Sozialgerichtliches oder verwaltungsgerichtliches Verfahren - Rechtswegzuständigkeit - Mahnung und Festsetzung einer Mahngebühr
im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende - noch keine Vollstreckungsmaßnahme
Gründe
I.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (im Folgenden: Beklagter) wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Halle, mit
dem dieses den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht Halle für zulässig erklärt hat. In der Sache ist noch die Festsetzung einer
Mahngebühr durch den Beklagten im Zusammenhang mit der Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) streitig.
Der Beklagte ist ein zugelassener kommunaler Träger im Sinne von § 6a SGB II. Der 1997 geborene Kläger bezog von ihm Leistungen nach dem SGB II.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. März 2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 10. Oktober 2017 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2017 hob der Beklagte zuvor bewilligte Leistungen nach dem SGB II für den Monat März 2016 in Höhe von 367,79 € auf und forderte den Kläger zur Erstattung des Betrags auf. Der Kläger erhob
dagegen keine Klage.
Mit Schreiben vom 9. November 2017 forderte der Beklagte den Kläger auf, die offene Erstattungsforderung von 367,79 € zu dem
Kassenzeichen ALG-105568-17 bis zum 7. Dezember 2017 zu begleichen. Mit Mahnung vom 26. Januar 2018 erinnerte er den Kläger an die weiterhin
offene Forderung von 367,79 € und setzte eine Mahngebühr von 10 € fest. Zugleich forderte er den Kläger auf, die weiteren
offenen Erstattungsforderungen zu den Kassenzeichen ALG-101721-17 in Höhe von 28,79 € und M98P5290 in Höhe von 46,67 € (zugrundeliegende bestandskräftige Aufhebungs- und Erstattungsbescheide
vom 4. Januar 2017 und 23. März 2010) zu begleichen.
Den gegen das Mahnschreiben gerichteten Widerspruch des Klägers vom 6. Februar 2018 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 23. Mai 2018 hinsichtlich der Festsetzung der Mahngebühr als unbegründet zurück und verwarf ihn im Übrigen als unzulässig:
Die Festsetzung der Mahngebühr beruhe auf § 4 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (VwVG LSA) i. V. m. § 2 der Kostenordnung zum VwVG LSA.Die in der Mahnung enthaltene Zahlungsaufforderung stelle keinen Verwaltungsakt dar.
Dagegen hat der Kläger am 25. Juni 2018 Klage vor dem Sozialgericht Halle (SG) erhoben und vorgetragen, er begehre eine Überprüfung der Ausgangsbescheide und berufe sich auf die Minderjährigenhaftungsbeschränkung.
Er hat eine Erklärung zu seinen Vermögensverhältnissen zum Zeitpunkt der Volljährigkeit (6. Februar 2015) eingereicht. Die
Forderungen seien für ihn nicht nachvollziehbar und niederzuschlagen. Auf mehrfache gerichtliche Hinweise hat der Kläger am
9. Februar 2021 klargestellt, er begehre nur noch die Aufhebung der Mahngebühr.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit mit Beschluss
vom 8. Juni 2021 an das Verwaltungsgericht Halle verwiesen: Der grundsätzlich vorgesehene allgemeine Verwaltungsrechtsweg
sei nicht durch §
51 Abs.
1 Nr.
4a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ausgeschlossen. Die Festsetzung von Mahngebühren sei eine Vollstreckungsmaßnahme und beruhe auf § 66 Abs. 3 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in Verbindung mit den Vorschriften des VwVG LSA. Soweit sich der Kläger gegen die Modalitäten der Vollstreckung wende, sei der Bezug zur Sachmaterie, auf der die zu vollstreckende
Forderung beruht, nicht eng genug, um eine Zuweisung zu den Sozialgerichten zu begründen. Die Vollstreckung von Geldforderungen
und die Festsetzung von Mahngebühren weise keinen Bezug zum SGB II auf.
Gegen den ihm am 16. Juni 2021 zugestellten Beschluss hat der Beklagte am 8. Juli 2021 Beschwerde eingelegt: Bei der Mahnung
vom 26. Januar 2018 habe es sich nicht um eine Vollstreckungshandlung, sondern erst um eine die Vollstreckung ermöglichende
Maßnahme gehandelt. Die Festsetzung der Mahngebühr sei durch ihn als Vollstreckungsanordnungsbehörde erfolgt, weshalb der
Sozialrechtsweg eröffnet sei.
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 8. Juni 2021 aufzuheben.
Der Kläger hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Gerichtsakte nebst Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend Bezug
genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig. Nach §
202 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
17a Abs.
3 Satz 1 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) kann das Gericht, wenn der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn
eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt (vgl. §
202 Satz 1
SGG i. V. m. §
17a Abs.
3 Satz 1
GVG). Gegen den Beschluss ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben
(vgl. §
202 Satz 1
SGG i. V. m. §
17a Abs.
4 Satz 3
GVG). Da das
SGG keine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung eines Sozialgerichts vorsieht, ist vorliegend die Beschwerde gemäß §
172 Abs.
1 SGG das statthafte Rechtsmittel (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 12. Mai 1998, B 11 SF 1/97 R, juris Rn. 10). Diese ist vom Beklagten form- und fristgerecht eingelegt worden (vgl. §
173 Abs.
1 Satz 1
SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet. Das SG hat den Rechtstreit zu Unrecht an ein Verwaltungsgericht verwiesen, da der Rechtstreit nach §
51 Abs.
1 Nr.
4a SGG in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fällt und damit der Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten nicht eröffnet
ist. Vielmehr ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet und das Sozialgericht Halle örtlich zuständig.
Nach §
40 Abs.
1 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit
die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Nach der sondergesetzlichen
Regelung des §
51 Abs.
1 Nr.
4a SGG sind die Sozialgerichte zuständig für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nach Auffassung des Senats handelt
es sich bei dem Rechtsstreit um eine Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eine hiervon abdrängende Sonderzuweisung
an die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht nicht.
Zu den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehören nicht nur die Angelegenheiten, in denen die vom Beklagten
getroffene Entscheidung ihre rechtliche Grundlage in den Vorschriften des SGB II findet, sondern auch solche Angelegenheiten, die in einem rechtlichen Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit nach dem
SGB II stehen (vgl. zu diesem Maßstab: BSG, Beschluss vom 25. September 2013, B 8 SF 1/13 R, juris Rn. 9; Beschluss vom 1. April 2009, B 14 SF 1/08 R, juris Rn. 15 ff.). Letzteres ist hier der Fall.
Gegenstand des Klageverfahrens ist zwar nur noch die Festsetzung der Mahngebühr in Höhe von 10 €. Ursprünglich hatte der Kläger
auch die Prüfung der der Mahnung und den Zahlungsaufforderungen zugrundeliegenden Forderungen begehrt. Hiervon hat er aber
im Laufe des Klageverfahrens Abstand genommen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem schriftsätzlich am 9. Februar 2021 angekündigten
Klageantrag, wonach er die Aufhebung der Mahngebühr gemäß Bescheid vom 26. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 23. Mai 2018 begehrt. Jedoch handelt es sich bei einer Mahnung und demnach auch bei der Festsetzung der Mahngebühr um
eine Angelegenheit, die in einem rechtlichen Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit nach dem SGB II steht. Entgegen der Auffassung des SG handelt es sich nicht um eine Vollstreckungsmaßnahme.
Zwar ist das SG zu Recht davon ausgegangen, dass für die Vollstreckung von Ansprüchen des Beklagten als zugelassenem kommunalen Träger im
Sinne von § 6a SGB II nach § 40 Abs. 8 Halbsatz 2 SGB II § 66 SGB X gilt. Nach § 66 Abs. 3 Satz 1 SGB X gelten für die Vollstreckung zugunsten des Beklagten die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Verwaltungsvollstreckungsverfahren,
hier die Regelungen im VwVG LSA. Nach § 3 VwVG LSA darf die Vollstreckung jedoch erst beginnen, wenn die Geldforderung fällig ist und dem Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung
durch eine Mahnung angedroht worden ist, es sei denn, dass diese nach § 4 nicht erforderlich ist, und die in der Mahnung bestimmte
Zahlungsfrist oder in den Fällen des § 4 Abs. 3 und 4 Nr. 1 drei Tage, gerechnet vom Zeitpunkt der Fälligkeit, verstrichen
sind. Daraus folgt denknotwendig, dass eine Mahnung, die Voraussetzung für eine Vollstreckung ist, noch nicht Teil des Vollstreckungsverfahrens
sein kann (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 3. Juni 2019, L 3 AS 1219/15 B, juris Rn. 30; Roos/Blüggel in Schütze, Kommentar zum SGB X, 9. Auflage 2020, § 66 Rn. 15).
Dafür spricht auch ein Blick auf die bundesrechtliche Regelung. Auch dort wird die Mahnung nach §
3 Abs.
2 VwVG nicht als Vollstreckungsmaßnahme angesehen (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 12. Mai 1992, 1 C 3/89, juris Rn. 22).
Dies bedeutet, dass für einen Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit einer Mahngebühr der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
eröffnet ist (ebenso Oberverwaltungsgericht [OVG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2013, OVG 9 L 48.13, juris
Rn. 2; Bayerisches LSG, Beschluss vom 29. April 2014, L 7 AS 260/14 B ER, juris Rn. 35; auch das BSG hat Entscheidungen zu Mahngebühren getroffen, vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2012, B 4 AS 97/11 R, juris; Urteil vom 26. Mai 2011, B 14 AS 54/10 R, juris). Denn eine Mahngebühr ist der verwaltungskostenrechtliche Annex zur Mahnung. Wenn aber bereits die Mahnung kein
Teil der Verwaltungsvollstreckung ist, es bei ihr also beim Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit verbleibt,
gilt dies wegen des engen sachlichen Zusammenhangs erst Recht für die Mahngebühr.
b)
Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Halle ergibt sich aus §
57 Abs.
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG. Danach ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung
dessen seinen Aufenthaltsort hat, örtlich zuständig.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Ausgangsgericht vorbehalten.
Zwar hat nach der Rechtsprechung des BSG in Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde grundsätzlich eine Kostenentscheidung zu ergehen (vgl. BSG, Beschluss vom 12. April 2018, B 14 SF 1/18 R, juris). Im Falle einer begründeten Beschwerde gegen einen Verweisungsbeschluss nach §
17a Abs.
2 Satz 1
GVG überzeugt diese Rechtsprechung jedoch nicht. Denn dann verbleibt es bei dem vom Kläger zutreffend eingeschlagenen Rechtsweg.
Vielmehr ist es im Fall der begründeten Rechtswegebeschwerde geboten, die Entscheidung über die Kosten der Rechtswegebeschwerde
der Entscheidung über die Kosten des Hauptsacheverfahrens vorzubehalten (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.
Februar 2019, L 7 AS 2024/18 B, juris Rn. 13).
Eine Gerichtsgebühr ist nicht angefallen, da gemäß Nr. 7504 Kostenverzeichnis zu § 3 Abs. 2 GKG die Gebühr nur anfällt, wenn die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (ebenso BSG, Beschluss vom 4. April 2012, B 12 SF 1/10 R, juris). Zwar ist hinsichtlich eventuell entstehender weiterer Anwaltsgebühren gemäß § 18 Nr. 3 RVG jedes Beschwerdeverfahren eine eigenständige Angelegenheit. Der Senat hält es jedoch für geboten, hinsichtlich der Frage,
welcher Beteiligte ggfs. mit welcher Quote eventuell Rechtsanwaltskosten im Verfahren über die Rechtswegebeschwerde zu erstatten
hat, in der vorliegenden Fallgestaltung vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens abhängig zu machen. Denn im Fall einer begründeten
Rechtswegbeschwerde gibt es keinen Ansatzpunkt, einen der Beteiligten isoliert mit Rechtsverfolgungskosten zu belasten (so
für Verfahren im Sinne des §
183 SGG im Ergebnis auch BSG, Beschluss vom 1. April 2009, B 14 SF 1/08 R). Weder der Kläger noch der Beklagte sind hier unterlegen.
Gründe für eine Zulassung der weiteren Beschwerde nach §
17a Abs.
4 Satz 5
GVG liegen nicht vor.