Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II
Rechtmäßigkeit der Entziehung von Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung
Gründe
I.
Der am 1974 geborene Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruchs gegen einen Bescheid, mit dem der Antragsgegner laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch,
Zweites Buch, Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) wegen mangelnder Mitwirkung auf der Grundlage von §
66 Abs.
1 Sozialgesetzbuch, 1. Buch, Allgemeiner Teil (
SGB I) entzogen hat.
Der Antragsteller bezieht seit 2005 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Bemühungen des Antragsgegners infolge der seit Mitte 2017 bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers, dessen Erwerbsfähigkeit
zu überprüfen, scheiterten in der Vergangenheit an der fehlenden Mitwirkung des Antragstellers.
Zuletzt mit Bescheid vom 30. Januar 2019, abgeändert durch Bescheide vom 20. August 2019 und 23. November 2019, bewilligte
der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. März 2019 bis 29. Februar 2020.
Eine Einladung des Antragsgegners zu einer ärztlichen/ psychologischen/ psychiatrischen Untersuchung am 28. März 2019 konnte
der Antragsteller, der sich zu diesem Zeitpunkt in stationärer Behandlung befand, nicht wahrnehmen.
Eine weitere Einladung zu einer entsprechenden Untersuchung am 15. Juli 2019 nahm der Antragsteller nicht wahr. Er hat diese
Einladung mit Widerspruch und nachfolgend mit einer Klage angefochten, die bei dem Sozialgericht Schleswig unter dem Aktenzeichen
S AS /19 anhängig ist.
Mit Schreiben vom 25. September 2019 lud der Antragsgegner den Antragsteller erneut zu einer ärztlichen/psychologischen/psychiatrischen
Untersuchung bei dem sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt F am 10. Oktober 2019 ein. Beigefügt war der Einladung eine Rechtsfolgenbelehrung,
in der darauf hingewiesen wurde, dass der Einladung, zu der der Antragsteller nach § 59 SGB II in Verbindung mit §
309 SGB III verpflichtet sei, zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes II in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs führen würde
und der Minderungsbetrag vorliegend 42,40 EUR betragen würde.
Das Schreiben erhielt darüber hinaus den Hinweis, dass die Einladung zugleich eine Aufforderung zur Mitwirkung nach §
66 Abs.
1 SGB I sei. Es folgte eine Erläuterung zu §
62 SGB I und der Hinweis, dass ohne die Mitwirkung die Erwerbsfähigkeit und damit eine Leistungsvoraussetzung nach dem SGB II nicht hinreichend festgestellt werden könne. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass, sofern er seiner Mitwirkungspflicht
ohne wichtigen Grund nicht nachkomme, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bis zur Nachholung der Mitwirkung nach §
66 SGB I entzogen werden könnten.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 minderte der Antragsgegner die Leistungen des Antragstellers mit Wirkung ab 1. Januar bis
31. März 2020 monatlich um den Betrag von 42,40 EUR. Diese Entscheidung stützte er auf § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II und führte zur Begründung aus, trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen sei der Antragsteller zu einem ärztlichen
Untersuchungstermin am 10. Oktober 2019 ohne wichtigen Grund nicht erschienen.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2019 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller gestützt auf §
66 Abs.
1 SGB I die laufenden Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum ab 1. Januar 2020 bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz. Zur Begründung führte er aus, er habe bei seiner
Entscheidung Ermessen ausgeübt. Im Folgenden stellte er den Sachverhalt umfänglich da und führte aus, trotz umfassender Ermittlungen
könne die Erwerbsfähigkeit, die Leistungsvoraussetzung nach dem SGB II sei, nicht festgestellt werden. Dies sei von dem Antragsteller zu vertreten, weil dieser jegliche Mitwirkung verweigern würde.
Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Antragssteller die nötige Einsicht fehle. Allein aufgrund der Zeitdauer
der Arbeitsunfähigkeit drängten sich Zweifel an der erforderlichen Erwerbsfähigkeit auf. Es müsse daher davon ausgegangen
werden, dass das Verhalten des Antragstellers darauf abziele, die Feststellung der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs zu verhindern.
Gründe die im Rahmen der Ermessensausübung zugunsten des Antragstellers sprechen könnten, habe dieser nicht mitgeteilt.
Am 18. Dezember 2019 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen diesen Bescheid.
Ebenfalls am 18. Dezember 2019 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Schleswig die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid vom 12. Dezember 2019 beantragt.
Diesen Antrag hat das Sozialgericht Schleswig mit Beschluss vom 14. Januar 2020 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, nach
der vorzunehmenden summarischen Prüfung werde der Antragsteller im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich unterliegen. Die Voraussetzungen
einer vorläufigen Leistungsentziehung nach §
66 Abs.
1 SGB I seien erfüllt. Der vormalige Zuspruch der Leistungen stehe dem nicht entgegen, den §
66 Abs.
1 SGB I sehe neben der Versagung auch die nachträgliche Entziehung von Leistungen vor. Der Antragsgegner habe den Antragsteller bei
der Einladung zur Untersuchung auch auf eine mögliche vollständige Leistungsentziehung nach §
66 Abs.
1 SGB I hingewiesen.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das gerichtliche Eilverfahren hat das Sozialgericht abgelehnt.
Gegen diesen, seinem Bevollmächtigten am 15. Januar 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers
vom gleichen Tag.
Zur Begründung trägt er vor, er sei der Auffassung, dass die Belehrung des Beklagten nicht korrekt erfolgt sei. Es fehle an
einer einzelfallbezogenen Belehrung. Die Belehrung suggeriere auch, dass die Rechtsfolgen allein durch Nichtwahrnehmung des
Termins eintreten würden. Tatsächlich mache §
66 SGB I die Möglichkeit einer Entziehung aber davon abhängig, dass die Ermittlung des Sachverhalts vereitelt oder wesentlich erschwert
werde. Nicht zuletzt sei eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch den Beklagten nicht erfolgt. So habe der Beklagte etwa
den Umstand ignoriert, dass er wegen des Meldeversäumnisses vom 10. Dezember 2019 bereits eine Sanktion ausgesprochen habe.
Ebenso habe er den versäumten Meldetermin vom 28. März 2019 zur Begründung der Entscheidung herangezogen, obwohl der Kläger
für die Versäumung dieses Termins einen wichtigen Grund gehabt habe.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 14. Januar 2020 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen
den Bescheid vom 12. Dezember 2019 anzuordnen sowie ihm für das Verfahren vor dem Sozialgericht und das Verfahren vor dem
Landessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt vor, entgegen der Rechtsprechung des erkennenden Senats bestehe kein Vorrang der Absenkungsregelung nach § 32 SGB II gegenüber der Versagung gemäß §
66 SGB I. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Mai 2014 im Verfahren B 11 AL 8/13. Überdies sei von einem
schlichten Meldeversäumnis nicht mehr auszugehen, wenn der Betroffene sich generell weigere, sich untersuchen zu lassen. Dann
könne auf §
66 SGB I zurückgegriffen werden. So liege der Fall hier. Soweit der Antragsteller formale Fehler im Verwaltungsverfahren behaupte,
sei festzustellen, dass gerade der angefochtene Entziehungsbescheid eine hinreichende und notwendige Ermessensausübung erkennen
lasse. Es liege auch eine einzelfallbezogene hinreichende Rechtsfolgenbelehrung vor. Er habe nicht nur den Gesetzestext wiedergegeben,
sondern dem Antragsteller konkret und zutreffend aufgezeigt, welche Rechtsfolgen ein Verstoß nach sich ziehen könne.
Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den weiteren Inhalt der
Gerichtsakte und der den Antragssteller betreffenden Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und in aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Die Beschwerde ist insbesondere fristgerecht
innerhalb der Monatsfrist des §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) beim Landesozialgericht eingegangen. Der Zulässigkeit der Beschwerde steht der Beschwerdeausschluss gemäß §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG nicht entgegen, denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung nicht der Zulassung. Der Beschwerdegrenzwert gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG wird überschritten. Betroffen von der Entziehungsentscheidung des Antragsgegners sind die Monate Januar und Februar 2020.
Für diese Monate sind dem Antragssteller jeweils Leistungen in Höhe von 675,76 EUR gewährt worden. Der Beschwerdewert liegt
also deutlich über 750,- EUR.
Gemäß §
86 b Abs.
1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung
haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß §
86 a Abs.2 Nr.4
SGG i.V.m. § 39 SGB II entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei Verwaltungsakten, die bestimmte Entscheidungen
nach dem SGB II enthalten (u.a Aufhebung, Rücknahme, Widerruf, Entziehung, Feststellung einer Minderung, Leistungen zur Eingliederung in
Arbeit, Anspruchsüberleitung). Danach entfällt die aufschiebende Wirkung vorliegend. Bei der nach §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG zu treffenden Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist eine Abwägung des Aussetzungs- und des Vollzugsinteresses
vorzunehmen. Die aufschiebende Wirkung ist in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des belasteten Leistungsempfängers
an der aufschiebenden Wirkung überwiegt. Wenn kein überwiegendes Interesse des Antragstellers vorliegt, ist der Antrag abzulehnen.
Maßgebliches Kriterium bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs. Soweit sich der angegriffene
Verwaltungsakt bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende
Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen. Ist der Widerspruch hingegen offensichtlich unzulässig oder die Anfechtungsklage bzw.
der Widerspruch offensichtlich unbegründet, kommt eine Aussetzung nicht in Betracht.
Vorliegend fällt diese Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus, denn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des gegenständlichen
Bescheides überwiegen. Mit insoweit hinreichender Wahrscheinlichkeit wird das Widerspruchsverfahren erfolgreich aus Sicht
des Antragstellers sein.
Der Rechtmäßigkeit der streitigen Entzugsentscheidung nach §
66 SGB I steht entgegen, dass der Verstoß gegen die Mitwirkungsobliegenheiten nach §§
60 ff
SGB I des Antragstellers gleichzeitig ein nach § 32 Abs. 1 SGB II sanktionierbares Meldeversäumnis gemäß § 59 SGB II beinhaltet. In der grundsicherungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur wird ganz überwiegend angenommen, dass § 32 SGB II, für den Fall des Nichterscheinens zu einem angeordneten ärztlichen Untersuchungstermin, eine Spezialregelung gegenüber §
66 SGB I enthält, die diese Vorschrift in seinem Anwendungsbereich verdrängt, sodass der Leistungsträger für die in § 32 SGB II geregelten Fälle gehindert ist, nach §§
60 ff
SGB I vorzugehen (so der erkennende Senat, Beschluss vom 2. August 2011, L 3 AS 130/11 B ER; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Februar 2009, L 5B 376/08 AS ER; Berlit in LPK SGB 2 6. Aufl.
§ 33 Rn. 3; Weber in juris PK § 32 SGB II Rn. 16; Valgolio in Hauck-Noftz § 32 SGB II Rn 7a; Knickrehm/Hahn in Eicher/Luik SGB II 4. Aufl. § 32 Rn. 6)
Demgegenüber hat das Bundessozialgericht (BSG) in der von dem Antragsgegner zitierten Entscheidung vom 14. Mai 2014 für das Verhältnis von §
309 Sozialgesetzbuch, 3. Buch, Arbeitsförderung (
SGB III) zu §§
60 ff
SGB I ausgeführt, beide Institute seien nebeneinander anwendbar. Eine Spezialität bestehe im Verhältnis der genannten Regelungen
zueinander nicht, denn es handele sich um zwei verschiedene Rechtsinstitute. Mit der entgegenstehenden Auffassung in der grundsicherungsrechtlichen
Literatur und Rechtsprechung hat sich das BSG dabei aber nicht auseinandergesetzt, diese nicht einmal zur Kenntnis genommen und lediglich für bzw. gegen seine Ansicht
sprechende Quellen aus dem Bereich des
SGB III zitiert.
Der Senat neigt ebenso wie wohl die oben zitierte und nach der Entscheidung des BSG nochmals aktualisierte Kommentarliteratur dazu, jedenfalls für den Bereich bereits gewährter laufender Leistungen nach dem
SGB II, die Regelung des § 32 SGB II in ihrem Anwendungsbereich nach wie vor als Spezialvorschrift gegenüber der vorläufigen Entziehung von Leistungen nach dem
SGB II gemäß § 66 SGB II anzusehen.
Zwar haben die Meldepflichten nach § 59 SGB II und §
309 SGB III die gleiche gesetzliche Grundlage, eine unterschiedliche Handhabung der Verstöße gegen diese Meldepflicht im Verhältnis zu
Rechtsvorschriften des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs liegt aber nahe, da Meldeversäumnisse in den Rechtskreisen
des SGB II und des
SGB III auch ganz unterschiedliche Rechtsfolgen haben (ähnlich wohl auch Valgolio aaO). Während im SGB II nach § 32 SGB II eine Minderung des Regelbedarfs, also neben den Unterkunftskosten in der Regel nur eines Teils der insgesamt nach dem SGB II zustehenden Leistungen, um 10 % vorgesehen ist, dem Leistungsempfänger also der weit überwiegende Teil der Leistungen erhalten
bleibt, sieht §
159 Abs.
1 Nr.
6, Abs.
6 SGB III den Eintritt einer Sperrzeit, also eines vollständig leistungslosen Zustandes, wenn auch nur für eine Woche, vor. Diese unterschiedlichen
Rechtsfolgen erscheinen im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielrichtungen der Regelungssysteme SGB II und
SGB III auch angemessen, denn das SGB II verfolgt auch das Ziel, der Sicherung des grundsicherungsrechtlichen Bedarfs, während dieses Ziel dem
SGB III fremd ist. Das verfassungsrechtlich geschützte Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum ist somit auch bei Ausgestaltung
des Leistungssystems des
SGB III nicht zu berücksichtigen, im SGB II aber gerade schon.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Fehlen der Verfügbarkeit im Sinne von §
138 Abs.
1 Nr.
3 SGB III, welches bei der Entscheidung des BSG vom 14. Mai 2014 im Raum stand, trägerübergreifend andere Rechtsfolgen hat, als das hier infrage stehende Fehlen der Erwerbsfähigkeit
im Sinne von § 8 SGB II. Während bei fehlender Verfügbarkeit kein sozialversicherungsrechtlicher Leistungsanspruch auf Arbeitslosengeld nach dem
SGB III besteht, dient das Merkmal der Erwerbsfähigkeit gemäß § 8 SGB II primär zur Abgrenzung unterschiedlicher, paralleler Leistungssysteme im Grundsicherungsrecht. Anders als etwa bei fehlender
Hilfebedürftigkeit führt die fehlende Erwerbsfähigkeit eines Grundsicherungsleistungsbeziehers in der Regel nicht dazu, dass
er seinen Anspruch auf Grundsicherungsleistung gänzlich verliert, sondern entweder einen Leistungsanspruch nach dem Sozialgesetzbuch,
12. Buch, Sozialhilfe (SGB XII) in meist gleicher Höhe bei ansonsten annähernd gleichen Voraussetzungen erwirbt oder aber bei Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft
mit einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen weiterhin Leistungen nach dem SGB II erhält.
Soweit das Nichterscheinen zu einem ärztlichen Untersuchungstermin, welches nur nach § 32 SGB II zu sanktionieren ist, von der grundsätzlichen Weigerung, sich untersuchen zu lassen, abzugrenzen ist, welche zur Erteilung
eines Bescheides nach §
66 SGB I berechtigen kann (Vgl. Berlit aaO m.w.N.), ist darauf hinzuweisen, dass mit der E-Mail des Antragstellers an seinen Bevollmächtigten
vom 16. Dezember 2019, die Letzterer mit der Eilantragschrift beim Sozialgericht Schleswig eingereicht hat, zwar deutliche
Hinweise darauf vorliegen, dass der Antragsteller sich grundsätzlich weigert, sich ärztlich, jedenfalls psychiatrisch, untersuchen
zu lassen. Dies kann bei Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12. Dezember 2019 aber nicht berücksichtigt werden,
denn dieses Schreiben ist nach Bescheiderlass verfasst worden und sein Inhalt im Rahmen einer gegen den Bescheid vom 12. Dezember
2019 nur zulässigen reinen Anfechtungsklage nicht zu berücksichtigen.
Selbst wenn man mit dem Antragsgegner und dem Sozialgericht die Vorschriften der §§
60 ff
SGB I auch in den Anwendungsfällen des § 32 SGB II gleichrangig neben dieser Vorschrift für anwendbar hielte, ergäbe die anzustellende summarische Prüfung gleichwohl überwiegende
Erfolgsaussichten des Antragstellers in der Hauptsache, denn es stößt jedenfalls auf gewichtige Bedenken, wenn ein Leistungsträger
wie hier die Vorschriften § 32 SGB II und §
66 SGB I nicht nur gleichrangig zueinander ansieht, sondern für einen Meldeverstoß auch noch nebeneinander zur Anwendung bringt, einen
Mitwirkungsverstoß eines Leistungsberechtigten also in unterschiedlichen Regelungssysteme doppelt sanktioniert.
Selbst wenn man dies grundsätzlich für zulässig hielte, hätte es sich dem Antragsgegner jedenfalls aufdrängen müssen, dass
dieser spezielle Umstand im Rahmen der nach §
66 Abs.
1 SGB I anzustellenden Ermessenserwägungen zu berücksichtigen ist. Dem Antragsgegner ist durchaus zugute zu halten, dass er bei Erlass
seines Bescheides vom 12. Dezember 2019 Ermessen ausgeübt hat. Es fällt zwar schwer, die umfangreiche Darstellung des Sachverhalts
und die tatbestandliche Subsumtion unter die zwingenden Voraussetzungen des §
66 SGB I von der erforderlichen Ausübung des Ermessens abzugrenzen. Gleichwohl lässt sich den Ausführungen des Antragsgegners entnehmen,
dass ihm bewusst war, dass keine gebundene Entscheidung zu treffen war, und ihm eine andere Entscheidung grundsätzlich möglich
war. Sichtbar wird das insbesondere aus dem Hinweis, dass Gründe, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zugunsten des Antragstellers
zu berücksichtigen seien, nicht vorgetragen seien. Im Rahmen der Ermessensausübung war der Antragsgegner aber auch gehalten,
Besonderheiten des Einzelfalles, die für ihn erkennbar sind, zu berücksichtigen, auch wenn dies vom Antragsteller nicht vorgetragen
wird. Dazu gehört der Umstand, dass der Antragsgegner nur 8 Tage zuvor mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 bereits wegen des
Nichterscheinens zur amtsärztlichen Begutachtung am 10. Oktober 2019 eine andere Rechtsfolge ausgesprochen hat. Das parallele
Zusammentreffen dieser beiden Bescheide ist jeweils so ungewöhnlich, dass der Antragsgegner es im Rahmen der nach § 66 Abs.
1 anzustellenden Ermessenserwägungen nicht ignorieren durfte. Er hat diesen Umstand im Bescheid vom 12. Dezember 2019 aber
gar nicht erwähnt, so dass zwar kein Ermessensnichtgebrauch aber eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 Abs.
1, Abs.
4 SGG und folgt der Sachentscheidung.
Soweit die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht gerichtet ist, war
sie zurückzuweisen. Ebenso war der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Landessozialgericht
abzulehnen. Der Antragsteller ist nicht (mehr) prozesskostenhilfebedürftig im Sinne von §
73 a Abs.
1 SGG i.V.m. §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO), denn er erhält durch diesen Beschluss einen unanfechtbaren Anspruch auf Übernahme der sonst durch die Prozesskostenhilfe
zu deckenden Kosten durch den Antragsgegner.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde gemäß §
177 SGG nicht gegeben.