Anspruch rumänischer Staatsangehöriger auf Gewährung vorläufiger Leistungen nach dem AsylbLG bei Wegfall eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II nach dem Verlust des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen
Verfahren
Anforderungen an die Wirksamkeit des Wegfalls des Aufenthaltsrechts nach Widerspruch und Klage
Kein Anspruch auf Asylbewerberleistungen
Gründe
I.
Streitig ist die vorläufige Verpflichtung zur Gewährung von existenzsichernden Leistungen bei Verlustfeststellung nach dem
FreizügG/EU. Die Antragsteller wenden sich gegen den erstinstanzlichen Beschluss, weil vorläufige Leistungen nach Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) einschließlich des Krankenversicherungsschutzes abgelehnt wurden. Die Beigeladene wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen
die einstweilige Verpflichtung, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) zu gewähren.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Die 2000 geborene Antragstellerin zu 1) ist Mutter der im 2014 und 2016
geborenen Antragsteller zu 2) und 3). Die Antragstellerin zu 1) reiste im Februar 2018 alleine in das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland ein und arbeitete zunächst im Umfang von 25 Stunden wöchentlich, später 87,4 Stunden monatlich. Ihre Kinder, die
Antragsteller zu 2) und 3), folgten im Mai 2019. Ab Juni 2019 verringerte die Antragstellerin zu 1) daraufhin ihre Arbeitszeit
auf 31,5 Stunden monatlich. Ab Januar 2020 lag ihr monatlicher Verdienst nur noch bei 90 €, die Kündigung erfolgte zum 30.
März 2020 aus betrieblichen Gründen. Ab Februar 2021 nahmen die Antragsteller an einer Förderung des Antragsgegners für schwer
erreichbare Menschen und bei der Hilfe zum Alltagsleben teil. Für die Antragsteller zu 2) und 3) wird derzeit Unterhaltsvorschuss
in monatlicher Höhe von 232,- € bzw. 174,- € sowie von der Familienkasse Kindergeld in monatlicher Höhe von jeweils 219,00
€ gewährt. Seit dem 17. Juni 2021 ist die Antragstellerin zu 1) nach einem erstmals am 5. Juli 2021 im Beschwerdeverfahren
eingereichten Arbeitsvertrag mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 16,25 Stunden wöchentlich erneut beschäftigt. Die Antragsteller
sind mittellos.
Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern fortlaufend Leistungen nach dem SGB II. Für die Zeit vom 1. März 2021 bis zum 30. November 2021 bewilligte der Antragsgegner Leistungen in Höhe von monatlich 954,56
€ (Bewilligungsbescheid vom 3. November 2020 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 21. November 2020, 27. November 2020 und
9. Februar 2021).
Durch Bescheid vom 4. Februar 2021 wurde von der Beigeladenen der Verlust des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts der Antragsteller
festgestellt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2021 mit der Begründung zurückgewiesen, dass die
Antragstellerin zu 1) zwar Arbeitnehmerin gewesen sei, sich jedoch nicht unbegrenzt auf das Freizügigkeitsrecht als unfreiwillig
Arbeitslose gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizüG/EU berufen könne, zumal keine entsprechende konstitutive Bescheinigung der
Bundesagentur für Arbeit vorliege. Außerdem bestehe aufgrund der persönlichen Umstände Arbeitsmarktferne und es seien keine
Versuche der Antragstellerin zu 1) erkennbar, eine Beschäftigung zu suchen. Die Klage dagegen ist inzwischen vor dem Verwaltungsgericht
Schleswig zum Aktenzeichen 11 A 208/21 anhängig.
Der Antragsgegner hob nach § 48 Abs.1 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Bescheid vom 15. April 2021 seine Bewilligungsentscheidungen über Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab dem 1. Mai
2021 mit der Begründung auf, dass den Antragstellern durch die Beigeladene die Freizügigkeit entzogen worden sei. Damit entfalle
der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2021 zurück. Hiergegen
ist ein Verfahren vor dem Sozialgericht Kiel zum Az. S 36 AS 10059/21 anhängig.
Mit Antrag vom 11. Mai 2021 haben die Antragsteller um Eilrechtsschutz bei dem SG Kiel nachgesucht. Für den Monat Mai 2021
hätten sie keine Leistungen erhalten. Es habe weder der Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II noch die Beigeladene Leistungen nach dem SGB XII oder dem
Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) erbracht. Die aufschiebende Wirkung sei hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II anzuordnen, denn die Aufhebungsentscheidung sei rechtswidrig. Insbesondere seien die Antragsteller nicht gemäß § 7 Abs.1 Satz 2 SGB II von dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da Rechtsmittel gegen den Verlustfeststellungsbescheid aufschiebende Wirkung entfalteten. Zudem verfüge die
Antragstellerin zu 1) auch über einen gemäß § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU fortwirkenden Arbeitnehmerstatus, da sie in der Zeit vom 19. April 2018 bis 31. März 2020 durchgängig Beschäftigungen ausgeübt
habe, die sich im Hinblick auf die vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten sowie auf die vertraglich vereinbarten Einkommen
nicht als unwesentlich dargestellt hätten. Jedenfalls sei die Beigeladene hilfsweise zur Erbringung von existenzsichernden
Leistungen nach dem SGB XII oder dem
AsylbLG zu verpflichten. Eine besondere Härte liege darin, dass sich die Antragsteller gegen den Verlustfeststellungsbescheid mit
Rechtsmitteln zur Wehr gesetzt hätten und deshalb nicht vollziehbar ausreisepflichtig seien. Insoweit sei es nicht mit der
Rechtsordnung vereinbar, den Antragstellern einerseits das Recht einzuräumen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens
über den Verlustfeststellungsbescheid in Deutschland zu verbleiben, sie aber andererseits grundsicherungsrechtlich auf das
Selbsthilfemittel der Ausreise nach Rumänien zu verweisen. Sie wären dann faktisch zu einer Ausreise gezwungen.
Das SG Kiel hat die Stadt Kiel zum Verfahren beigeladen und diese unter Ablehnung des Antrages im Übrigen dazu vorläufig verpflichtet,
den Antragstellern Leistungen nach dem
AsylbLG für die Zeit vom 11. Mai 2021 bis zum 31. Juli 2021 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein Anspruch nach
dem SGB II nicht bestehe, denn die Antragsteller hätten infolge der Verlustfeststellung vom 4. Februar 2021 keinen gewöhnlichen Aufenthalt
mehr in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs.1 S.1 Nr.4 SGB II. Der nach §
80 Abs.
1 S.1
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) ausgelöste Suspensiveffekt des Widerspruchs bzw. der Klage nach §
80 Abs.1 S.1
VwGO lasse die Freizügigkeitsvermutung auch nicht wieder aufleben, sondern führe nur dazu, dass die Durchsetzung der kraft Gesetzes
entstehenden Ausreisepflicht nach § 7 Abs.1 S.1 FreizügG/EU durch eine Abschiebung unzulässig sei. Die in der Verlustfeststellung vom 4. Februar 2021 getroffenen Feststellungen hinsichtlich
des Nichtbestehens einer Freizügigkeitsberechtigung der Antragsteller einschließlich der hiermit verbundenen Rechtsfolgen
- Fortfall der Freizügigkeitsvermutung und Entstehen der Ausreisepflicht - seien im sozialrechtlichen Verfahren als gegeben
hinzunehmen, die förmliche Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde sei bindend. Die
Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Feststellung obliege ausschließlich den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ebenso
wenig bestehe ein Anordnungsanspruch auf Verpflichtung der Beigeladenen zur Gewährung von Sozialhilfe nach dem SGB XII, da die Antragsteller nach § 23 Abs.3 S.1 Nr. 2 SGB XII von Hilfen zum Lebensunterhalt nach § 27 ff. SGB XII ausgeschlossen sind.
Die Beigeladene sei jedoch vorläufig zur Gewährung von Leistungen nach dem
AsylbLG zu verpflichten. Die Antragsteller gehörten zum nach §
1 Abs.1 Nr. 5
AsylbLG leistungsberechtigten Personenkreis, wonach Ausländer anspruchsberechtigt seien, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhielten
und die vollziehbar ausreisepflichtig seien, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar sei.
EU-Bürger seien von diesen Leistungen nach dem
AsylbLG nicht ausgeschlossen. Erfasst seien Personengruppen mit einem mehr oder minder unverfestigten Aufenthaltsstatus, es bestehe
kein Anlass, Unionsbürger aus dem Anwendungsbereich des
AsylbLG auszuschließen. Wer Ausländer sei, bestimme sich nach § 2 AufenthG in Verbindung mit der in §
1 AsylbLG vorgenommenen näheren Bestimmung der Leistungsberechtigten. Nach der Legaldefinition sei das jeder, der nicht Deutscher im
Sinne des Art.
116 Abs.1
Grundgesetz sei.
Hiergegen hat die Beigeladene am 24. Juni 2021 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor: EU-Bürger seien grundsätzlich
von Leistungen nach dem
AsylbLG ausgeschlossen. Dies entspreche der weit überwiegenden und selbst den vom Sozialgericht Kiel zitierten Literaturstellen zum
AsylbLG. Für die Antragsteller bestünden keine Ansprüche auf Sozialleistungen in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn ein Einwohner
der Europäischen Union freizügigkeitsberechtigt sei und in das Bundesgebiet einreise, erhalte er in den ersten fünf Jahren
seines Aufenthalts üblicherweise keinerlei Sozialleistungen. Es sei nicht erklärlich, weshalb Personen, bei denen innerhalb
dieser fünf Jahre der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt sei, demgegenüber Sozialleistungen nach dem
AsylbLG erhalten sollten, obwohl durch die Verlustfeststellung eindeutig zum Ausdruck gebracht sei, dass sie das Bundesgebiet zu
verlassen hätten. Darüber hinaus sei der Personenkreis der Leistungsberechtigten in §
1 Abs.
1 AsylbLG abschließend beschrieben. Die Antragsteller besäßen keine Duldung im Sinne von §
1 Abs.
1 Nr.
4 AsylbLG und seien auch nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Die vom Sozialgericht zitierten Entscheidungen beträfen Härtefälle (zum
SGB II) und seien nicht auf das vorliegende Verfahren übertragbar.
Auch die Antragsteller haben am 5. Juli 2021 Beschwerde eingelegt und machen geltend, dass die aufschiebende Wirkung der Klage
gegen den Aufhebungsbescheid des Antragsgegners anzuordnen sei und damit vorläufig Leistungen nach dem SGB II einschließlich des Krankenversicherungsschutzes, der nach dem
AsylbLG nicht gesichert sei, vom Antragsgegner zu gewähren seien. Zur Begründung tragen sie vor: Zu Unrecht gehe das Sozialgericht
davon aus, dass die durch den Verlustfeststellungsbescheid der Ausländerbehörde vom 18. Februar 2021 begründete Ausreisepflicht
der Antragsteller zu einem Verlust ihres gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik im Sinne des §
30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) und damit zum Wegfall der Leistungsvoraussetzung des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II führe. Vielmehr sei zu beachten, dass die durch §
80 Abs.1 S. 2
VwGO angeordnete aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage gegen einen feststellenden Verwaltungsakt zur Folge habe, dass
aus der Feststellung keine rechtlichen oder tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürften. Nur wenn unter Vollziehung jegliche
rechtliche oder tatsächliche Folgerung verstanden werde, die die Verwaltung, der Adressat selbst oder Dritte aus dem Verwaltungsakt
zögen, werde der Zweck aufschiebender Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen belastenden Verwaltungsakt erreicht. Der Verlustfestellungsbescheid
habe keine Tatbestandswirkung. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass gemäß § 7 Abs.1 FreizügG/EU bereits der Erlass eines Verlustfestellungsbescheids die Ausreisepflicht des Betroffenen begründe, denn dies solle nur die
Möglichkeiten der Ausweisung und Abschiebung erleichtern. Den Antragstellern stünde auch ein materiell-rechtliches Aufenthaltsrecht
zu, denn für die Antragstellerin zu 1) habe die Eigenschaft als Arbeitnehmerin für die Zeit vom 1. April.2020 bis 16. Juni
2021 fortgegolten und auch jetzt sei sie wieder als Arbeitnehmerin beschäftigt. Auf jeden Fall bestünden jedoch hilfsweise
Ansprüche nach dem
AsylbLG, weshalb die Beschwerde der Beigeladenen zurückzuweisen sei. Dass nach dieser Auffassung Unionsbürger von jeglichen existenzsichernden
Leistungen ausgeschlossen wären, sei verfassungswidrig. Es sei nicht hinnehmbar, dass auf diese Weise die Durchsetzung aufenthaltsrechtlicher
Behördenentscheidungen mit dem Mittel des gerichtlich nicht angreifbaren Entzuges von Sozialleistungen durchsetzbar wäre.
Die Antragsteller beabsichtigten nicht, nach Rumänien zurück zu kehren und beantragen ausdrücklich auch keine Überbrückungsleistungen
nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII oder Rückreisehilfen nach § 23 Abs. 3a SGB XII.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 8. Juni 2021 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage zum Az. S 36 AS 10059/21 anzuordnen, hilfsweise die Beschwerde der Beigeladenen zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 8. Juni 2021 abzuändern und den Antrag auf vorläufige existenzsichernde Leistungen
in vollem Umfang abzulehnen.
Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren ausdrücklich keinen Antrag gestellt. Im Übrigen bezieht er sich hinsichtlich
der Leistungen nach dem SGB II auf die angegriffene Entscheidung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
elektronischen Verwaltungsakte des Antragsgegner Bezug genommen.
II.
Während die Beschwerde der Antragsteller keinen Erfolg hat, führt die Beschwerde der Beigeladenen zur Änderung der erstinstanzlichen
Entscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt.
Die Beschwerden der Antragsteller und des Beigeladenen sind form- und fristgerecht erhoben worden (§
173 Satz 1
SGG) und im Hinblick auf den Beschwerdewert der zuerkannten bzw. abgelehnten Leistungen statthaft (vgl. §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
1.
Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Soweit sie geltend machen, dass die Antragstellerin zu 1) seit dem 17.
Juni 2021 nach den im Beschwerdeverfahren nunmehr mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 16,25 Stunden wöchentlich erneut
beschäftigt sei, besteht gegenwärtig kein Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme der Gerichte im Eilverfahren. Die
Antragsteller sind gehalten, die Leistungsträger und insbesondere auch die Ausländerbehörde unter Vorlage des ihnen noch nicht
bekannten Arbeitsvertrages auf diese geänderte Sachlage zunächst im Verwaltungsverfahren hinzuweisen und auf eine Aufhebung
der Verlustfeststellung hinzuwirken. Erst wenn dies erfolglos bleibt, ist ggf. im sozialrechtlichen Eilrechtsschutz zu klären,
ob die Verwirklichung eines neuen Freizügigkeitstatbestandes nach dem Erlass der Verlustfeststellung auch die Tatbestandswirkung
dieser Feststellung begrenzen kann (vgl. hierzu ausf LSG Hessen, Beschluss vom 9. Oktober 2019, L 4 SO 160/19 B ER, juris).
2.
Zu Recht hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der beim SG anhängigen Klage zum Az. S 36 AS 10059/21 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. April 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. Mai 2021 am Maßstab
des §
86b Abs.1 S.1 Nr.2
SGG abgelehnt, da die Aufhebung der Leistungen nach dem SGB II wegen des Bescheids über die Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gem. § 5 Abs. 4 FreizügG offensichtlich rechtmäßig ist.
Die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II sind nicht mehr erfüllt, da die Antragsteller infolge der Verlustfeststellungen vom 4. Februar 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids
vom 31. Mai 2021 kein Aufenthaltsrecht haben und daher nach §§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a SGB II von Leistungen ausgeschlossen sind. Zur Begründung verweist der Senat auf die umfassenden Ausführungen des Sozialgerichts
und macht sich diese zu eigen (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG).
Ergänzend ist auch im Hinblick auf die Beschwerdebegründung folgendes auszuführen: Unabhängig davon, ob EU-Ausländer im Falle
eines Bescheids zur Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalts auf der Grundlage von § 5 Abs. 4 FreizügG/EU noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 7 Abs. 1 S.1 Nr. 4 SGB II in der Bundesrepublik Deutschland haben, haben sie nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a SGB II kein Aufenthaltsrecht mehr. Aufgrund der sich unmittelbar aus dem primären Europarecht und aus dem FreizügG/EU ergebenden generellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU ist der Aufenthalt eines Unionsbürgers solange rechtmäßig, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts
in Anwendung des § 5 Abs.4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs.7 FreizügG/EU feststellt. Die Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs.1 Satz 1 FreizügG/EU.
Die Beigeladene hat hier das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts der Antragsteller nach § 5 Abs.4 FreizügG/EU mit Bescheid vom 4. Februar 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2021 festgestellt. Dieser Bescheid
über die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts ist den Antragstellern am 21. April 2021 zugestellt und damit
wirksam geworden. Da dieser Bescheid weder zurückgenommen oder aufgehoben worden ist noch sich auf sonstige Weise erledigt
hat, ist er auch weiterhin wirksam. Zwar ist bislang keine Bestandskraft der Verlustfeststellung eingetreten, da die Antragsteller
hiergegen Widerspruch und inzwischen Klage eingelegt haben und die aufschiebende Wirkung fortwirkt. Dieser nach §
80 Abs.1 S.1
VwGO ausgelöste Suspensiveffekt beseitigt jedoch nicht die Wirksamkeit der Verlustfeststellung bzw. die Ausreisepflicht der Antragsteller,
indem er die Zukunftsoffenheit des Aufenthalts eines Unionsbürgers wiederherstellen würde. Denn bereits die behördliche Verlustfeststellung
führt zur Ausreisepflicht des Ausländers nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, ihre Bestands- oder Rechtskraft ist dafür nicht erforderlich. Diese förmliche Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts
durch die Ausländerbehörde ist für die Sozialgerichte bindend und hat Tatbestandswirkung (vgl. ebenso LSG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 19. März 2018, L 19 AS 133/18 B ER, L 19 AS 134/18 B, juris Rn. 9; LSG Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17 B ER, juris Rn. 6; LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 26. Mai 2017, L 15 AS 62/17 B ER, juris Rn. 11 f. und vom 25. November 2016, L 11 AS 567/16 B ER, juris Rn. 7).
Soweit die Gegenauffassung von einer umfassenden aufschiebenden Wirkung in dem Sinne ausgeht, dass bei Widerspruch und Klage
die Verlustfeststellung in jeder Hinsicht in ihrer Wirksamkeit gehemmt werde und während des laufenden verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens gegen die Verlustfeststellung Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII zu gewähren seien (so: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2019, L 8 SO 109/19 B ER, juris Rn. 9, LSG Hessen,
Beschluss vom 9. Oktober 2019, Az. L 4 SO 160/19 B ER, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Dezember 2018, Az.
L 21 AS 959/18 B ER, juris), folgt der Senat dem nicht. Die Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU und damit der Verlust des gewöhnlichen Aufenthalts aufgrund des Freizügigkeitsrechts entsteht mit der Verlustfeststellung.
Anders als nach § 7 FreizügG/EU in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung, in der noch die Unanfechtbarkeit für die Ausreisepflicht gefordert wurde,
sollte durch die Streichung des Begriffs die Wirksamkeit der Feststellungsentscheidung nach § 7 FreizügG/EU im europarechtlich zulässigen Rahmen vorverlagert werden und nicht mehr die Unanfechtbarkeit erfordern (vgl. ausdrücklich
die Begründung zur Änderung des § 7 Abs. 1 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der
Europäischen Union vom 19. August 2007, BT-Drs. 16/5065 S. 211 zu Nummer 8 a. aa.; siehe hierzu auch LSG Hamburg, Beschluss
vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17 B ER, juris, Rn. 6; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, Az. L 19 AS 2035/19 B ER, jeweils juris). Die angestrebte Gesetzesänderung kommt im veränderten Wortlaut der Formulierung auch ausreichend klar
zum Ausdruck. Die in der Verlustfeststellung vom 4. Februar 2021 getroffenen Feststellungen hinsichtlich des Nichtbestehens
einer Freizügigkeitsberechtigung der Antragsteller einschließlich der hiermit verbundenen Rechtsfolgen - Fortfall der Freizügigkeitsvermutung
und Entstehen der Ausreisepflicht - sind im sozialrechtlichen Verfahren als gegeben hinzunehmen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit
dieser Feststellung und auch der Überprüfung, ob in der Folgezeit erneut eine Freizügigkeitsberechtigung entsteht, obliegt
ausschließlich den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, L
19 AS 2035/19 B ER, juris). Soweit hierin eine Verkürzung des Rechtsschutzes im Hinblick auf die sozialrechtlichen Auswirkungen einer Entscheidung
der Ausländerbehörde gesehen wird (vgl. SG Hamburg, Beschluss vom 19. März 2021, S 62 AS 732/21 ER, juris Rn. 20), ist dies zutreffend, jedoch Ziel auch der ausdrücklichen gesetzlichen Änderungen zum SGB II und XII. Mit der aufgrund des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (BGBl. I 3155) mit Wirkung zum 1. Januar 2017 neu geschaffenen Regelung des Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a sollen nach
den Gesetzesmaterialien die bisher normierten Leistungsausschlüsse ergänzt und damit klargestellt werden, dass nicht erwerbstätige
Personen ohne materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht und deren Familienangehörigen "erst recht" von den Leistungen
nach dem SGB II ausgeschlossen sein sollen (Eicher/Luik/G. Becker, 4. Aufl. 2017, SGB II § 7 Rn. 40). Ausdrücklich wendet sich die Gesetzgebung damit gegen die vom Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 44/15 R, Rn. 19?ff.; 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R, Rn. 20; 20. Januar 2016, B 14 AS 15/15 R, Rn. 18; 20. Januar 2016, B 14 AS 35/15 R, Rn. 24 und 17. März 2016, B 4 AS 32/15 R, Rn. 15, jeweils juris) entwickelte (erweiternde) Auslegung der noch bis zum 31. Dezember 2016 normierten Leistungsausschlüsse
für ausländische Personen. Ausdrücklich gilt dies für die Verlustfeststellung sogar dann, wenn bereits ein fünfjähriger gewöhnlicher
Aufenthalt vorliegt. Erst recht greift dies im vorliegenden Fall, in dem die Antragsteller sich seit weniger als fünf Jahren
in Deutschland aufhalten und die Antragstellerin zu 1) nach summarischer Prüfung jedenfalls bis zur erneuten Arbeitsaufnahme
im Juni 2021 nach langer Zeit der Arbeitslosigkeit und fehlenden Bemühungen der Arbeitssuche ihr Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmerin
auch materiellrechtlich verloren hat.
3.
Das Sozialgericht hat zu Recht auch aus vergleichbaren Gründen einen Anordnungsanspruch auf Verpflichtung der Beigeladenen
zur Gewährung von Sozialhilfe als nicht glaubhaft angesehen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen jedoch dann keine Leistungen, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich
ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Die Beigeladene hat den Verlust der Freizügigkeit der Antragsteller
festgestellt, was gemäß § 7 Abs. 1 FreizügG/EU schon vor Bestandskraft dieser Entscheidung Wirksamkeit entfaltet, das Aufenthaltsrecht beendet und eine Ausreisepflicht
begründet. Auch sind die in § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII geregelten Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nicht erfüllt. Denn ungeachtet dessen, dass die Antragsteller
sich nicht seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten, greift die Regelung dann
nicht ein, wenn der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Das ist hier der Fall, die Ausländerbehörde der Beigeladenen hat für die Antragsteller mit Bescheid vom
18. Februar 2021 eine Verlustfeststellung getroffen.
Dass die Verlustfeststellungen von den Antragstellern angefochten wurden und die diesbezügliche Klage beim Verwaltungsgericht
Schleswig anhängig ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Entsprechend der Überlegungen zum SGB II ist die Bestandskraft einer Verlustfeststellung nicht Voraussetzung für die Entfaltung von rechtlichen Wirkungen. Nach dem
Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII führt bereits die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts zur Unanwendbarkeit der Ausnahmeregelung vom Leistungsausschluss
für Ausländer, die sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten (LSG Hamburg,
Beschluss vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17 B ER, juris unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung der derzeitigen Fassung
des § 23 Abs. 3 SGB XII, BT-Drs. 18/10211, S. 16 i.V.m S. 14). Der Senat hält es auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten, grundsätzlich
EU-Bürgern, die verpflichtet sind auszureisen, bei denen diese Verpflichtung jedoch nicht vollzogen wird, existenzsichernde
Leistungen zu gewähren. Zwar ist es richtig, dass für Ausländer aus Drittstaaten das
AsylbLG in dieser Situation ein Unterstützungssystem der materiellen Existenzsicherung in Deutschland vorsieht. Die Situation für
EU-Bürger stellt sich jedoch anders dar, weil es innerhalb der europäischen Union generell eine Ausreisealternative gibt und
ggf. auch die Rückkehr unterstützt wird. Für eine unterschiedliche Behandlung von EU-Bürgern und Ausländern aus Drittstaaten,
die eine entsprechende Anwendung des
AsylbLG ausschließen, sprechen insbesondere die Erwägungen des Gesetzgebers zur Neuregelung zu § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II: "Die Neuregelung berücksichtigt, dass die Situation von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern einerseits sowie Asylbewerberinnen
und Asylbewerbern andererseits nicht vergleichbar ist. Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern stehen andere Möglichkeiten der
Selbsthilfe offen, als dies für Asylbewerberinnen und Asylbewerber der Fall ist. Während Leistungsberechtigte nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz oftmals nicht ohne möglicherweise drohende Gefahren (etwa durch Verfolgung) in ihr Heimatland zurückkehren können, ist dies
Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern gefahrlos möglich und zumutbar. Die betroffenen Personen können in ihren Heimatstaaten
ohne Gefahr für Leib und Leben wohnen und existenzsichernde Unterstützungsleistungen erlangen, da in der EU soziale Mindeststandards
bestehen, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben. Nach Artikel 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961
haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und
sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen kann, ausreichende Unterstützung im Heimatland gewährt wird. Daneben
besteht ein uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt." (BT-Drucksache 18/10211, S. 14).
Trotz dieses grundsätzlichen Leistungsausschlusses für Leistungen nach dem SGB II und XII sind existenzsichernde Sozialhilfeleistungen für besondere Härtefälle nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII jedoch dann möglich, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalles zum einen den Verweis auf eine Ausreisemöglichkeit nicht
zulassen und zum anderen das menschenwürdige Existenzminimum nicht sichergestellt ist (für einen nicht reisefähigen Hilfebedürftigen
etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Mai 2019, L 20 AY 15/19 B ER, juris Rn. 47, oder eine hochschwangere Hilfebedürftige
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. September 2019, L 31 AS 1627/19 B ER, juris Rn. 19). Solche Leistungen haben sie hier aber ausdrücklich nicht beantragt.
4.
Die Beschwerde der Beigeladenen ist hingegen begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Beigeladenen zur Gewährung von
Leistungen nach dem
AsylbLG vorläufig verpflichtet.
Gemäß §
86 b Abs.
2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige
Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist grundsätzlich
zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch,
also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Gemäß §
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Insbesondere der materielle Anspruch kann vom Gericht aufgrund
einer lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage festgestellt werden, sofern das Gericht nicht wegen zu erwartender
schwerer oder unzumutbarer Nachteile im Hinblick auf Grundrechte der Betroffenen, vor die sich die Gerichte schützend und
fördernd stellen müssen, entweder zu einer vollintensivierten Prüfung oder zu einer Folgenabwägung gehalten ist, in die die
grundrechtlichen Belange umfassend einzustellen sind (dazu und zu den Anforderungen insbesondere BVerfG, Beschluss vom 6.
Februar 2007, 1 BvR 3101/06; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927).
Daran gemessen haben die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch auf existenzsichernde Leistungen glaubhaft gemacht.
Nach §
1 Abs.
1 AsylbLG in der Fassung des Art. 1 Nr.
1 des Dritten Gesetzes zur Änderung des
Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13. August 2019 (BGBl. I, S. 1290), gültig ab dem 1. September 2019, sind leistungsberechtigt nach diesem Gesetz Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet
aufhalten und die
1. eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen,
1a. ein Asylgesuch geäußert haben und nicht die in den Nummern 1, 2 bis 5 und 7 genannten Voraussetzungen erfüllen,
2. über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist,
3. eine Aufenthaltserlaubnis besitzen
a) wegen des Krieges in ihrem Heimatland nach § 23 Abs. 1 oder § 24 des Aufenthaltsgesetzes,
b) nach § 25 Abs. 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder
c) nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes, sofern die Entscheidung über die Aussetzung ihrer Abschiebung noch nicht 18 Monate zurückliegt,
4. eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen,
5. vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist,
6. Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 5 genannten Personen sind, ohne dass sie selbst
die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, oder
7. einen Folgeantrag nach § 71 des Asylgesetzes oder einen Zweitantrag nach § 71a des Asylgesetzes stellen.
Eine Anwendung von §
1 Abs.
1 Nr.
1- 4 sowie 6 und 7
AsylbLG scheidet von vorneherein aus. Das Sozialgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Antragsteller nach §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG bejaht. Die Antragsteller sind zwar Ausländer nach der allgemeinen Definition des § 2 Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), wonach dies jeder ist, der nicht Deutscher in Sinne des
GG ist. Sie erfüllen jedoch vorliegend bereits deshalb nicht die Voraussetzungen nach §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG, weil sie nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind.
Unter §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG fallen insbesondere Ausländer, die keinen Asylantrag gestellt, ihren Asylantrag zurückgenommen haben oder die nach Ablehnung
ihres Asylantrags noch nicht ausgereist oder abgeschoben worden sind. Des Weiteren sind erfasst Personen in Abschiebungsvorbereitungs-
und in Abschiebungssicherungshaft, Personen in Ausreisegewahrsam und sonst illegal im Bundesgebiet lebenden Ausländer (ausführlich
SG Darmstadt, Beschluss vom 14. Januar 2020, S 17 SO 191/19 ER, juris Rn. 412 - 452). Ungeachtet der Frage, ob der persönliche
Anwendungsbereich des
AsylbLG für die Antragsteller überhaupt erfüllt ist, sind die Antragsteller nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Mit wirksamer Bekanntgabe
der Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ist der Betroffene zwar nach § 7 Absatz 1 S. 1 FreizügG/EU ausreisepflichtig, diese Verpflichtung ist jedoch bei laufendem Rechtsmittel nicht vollziehbar. Dies ergibt sich allerdings
nicht aus dem AufenthG sondern aus §
80 Abs.
1 VwGO. § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG sieht zwar die Anwendung des AufenthG vor, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt hat und sofern das FreizügG/EU keine besonderen Regelungen trifft. Die Vorschrift gehört jedoch nicht zu den Regelungen des AufenthG, die entsprechende Anwendung finden (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU). Widerspruch und Klage gegen eine Feststellung der Ausländerbehörde nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben somit nach der
VwGO aufschiebende Wirkung (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06. November 2017, L 8 SO 262/17 B ER, juris Rn. 28,
unter Verweis auf Kurzidem in BeckOK-Ausländerrecht, Stand 1. August 2017, § 7 FreizügG/EU Rn. 4; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 16). Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung dieser Rechtsbehelfe hat zur Folge, dass der angefochtene Verwaltungsakt
nicht vollziehbar ist. Dies bedeutet, dass die mit dem Verwaltungsakt verknüpften Pflichten zunächst nicht zwangsweise durchgesetzt
werden können. Daher sind die Antragsteller aufgrund des Widerspruchsverfahrens und des anhängigen verwaltungsgerichtlichen
Klageverfahrens nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Davon gehen auch die Antragsteller selbst aus, die angekündigt haben,
in Deutschland bleiben zu wollen. Erst bei einer Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde (so zunächst im Ausgangsverfahren
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, L 19 AS 2035/19 B ER, Rn. 5) oder mit rechtskräftigem Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens könnten überhaupt die Voraussetzungen
nach §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG erfüllt sein. Eine direkte Anwendung des §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG scheidet daher für die vorliegende Fallgestaltung aus.
Aus diesen Gründen kann offen bleiben, ob das
AsylbLG auf EU-Ausländer grundsätzlich anwendbar ist. Für die denkbare Anwendung auf EU-Ausländer spricht der weit formulierte Wortlaut
der Regelung und die Ausweitung des Anwendungsbereichs im Laufe der Gesetzesgeschichte des
AsylbLG (so wie die Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020, L 19 AS 2035/19 B ER, juris Rn. 67 ff). Für die Auffassung, dass Ausländer i.S.d. §
1 Abs.
1 AsylbLG nur Drittstaatsangehörige sein können, sprechen hingegen Kontext, Sinn und Zweck des
AsylbLG im Vergleich zum primären und sekundären Freizügigkeitsrecht der EU-Bürger und die eigenständigen Existenzsicherungssysteme
für diesen Personenkreis (SGB II und XII). Das
AsylbLG ist als ein restriktives Sondergesetz für Drittstaatsangehörige, die sich auf politische, humanitäre oder völkerrechtliche
Aufenthaltsgründe berufen können, ausgestaltet und insoweit eng mit den ausländerrechtlichen Bestimmungen (AsylG, AufenthG) verknüpft, während für Angehörige von EU-Mitgliedstaaten die Rechtsstellung weitgehend europarechtlich geprägt ist (Frerichs
in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., §
1 AsylbLG (Stand: 27.04.2021), Rn. 81). Deshalb dürfte vieles dafür sprechen, dass die Existenzsicherung für EU-Bürger abschließend
im SGB II und XII geregelt ist und das
AsylbLG EU-Bürger ausschließt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Mai 2019, L 20 AY 15/19 B ER, juris Rn. 29 ff.; VG
Darmstadt, Beschluss vom 26. Januar 2004, AN 4 K 03.01940, juris Rn. 33-37; Verwaltungsgerichtshof Bayern, Beschluss vom 14.
Mai 2020, 12 CE 20.985, juris Rn. 2; ebenso die überwiegende Literatur: Frerichs in: Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB XII, 3. Aufl., §
1 AsylbLG (Stand: 27.04.2021), Rn. 81; Dollinger in: Siefert,
AsylbLG, §
1 AsylbLG Rn. 32; Hohm in: GK-
AsylbLG, §
1 AsylbLG Rn. 21 ff..; Korff in: BeckOK SozR,
AsylbLG, §
1 AsylbLG Rn. 5; Wahrendorf,
AsylbLG, §
1 AsylbLG Rn. 13).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Verfahrens.
Angesichts der (teil)stattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung und der Schwierigkeit der zu entscheidenden Rechtsfragen
besteht Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch für das Beschwerdeverfahren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. §
177 SGG).