Vergütung von Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an den Ansatz der gesondert zu ersetzenden Umsatzsteuer
Maßgeblichkeit des Zeitpunktes der Übermittlung des Gutachtens für den ab 01.07.2020 geltenden herabgesetzten Steuersatz von
16% der Bemessungsgrundlage
Gründe
Die aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht gemäß § 4 Abs. 3 2. Teilsatz JVEG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat und über
die der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache in der Besetzung durch drei Berufsrichter ohne ehrenamtliche
Richter entscheidet (§ 4 Abs. 7 Satz 2 und 3 JVEG), ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die dem Antragsteller für die Erstattung seines Gutachtens vom 10.04.2020, das am
01.07.2020 beim Sozialgericht eingegangen ist, zustehende Vergütung zu Recht auf 1282,73 Euro festgesetzt.
Dem Antragsteller stehen gemäß §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 JVEG eine nach Zeitaufwand zu bemessende Vergütung i.H.v. 1.050,- Euro für 14 Stunden nach der Honorargruppe M 2 und Schreibgebühren
nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG i.H.v. 55,80 Euro zu. Insoweit herrscht zwischen den Beteiligten auch Einigkeit. Die Beteiligten streiten allein darüber,
ob die gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG gesondert zu ersetzende Umsatzsteuer mit dem gemäß § 28 Abs. 1 UStG im Zeitraum vom 01.07.2020 bis zum 31.12.2020 vorübergehend geltenden Steuersatz von 16 % der Bemessungsgrundlage oder mit
dem regulären Steuersatz von 19 % der Bemessungsgrundlage gemäß § 12 Abs. 1 UStG anzusetzen ist. Das Sozialgericht hat insoweit zu Recht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v.
29.12.2020 - L 15 R 947/20 B -, juris Rn. 2 ff.) entschieden, dass der Steuersatz von 16 % der Bemessungsgrundlage Anwendung findet und dem Antragsteller
dementsprechend gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 JVEG lediglich 176,93 Euro und nicht 210,10 Euro zu ersetzen sind, weil das Gutachten des Antragstellers am 01.07.2020 und damit
im Zeitraum vom 01.07.2020 bis zum 31.12.2020 bei Gericht eingegangen ist. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung des
Vorbringens des Antragstellers und zwischenzeitlich veröffentlichter Rechtsprechung, die der Auffassung des Senats widerspricht
und auf den Zeitpunkt der Fertigstellung des Gutachtens oder seiner Aufgabe zur Post abstellt (SG Itzehoe, Beschl. v. 16.10.2020
- S 9 AR 17/20 KO -, juris Rn. 6 ff; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 11.03.2021- L 5 AR 368/20 B KO -, juris Rn. 17, 20), an seiner Rechtsprechung mit folgenden Präzisierungen fest:
1. Für die Frage, ob und in welchem Umfang gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG die auf die Vergütung des Sachverständigen entfallende Umsatzsteuer zu ersetzen ist, kommt es allein auf eine umsatzsteuerrechtliche
Betrachtung an. Bei § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG handelt es sich um einen Aufwendungsersatzanspruch. Der Sachverständige soll von Aufwendungen freigestellt werden, die er
nach umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften für die ihm zustehende Vergütung tatsächlich zu zahlen hat. Dies folgt schon aus
dem Wortlaut der Vorschrift, wonach "die auf die Vergütung entfallende Umsatzsteuer" zu ersetzen ist, sowie aus dem in der
Vorschrift enthaltenen Verweis auf § 19 UStG (so zutreffend Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 11.03.2021 - L 5 AR 368/20 B KO -, juris Rn. 19; ebenso in der Sache bereits BSG, Urt. v. 02.10.2008 - B 9 SB 7/07 R -, juris Rn. 12).
Maßgeblich sind damit nicht nur die Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG), sondern auch Verwaltungsvorschriften und Anordnungen der zuständigen Steuerbehörden, die verbindliche Regelungen über die
Erhebung von Umsatzsteuer für das vom Antragsteller erstattete Sachverständigengutachten enthalten. Insbesondere wäre eine
endgültig bindende Entscheidung einer Finanzbehörde oder eines Finanzgerichts über die Höhe des Steuersatzes auch im Rahmen
von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG verbindlich. Eine solche bindende Entscheidung des zuständigen Finanzamtes ist hier allerdings nicht ersichtlich.
Demgegenüber kommt es nicht darauf an, welchen Steuersatz der Steuerberater des Antragstellers für einschlägig hält. Die Rechtsauffassung
des Steuerberaters bindet den Senat nicht. Ebenso wenig ist entscheidend, was der Antragsteller in seiner Umsatzsteuervoranmeldung
(§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG) oder in seiner Umsatzsteuererklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) angegeben hat. Zwar hat die Steueranmeldung die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (vgl. §
168 Satz 1
AO). Eine solche Festsetzung kann das Finanzamt aber innerhalb der Festsetzungsfrist (vgl. §
169 AO) jederzeit ändern (vgl. §
164 Abs.
2 Satz 1
AO). Ebenso kann der Steuerpflichtige die Änderung der Steuerfestsetzung beantragen (§
164 Abs.
2 Satz 2
AO). Wird ein solcher Antrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt, so läuft diese nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar
entschieden worden ist (§
171 Abs.
3 AO). Da die hier einschlägige Festsetzungsfrist von 4 Jahren gemäß §
169 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 AO (vgl. BFH, Beschl. v. 14.07.2015 - XI B 41/15 -, juris Rn. 8 ff. m.w.N.) noch nicht abgelaufen ist, kommt der Umsatzsteueranmeldung dementsprechend keine Bindungswirkung
zu (vgl. insoweit auch BSG, Urt. v. 02.10.2008 - B 9 SB 7/07 R -, juris Rn. 13).
2. Die Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachten im Auftrag eines Gerichtes der Sozialgerichtsbarkeit ist ein
steuerbarer Umsatz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, nämlich eine sonstige Leistungen, die ein Unternehmer (hier der eine selbstständige Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ausübende medizinische Sachverständige) im Rahmen seines Unternehmens, d. h. seiner beruflichen Tätigkeit als Sachverständiger
(§ 2 Abs. 1 S. 2 UStG) auf gerichtliche Anordnung (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UstG) ausführt. Ein Befreiungstatbestand nach § 4 UStG greift nicht ein. Umsatzsteuer befreit ist nach § 4 Nr. 14 Buchstabe a) UStG nur die ärztliche Heilbehandlung, nicht aber die Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens im Auftrag eines
Gerichts. Die Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist auch keine eng mit der Sozialfürsorge und der
sozialen Sicherheit verbundene Leistungen im Sinne von § 4 Nr. 18 UStG, zumal die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht selbst Leistungen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit erbringen.
3. Für die Anwendung von § 28 Abs. 1 UStG kommt es gemäß § 27 Abs. 1 UStG auf den Zeitpunkt an, in dem der jeweilige Umsatz ausgeführt wird (so Bundesministerium der Finanzen, Anwendungsschreiben
vom 30.06.2020, - III C 2 - S 7030/20/10009:004 -, BStBl 2020 I S. 584 Rn. 4). Dies entspricht auch § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) UStG wonach die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten mit Ablauf
des Voranmeldungszeitraums entsteht, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Die Übergangsregelung des § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG gilt allerdings, was sich auch aus § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG ergibt, auch in den Fällen der sog. Istbesteuerung, z.B. nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) UStG, wonach die Steuer bei der Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten gemäß einer entsprechenden Gestattung des Finanzamtes
nach § 20 UStG - eine solche hat der Antragsteller rückwirkend zum 01.01.2019 erhalten - mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entsteht,
in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind. Werden nach dem 30.06.2020 Entgelte oder Teilentgelte für Leistungen bzw. Teilleistungen
vereinnahmt, die der Unternehmer vor dem 01.07.2020 ausgeführt hat, ist die auf diese Beträge entfallende Umsatzsteuer nach
den bis zum 30.06.2020 geltenden Umsatzsteuersätzen von 19 Prozent bzw. 7 Prozent zu berechnen (Bundesministerium der Finanzen,
Anwendungsschreiben vom 30.06.2020, - III C 2 - S 7030/20/10009:004 -, BStBl 2020 I S. 584 Rn. 7).
4. Wie der Senat bereits entschieden hat, wird ein medizinisches Sachverständigengutachten, das von einem Gericht in Auftrag
gegeben wurde, umsatzsteuerrechtlich erst dann ausgeführt, wenn es bei dem betreffenden Gericht eingeht (Beschl. v. 29.12.2020
- L 15 R 947/20 B -, juris Rn. 2 ff.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Wann ein Umsatz im Sinne von § 27 Abs. 1 UStG bzw. eine Lieferung oder sonstige Leistung im Sinne von § 13 Abs. 1 UStG ausgeführt wird, regelt das UStG nicht unmittelbar. Es muss deshalb auf allgemeine Grundsätze zurückgegriffen werden, ggf. auch auf die in §§ 3 ff. UStG enthaltenen Regelungen über den Ort der Ausführung (vgl. insoweit Reiß in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 167. Lieferung, § 13 Rn. 16).
Danach kann allerdings entgegen der vom Senat in der zitierten Entscheidung vertretenen Auffassung nicht offen bleiben, ob
es sich bei einem von einem Gericht in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten um eine Lieferung im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG oder eine sonstige Leistung im Sinne von § 3 Abs. 9 UStG handelt. Lieferungen, bei denen der Lieferort nach § 3 Abs. 6 UStG bestimmt wird, werden nämlich nach Abschnitt 13.1 Abs. 2 Satz 2 der Verwaltungsregelung zur Anwendung des Umsatzsteuergesetzes - Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) und der Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 06.12.2007 - V R 24/05 -, juris Rn. 44) im Zeitpunkt des Beginns der Beförderung oder Versendung des Gegenstands ausgeführt. Wäre das vom Antragsteller
erstattete Gutachten eine Lieferung, käme es deshalb auf den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post an (insoweit zutreffend SG Itzehoe,
Beschl. v. 16.10.2020 - S 9 AR 17/20 KO -, juris Rn. 6; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 11.03.2021- L 5 AR 368/20 B KO -, juris Rn. 20), die hier deutlich vor dem 01.07.2020 stattfand.
Bei einem im Auftrag eines Gerichts erstatteten schriftlichen Sachverständigengutachten handelt es sich jedoch um eine sonstige
Leistung im Sinne von § 3 Abs. 9 UStG. Die eigentliche Leistung des Sachverständigen besteht nicht in der Übergabe eines Schriftstücks, sondern darin, die vom
Gericht gestellten Beweisfragen zu beantworten. Der Sachverständige erbringt damit im Wesentlichen eine geistige Leistung.
Wie sich aus § 3a Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a) und vor allem § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG, wo Leistungen aus der Tätigkeit als Sachverständiger ausdrücklich den sonstigen Leistungen zugeordnet werden, ergibt, stellen
solche Leistungen sonstige Leistungen dar (vgl. insoweit auch Niedersächsisches FG, Urt. v. 09.06.2016 - 11 K 15/16 -, juris Rn. 20).
Sonstige Leistungen, insbesondere Werkleistungen, sind nach Abschnitt 13.1 Abs. 3 Satz 1 UStAE grundsätzlich im Zeitpunkt ihrer Vollendung ausgeführt. Vollendung ist dabei nicht ohne weiteres mit der handwerklichen Fertigstellung
gleichzusetzen (so aber offensichtlich SG Itzehoe, Beschl. v. 16.10.2020 - S 9 AR 17/20 KO -, juris Rn. 8 und dem folgend Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 11.03.2021- L 5 AR 368/20 B KO -, juris Rn. 17). Vielmehr kommt es darauf an, wann die Leistung im Sinne derjenigen Regelungen, nach denen sich die Verpflichtung
zur Leistungserbringung richtet, vollständig im Sinne von Erfüllung erbracht worden ist. Besteht die sonstige Leistung in
einem positiven Tun, wie z.B. bei der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen i.S.d.
BGB, so ist der Zeitpunkt maßgebend, an dem die Erfüllungshandlung endet. Regelmäßig umfasst die Erfüllungshandlung dabei auch,
dass die Leistung dem Abnehmer zugänglich gemacht wird. Sie muss also in seinen Herrschaftsbereich gelangen, so dass den Leistungsempfänger
der wirtschaftliche Vorteil der Leistung erreicht (so Reiß in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 167. Lieferung, § 13 Rn. 21; Nieskens in: Rau/Dürrwächter, UStG, 193. Lieferung 04.2021, § 13 Rn. 211 ff., jeweils m.w.N.).
Für gerichtlich in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten folgt Entsprechendes ausprozessrechtlichen Vorschriften. Nach
§
118 Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
411 Abs.
1 ZPO. schuldet ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger, wenn, wie hier, eine schriftliche Begutachtung angeordnet wird,
die Übermittlung des schriftlichen Gutachtens. "Übermittlung" bedeutet dabei, dass das Gutachten bei Gericht eingehen muss,
und zwar innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist (vgl. Greger, in: Zöller,
ZPO, 33. Aufl. 2020, §
411 Rn. 8). Der Sachverständige erfüllt seine Pflichten dementsprechend nicht bereits durch Untersuchung der Klägerin oder des
Klägers, durch Nachdenken über die gestellten Beweisfragen und deren gedankliche Beantwortung oder durch das Diktat des Gutachtens.
Er hat vielmehr ein vollständiges schriftliches Gutachten und damit ein bestimmtes Arbeitsergebnis bei Gericht abzuliefern.
Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass das Gesetz durch den in §
402 ZPO enthaltenen Verweis auf die Vorschriften über den Zeugenbeweis als Regelfall vorsieht, dass der Sachverständige sein Gutachten
in persönlicher Vernehmung erstattet (Greger, in: Zöller,
ZPO, 33. Aufl. 2020, §
402 Rn. 1). Das schriftliche Gutachten, dessen Einholung nach §
411 Abs.
1 ZPO einer besonderen Anordnung bedarf, ersetzt als in der der Sozialgerichtsbarkeit praktischer Regelfall die Erstattung des
Gutachtens in persönlicher Vernehmung. Ein Sachverständiger erbringt die im obliegende Leistung im Falle einer schriftlichen
Begutachtung ebenso wie bei persönlicher Vernehmung erst dann vollständig, wenn das Gutachten inhaltlich vom Gericht zur Kenntnis
genommen werden kann. Dies ist erst der Fall, wenn das schriftliche Gutachten in den Machtbereich des Gerichts gelangt, also
bei diesem eingegangen ist.
5. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften über den Ort der Ausführung einer sonstigen
Leistung, wobei dahinstehen kann, ob aus diesen auf grenzüberschreitende Vorgänge zugeschnittenen Vorschriften überhaupt etwas
für den Zeitpunkt der Ausführung eines von einem deutschen Sozialgericht an einen in Deutschland ansässigen medizinischen
Sachverständigen in Auftrag gegebenes Gutachten abgeleitet werden kann.
a) § 3a Abs. 3 Nr. 3 UStG, wonach u.a. wissenschaftliche Leistungen dort ausgeführt werden, wo sie vom Unternehmer erbracht werden, ist nicht einschlägig,
weil medizinische Sachverständigengutachten, die von einem Gericht zur Klärung von Beweisfragen in Auftrag gegeben werden,
keine wissenschaftlichen Leistungen sind. In Abschnitt 3a.6 Abs. 5 UStAE heißt es hierzu: "Die Frage, ob bei einem wissenschaftlichen Gutachten eine wissenschaftliche Leistung nach § 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe a UStG oder eine Beratungsleistung vorliegt, ist nach dem Zweck zu beurteilen, den der Auftraggeber mit dem von ihm bestellten Gutachten
verfolgt. Eine wissenschaftliche Leistung im Sinne des § 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe a UStG setzt voraus, dass das erstellte Gutachten nicht auf Beratung des Auftraggebers gerichtet ist; dies ist der Fall, wenn das
Gutachten nach seinem Zweck keine konkrete Entscheidungshilfe für den Auftraggeber darstellt. Soll das Gutachten dem Auftraggeber
dagegen als Entscheidungshilfe für die Lösung konkreter technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Fragen dienen, liegt
eine Beratungsleistung vor." Bei einem von einem Gericht in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten handelt es sich dementsprechend
um eine Beratungsleistung und nicht um eine wissenschaftliche Leistung, weil das Gericht mit Hilfe des Gutachtens einen Rechtsstreit
entscheiden möchte. Darüber hinaus wird, wie bereits ausgeführt, die in der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens
liegende Leistung dem Gericht gegenüber und dementsprechend am Ort des Gerichts erbracht.
b) § 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 UStG, der u.a. sonstige Leistungen aus der Tätigkeit als Sachverständiger erfasst, ist ebenfalls nicht einschlägig, weil diese
Vorschrift nur gilt, wenn der Empfänger der Leistung seinen Wohnsitz oder Sitz im Drittlandsgebiet, d.h. in einem Staat, der
nicht zur Europäischen Union gehört, hat.
c) Einschlägig ist vielmehr § 3a Abs. 2 UStG. Danach wird eine sonstige Leistung, die an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird, vorbehaltlich der Absätze
3 bis 8 des § 3a UStG und der §§ 3b und 3e UStG, die hier allesamt keine Anwendung finden, an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Wird
die sonstige Leistung an die Betriebsstätte eines Unternehmers ausgeführt, ist stattdessen der Ort der Betriebsstätte maßgebend.
Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend bei einer sonstigen Leistung an eine ausschließlich nicht unternehmerisch tätige juristische
Person, der eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt worden ist, und bei einer sonstigen Leistung an eine juristische
Person, die sowohl unternehmerisch als auch nicht unternehmerisch tätig ist; dies gilt nicht für sonstige Leistungen, die
ausschließlich für den privaten Bedarf des Personals oder eines Gesellschafters bestimmt sind.
Als Ort der Ausführung ergibt sich aus dieser Vorschrift der Sitz des Gerichts, das den Gutachtenauftrag erteilt hat (vgl.
§ 3a Abs. 2 Satz 2 UStG). Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist eröffnet, denn Auftraggeber ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts,
die sowohl unternehmerisch als auch nicht unternehmerisch tätig ist und die die Leistung auch nicht ausschließlich für den
privaten Bedarf des Personals in Auftrag gegeben hat. Gerichte, die in Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben Sachverständigengutachten
in Auftrag geben, handeln im Namen und auf Rechnung derjenigen Gebietskörperschaft, der sie angehören, also des jeweiligen
Landes oder des Bundes (vgl. Art.
92 GG). Bei den Gebietskörperschaften Bund und Länder ist stets davon auszugehen, dass sie sowohl hoheitlich als auch unternehmerisch
tätig sind, mit der Folge, dass sich der Leistungsort unabhängig davon, ob die Leistung für den hoheitlichen oder den unternehmerischen
Bereich bezogen wird, nach § 3a Abs. 2 UStG richtet (so Abschnitt 3a.2 Abs. 14 Satz 1 und 2 UStAE). Wendet man § 3a Abs. 2 UStG auch für die Bestimmung des Zeitpunktes der Ausführung an, ergibt sich mithin ebenfalls, dass es auf den Zeitpunkt des Eingangs
des schriftlichen Gutachtens bei dem Gericht, das den Gutachtenauftrag erteilt hat, ankommt.
d) Nicht zur Anwendung kommt demgegenüber § 3a Abs. 1 UStG, der als Ort der Ausführung einer sonstigen Leistung den Ort bestimmt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt,
denn diese Vorschrift gilt nur vorbehaltlich der Abs. 2 bis 8 des § 3a UStG und der §§ 3b und 3e UStG und wird deshalb durch § 3a Abs. 2 UStG verdrängt (dies verkennend SG Itzehoe, Beschl. v. 16.10.2020 - S 9 AR 17/20 KO -, juris Rn. 8 und dem folgend Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 11.03.2021- L 5 AR 368/20 B KO -, juris Rn. 17).
6. Eine andere Bewertung ist im vorliegenden Fall nicht deshalb geboten, weil der Antragsteller ein Zusatzgutachten zu erstatten
hatte, das nach der Beweisanordnung vom 09.12.2019 vom Hauptgutachter eingeholt und diesem übermittelt werden sollte, es deshalb
Aufgabe des Hauptgutachters war, Haupt- und Zusatzgutachten dem Sozialgericht zu übermitteln und der Antragsteller deshalb
nicht wissen konnte, wann sein Gutachten zusammen mit dem Hauptgutachten beim Sozialgericht einging. Die Erstattung eines
Zusatzgutachtens wird entsprechend den vorstehenden Ausführungen als sonstige Leistung umsatzsteuerrechtlich ebenfalls erst
dann ausgeführt, wenn dem Gericht, das den Auftrag erteilt hat, das Zusatzgutachten vorliegt. Praktische Schwierigkeiten werden
dadurch abgemildert, dass auch eine Zusatzgutachter die in der Beweisanordnung zwingend zu setzende Frist (§
411 Abs.
1 ZPO) kennt und dementsprechend einen Anhaltspunkt hat, wann er sich bei dem Gericht nach dem Eingang des Gutachtens erkundigen
sollte. Eine entsprechende Obliegenheit besteht auch deshalb, weil mit Eingang des Zusatzgutachtens bei Gericht als der auftraggebenden
Stelle die dreimonatige Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 JVEG zu laufen beginnt. Dass ein gerichtlich in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten umsatzsteuerrechtlich als sonstige
Leistung erst dann ausgeführt wird, wenn es bei Gericht eingeht, erleichtert zudem die Umsatzsteuervoranmeldung nach Maßgabe
von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) i.V.m. § 18 UStG, weil das Gericht erst nach Eingang des Gutachtens und Rechnungstellung innerhalb der Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 JVEG prüfen kann, in welchem Umfang dem Sachverständigen ein Vergütungsanspruch tatsächlich zusteht, und dementsprechend der Voranmeldung
einer zu hohen Umsatzsteuer entgegen gewirkt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG, §
177 SGG).