Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bildung und Teilhabe - außerschulische Lernförderung - Legasthenie und Dyskalkulie - Therapie
zur Behandlung als Lernförderung - Abgrenzung zur Lese- und Rechtschreibschwäche - Sachaufklärungspflicht der Sozialgerichte
- Verbesserung des Leistungsniveaus als wesentliches Lernziel - Angemessenheit der Lernförderungskosten - Mehrbedarf - unabweisbarer
laufender besonderer Bedarf - Fahrkosten zur Therapie
Tatbestand
Umstritten sind Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) wegen Legasthenie und Dyskalkulie im Zeitraum von Januar bis Mai 2015.
Der 2005 geborene Kläger und Berufungskläger zu 1) (im Weiteren: Kläger) und die 2006 geborene Klägerin und Berufungsklägerin
zu 2) (im Weiteren: Klägerin) standen zusammen ab Juni 2013 mit ihrer Mutter und zwei weiteren Geschwistern bei dem Beklagten
und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Beklagter) im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II.
Der Kläger wurde im August 2012 in die 1. Klasse der Grundschule in N. eingeschult, besuchte dort von August 2013 bis Juli
2014 die 2. Klasse und wurde im September 2014 in die 3. Klasse versetzt. Die Klägerin wurde im August 2013 in die gleiche
Schule eingeschult und wiederholte das erste Schuljahr ab September 2014.
Im April 2013 vereinbarte die Mutter als gesetzliche Vertreterin mit der Praxisgemeinschaft für Logopädie und Ergotherapie
M (im Weiteren: Therapeutin) für den Kläger ein wöchentliches Einzeltraining im Fach Deutsch zu 50 € je Unterrichtsstunde
(90 Minuten), nachdem ein von der Therapeutin durchgeführtes pädagogisches Testverfahren beim Kläger eine angeborene Legasthenie
ergeben hatte. Der Burgenlandkreis bewilligte für die Zeit von Mai bis Juli 2013 Leistungen der Lernförderung nach dem
Bundeskindergeldgesetz (
BKGG) von monatlich 200 €. Im Mai 2013 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Bescheinigung seiner Klassenlehrerin, die eine
Förderung zwei- bis dreimal pro Woche im Fach Deutsch empfohlen hatte, bei dem Beklagten erstmals die Übernahme der Kosten
der außerschulischen Lernförderung. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Lernförderung sei nach dem Gesetz
in der Regel nur kurzzeitig notwendig, um eine vorübergehende Lernschwäche zu beheben. Dies treffe auf eine Legasthenietherapie
nicht zu (Bescheid vom 15. Juli 2013 und Widerspruchsbescheid vom 2. September 2013). Ein Antrag des Klägers auf einstweiligen
Rechtsschutz beim Sozialgericht Halle (SG) blieb ohne Erfolg (S 34 AS 4015/13 ER). Auf der Grundlage einer vergleichsweisen Einigung im Beschwerdeverfahren (Vergleich vom 15. November 2013 im Verfahren
L 2 AS 964/13 B ER) übernahm der Beklagte ab dem 18. Mai 2013 zunächst bis Mai 2014 vorläufig die Kosten für eine außerschulische Lernförderung
bei der diplomierten Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin für ein wöchentliches Einzeltraining zu je 50 €. Der Kläger befreite
zugleich die Legasthenietrainerin von der Schweigepflicht gegenüber einem Psychologen des Beklagten.
Entsprechend den weiteren Festlegungen im Vergleich stellte der Kläger Anträge bei der für ihn zuständigen Krankenkasse und
dem zuständigen Jugendhilfeträger auf Förderung einer Legastheniebehandlung. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2013 lehnte die
Krankenkasse den Antrag mit der Begründung ab, eine pädagogische Behandlung gehöre nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen
Krankenversicherung. Mit Bescheid vom 14. Mai 2014 lehnte zudem der Burgenlandkreis den Antrag auf Eingliederungsleistungen
nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII) nach Einholung eines psychologischen Gutachtens und einer Stellungnahme der Schule ab. Nach der psychologischen Stellungnahme
der bei der pro familia Beratungsstelle in Z. tätigen Dipl.-Psych. B1 vom 8. Mai 2014 habe nach Exploration des Klägers und
dessen Eltern sowie nach testpsychologischen Untersuchungen eine Lese- und Rechtsschreibstörung nach F81.0 ICD-10 festgestellt
werden können. Die allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit des Klägers entspreche den durchschnittlichen Erwartungen,
welche an Kinder seiner Altersgruppe gestellt werden. Sein Gesamt-IQ betrage mit 95%iger Sicherheit zwischen 92 und 102 (Durchschnittsbereich:
85 – 115). Dies treffe auch auf die Untertests „Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken“, „Arbeitsgedächtnis“, „Verarbeitungsgeschwindigkeit“
und zum „Sprachverständnis“ zu. In den Bereichen Lesen und Rechtsschreibung lägen seine Fertigkeiten weit unter den Erwartungen,
die mit seinem allgemeinen intellektuellen Leistungsniveau verbunden seien. Der Kläger benötige eine individuelle Legasthenietherapie.
Eine seelische Behinderung oder drohende seelische Behinderung bestehe indessen nicht. Nach der Leistungseinschätzung der
Schule lägen die Leistungen des Klägers im unteren Bereich des Klassendurchschnitts mit starken Problemen im Fach Deutsch.
Es zeigten sich bei guter Integration in die Klasse Auffälligkeiten in Konzentration und Ausdauer sowie Wahrnehmungsschwierigkeiten.
In einer Bescheinigung der Klassenlehrerin zur Notwenigkeit der Lernförderung vom 3. Dezember 2013 wird ausgeführt, es bestünden
erhebliche Defizite im Aufnehmen und Verarbeiten des Unterrichtsstoffes. Im Denken sei der Kläger verlangsamt, könne teilweise
logische Schlussfolgerungen nicht ziehen und die selbständige Bearbeitung von Aufgaben falle ihm schwer. Aufgrund der Defizite
beim Lesen und in der Rechtschreibung dürfte es für den Kläger äußerst schwer sein, das Ziel der 2. Klasse trotz Fördermaßnahmen
in der Schule (zwei Stunden Einzelförderung, vier Stunden Deutschunterricht in der 1. Klasse) zu erreichen.
Gegen das auf Übernahme der Kosten der außerschulischen Lernförderung gerichtete klagestattgebende Urteil des SG vom 4. Juni 2014 (S 34 AS 4056/13) erhob der Beklagte Berufung (L 4 AS 598/14) zum Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) und trug vor, in der Zeit von 2013 bis 2015 habe die Volkshochschule im Burgenlandkreis
keine speziellen auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen abgestimmten Kurse zur Therapierung einer Legasthenie und
Dyskalkulie angeboten.
Mit Antrag auf Übernahme der Kosten der Lernförderung für die Zeit ab Juni 2014 legte der Kläger eine weitere Bescheinigung
der Klassenlehrerin vom 15. Mai 2014 vor, wonach sich durch die konsequenten Fördermaßnahmen innerhalb und außerhalb der Schule
erste Erfolge bemerkbar gemacht hätten. Vertiefte Förderung sei beim Lesen notwendig. Ein zusätzlicher Förderbedarf bestehe
bei der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Logisches Denken und Verknüpfungen fielen ihm weiterhin schwer. Bis mindestens 2014/2015
(3. Klasse) werde eine Förderung im Fach Deutsch wöchentlich für 1,5 Stunden empfohlen. Das Erreichen der Versetzung bzw.
eines ausreichenden Leistungsniveaus sei mit Hilfe der außerschulischen Lernförderung zum Schuljahresende möglich. Den Antrag
lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 11. Juni 2014; Widerspruchsbescheid vom 4. September 2014). Zwischenzeitlich verpflichtete
das SG den Beklagten zur vorläufigen Übernahme der monatlichen Kosten von 200 € für die Monate Juni bis November 2014.
Im Juli 2014 beantragte die gesetzliche Vertreterin erstmals für die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine ergänzende
angemessene Lernförderung im Fach Deutsch wegen Legasthenie und im September 2014 zusätzlich eine ergänzende Lernförderung
im Fach Mathematik wegen Dyskalkulie im Umfang von je monatlich 200 €. Sie legte jeweils ein pädagogisches Gutachten der Legasthenie-
bzw. Dyskalkulietrainerin vor. Nach dem Gutachten vom 1. Mai 2014 sei in einem pädagogischen Testverfahren eine Lese-Rechtschreibschwäche
(LRS) und eine angeborene Legasthenie festgestellt worden, wonach die Sinneswahrnehmung trainiert und gefördert werden müsse.
Zudem habe sie Übungen zur Aufmerksamkeitssteigerung im Rahmen einer Ergotherapie empfohlen. Nach einem weiteren Gutachten
vom 8. September 2014 habe ein pädagogisches Testverfahren bei der Klägerin eine Dyskalkulie gezeigt, wonach diese eine deutliche
Schwäche u.a. im Bereich des „Mengen erfassen“ aufweise. Die fehlende Primärmengenerfassung müsse unter Anleitung von Therapeuten
beübt und außerschulisch gefördert werden. Es sei zu erwarten, dass sich bei konsequentem Training über einen längeren Zeitraum
die differenzierte Sinneswahrnehmung und die Aufmerksamkeit beim Lesen und Schreiben sowie beim Rechnen und die damit verbundenen
schulischen Leistungen weitgehend verbesserten. In einer Bescheinigung der Schule zur Notwenigkeit der Förderung vom 8. September
2014 zu Beginn des wiederholten ersten Schuljahres wird ausgeführt: Die Klägerin benötige in den Fächern Deutsch und Mathematik
jeweils eine Lernförderung im Umfang von wöchentlich 90 Minuten bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015. Die Versetzung in
die nächste Klassenstufe sei gefährdet, es liege kein ausreichendes Leistungsniveau vor. Ein Aufholen der Lernrückstände sei
durch vorhandene schulische Angebote allein bis zum Schuljahresende voraussichtlich nicht gewährleistet. Die Leistungsschwäche
sei Folge einer bestehenden Lese-Rechtschreibschwäche bzw. Dyskalkulie. Eine außerschulische Förderung sei aufgrund der bestehenden
Lernschwierigkeiten anzuraten. Die schulischen Möglichkeiten seien begrenzt, da die gesamte Schule nur ein Kontingent von
sechs Fördererstunden für acht Schulklassen habe. Die Klägerin benötige viel persönliche Zuwendung und Hilfe, die ihr bei
einer professionellen Betreuung zu Gute käme. Die Möglichkeiten des Elternhauses reichten dabei nicht aus.
Im Weiteren legte die Klägerin einen Bericht der Dipl.-Psych. B1 vom 17. Juli 2014 vor, in dem ausgeführt wird: Mit der Klägerin
sei eine Basisdiagnostik der umschriebenen Entwicklungsstörungen im Grundschulalter (BUEGA) durchgeführt worden. Die Klägerin
habe aufgeregt gewirkt, Schwierigkeiten mit dem Stillsitzen gehabt und überwiegend angestrengt mitgearbeitet. Sie habe sich
über Lob gefreut, zugleich aber wenig gesprochen und sei kaum in Interaktion mit der Gutachterin getreten. Ihre derzeitiges
Schulleistungspotential sei als unterdurchschnittlich einzuschätzen. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit unterscheide sich
stark in Abhängigkeit von dem dargebotenen Material. Die derzeitigen schulischen Fertigkeiten seien im sprachlichen Bereich
sowie in Mathematik deutlich auffällig. Es bestehe der Verdacht auf eine Legasthenie sowie auf eine Rechenschwäche. Eine bereits
angestrebte logopädische sowie ergotherapeutische Behandlung werde nachdrücklich empfohlen. Da bereits entschieden sei, dass
die Klägerin das erste Schuljahr wiederholen werde, sei zunächst deren Entwicklung im kommenden Schuljahr abzuwarten bzw.
zu beobachten. Eine detaillierte Legastheniediagnostik solle spätestens zum Ende des nächsten Schuljahres erfolgen. Auch die
Entwicklung der mathematischen Fertigkeiten des Kindes sollte weiter beobachtet und gegebenenfalls überprüft werden.
Am 14. Oktober 2014 fand zusammen mit dem Prozessbevollmächtigtem der Kläger, der Schulsozialarbeiterin B2 und einem Mitarbeiter
des Beklagten ein Gespräch in der Schule zu bestehenden Hemmnissen und Fördermöglichkeiten der Kläger statt. Eine dabei mit
der Schulleitung vereinbarte sonderpädagogische Begutachtung der Klägerin sei nicht erfolgt, da nach Auffassung des Sonderpädagogen
deren Probleme gering seien. Ein von der LRS-Beauftragen durchgeführter Test bei der Klägerin sei unauffällig gewesen. Eine
Begutachtung durch die Schulpsychologin W. habe mangels Zustimmung der Eltern nicht erfolgen können. Diese verließen sich
ausschließlich auf die Aussage der Therapeutin. Einen für die Klägerin vorgeschlagenen kostenlosen Förderunterricht in N.,
wo ein besonderes Konzentrationstraining für Kinder mit Auffälligkeiten erfolge, sei durch die Eltern abgelehnt worden. Nach
Auffassung der Lehrer müsse bei der Klägerin zuerst die Konzentration trainiert werden. Erst dann könne sich ihr Lernverhalten
verändern. Das Lesen werde anspruchsvoller, die Klägerin komme nicht mehr mit und es werde zu Hause mit ihr nicht geübt. Nach
Auffassung der Eltern müsse auf Anraten der Therapeutin erst eine Therapie erfolgen.
Der Beklagte lehnte die Anträge der Klägerin mit Bescheid vom 2. September 2014 und 12. September 2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27. November 2014 ab. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 34 AS 3835/14 ER und S 34 AS 4337/14 ER) verpflichtete das SG den Beklagten zur vorläufigen Übernahme der Kosten der Legasthenie- und Dyskalkulietherapie.
Die ablehnenden Entscheidungen waren Gegenstand diverser Klageverfahren vor dem SG. Nach Einholung von Stellungnahmen der Klassenlehrerinnen der Kläger verpflichtete das SG den Beklagten mit Urteil vom 30. März 2015 (S 34 AS 4311/14) zur Übernahme der Kosten der außerschulischen Lernförderung. Die durch den Beklagten erhobene Berufung war unter dem Aktenzeichen
L 4 AS 442/18 anhängig.
Bereits am 20. Oktober 2014 stellte die gesetzliche Vertreterin einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab Dezember 2014
und beantragte zugleich die Zahlung der anfallenden Kosten für Legasthenie- bzw. Dyskalkuliebehandlung in Höhe von insgesamt
monatlich 600 € für die Kläger. Am 23. Oktober 2014 beantragte sie ferner die Übernahme der mit den Behandlungen im Zusammenhang
stehenden Fahrtkosten in Höhe von 0,20 €/km. Nach einer beigefügten Bescheinigung der Schule über die Notwendigkeit von Lernförderung
vom 13. Oktober 2014 empfahl die neue Klassenlehrerin des Klägers L. eine weitere Förderung im Fach Deutsch im Umfang von
zwei Förderstunden bis mindestens zum Schuljahresende 2014/2015. Ein derzeit nicht ausreichendes Leistungsniveau könne voraussichtlich
mit Hilfe außerschulischen Lernförderung bis zum Schuljahresende erreicht werden. Durch konsequente Fördermaßnahmen im letzten
Schuljahr habe der Kläger kleine Erfolge erzielen können. Tiefergehende Förderung sei beim Lesen erforderlich. Es gelinge
ihm nur ungenügend, einen Text vorzulesen und den Sinn zu erfassen. Die Klassenlehrerin der Klägerin S. bescheinigte am 10.
Oktober 2014 die Erforderlichkeit einer Lernförderung im Fach Mathematik und Deutsch im Umfang von je 90 Minuten/Woche bis
zum Ende des Schuljahres 2014/2015. Durch die außerschulische Lernförderung sei das Erreichen eines ausreichenden Leistungsniveaus
bis spätestens zum Schuljahresende möglich. Die Lerndefizite beruhten nicht auf unentschuldigten Fehlzeiten oder anhaltendem
Fehlverhalten und seien nicht alleinige Folge einer bestehenden LRS oder Dyskalkulie.
Mit Bewilligungsbescheid vom 29. Oktober 2014 in der Fassung vorläufiger Änderungsbescheide vom 6. Dezember 2014, 14. Januar
2015 und 29. Januar 2015 gewährte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Kläger im Hinblick auf Einkünfte der gesetzlichen
Vertreterin vorläufig Grundsicherungsleistungen im Zeitraum für die Zeit vom 1. Dezember 2014 bis zum 31. Mai 2015. Den gegen
den vorläufigen Bescheid vom 29. Oktober 2014 erhobenen Widerspruch aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verwarf der Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2015 als unzulässig, soweit sich dieser gegen die Nichtberücksichtigung der Kosten der
Lernförderung richtete, und verwarf mit weiteren Widerspruchsbescheiden vom 2. März 2015 die Widersprüche gegen die Änderungsbescheide
als unzulässig. Unter dem 20. Oktober 2015 setzte der Beklagte den Leistungsanspruch endgültig fest und machte gegenüber den
Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft einen Erstattungsanspruch geltend.
Mit Bescheiden vom 30. Oktober 2014 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für eine Legasthenietherapie
und den Antrag der Klägerin für die Legasthenie- und Dyskalulietherapie für den Bewilligungsabschnitt Dezember 2014 bis Mai
2015 ab: Die Legasthenie- bzw. Dyskalkulietherapie stelle keine Lernförderung nach
§ 28 Abs. 5 SGB II dar, da diese nicht der Behebung einer vorübergehenden Lernschwäche diene. Die Schule habe keinen therapeutischen Förderbedarf
bestätigt. Zudem stünden bei der Klägerin die Diagnosen Legasthenie und Dyskalkulie nicht fest.
Mit weiteren Bescheiden vom 30. Oktober 2014 lehnte der Beklagte die Anträge der Kläger auf Übernahme der Fahrtkosten zu den
Therapien in Höhe von 0,20 € je km ab: Die geltend gemachten Kosten stellten keinen unabweisbaren, laufenden und nicht nur
einmaligen Bedarf dar. Sie seien mit dem in der Regelleistung pauschalierten Anteil für Kosten im Verkehr abgedeckt.
Gegen die ablehnenden Bescheide vom 30. Oktober 2014 erhob die Klägerin jeweils am 27. November 2014 durch ihren Prozessbevollmächtigten
Widerspruch: Bei der begehrten Lernförderung handele es sich um eine die schulischen Angebote ergänzende angemessene Lernförderung.
Mangels seelischer Behinderung scheide ein Anspruch gegen das Jugendamt aus. Eine zeitliche Begrenzung der außerschulischen
Lernförderung sehe § 28 Abs. 5 SGB II nicht vor. Das Bestehen einer Legasthenie und Dyskalkulie sei bereits durch die Therapeuten festgestellt worden. Dipl.-Psych
B. habe nach entsprechenden Testverfahren den Verdacht dieser Diagnosen bestätigt. Da es nicht möglich sei, ihre Therapien
mit der Therapie des Klägers zusammenzulegen, müsse die gesetzliche Vertreterin dreimal in der Woche nach N. fahren. Die hierfür
anfallenden Kosten seien nicht im Regelbedarf enthalten.
Mit derselben Begründung legte am 27. November 2014 auch der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch gegen
die Ablehnungsbescheide vom 30. Oktober 2014 ein.
Nach erfolglosen einstweiligen Rechtsschutzverfahren beim SG verpflichtete das LSG den Beklagten mit Beschluss vom 12. Januar 2015 (L 2 AS 622/14 B ER – Kläger) und mit Beschluss vom 15. Januar 2015 (L 2 AS 626/14 B ER – Klägerin) zur vorläufigen Übernahme der im Zeitraum von Januar bis Mai 2015 anfallenden Kosten der Kläger in Höhe
von je monatlich 200 €. Den weitergehenden Antrag der Klägerin wies das LSG mit der Begründung zurück, es obliege der behandelnden
Logopädin, die Förderung in diesem Umfang auszurichten. Die Therapeutin rechnete im Folgenden für die Klägerin Leistungen
gegenüber dem Beklagten in Höhe von monatlich 200 € für Januar bis Mai 2015 und für den Kläger im Januar 2015 in Höhe von
150 € sowie bis Mai 2015 monatlich 200 € ab.
Die Klägerin legte ein Zeugnis des 3. Schulbesuchshalbjahres, Schuljahr 2014/2015, vom 30. Januar 2015 vor, wonach diese in
der 3-jährigen Schuleingangsphase die Möglichkeit genutzt habe, die Grundkenntnisse auszubauen und zu stabilisieren. Konzentration
und Ausdauer seien oft von der Tagesform abhängig, sie lenke sich durch Spielereien ab. Es falle ihr schwer, ihre Gedanken
zu ordnen und sich klar auszudrücken. Sie behandele ihre Hefte und Bücher nicht immer mit der nötigen Achtsamkeit und Sorgfalt.
Auch beeinträchtigten unvollständige Arbeitsmaterialien gelegentlich das Erfüllen von Aufgaben. Ihre Lesetechnik und das Leseverständnis
hätten sich weiterentwickelt. Sie beherrsche die bisher erlernten Buchstaben und die Wörter des Grundwortschatzes in der Regel
ohne Fehler. Des Weiteren habe sie den Zahlenraum bis 10 erfasst und löse die gestellten Aufgaben im Wesentlichen fehlerfrei.
Im Weiteren legte die Klägerin eine weitere psychologische Stellungnahme der Dipl.-Psych. B1 vom 2. Dezember 2014 vor: Die
erneut durchgeführte BUEGA habe eine allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit im unteren Durchschnittsbereich (Gesamt-IQ-Wert:
87; Durchschnittsbereich: zwischen 85 und 115) ergeben. Altersangemessen seien die Leistungen in den Indizes Sprachverständnis,
Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken und Arbeitsgedächtnis. Hingegen sei die Verarbeitungsgeschwindigkeit als weit unterdurchschnittlich
einzuordnen. Die Lesefähigkeit und die Rechtschreibfertigkeiten seien im Vergleich zu anderen Kindern am Ende des 1. Schuljahres
insgesamt als kritisch zu beurteilen. Nach den Einschätzungen der Mutter (CBCL-Fragbogen) zeige die Klägerin sowohl internalisierende
(Ängste) als auch externalisierende (Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsprobleme) Verhaltenstendenzen. Die sozialen Probleme sowie
das aggressive Verhalten lägen im Grenzbereich zur Auffälligkeit. Ihre Aufmerksamkeitsprobleme seien deutlich erhöht. Bei
der Klägerin bestehe mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Lese- und Rechtschreibstörung nach F 81.0 ICD-10. Aus fachlichen
Gründen könne diese Diagnose jedoch erst zum Ende des 2. Schuljahres mit Sicherheit gestellt werden. Auch der Verdacht auf
eine komorbid bestehende Rechenstörung sollte bei anhaltenden Schwierigkeiten zu diesem Zeitpunkt dringend überprüft werden.
Bis dahin benötige die Klägerin unbedingt lerntherapeutische Behandlung mit den Schwerpunkten Konzentration und Selbstregulation,
visuelle Wahrnehmung und visumotorische Koordination sowie Förderung im sprachlichen und mathematischen Bereich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2015 wies der Beklagte den Widerspruch gegen die Ablehnung der Kostenübernahme einer
außerschulischen Lernförderung der Klägerin zurück: Eine außerschulischen Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II komme in der Regel nur kurzzeitig in Betracht, um eine vorübergehende Lernschwäche zu beheben. Die 8-jährige Klägerin begehre
indessen die Kostenübernahme für zwei langjährige Lerntherapien. Sie befinde sich in der Schuleingangsphase, welche gemäß
§ 4 Abs. 3 Satz 2 Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SchulG LSA) entsprechend der Lernentwicklung der Schüler ein bis drei Schuljahre dauern könne. Ein Verbleiben in der Schuleingangsphase
sei in der Regel notwendig, wenn der Schüler aufgrund seiner Entwicklung länger benötige, sich die Grundlagen anzueignen,
die für seine weitere schulische Laufbahn erforderlich seien. Es sei zu unterscheiden, ob entwicklungsbedingt eine Verlängerung
der Schuleingangsphase erfolge oder ob aufgrund von Lerndefiziten eine Versetzung in die nächste Klassenstufe nicht möglich
sei. Auffälligkeiten habe die Schule bei der Klägerin nicht beobachten können und eine konkrete Diagnose habe pro familia
nicht stellen können. Eine Begutachtung hinsichtlich eines sonderpädagogischen Bedarfes sei nicht erfolgt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2015 wies der Beklagte auch den Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung der Kostenübernahme
für eine außerschulische Lernförderung wegen Legasthenie zurück: Eine Kostenübernahme sei ausgeschlossen, da der Kläger eine
dauerhafte Unterstützung benötige. Er benötige keinen klassischen Förder- oder Nachhilfeunterricht, sondern eine therapeutische
Maßnahme, wie er sie bereits seit November 2013 in Anspruch nehme. Es erscheine zweifelhaft, ob es sich bei der wöchentlichen
Lerntherapie um eine angemessene Lernförderung handele. Eine Familie, welche nicht im Leistungsbezug nach dem SGB II oder SGB XII stehe, würde zunächst wahrscheinlich alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen (schulische Angebote, Erhöhung der häuslichen
Bemühung).
Mit weiteren Widerspruchsbescheiden vom 2. März 2015 wies der Beklagte zugleich die Widersprüche der Kläger gegen die Ablehnung
der Fahrtkosten zu den wöchentlichen Therapien zurück.
Nach einer weiteren zur Verwaltungsakte gereichten Bescheinigung der Klassenlehrerin der Klägerin vom 8. April 2015 sei eine
Lernförderung in den Fächern Deutsch und Mathematik im Umfang von je 1,5 Stunden wöchentlich bis Schuljahresende 2014/2015
notwendig, um ein ausreichendes Leistungsniveau bis zum Schuljahresende zu erreichen. Die Leistungsschwäche sei nicht alleinige
Folge einer bestehenden Lese- und Rechtschreibschwäche oder Dyskalkulie. Im Fach Deutsch solle der Förderschwerpunkt besonders
auf sinnerfassendes Lesen gelegt werden. Im Fach Mathematik sollten die Grundaufgaben mithilfe vielfältiger Veranschaulichung
gefestigt werden.
Am 2. April 2015 haben die Kläger zusammen mit den weiteren Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft Klage gegen den zurückweisenden
Widerspruchsbescheid vom
2. März 2015 hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Kosten der außerschulischen Lernförderung im Bewilligungsbescheid
erhoben (S 34 AS 1201/15). Im Weiteren haben die Kläger jeweils am 2. April 2015 Klage gegen die zurückweisenden Widerspruchsbescheide vom 2. März
2015 wegen der Ablehnung der Legasthenietherapie (S 34 1204/15), der Ablehnung der Legasthenie- und Dyskalkulietherapie (S
34 AS 1206/15) sowie gegen die Ablehnung der Fahrtkosten (Kläger: S 34 AS 1204/15 und Klägerin: S 34 AS 1207/15) erhoben. Zur Begründung haben die Kläger vorgetragen: Die Kosten stellten einen unabwendbaren Bedarf dar, da ohne diese
Fahrten die Therapie nicht erfolgen könnte. Die Schule begrüße ausdrücklich die außerschulische Förderung, da eine solche
durch die Schule nicht geleistet werden könne. Im Übrigen haben sie ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren bzw. den anderen
Klage-/Berufungsverfahren wiederholt.
Zwei weitere unter den Az. S 34 AS 1202/15 und S 34 AS 1203/15 erhobene Klagen betrafen Entscheidungen des Beklagten über die endgültige Festsetzung und Erstattung von Grundsicherungsleistungen
im Zeitraum von Dezember 2013 bis Mai 2014.
Mit Beschluss vom 23. September 2015 hat das SG die zuvor genannten Verfahren sowie zwei weitere – hier nicht streitgegenständliche – Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung
und Entscheidung zu dem Aktenzeichen S 34 AS 1201/15 verbunden.
Mit Urteil vom 18. November 2015 hat das SG die Bescheide des Beklagten über die endgültige Festsetzung und Erstattung vom 20. Oktober 2015 im Zeitraum von Dezember
2014 bis Mai 2015 zugunsten aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft abgeändert und die weitergehenden Klagen der Kläger auf
Übernahme der Kosten der Legasthenie- bzw. Dyskalkulietherapie und der damit verbundenen Fahrtkosten im Zeitraum von Januar
bis Mai 2015 abgelehnt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Zwar handele es sich bei der Therapie um eine Lernförderung im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II. Allerdings seien die Schulfächer Deutsch und Mathematik keine eigenständigen wesentlichen Lernziele im Sinne des SchulG LSA. Den Lernplänen der Grundschule sei zu entnehmen, dass die Grundschulphase als insgesamt zu betrachtende Lern- und Entwicklungsphase
eingeschätzt werde, in welcher es zu einer Kompetenzentwicklung kommen solle. Mangels konkret vorgegebener wesentlicher Lernziele
durch den Landesgesetzgeber sei bei der Auslegung auf die Ausführungen des Bundesgesetzgebers zu § 28 Abs. 5 SGB II abzustellen. Danach sei wesentliches Lernziel regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. das Erreichen eines
ausreichenden Leistungsniveaus. Das Leistungsniveau müsse demnach insgesamt so unzureichend sein, dass ohne außerschulische
Förderung die Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe gefährdet wäre. Dies sei bei den Klägern nicht der Fall. Bloße Defizite
in einem Schulfach genügten nicht. Damit scheide auch ein Anspruch auf die begehrten Fahrtkosten aus.
Gegen das ihnen am 29. Dezember 2015 zugestellte Urteil haben die Kläger am
19. Januar 2016 Berufung beim LSG erhoben. Mit Beschluss vom 4. Mai 2016 hat der seinerzeit zuständige zweite Senat des LSG
die hier nicht streitigen ursprünglichen Klageverfahren S 34 AS 1202/15 und S 34 AS 1203/15 abgetrennt.
Zur Begründung haben die Kläger – soweit es die hier streitige Kostenübernahme für die außerschulische Lernförderung und die
entstandenen Fahrtkosten betrifft – ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Klägerin hat einen Bescheid des Burgenlandkreises vom 7. Juli 2016 vorgelegt, mit dem ihr Antrag auf Eingliederungsleistungen
auf der Grundlage des Gutachtens von pro familia vom 2. Dezember 2014 abgelehnt worden war. Im Weiteren hat sie einen Ablehnungsbescheid
der zuständigen Krankenkasse vom 26. Juli 2016 vorgelegt, wonach ihr Antrag auf Kostenübernahme für Ergotherapie im Zeitraum
von September 2014 bis Mai 2016 abgelehnt worden war, da die durch die Therapeutin „erbrachte Nachhilfe in den Bereichen Deutsch
und Mathematik“ keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Ergänzend hat die Klägerin vorgetragen: Die Krankenkasse
sei weder für die gesamte Therapie noch für einen Teil der Therapie zuständig, denn die Ergotherapie sei ein untrennbarer
Bestandteil der Legastheniebehandlung.
Mit Schriftsatz vom 1. August 2019 haben die Kläger klargestellt, dass das Berufungsverfahren ausschließlich ihre Ansprüche
auf Kostenübernahme der außerschulischen Lernförderung und der Fahrtkosten betrifft.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. November 2015 mit dem Aktenzeichen S 34 AS 1201/15 hinsichtlich des abgewiesenen Teiles der Klage aufzuheben, soweit es den Bewilligungszeitraum Dezember 2014 bis einschließlich
Mai 2015 betrifft,
den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 29. Oktober 2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 6. Dezember 2014, 14.
Januar 2015 und 29. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2015 nebst dem endgültigen Bewilligungsbescheid
vom 20. Oktober 2015 dahingehend abzuändern, dass nunmehr
die jeweiligen Ablehnungsbescheide vom 30. Oktober 2014 in Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides vom 2. März 2015
aufzuheben und dass der Beklagte zu verurteilen ist, die vorläufig übernommenen Kosten für die außerschulische Lernförderung
aufgrund der Legasthenie des Berufungsklägers zu 1) in Höhe von 150 € für den Monat Januar 2015 und die Monate Februar bis
einschließlich Mai 2015 in Höhe von 200 € je Monat sowie aufgrund der Legasthenie- und Dyskalkulie der Berufungsklägerin zu
2) in Höhe von je 200 € pro Monat für den Zeitraum Januar 2015 bis einschließlich Mai 2015 in der Praxisgemeinschaft der Frau
M. nunmehr endgültig zu übernehmen,
die jeweiligen Ablehnungsbescheide vom 30. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2015 abzuändern
und der Berufungsbeklagte zu verurteilen ist, die Fahrtkosten zu außerschulischen Lernförderung für den Zeitraum Januar 2015
bis einschließlich Mai 2015 an den Berufungskläger zu 1) in Höhe von insgesamt 72,00 € und die Berufungsklägerin zu 2) in
Höhe von insgesamt 76,00 € zu zahlen,
dem Beklagten die Erstattung der bisherigen notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1) bis 5) unter Berücksichtigung
der notwendigen Aufwendungen auch für die unzulässigen Widerspruchsverfahren sowie dem Berufungsbeklagten zudem die notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Berufungskläger zu 1) und zu 2) aufzuerlegen sind.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält seine Bescheide und das Urteil des SG Halle für zutreffend.
In einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 9. September 2015 in weiteren die Kostenübernahme betreffenden
Verfahren (L 2 AS 598/14, L 2 AS 343/15 B ER und L 2 AS 358/15 B ER) hat die gesetzliche Vertreterin ausgeführt: Die Therapie beginne bei der Klägerin immer mit einer Ergotherapie, da
die Klägerin ansonsten für die Therapie nicht aufnahmefähig sei. Eine Kombination von verschiedenen Therapien biete nur das
Zentrum der Therapeutin an. Das von dem Beklagten angebotene kostenlose Konzentrationstraining in N. werde von Pädagogen durchgeführt.
Diese seien nicht in der Lage, eine Legasthenie oder Dyskalkulie zu beheben.
Am 15. Juni 2016 hat sich die Klägerin zur Abklärung einer LRS, Dyskalkulie und Konzentrationsstörung im Sozialpädiatrischen
Zentrum (SPZ) im Krankenhaus H. vorgestellt. In dem Bericht vom 7. September 2016 hat die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Dr. F. ausgeführt, die Klägerin befinde sich in der 3. Klasse und erhalte Ergotherapie. Ein Testverfahren (Hamburg-Wechsler-Intelligenztest
für Kinder IV) habe ein überwiegend im Mittelwertbereich der Altersklasse liegendes Ergebnis gebracht. Der Gesamt-IQ habe
bei 95 gelegen und sei altersgerecht. Die während der Testsituation anfangs angemessene Aufmerksamkeit habe nach ca. 25 Minuten
spürbar nachgelassen und der Arbeitsstil sei zunehmend impulsiver geworden. Die neuropädiatrische Untersuchung habe keine
Auffälligkeiten ergeben. Die kognitive Entwicklung der Klägerin sei altersgerecht, wobei das Leistungsprofil auf eine Teilleistungsstörung
hinweise und die Konzentration beeinträchtigt sei. Es habe der Verdacht auf eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung
(F90.0 ICD-10) bestanden. Eine Legasthenie und Dyskalkulie solle bei schulischen Schwierigkeiten in diesen Bereich durch eine
Schulpsychologin abgeklärt und ein Nachteilsausgleich in Betracht gezogen werden. Die laufenden Fördermaßnahmen sollten weitergeführt
werden, da anderenfalls die Klägerin aufgrund von Überforderung psychische Auffälligkeiten entwickeln könnte.
In einer psychologischen Mitteilung vom 5. Dezember 2016 hat Dipl.-Psych. B1 ausgeführt, nach den erneut durchgeführten Tests
liege die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Klägerin im Durchschnitt ihrer Altersgruppe. Es habe sich ein sehr homogenes
Leistungsprofil in den entsprechenden Untertests zum Sprachverständnis, Wahrnehmungsgebundenes logisches Denken, Arbeitsgedächtnis
und Verarbeitungsgeschwindigkeit gezeigt. Bei der Klägerin liege eine kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten nach F81.3
ICD-10 vor. Ihre Lese- und Rechtschreibfertigkeiten, aber auch die Rechenfähigkeiten seien als äußerst kritisch zu beurteilen
und entsprächen nicht den Erwartungen bei ihrem intellektuellen Leistungsniveau. Die Weiterführung der individuellen Legasthenietherapie
sowie der Dyskalkulietherapie sei zu empfehlen. Zudem bestehe Anspruch auf umfassenden schulischen Nachteilsausgleich.
In einem weiteren Erörterungstermin am 26. April 2018 hat die Berichterstatterin den Hinweis erteilt, dass es auf die Stellungnahme
der Therapeutin im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 35a Abs. 1a Satz 4 SGB VIII nicht ankommen dürfte. Der Prozessbevollmächtigte Klägerin hat angegeben, ihm gegenüber habe die Dipl.-Psych. B1 eindeutig
von einer Legasthenie berichtet. Die angegebene Diagnose könne er sich nicht erklären.
Der Senat hat ferner Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des die Kläger behandelnden Facharztes für Kinder-
und Jugendmedizin Dipl.-Med. S. Dieser hat in seinen Berichten vom 5. September 2018 angegeben, den Kläger von Februar 2006
bis Oktober 2013 und die Klägerin von Januar 2007 bis September 2014 behandelt zu haben. Nach Vorlage eines pädagogischen
Gutachtens im Mai 2013 habe er bei dem Kläger den Verdacht auf eine auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung geäußert
bzw. den Verdacht des Vorliegens einer Legasthenie bestätigt.
Der Senat hat weitere Stellungnahmen der Klassenlehrerinnen der Kläger eingeholt. Auf deren Stellungnahme vom 25. Oktober
2018 (für die Klägerin) und vom 5. November 2018 (für den Kläger) im Verfahren L 4 AS 598/14 wird Bezug genommen.
Am 17. Juli 2019 hat pro familia mitgeteilt, dass ein Befundbericht für die Klägerin nicht erstellt werden könne. Die Aufbewahrungsfrist
der Akten sei abgelaufen und Dipl.-Psych. B1 befinde sich in Elternzeit.
Der Senat hat im Weiteren eine Stellungnahme der Therapeutin der Kläger vom 16. August 2019 eingeholt. Danach seien alle Gutachten
nach den Grundsätzen einer pädagogischen Förderdiagnostik erstellt worden und hätten der Planung einer gezielten und individuellen
Förderung gedient. Zur Förderung seien verschiedene Computerprogramme genutzt, Arbeitsblätter ausgefüllt und das zu Lernende
in verschiedenen Spielen angewandt worden. Die standardisierten Angebote der Schule, das Schreiben und Lesen zu erlernen,
seien nicht ausreichend gewesen; eine zusätzliche individuelle Intervention habe erfolgen müssen. Die Kläger hätten eine spezielle
Förderung im Aufmerksamkeits-, Sinneswahrnehmungs- und Symbolbereich gebraucht und entsprechende Übungen seien erforderlich
gewesen.
Nach einer an die Legasthenietrainerin gerichteten psychologische Mitteilung der Beratungsstelle pro familia vom 23. November
2015 sei bei der Klägerin eine psychologische Diagnostik erfolgt. Der Intelligenztest habe einen IQ-Wert von 90 ergeben und
liege damit im durchschnittlichen Bereich. Im Mathematiktest sei ein Wert erreicht worden, welcher die kritische Grenze unterschreite.
Eine Rechenschwäche habe diagnostiziert werden können. Die Leistungen lägen im Grenzbereich zur Dyskalkulie, die derzeit noch
nicht gesichert ausgeschlossen werden könne.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist form- und fristgerecht gemäß §
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) eingelegt worden und zulässig. Es ist aber nur die Berufung des Klägers begründet.
1. Streitbefangen ist – nach Trennung der Verfahren – allein ein Anspruch der Kläger auf Leistungen der Lernförderung nach
§ 28 Abs. 5 SGB II für die in Anspruch genommene Legasthenie- bzw. Dyskalkulietherapie sowie ein Anspruch der Kläger auf Fahrtkostenüberahme.
Weitere Leistungen der Bedarfsgemeinschaft der Kläger stehen nicht im Streit. Die Kläger haben ihr Begehren in zulässiger
Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG) verfolgt. Zwar steht dem Leistungsträger hinsichtlich der Erbringung von Leistungen zur Bildung und Teilhabe grundsätzlich
ein Auswahlermessen zu, ob er die Leistung als Sach- oder Dienstleistung oder als (ggf. pauschalierte) Geldleistung erbringt
(§ 29 Abs. 1 SGB II), sodass regelmäßig die Bescheidungsverpflichtungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1
SGG) die statthafte Klageart ist. Beschafft sich der Hilfebedürftige die in Streit stehende Leistung jedoch – wie hier – endgültig
selbst, richtet sich das Begehren auf eine Geldleistung, die im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen ist
(vgl. BSG, Urteil vom 25. April 2018, Az.: B 4 AS 19/17 R, m.w.N., zitiert nach juris). Da der Beklagte aufgrund einer vorläufigen Verpflichtung in diversen Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes die in Streit stehenden Leistungen bereits (vorläufig) durch Zahlung an die Therapeutin geleistet hat, ist
das Begehren der Kläger auf eine endgültige Regelung gerichtet.
Zu Unrecht hat das SG die Klage des Klägers abgewiesen. Die Bescheide des Beklagten vom 30. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. März 2015 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Dieser hat einen Anspruch auf Übernahme der
Kosten der außerschulischen Lernförderung (hierzu unter 3. a] – c]) und der entstandenen Fahrtkosten zu den Therapien (hierzu
unter 3. d]).
Zu Recht hat das SG indessen die Klage der Klägerin gegen die Bescheide vom 30. Oktober 2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2.
März 2015 auf Übernahme der Kosten der außerschulischen Lernförderung und der anfallenden Fahrtkosten abgelehnt. Die Bescheide
sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (hierzu unter 4.).
2. Bei den von den Klägern geltend gemachten Ansprüchen auf Übernahme der Kosten für Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II handelt es sich um einen gerichtlich isoliert durchsetzbaren Anspruch. Denn die Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen
und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II neben dem Regelbedarf nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gesondert berücksichtigt und sind nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB II gesondert zu beantragen (vgl. BSG, Urteil vom 25. April 2018, Az.: B 4 AS 19/17 R, RN 13, zitiert nach juris). Der Beklagte war daher nicht verpflichtet, über diesen Anspruch bereits im Rahmen der Leistungsgewährung
mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 29. Oktober 2014, dieser nunmehr ersetzt durch den endgültigen Bewilligungsbescheid
vom 20. Oktober 2015, zu entscheiden.
a) Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers im Zeitraum von Juni bis November 2014 und für den Anspruch der Klägerin im
Zeitraum vom September bis November 2014 ist § 19 Abs. 2 i.V.m. §§ 7 ff sowie § 28 Abs. 1 und 5 SGB II in der Fassung vom 7. Mai 2013. Denn in Streitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen
Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016, Az.: B 14 AS 53/16 R, zitiert nach juris).
Anspruch auf Lernförderung als Leistung für Bildung und Teilhabe haben Leistungsberechtigte dann, wenn sie diese beantragt
haben, sie Schülerin oder Schüler i.S. von § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind, die Voraussetzungen des § 28 Abs. 5 SGB II vorliegen und sie weder Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben (§ 19 Abs. 2 Satz 1 SGB II) noch sie entsprechende Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe nach § 6b des
BKGG erhalten (§ 19 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Nach § 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese
geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele
zu erreichen.
b) Die Kläger haben zunächst, vertreten durch ihre Mutter (§ 38 Abs. 1 SGB II), den erforderlichen Leistungsantrag (§ 37 Abs. 1 Satz 2 SGB II) gestellt und waren Leistungsberechtigte nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Einen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII hatten die Kläger im streitigen Zeitraum nicht und es wurden ihnen keine Leistungen nach § 6b
BKGG gewährt. Die Kläger waren zudem Schüler im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 SGB II.
c) Bei der von den Klägern in Anspruch genommenen Therapie zur Behandlung einer Legasthenie bzw. Dyskalkulie handelt es sich
um eine „Lernförderung“ i.S.d. § 28 Abs. 5 SGB II. Die vom Beklagten (zunächst) vertretene Auffassung, dass von § 28 Abs. 5 SGB II nur eine zeitlich begrenzte Nachhilfe, durch welche unverschuldete Wissenslücken (z.B. aufgrund Unterrichtsausfalls wegen
Krankheit) beseitigt werden sollen, und eine spezielle Förderung einer grundsätzlich behandelbaren Legsthenie bzw. Dyskalkulie
hiervon nicht erfasst ist, findet im Gesetz keine Stütze (hierzu umfassend: BSG, Urteil vom 25. April 2018, a.a.O., RN 18 ff).
Der von den Klägern begehrten Leistung für Bildung und Teilhabe steht damit weder entgegen, dass es sich bei der von ihnen
in Anspruch genommenen Therapie nicht um eine Nachhilfe im klassischen bzw. engerem Sinn gehandelt hat noch dass diese Therapie
über einen längeren Zeitraum erfolgte.
3. Die von dem Kläger in Anspruch genommene Förderung stellt eine die schulischen Angebote ergänzende angemessene Lernförderung
dar, die zudem auch geeignet und zusätzlich erforderlich war, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen
Lernziele des Kindes zu erreichen.
a) Der Kläger war zunächst nicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen anderer (vorrangiger) Leistungsträger zu verweisen.
Die Anträge beim zuständigen Jugendhilfeträger und bei der zuständigen Krankenkasse wurden abgelehnt. Ein Anspruch auf Eingliederungshilfen
nach § 35a SGB XII wurde verneint, da trotz der festgestellten Teilleistungsschwäche in Form einer LRS (F81.0 ICD-10) bzw. Legasthenie eine
seelische Behinderung weder vorlag noch drohte. Eine Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung war nicht gegeben,
da eine Legasthenie- bzw. LRS-Therapie keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt (vgl. hierzu Bayerisches
LSG, Urteil vom 23. März 2006, Az.: L 4 KR 279/04; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Januar 2000, Az.: L 4 KR 4592/98, zitiert nach juris).
b) Zur Überzeugung des Senats leidet der Kläger an einer Legasthenie bzw. LRS. Eine Legasthenie wird im Gegensatz zu einer
LRS als eine umschriebene Lese-Rechtschreib-störung verstanden, die schon als Anlage mitgebracht wird oder in der frühen Entwicklung
entsteht und sich nicht durch mangelnde Begabung, unzureichende Beschulung oder beeinträchtigte Sinne begründen lässt. Eine
unterschiedliche rechtliche Beurteilung lässt sich daraus jedoch nicht herleiten, da die Auswirkungen der Störungen identisch
sind. Eine Differenzierung lässt sich auch der Entscheidung des BSG vom 25. April 2018, die beide Begrifflichkeiten verwendet, nicht entnehmen.
Grundlage der Ermittlungen zum Vorliegen einer LRS (bzw. auch Dyskalkulie) und zu deren konkreter Ausprägung muss der aktuelle
wissenschaftliche Erkenntnisstand sein, wobei auch die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften (AWMF bzw. im Fall der Dyskalkulie die von der AWMF publizierten S3-Leitlinie: Diagnostik und Behandlung
einer Rechenstörung) berücksichtigt werden sollen.
Beim Kläger ist von einer LRS auszugehen. Der Senat stützt sich bei dieser Annahme auf das plausible und schlüssige Gutachten
der Dipl.-Psych. B1 vom 8. Mai 2014. Diese hat die Diagnose nach Testverfahren, die der AWMF-Richtlinie entsprechen, bei dem
damals die 2. Klasse besuchenden Kläger zweifelsfrei gestellt. Zusammenfassend hat Dipl.-Psych. B1 mit überzeugender Begründung
ausgeführt, dass der Kläger intellektuell gut den durchschnittlichen Anforderungen gewachsen war, jedoch durch seine Teilleistungsschwäche
eingeschränkt war, seine Begabung auszuschöpfen. Zur Behebung der Teilleistungsschwäche bedurfte der Kläger nach der psychologischen
Einschätzung einer individuellen Legasthenietherapie. Dem schließt sich der Senat an.
Demgegenüber war weder der Einschätzung der Schule bzw. Lehrer noch der Einschätzung der Therapeutin nach durchgeführten pädagogischen
Testverfahren zu folgen.
Denn der Einschätzung der Schule lag nach der Stellungnahme der LRS-Beauftragten H. kein Gesamttest zur LRS zugrunde, sondern
lediglich eine von ihr analysierte Bilderliste der Kläger. Eine Weiterleitung an den schulpsychologischen Dienst zur weiteren
Abklärung zur Ermittlung des Gesamt-IQ und zur Feststellung einer allgemeinen Lernschwäche oder Teilleistungsstörung mangels
entsprechender Fehlerquote in der Bilderliste ist jedoch unterblieben.
Auch auf die Einschätzung der Therapeutin ist (sowohl beim Kläger als auch bei der Klägerin) nicht abzustellen. Hiergegen
spricht bereits der in § 35a Abs. 1a Satz 4 SGB XIII normierte Grundsatz, wonach zur Vermeidung von Interessenkollisionen
der Leistungserbringer nicht zu beteiligen ist. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/3676, S. 36) darf der Therapeut, der
die Stellungnahme abgibt, nicht an der Leistungserbringung beteiligt sein. Diese Grundsätze finden auch im Recht der Grundsicherung
Anwendung. Zudem entsprachen die von der Therapeutin durchgeführten Tests zur Feststellung einer Legasthenie (bzw. bei der
Klägerin auch einer Dyskalkulie) nicht den durch die Leitlinien der AWMF bzw. der S3-Leitlinie aufgestellten Anforderungen.
Deren Einschätzung beruht ausschließlich auf dem Ergebnis eines pädagogischen, nicht aber eines psychologischen Testverfahrens.
Der Beklagte hat auch zu keinem Zeitpunkt die Diagnose der Legasthenie bzw. LRS in Frage gestellt. Bei bestehenden Zweifeln
hätte dieser im Rahmen seiner nach § 20 SGB X obliegenden Amtsermittlungspflicht tätig werden und ggf. entsprechende Gutachten einholen müssen. Eine weitere Aufklärung,
etwa in Form der Begutachtung durch einen Psychologen, ist trotz einer entsprechenden Anregung im Verfahren L 2 AS 964/13 B ER unterblieben.
c) Die vom Kläger in Anspruch genommene Therapie in der Praxisgemeinschaft der Therapeutin war auch geeignet und erforderlich,
um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.
Wesentliches Lernziel ist in der Regel die Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe bzw. das Erreichen eines ausreichenden
Leistungsniveaus (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 105). Jedoch kommen unter Berücksichtigung des Einzelfalls auch andere Lernziele
in Betracht, insbesondere eine Verbesserung des Leistungsniveaus bei Vorliegen einer Legasthenie oder Dyskalkulie (Hessisches
LSG, Urteil vom 13. November 2015, Az.: L 9 AS 192/14, RN 35; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Januar 2015, Az.: L 2 AS 622/14 B ER , RN 28 ; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Februar 2012, Az.: L 7 AS 43/12 B ER, RN 20, zitiert nach juris). Zu beachten ist insoweit, dass die wesentlichen Lernziele nicht abstrakt, sondern im jeweiligen
Einzelfall differenzierend nach Schulform und Klassenstufe anhand der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen zu ermitteln
sind.
Hier bestimmen sich die wesentlichen Lernziele nach dem SchulG LSA. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 6 SchulG LSA vom 22. Februar 2013 ist die Schule gehalten, den Schülern Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten mit dem Ziel zu vermitteln,
die freie Entfaltung der Persönlichkeit und Begabung, eigenverantwortliches Handeln und Leistungsbereitschaft zu fördern und
die Schüler auf die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt, des öffentlichen Lebens, der Familie und Freizeit vorzubereiten.
Die Grundschule vermittelt dabei gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 SchulG LSA im Unterricht Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten und entwickelt die verschiedenen Fähigkeiten in einem für alle Schülerinnen
und Schüler gemeinsamen Bildungsgang, wobei bei der Unterrichtsgestaltung die individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen
und Schüler mit ihren unterschiedlichen kognitiven, sozialen, emotionalen und motorischen Entwicklungen zu beachten sind.
Auch das Erreichen eines ausreichenden Leistungsniveaus und das Erlernen von Lesen und Schreiben stellen ein wesentliches
Lernziel dar (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Februar 2012, Az.: L 7 AS 43/12 B ER, zitiert nach juris), da es sich hierbei um Grundfertigkeiten handelt, die die Schüler für den gesamten weiteren Bildungsweg
benötigen. Unabhängig von der Frage der Versetzungsgefährdung lag beim Kläger zum Ende der 2. Klasse bzw. zu Beginn des 3.
Schuljahres kein ausreichendes Leistungsniveau im Fach Deutsch vor. Es bestanden weiterhin erhebliche Probleme beim verstehenden
Lesen von Texten, dem selbständigen Bearbeiten von Aufgaben und dem Erlesen der Aufgabenstellungen. Dies haben die Lehrerinnen
in den im Verwaltungsverfahren vorgelegten schulischen Einschätzungen sowie in ihren im Gerichtsverfahren eingeholten Stellungnahmen
bestätigt. Selbst wenn die Zensur im Fach Deutsch ausreichend war, musste diese Schwäche ausgeglichen werden. Der Abstand
zu dem durchschnittlichen Leistungsniveau des Klassenverbandes hätte sich sonst vergrößert.
Bereits aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 5 SGB II folgt, dass schulische Angebote, soweit sie die Schule in ihrer Eigenschaft als Bildungseinrichtung vorhält und zur Verfügung
stellt, vorrangig vor den außerschulischen Angeboten in Anspruch zu nehmen sind. Nur dann, wenn die schulischen Angebote einschließlich
der dort zunehmend angebotenen Fördermaßnahmen im Einzelfall keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten, kommt eine außerschulische
Lernförderung in Betracht (Voelzke in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II, Stand: 07/20, § 28, RN 77). Dabei ist eine Prognoseentscheidung zu treffen. Den von der Schule eingereichten Stellungnahmen, insbesondere der
Leistungseinschätzung der Klassenlehrerin, war zu entnehmen, dass der Kläger im streitigen Zeitraum die durch die Schule angebotenen
Fördermaßnahmen (eine zusätzliche Deutschstunde durch die Klassenlehrerin sowie eine zusätzliche Förderung durch eine Pädagogin
einer anderen Schule) in Anspruch genommen hat.
Die Lernförderung war auch geeignet und erforderlich, die wesentlichen Lernziele der Grundschule bei den bestehenden Defiziten
zu erreichen. Ob eine Lernförderung geeignet ist, ist sowohl an deren Ziel als auch an der Person des Schülers zu orientieren.
Der gewünschte Lernerfolg muss hierbei grundsätzlich erreichbar sein, auch wenn der Erfolg ungewiss ist. Bei der grundsätzlich
auf das Schuljahresende vorzunehmenden Prognoseentscheidung ist von einer Eignung nur dann nicht auszugehen, wenn eine Leistungsstörung
vorliegt, die psychologischer Behandlung bedarf oder sich die Schulnoten trotz längerer Lernförderung nicht verbessern (Leopold
in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II. 5. Auflage, Stand: Januar 2021, § 28, RN 155). Beides war hier nicht der Fall. Eine behandlungsbedürftige psychische oder psychosomatische Störung konnte durch
Dipl.-Psych. B1. ausgeschlossen werden und eine Verbesserung der Leistungen haben die Lehrerinnen und die Schulsozialarbeiterin
übereinstimmend bescheinigt. Auch sollte durch die Lernförderung kein höherer Bildungsweg, sondern „nur“ eine Förderung erfolgen,
um das Leistungsniveau dem der Klassenkameraden anzupassen bzw. die Fähigkeiten beim Lesen und beim Schreiben zu verbessern.
Da eine ausschließlich schulische Förderung zur Verbesserung des Leistungsniveaus nicht ausreichte, war die in Anspruch genommene
Therapie zur Erreichung des Lernzieles erforderlich.
Die entstandenen Kosten waren auch angemessen. Angemessen ist Lernförderung, wenn sie im Rahmen der örtlichen Angebotsstruktur
auf kostengünstige Anbieterstrukturen zurückgreift. Die Angemessenheit der Höhe der Vergütung richtet sich ferner nach der
konkret benötigten Lernförderung und den ortsüblichen Sätzen (vgl. BT-DRs. 17/3404, S. 105). Es ist nicht ersichtlich, dass
der Kläger eine andere wohnortnahe und kostengünstigere Option für eine individuelle Legasthenietherapie hatte. Nach Angaben
des Beklagten hat insbesondere die Volkshochschule (VHS) im streitigen Zeitraum bis heute keinen speziellen auf Kinder bezogenen
Förderunterricht angeboten. Weitere Ermittlungen des Beklagten sind nicht erfolgt. Auch seitens der Schule wurden im Gerichtsverfahren
keine weiteren erfolgversprechenden Optionen für den Kläger aufgezeigt. Auch Recherchen des Senats im Internet zur Frage,
ob es wohnortnah andere kostengünstigere Leistungsanbieter im streitigen Zeitraum gab, blieben ohne Erfolg.
Der Einwand des Beklagten, Eltern außerhalb des Leistungsbezuges nach dem SGB II könnten oder wollten sich derartige Kosten im Normalfall nicht leisten, greift nicht durch. Aus Art.
1 Abs.
1 des
Grundgesetzes (
GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
1 GG folgt, dass ein hilfebedürftiges Kind nicht von Lebenschancen ausgeschlossen werden darf (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010,
Az.: 1 BvL 1/09). Die Zuständigkeit der Länder für das Schul- und Bildungswesen macht die fürsorgerechtliche Berücksichtigung eines Bedarfes
nicht entbehrlich. Der Bund habe das Existenzminimum vollständig zu gewährleisten. Der Bundesgesetzgeber dürfe erst dann von
Leistungen absehen, wenn der Schüler diese von anderer Seite tatsächlich erhält. Solange und soweit diese Leistungen den Kindern
nicht gewährt würden, müsse dies im Rahmen der Gewährleistung des Existenzminimums im Leistungssystem des SGB II erfolgen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Januar 2015, Az.: L 2 AS 622/14 ER, zitiert nach juris).
d) Dem Kläger steht gegen den Beklagten auch ein Anspruch auf Übernahme der mit den Therapien entstandenen Fahrtkosten zu.
Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 28 SGB II, da diese Kosten zu den Verbrauchsausgaben für Verkehr, die in die Ermittlung der Regelbedarfe eingeflossen sind, gehören.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachten Bedarfe für Fahrtkosten ist § 21 Abs. 6 SGB II. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht
nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist nach Satz 2 der Norm unabweisbar, wenn er insbesondere nicht
durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten gedeckt ist und
seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
Diese Härtefallregelung greift ein, wenn – wie hier - ein Bedarf entweder nicht vom Regelbedarf abgedeckt oder er zwar seiner
Art nach berücksichtigt ist, in Sondersituationen aber ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf auftritt (vgl. Düring in:
Gagel, SGB II/SGB III, Stand März 2019, § 21 SGB II, RN 43). Von einem leistungserhöhend wirkenden Mehrbedarf kann grundsätzlich nicht ausgegangen werden, wenn die festgestellten
Aufwendungen aus einem Lebensbereich den Betrag aus der einschlägigen regelbedarfsrelevanten Verbrauchsgruppe nach § 6 des
Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG)
nicht übersteigen. Dabei sind im vorliegenden Rechtsstreit die (fortgeschriebenen) Beträge aus Artikel 1 § 6 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I Seite 453) maßgeblich.
Bei dem geltend gemachten Bedarf für die Fahrtkosten handelt es sich um einen laufenden und nicht nur einmaligen Bedarf, denn
der Kläger hat aufgrund der Notwendigkeit einer Legasthenietherapie – mit Ausnahme des Januar 2015 – gleichbleibend hohe wöchentliche
Fahrtaufwendungen. Bei den Fahrten zu der Therapeutin handelt es sich im Einzelfall um einen laufenden Mehrbedarf, weil die
konkrete Bedarfslage des Klägers eine andere ist, als sie typischerweise bei SGB II-Leistungsberechtigten besteht. Aufgrund seiner Teilleistungsschwäche ergibt sich ein Mehrbedarf im Verhältnis zum „normalen“
Regelbedarf. Ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten (Mobilität) enthalten ist, handelt es
sich um einen besonderen Bedarf, weil es nicht um die üblichen Fahrten im Alltag geht, sondern um Fahrten für erforderliche
therapeutische Maßnahmen.
Im Januar 2015 erfolgten drei Fahrten zur Legasthenietherapie und in den Monaten von Februar bis Mai 2015 jeweils vier Fahrten.
Hierfür fielen pro Therapietag für Hin- und Rückfahrt jeweils 4 € an (10 km einfache Strecke x 0,20 €). Im Januar 2015 fielen
somit Kosten in Höhe von 12 € und in weiteren Monaten von je 16 € an.
Für die Abteilung 7 (Verkehr) nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 RBEG war im Jahr 2015 bei Kindern vom Beginn des siebten bis zur Vollendung
des 14. Lebensjahres ein Betrag von ca. 12,49 € monatlich (ausgehend von einer Steigerung des Regelbedarfes von 2011 von 251
€ zu 2015 von 267 € in Höhe von ca. 6 % und einem Anteil für Verkehr in 2011 von 11,79 €) in den damals maßgeblichen Regelbedarf
§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II eingegangen.
Die Aufwendungen des Klägers für Fahrten lagen in den genannten Monaten über den im Regelbedarf enthaltenen Anteilen für Mobilität.
Einsparmöglichkeiten, etwa durch die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, sind nicht ersichtlich. Öffentliche Verkehrsmittel
wären, da der Kläger aufgrund seiner Minderjährigkeit einer Begleitperson bedurfte, für die Hin- und Rückfahrt von K. nach
N. teurer gewesen. Das Merkmal der Erheblichkeit gemäß § 21 Abs. 6 SGB II ist ebenfalls erfüllt. Der Bedarf des Klägers an Aufwendungen für Fahrten zur den Therapien weicht seiner Höhe nach erheblich
von einem durchschnittlichen Bedarf ab.
Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Regelsatzanteil für Fahrtkosten nicht nur Fahrten zur Krankenbehandlung
umfasst, sondern alle Aufwendungen für Fahrten. Sowohl notwendige Fahrten, wie z.B. zum Einkaufen oder für Behördengänge,
sondern auch die im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums erforderliche Mobilität zur soziokulturellen Teilhabe, wie
z.B. Besuchsfahrten oder Ausflüge, sind vom Regelbedarfsanteil erfasst.
Da der im Regelbedarf enthaltene Anteil für Fahrtkosten im Januar 2015 fast und in den Monaten von Februar bis Mai 2015 vollständig
überschritten wurde, sind die in entstandenen Fahrtkosten vollständig als individueller Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu berücksichtigen. Eine denkbare Berücksichtigung nur des den Regelbedarfsanteil übersteigenden Kostenaufwands als Mehrbedarf
hält der Senat für unangemessen, da damit unberücksichtigt bliebe, dass der im Regelsatzanteil für Fahrtkosten auch andere
Fahrten als zu Ärzten und Therapien umfasst.
4) Hingegen erfüllt die Klägerin nicht die Voraussetzungen, um Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II in Anspruch nehmen zu können.
Zwar verfügte auch die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht über ein ausreichendes Leistungsniveau und wies erhebliche Schwächen
in den Schulfächern Deutsch und Mathematik auf. Es lag bei ihr aber keine gesicherte Diagnose einer Lese- und Rechtschreibstörung
(bzw. Legasthenie) und einer Dyskalkulie vor, die eine jeweilige individuelle Therapie erfordert hätte. Der Senat folgert
dies aus dem Ergebnis der im Gerichtsverfahren eingeholten und vorgelegten Unterlagen. Die Klägerin bedurfte maßgeblich einer
Therapie zur Stabilisierung und Besserung spezifischer mentaler Funktionen, insbesondere der Aufmerksamkeit, Konzentration,
der visuellen Wahrnehmung und visuomotorischen Koordination. Hierbei handelt es sich um Leistungen, die im Rahmen einer ergotherapeutischen
Behandlung (§ 38 Heilmittel-Richtlinie [HeilM-RL]) i.V.m. den im Zweiten Teil der HeilM-RL geregelten Maßnahmen der Ergotherapie
zu erbringen sind und für die die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben ist.
Auf die Einschätzung der Therapeutin ist entsprechend den obigen Ausführungen nicht abzustellen. Eine gesicherte Diagnose
ergibt sich auch nicht aus den umfangreichen Stellungnahmen der Beratungsstelle der pro familia. Die Diagnose bzw. vielmehr
die Ausprägung einer bestehenden Störung ist indessen unabdingbare Voraussetzung, um die Erforderlichkeit bzw. Geeignetheit
einer einzuleitenden bzw. einer – wie hier – bereits eingeleiteten Therapie beurteilen zu können. Diese beiden Aspekte stehen
in einem untrennbaren Zusammenhang und bedingen sich gegenseitig.
Nach der Stellungnahme der Dipl.-Psych. B1 vom 17. Juli 2014 waren die schulischen Fertigkeiten der Klägerin im sprachlichen
und mathematischen Bereich deutlich auffällig. Der Verdacht der Diagnose einer Legasthenie und Dyskalkulie wurde geäußert,
es konnte aber zum damaligen Zeitpunkt diese Diagnose nicht sicher festgestellt werden. Dipl.-Psych. B1 hat darauf hingewiesen,
es müsse die weitere Entwicklung der Klägerin abgewartet werden. Dies steht im Einklang mit den Auskünften der Lehrer und
der Schulpsychologin wie auch mit der weiteren psychologischen Stellungnahme vom
2. Dezember 2014, wonach aus fachlichen Gründen erst zum Ende des 2. Schuljahres eine solche Diagnose sicher gestellt werden
könne.
Nach den Ausführungen in der psychologischen Stellungnahme vom 2. Dezember 2014 lag die intellektuelle Leistungsfähigkeit
der Klägerin mit einem Gesamt-IQ von 87 im unteren Durchschnittsbereich (85-115). Während die Leistungen in den Bereichen
Sprachverständnis, Wahrnehmungsgebundenes Logisches Denken und Arbeitsgedächtnis altersangemessen waren, war die Verarbeitungsgeschwindigkeit
weit unterdurchschnittlich und die Lese- und Rechtschreibfertigkeiten im Vergleich zu anderen Kindern der 1. Klasse als deutlich
kritisch zu bewerten. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hat Dipl.-Psych. B1 die Empfehlung zu einer lerntherapeutischen Behandlung
ausgesprochen. Eine Empfehlung für eine individuelle Legasthenie- und Dyskalkulietherapie war daraus mangels sicherer Diagnose
aber nicht herzuleiten. In einem weiteren Bericht vom 23. November 2015 hat Dipl.-Psych. H. ausgeführt, dass der IQ-Wert der
Klägerin mit 90 im durchschnittlichen Bereich liege. In einem Mathematiktest sei ein Wert erreicht worden, der die kritische
Grenze unterschreite, woraus eine Rechenschwäche zu folgern sei. Die Leistung habe im Grenzbereich zu einer Dyskalkulie gelegen,
die noch nicht sicher ausgeschlossen werden könne. Die sichere Diagnose einer Legasthenie und Dyskalkulie ist schließlich
auch nicht bei der im 3. Schuljahr vorgenommenen Begutachtung durch pro familia gestellt worden. Dipl.-Psych. B1 hat in dem
Bericht vom 5. Dezember 2016 ausgeführt, es hätten sich nach den durchgeführten Testverfahren die intellektuellen Fähigkeiten
der Klägerin im Durchschnitt ihrer Altersgruppe befunden. Es habe sich ein sehr homogenes Leistungsprofil in den entsprechenden
Untertests zum Sprachverständnis, Wahrnehmungsgebundenes logisches Denken, Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit
gezeigt. Demgegenüber wurden die Rechtschreibung und die Leseleistung immer noch als deutlich kritisch beurteilt. Deutliche
Schwierigkeiten habe es auch bei der Durchführung von Rechenoperationen und Rechengeschwindigkeit gegeben. Unter der gestellten
Diagnose „kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten nach F81.3 ICD-10“ habe sie die Fortführung der individuellen Legasthenie-
und Dyskalkulietherapie empfohlen. Eine Notwendigkeit dieser Therapien lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten. Diese Ergebnisse
stehen im Wesentlichen in Übereinstimmung mit dem Bericht des SPZ H. vom 7. September 2016, wo sich die Klägerin zur Abklärung
einer LRS, Dyskalkulie und Konzentrationsstörung vorgestellt hatte. Es wurde ausgeführt, dass die Konzentration nach ca. 25
Minuten spürbar nachgelassen hat. Hingegen waren die kognitiven Leistungen und der Gesamt-IQ (95) altersgerecht. Das Leistungsprofil
habe auf eine Teilleistungsstörung und eine Beeinträchtigung der Konzentration hingewiesen. Der Verdacht auf eine einfache
Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0 ICD10) wurde geäußert. Eine weitere Abklärung einer Legasthenie bzw. Dyskalkulie
z.B. durch einen Schulpsychologen wurde angeraten.
Die bei der Klägerin hiernach festgestellten Schwierigkeiten im mathematischen Bereich stellen nach der S3-Leitlinie aber
nicht stets eine (behandlungsbedürftige) Rechenstörung (Dyskalkulie) dar. So ist eine Rechenstörung von einer Rechenschwäche,
wie sie von Dipl.-Psych. H. sicher diagnostiziert wurde, zu unterscheiden. Probleme in den Grundrechenarten können auch auf
eine Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsproblematik zurückzuführen sein. Bei entsprechender Behandlung kann es bereits zu einer
Steigerung der Mathematikkompetenz kommen.
Hiervon ausgehend liegt zur Überzeugung des Senats bei der Klägerin eine nachgewiesene kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten
und insbesondere eine Rechenschwäche mit dem Erfordernis einer ergotherapeutischen Behandlung vor. Die Notwendigkeit einer
speziellen individuellen Legasthenie- und Dyskalkulietherapie lässt sich hieraus indessen nicht herleiten. Auf das Erfordernis
einer ergotherapeutischen Behandlung hat bereits die Therapeutin in ihrem pädagogischen Gutachten vom 1. Mai 2014 („Übungen
der Aufmerksamkeitssteigerung dringend über eine Ergotherapie“) hingewiesen. Auch die Lehrer und die Schulsozialarbeiterin
haben die Konzentrationsprobleme erkannt und auf die Möglichkeit eines (kostenlosen) Konzentrationstrainings in N. hingewiesen.
Weitere Ermittlungen waren nicht zu veranlassen. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auch keinen entsprechenden
Beweisantrag gestellt. Sofern sie zur weiteren Sachverhaltsaufklärung auf die Möglichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens
oder der Einvernahme von Dipl.-Psych. B1 als Zeugin verwiesen hat, folgt der Senat dieser Beweisanregung nicht. Denn der Sachverhalt
ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen psychologischen Stellungnahmen von pro familia und die weiteren vorliegenden Auskünfte
bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung
notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt.
Der Senat verkennt nicht, dass es bei der Klägerin zu einer Leistungssteigerung im schulischen Bereich gekommen ist. Hierfür
sprechen sowohl die vorgelegten Zeugnisse als auch die Stellungnahmen der Lehrerin und der Schulsozialarbeiterin. Auch wird
nicht verkannt, dass hierzu – neben den schulischen Förderleistungen – auch die außerschulische Förderung durch die Therapeutin
beigetragen hat. Nach deren Stellungnahme und nach den Angaben der gesetzlichen Vertreterin war die Therapie stets mit einer
– nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erforderlichen und notwendigen – ergotherapeutischen Behandlung verbunden.
Ergotherapeutische Maßnahmen stellen indessen, wie oben dargelegt, Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dar, die
nach entsprechender ärztlicher Verordnung erbracht werden. Die HeilM-RL schließen Maßnahmen zur Behandlung von Störungen einer
Lese- und Rechtsschreibschwäche und sonstiger isolierter Lernstörungen (vgl. Anlage 1 zur HeilM-RL) aus, nicht aber ergotherapeutische
Maßnahmen, die auf die Behandlung einer Konzentrations- oder Wahrnehmungsstörung, von Aufmerksamkeitsdefiziten und Schwierigkeiten
in der visuellen Wahrnehmung gerichtet sind.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Die im Rahmen des §
193 SGG von Amts wegen zu treffendende Kostengrundenscheidung ergeht nach dem Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung, wobei
das Gericht bei Verfahrensbeendigung über die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden hat. Hierzu gehören auch die
Kosten eines Vorverfahrens. Eine Entscheidung über die Kosten für unzulässige Widerspruchsverfahren und für die weiteren ursprünglich
klagendenden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, die im Berufungsverfahren nicht mehr Verfahrensbeteiligte sind, bedarf es
nicht. Gegenstand des Berufungsverfahrens waren zudem nicht die isolierten Kosten eines Vorverfahrens nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
6. Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.