrens" anknüpft. Hat dieses bereits begonnen
und kommt es in der Folge zu einer abschließenden Entscheidung des Senats in der Hauptsache, ohne dass es zu einer Vertagung
und infolgedessen zu einem "Wiederaufleben" des vorbereitenden Verfahrens gekommen wäre, ist dem Berichterstatter die Verfügungsbefugnis
über die noch zu treffenden Nebenentscheidungen entzogen. Eine Analogie würde nicht nur auf eine vollständige Umgehung des
Tatbestandsmerkmals des "vorbereitenden Verfahrens" hinauslaufen, sondern auch dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers
widersprechen (vgl. dazu BVerfG Beschluss vom 15.09.2011, 1 BvR 2232/10, Rn. 45 f., juris; BSG Urteil vom 30.01.2020, B 2 U 19/18 R, Rn. 29 f., juris). In der Gesetzesbegründung zu §
155 Abs.
2 SGG verweist der Gesetzgeber zwar auf die durch die Norm bezweckte Straffung des Verfahrens und die Entlastung der Landessozialgerichte.
Er betont aber gleichzeitig die Anwendbarkeit von Nr. 1 bis 5 nur während des vorbereitenden Verfahrens (vgl. BT-Drucks. 12/1217,
S. 53) und bestätigt damit letztlich das, was sich objektiv aus dem Gesetzeswortlaut ergibt.
2) Vorliegend ist der Streitwert auf 361.250 Euro festzusetzen.
Die endgültige Festsetzung des Streitwerts erfolgt durch Beschluss, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand
ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt, § 63 Abs. 2 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist dabei nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen
zu bestimmen, § 52 Abs. 1 GKG. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von
5.000 Euro anzunehmen, § 52 Abs. 2 GKG. § 47 Abs. 1 S. 1 GKG stellt klarstellend fest, dass sich im Rechtsmittelverfahren der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers bestimmt.
Streitwertrelevant ist vorliegend das Auftragsvolumen, das die Kläger durch die streitgegenständliche Vergabe eingebüßt haben.
Da der konkrete Auftragswert naturgemäß nicht ermittelbar ist, ist entsprechend §
3 Zivilprozessordnung (
ZPO) eine Festsetzung nach freiem Ermessen zulässig. Eine Kalkulation basierend auf vergangenen Fallzahlen ist dabei möglich.
Die Kläger haben im Klageverfahren mitgeteilt, dass der Umsatz ihrer Eingliederungshilfeleistungen im Zuständigkeitsbereich
der Beklagten im Jahr 2015 (vor der streitigen Vergabe) bei 715.000 Euro und 730.000 Euro, zusammen 1.445.000 Euro, gelegen
habe. Da die Vergabe sich auf fünf Jahre erstreckt hat, ist ein Gesamtauftragswert von 7.225.000 Euro (= 5 x 1.445.000 Euro)
anzunehmen. Da dieser Wert aber nicht den Gewinn und damit das (wirtschaftliche) Interesse der Kläger abbildet, hält der Senat
es - ungeachtet der Streitwertbegrenzung auf 2.500.000 Euro nach § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG - für geboten, sich an der Regelung des § 50 Abs. 2 GKG zu orientieren und auf 5 % der Bruttoauftragssumme abzustellen (vgl. dazu LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 24.08.2009,
L 6 B 172/09, Rn. 70 f., juris). Hieraus ergibt sich ein Wert von insgesamt 361.250 Euro. Eine Reduzierung des Streitwerts auf den Auffangstreitwert
nach § 52 Abs. 2 GKG kommt damit nicht in Betracht, da der Sach- und Streitstand ausreichende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts
im Sinne von § 52 Abs. 1 GKG bietet.
Soweit der Senat zu einem anderen Ergebnis kommt als in seinem Beschluss vom 10.07.2017 (Az.: L 12 SO 270/16 B), in dem er
noch von einem Streitwert von 1.445.000 Euro für das Führen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 42 SO 73/16 ER ausgegangen
war, liegt dies an dem im weiteren Verlauf eingetretenen Erkenntnisgewinn. Einerseits ist zu berücksichtigen, dass sich die
Wirkungen des Vergabeverfahrens und damit das wirtschaftliche Interesse der Kläger auf fünf Jahre erstreckt haben. Andererseits
hat die ergänzende Befragung der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 23.03.2022 ergeben, dass die Vergabe nicht zu einem
vollständigen Umsatzeinbruch bei den Klägern geführt hat. So war es den Klägern möglich, entsprechend frei werdende Kapazitäten
ihrer Mitarbeiter anderweitig zu nutzen und auf diese Weise einen Großteil der Arbeitsverhältnisse mit den Betreuern, die
zuvor im Zuständigkeitsbereich der Beklagten eingesetzt wurden, zu erhalten. Vor diesem Hintergrund hat sich der Senat nicht
mehr an dem vollen Jahresumsatz zur Bestimmung des Streitwerts orientiert.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, §
177 SGG.