Berechnung; Fachschule; fiktives Arbeitsentgelt; Kultusministerkonferenz; Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben; Qualifikationsgruppe;
Rahmenvereinbarung über Fachschulen; staatlich anerkannte Erzieherin; staatlich anerkannter Erzieher; Übergangsgeld; Zuordnung
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von höherem Übergangsgeld während einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben
unter Zugrundelegung einer Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2.
Die 1975 geborene Klägerin verfügt über einen mittleren Schulabschluss. Sie schloss 1999 eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin
ab. In der Zeit von August 2005 bis Juni 2008 absolvierte sie an der Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik in H eine
Ausbildung mit dem Abschluss "staatlich anerkannte Erzieherin". In diesem Beruf war sie bis 2017 tätig.
Mit Bescheid vom 22. August 2019 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der
Weiterbildung für den Beruf als Kauffrau (Büromanagement) für die Zeit vom 26. August 2019 bis zum 28. Juli 2021 bei dem XXX
H gGmbH.
Mit Bescheid vom 9. September 2019 bewilligte die Beklagte der Klägerin für die gewährte Maßnahme ab dem 26. August 2019 Übergangsgeld.
Die Höhe bemaß die Beklagte nach dem kalendertäglichen Regel- bzw. Nettoarbeitsentgelt. Die Beklagte verglich vor der Bewilligung
die Berechnung des Übergangsgeldes auf der Grundlage von 80 v. H. des kalendertäglichen Regelentgeltes bzw. das kalendertägliche
Nettoarbeitsentgelt mit dem fiktiven Arbeitsentgelt nach Qualifikationsgruppen. Hierfür legte die Beklagte die Qualifikationsgruppe
3 gem. § 68 Abs. 2 Nr.
3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (
SGB IX) zugrunde. Die fiktive Berechnung war für die Klägerin nicht günstiger.
Gegen den Bewilligungsbescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie die Zahlung eines höheren Übergangsgeldes in
Anwendung eines fiktiven Arbeitsentgeltes auf der Grundlage der Qualifikationsgruppe 2 unter Beachtung ihrer Qualifizierung
als staatlich anerkannte Erzieherin begehrte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Versicherte, die erfolgreich
eine Ausbildung in einer Fachschule absolvierten, würden regelmäßig in die Qualifikationsgruppe 3 eingestuft. Es handele sich
hierbei um Bildungsgänge, die zu einem Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf führten. Die Klägerin habe die berufliche
Tätigkeit als staatlich anerkannte Erzieherin im Rahmen einer Ausbildung von August 2005 bis Juni 2008 an der Staatlichen
Fachschule für Sozialpädagogik in H erlernt und diese mit einer Abschlussprüfung beendet. Es handele sich hierbei um eine
abgeschlossene Ausbildung an einer Fachschule. Dementsprechend sei für die Ermittlung des fiktiven Arbeitsentgelts die Qualifikationsgruppe
3 zugrunde zu legen. Eine höhere Qualifikationsgruppe ergebe sich nicht, da hierfür neben einem Fachschulabschluss die in
§
68 Abs.2 Satz 2
SGB IX genannte weitere Qualifikation erforderlich sei. Andernfalls würde die Fachschulausbildung trotz gleicher formaler Wertigkeit
und paralleler Ausbildungsinhalte gegenüber betrieblichen, grundständigen Ausbildungen privilegiert. Das würde jedoch dem
gesetzlich vorgegebenen vierstufigen Schema der Qualifikationsgruppen widersprechen.
Am 5. Februar 2020 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Lübeck erhoben. Ihren Berufsschulabschluss habe sie an einer
Fachschule für Sozialpädagogik erworben. Dem Gesetzeswortlaut entsprechend sei dieser Abschluss der Qualifikationsgruppe 2
zuzuordnen. Wenn der Gesetzgeber bestimmte Fachschulabschlüsse von der Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 2 hätte ausnehmen
wollen, hätte er dies getan. Für diese Ausbildung könne zudem ein sogenanntes Meister-BAföG beantragt werden. Für die Ausbildung zur Erzieherin gebe es unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen, die alle zu demselben
Fachschulabschluss führten.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 09. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2020 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, ihr höheres Übergangsgeld unter Berücksichtigung einer Eingruppierung in die Qualifikationsstufe 2 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, eine Höhergruppierung von Fachschulausbildungen setze den Nachweis über eine Meisterqualifikation
oder Vergleichbares voraus. Der beruflich "in den Stand setzenden Ausbildung" müsse eine möglichst staatlich anerkannte Aufstiegsfortbildung
mit Erweiterung der Kenntnisse, Fertigkeiten und beruflichen Berechtigungen folgen. Erforderlich sei in jedem Fall eine über
das Berufsbild hinausgehende Zusatzqualifikation. Dies liege bei der Klägerin nicht vor. Die Anwendung der Eingruppierungsstufe
2 auf die Klägerin hieße, die Fachschulausbildung trotz gleicher formaler Wertigkeit und paralleler Ausbildungsinhalte gegenüber
betrieblichen, grundständigen Ausbildungen zu privilegieren. Dies würde zu systematischen Inkonsistenzen führen. Es sei zudem
bei gleichwertigem Anspruch und im Hinblick auf die Dauer der Ausbildungsarten (betriebliche Ausbildung und Fachschulausbildung)
nicht angemessen oder begründbar und nach derzeitiger Lesart der Beklagten nicht im Sinne der Gesetzgebung.
Das Sozialgericht hat die Klage nach mündlicher Verhandlung am 2. Juli 2021 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch
auf die Gewährung eines höheren Übergangsgeldes unter Berücksichtigung einer Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 nach
§
68 Abs.
1 und
2 SGB IX. Neben dem Verweis auf die Begründungen des Bescheids der Beklagten führt es ergänzend aus, dass sich eine andere Beurteilung
nicht daraus ergebe, dass die Klägerin ihre Berufsausbildung an einer Schule absolviert habe, die sich als "Fachschule" bezeichne.
Denn es komme nicht auf die Bezeichnung der jeweils maßgeblichen Ausbildungsstätte an, sondern darauf, welchem Qualifikationsniveau
der dort erreichte Abschluss zuzuordnen sei. Fachschulen seien schulische Einrichtungen der beruflichen Weiterbildung, die
in Orientierung an den Erfordernissen der Praxis fachspezifisches Vertiefungswissen vermittelten. Gemeint sei damit die im
Anschluss an die Berufsausbildung absolvierte Zusatzqualifikation, die in der Regel durch den berufsbegleitenden Besuch einer
Fachschule erworben werden könne. Fachschulen böten mit ihren hochspezialisierten Angeboten eine anspruchsvolle und anerkannte
Alternative zur akademischen Ausbildung auf dem Niveau eines Bachelors. Eine solche Ausbildung stelle die von der Klägerin
absolvierte Ausbildung nicht dar, denn hierbei handle es sich um eine erstmalige Berufsausbildung zur Erzieherin und gerade
nicht um die für eine Zuordnung zu der Qualifikationsgruppe 2 erforderliche Erlangung einer darüberhinausgehenden Zusatzqualifikation.
Darauf, ob die konkret absolvierte Ausbildung als besonders hochwertig anerkannt sei, komme es in diesem Zusammenhang nicht
an. Nicht maßgeblich sei weiter, dass Voraussetzung für die Aufnahme der beruflichen Ausbildung gewesen sei, dass die Klägerin
bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung und Berufserfahrung verfüge. Denn die Klägerin habe sich nicht in dem zuerst
erworbenen Ausbildungsberuf der Zahnarzthelferin weiterqualifiziert, sondern eine neue, erstmalige Ausbildung zur Erzieherin
auf der Fachschule absolviert. Es handle sich somit nicht um eine berufliche Weiterbildung, sondern um eine berufliche Erstausbildung
als Erzieherin. Dass die Klägerin als Zugangsvoraussetzung eine abgeschlossene Berufsausbildung benötigte, ändere nicht das
Qualifikationsniveau des beruflichen Abschlusses, sondern betreffe lediglich die Zugangsvoraussetzungen, die für die Eingruppierung
nach §
68 Abs.
2 SGB IX keine Rolle spielten. Eine im Anschluss an die Berufsausbildung absolvierte Zusatzqualifikation i. S. d. §
68 Abs.
2 Nr.
2 SGB IX, vergleichbar etwa mit der Zusatzqualifikation eines Meisters, habe die Klägerin somit gerade nicht erworben. Für diese Ansicht
spreche auch der Umstand, dass die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin nicht nur an Fachschulen absolviert werden
könne, sondern auch an anderen Bildungseinrichtungen (z. B. Fachakademie, Oberschulen). Die Eingruppierung hinge dann aber
- bei gleichem Abschluss - lediglich von der Bezeichnung der Schule ab und würde die Klägerin gegenüber den in §
68 Abs.
2 Nr.
2 SGB IX genannten Zusatzqualifikationen privilegieren, obwohl lediglich eine Erstausbildung in dem Beruf als Erzieherin vorliegt.
Soweit die Klägerin eine "Liste der zugeordneten Qualifikationen" des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen
(DQR) eingereicht habe, ergebe sich hieraus nichts anderes, da die dort vorgenommene Einstufung einer Fachschule (landesrechtlich
geregelte Weiterbildungen) in das "Niveau 6" - wie auch der "Meister" - nicht die Qualifikationsgruppen nach §
68 Abs.
2 SGB IX betreffe.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 29. Juli 2021 zugestellte Urteil am 23. August 2021 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung,
dem Wortlaut des Gesetzes sei eine über den Berufsabschluss hinausgehende Zusatzqualifikation als Voraussetzung für die Zuordnung
in die Qualifikationsgruppe 2 nicht zu entnehmen. Vielmehr würde diese Anforderung vorliegend zu einer unterschiedlichen Bewertung
des Abschlusses der Fachschule führen, je nachdem, ob die Zugangsvoraussetzung mit einer pädagogischen Vorbildung (z. B. sozialpädagogische
Assistentin: dann wäre die Fachschule eine Zusatzqualifikation: Qualifikationsgruppe 2) oder einer anderweitigen Ausbildung
(dann wäre die Fachschule eine Erstausbildung: Qualifikationsgruppe 3) erfüllt werde. Sie verweist weiter auf die Zuordnung
sowohl von Meisterinnen und Meistern als auch staatlich geprüften Erzieherinnen und Erziehern in die DQR 6.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. Juli 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 9. September 2019 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die mit Bescheid
vom 22. August 2019 bewilligte Maßnahme Übergangsgeld unter Berücksichtigung einer Eingruppierung in die Qualifikationsgruppe
2 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und auf eine innerhalb der Rentenversicherungsträger getroffene Übereinkunft, nach
der die grundlegende (Erst-)Ausbildung bei der Zuordnung in die Qualifikationsgruppen maßgeblich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte, deren jeweils wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender Inhalt,
gleichfalls Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts ist erfolgreich. Die Klägerin hat Anspruch auf höheres Übergangsgeld.
Der entgegenstehende Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Bescheid in der
Fassung des Widerspruchsbescheids ist zu ändern und das entgegenstehende Urteil des Sozialgerichts aufzuheben.
Gegenstand der Berufung ist vorliegend die mit Bescheid der Beklagten vom 9. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13. Januar 2020 vorgenommene Berechnung und Bewilligung von Übergangsgeld für die Zeit der Umschulung, mithin im Zeitraum
26. August 2019 bis zum 28. Juli 2021, sowie die klageabweisende Entscheidung des Sozialgerichts vom 2. Juli 2021.
1. Die Berufung mit dem so beschriebenen Gegenstand ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht erhoben (§
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) und insbesondere statthaft. Die Berufung betrifft vorliegend entsprechend §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG eine laufende Leistung für mehr als ein Jahr. Auch führt die rechtmäßige Berechnung des Übergangsgelds in Anwendung der fiktiven
Berechnung mit der Qualifikationsgruppe 2 zu einem höheren Übergangsgeld als das auf der Grundlage des kalendertäglichen Regelentgelts
berechnete.
2. Die Klage ist erhoben worden als eine zulässige und statthafte, auf eine höhere Leistung gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage
(§
54 Abs.
1, 4
SGG) betreffend das dem Grunde nach bewilligten Übergangsgelds unter Anwendung der fiktiven Berechnung mit der Qualifikationsgruppe
2. Weil sich die angefochtenen Bescheide auf den Zeitraum August 2019 bis Juli 2021 beziehen, ist das für diesen Zeitraum
maßgebliche Recht zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 29. März 2022 - B 11 AL 30/21 R - juris, Rn 14).
3. Die Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Lübeck hält einer Überprüfung nicht stand. Der Bescheid der Beklagten
vom 9. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin
in ihren Rechten. Die Klägerin hat vorliegend Anspruch auf Berechnung des Übergangsgelds auf der Grundlage der Qualifikationsgruppe
2. Diese angewendet, hatte sie im Zeitraum der Teilnahme an der Maßnahme Anspruch auf höheres Übergangsgeld als das, was ihr
die Beklagte bewilligt und gewährt hat.
Nach §
20 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) haben Versicherte, die von einem Träger der Rentenversicherung Leistungen ua. zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten, Anspruch
auf Übergangsgeld, sofern die Leistungen nicht dazu geeignet sind, neben einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit
erbracht zu werden. Die Höhe und Berechnung des Übergangsgelds richtet sich nach Teil 1 Kapitel 11 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX), §
21 Abs.
1 SGB VI, soweit §
20 Abs.
2 bis
4 SGB VI nichts Abweichendes bestimmen. Anknüpfungspunkt ist regelmäßig ein bestimmter Prozentsatz eines zuvor erhaltenen Entgelts
oder einer zuvor erhaltenen Entgeltersatzleistung (§
21 Abs.
2,
4 SGB VI, §
66 SGB VI). Nach §
68 Abs.
1 SGB IX ist zudem für die Berechnung des Übergangsgelds während des Bezugs von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine sogenannte
Günstigerprüfung vorzunehmen. Denn es sind nach §
68 Abs.
1 Nr.
1 SGB IX 65 v. H. eines fiktiven Arbeitsentgelts zugrunde zu legen, wenn die Berechnung nach §§
66,
67 SGB IX zu einem geringeren Betrag führt. Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist dabei der Leistungsempfänger der Qualifikationsgruppe
zuzuordnen, die seiner beruflichen Qualifikation entspricht. Für diese Qualifikationsgruppen gilt nach §
68 Abs.
2 SGB IX folgende 4-stufige Zuordnung:
1. für eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung (Qualifikationsgruppe 1) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel
der Bezugsgröße,
2. für einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meisterin oder Meister oder einen
Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung (Qualifikationsgruppe 2) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel
der Bezugsgröße,
3. für eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf (Qualifikationsgruppe 3) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem
Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße und
4.bei einer fehlenden Ausbildung (Qualifikationsgruppe 4) ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße.
Maßgeblich für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist dabei diejenige berufliche Qualifikation in Form eines förmlichen
Abschlusses, die die betreffende Person durch Aus- und Weiterbildung in der Vergangenheit bereits erlangt hat. Nicht maßgeblich
ist hingegen die Qualifikation, die durch die (Umschulungs-) Maßnahme angestrebt wird (LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 20. Januar 2020 - L 2 R 377/19 - juris, Rn 21; Stotz in: Hauck/Noftz,
SGB IX, §
68 Rn 36, juris, der hinsichtlich der Förmlichkeit ausdrücklich auf den Unterschied zu §
152 SGB III hinweist; Reyels in: Schlegel/Voelzke, jurisPK, §
68 SGB IX, Rn 25, für §
152 SGB III , BSG, Urteil vom 4. Juli 2012 - B 11 AL 21/11 R - juris, Rn 17; bezugnehmend auch für §
68 SGB IX in BSGE, Beschluss vom 13. Januar 2021 - B 13 R 54/20 B - juris, Rn 7).
Der Gesetzgeber fasst vorliegend mit den beschriebenen Qualifikationsgruppen zur Verwaltungsvereinfachung verschiedene berufliche
Qualifikationen zusammen, die nach seiner Wertung für die Bemessung auf der Grundlage eines fiktiven Entgelts qualifikationsähnlich
sind. Er hat hierbei einen Normierungsspielraum. Die vom Gesetzgeber rechtmäßig vorgenommenen legislativen Wertungen hat die
Exekutive zu respektieren.
Dies zugrunde gelegt, hat die Klägerin vorliegend Anspruch auf Berechnung des fiktiven Arbeitsentgelts in Anwendung der Qualifikationsgruppe
2, da sie über einen Fachschulabschluss im Sinne des Gesetzes verfügt. Dies ergibt sich in Anwendung der gängigen Auslegungsmethodik,
wobei regelmäßig der Wortlaut der Norm die Grenze der Auslegung markiert.
a) Der Wortlaut des §
68 Abs.
2 Nr.
2 SGB IX sieht die Anwendung der Qualifikationsgruppe 2 für einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation
als Meisterin oder Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung vor.
Mit der Regelung werden vorliegend drei verschiedene berufliche Qualifikationen nebeneinandergestellt. Ausweislich Wortlaut
und Syntax handelt es sich um eine gleichgeordnete Aufzählung von drei Abschlüssen. Denn die einzelnen Qualifikationen sind
zum einen durch ein Komma und zum anderen durch ein "oder" verknüpft. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, für die
Zuordnung eines Fachschulabschlusses zur Qualifikationsgruppe 2 müsse neben diesem eine weitere in der Vorschrift genannte
Qualifikation erfüllt sein, ist vom Wortlaut der Norm nicht gedeckt.
Die Klägerin hatte vor Beginn der bewilligten Qualifikationsmaßnahme einen Fachschulabschluss im wörtlichen Sinne der Vorschrift
inne. Sie erlangte die berufliche Qualifikation "staatlich anerkannte Erzieherin" und zwar durch Abschluss im Jahr 2008 an
der Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik - FSP I, in H.
Der Begriff der Fachschule selbst ist im
SGB IX und auch in anderen Büchern des Sozialgesetzbuches nicht legal definiert. Die Regelung bezeichnet Fachschulen als bestimmten
Gattungsbegriff, ohne im Einzelnen zu bestimmen, welche Merkmale eine Ausbildungsstätte kennzeichnen müssen, um einer bestimmten
Art (Schulgattung) zugeordnet werden zu können. Für die konkreten normativen Regelungen betreffend Fachschulen für staatlich
anerkannte Erzieher und Erzieherinnen, etwa Zugangsvoraussetzungen, Ausbildungsinhalte oder Abschlüsse liegt zudem die Gesetzgebungskompetenz
bei den Bundesländern (Art.
70 Abs.
1 GG), die hierzu unterschiedliche Regelungen getroffen haben. Diese halten sich indes - mit dem Ziel der bundesweit einheitlichen
Anerkennung der Abschlüsse - an die (nichtnormative) "Rahmenvereinbarung über Fachschulen" nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz
vom 7. November 2002. An diese ist vorliegend anzuknüpfen, um den vom Bundesgesetzgeber genutzten Gattungsbegriff der Fachschule
zu konkretisieren (vgl BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1985 - 5 C 9/83 - juris, Rn 24; BSG, Urteil vom 5. Juli 2017 - B 14 AS 29/16 R - juris, Rn 18).
Die Fachschule, an der die Klägerin ihren Abschluss abgelegt hat, ist eine nach Landesrecht anerkannte Fachschule, deren Ausbildung
und Prüfung nach der landesrechtlichen Ausbildungs- und Prüfungsordnung der Fachschule für Sonderpädagogik und der Fachschule
für Heilerziehungspflege (APO-FSH) des Landes Hamburg (vom 16. Juli 2002, HmbGVBl. 151) zuletzt geändert durch Art. 8 der Verordnung vom 12. September
2021 (HmbGVBl. 637, 642) erfolgte. Damit hält sich die Fachschule, an der die Klägerin ihren Abschluss erlangte, an die seitens
der Bundesländer im Rahmen der Kultusministerkonferenz zur Sicherstellung der bundeseinheitlichen Anerkennung der Abschlüsse
getroffenen "Rahmenvereinbarung über Fachschulen".
b) Die Bezugnahme allein auf den erlangten Abschluss als Zuordnungskriterium für die Qualifikationsgruppen ergibt sich vorliegend
- entgegen der Auffassung der Beklagten - auch aus der historischen Auslegung. Raum für eine historische, den Willen des Gesetzgebers
berücksichtigende Auslegung, besteht allein im Rahmen des Wortlauts der Norm. Vorliegend weisen die Gesetzesmaterialien auf
die dem Wortlaut entsprechende Bezugnahme auf die formalen Abschlüsse - unabhängig von etwaigen Zugangsvoraussetzungen hin.
Denn die in §
68 SGB IX geregelte Anwendung einer fiktiven Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Übergangsgelds ist - ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien
- zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Verfahrens in Anlehnung an §
152 SGB III erfolgt und sollte das Bemessungsentgelt abhängig von der Qualifikation und dem entsprechenden Prozentsatz der Bezugsgröße
bestimmen (BT-Dr. 18/9522, S. 258). Ziel der Regelung war mithin eine Verwaltungsvereinfachung. Eine solche ist nur zu erreichen, wenn detaillierte Einzelfallregelungen
durch ein größeres Maß an Pauschalierung ersetzt und Ausnahmeregelungen beschränkt werden. Es ist daher folgerichtig, auf
das formale und im Regelfall einfach zu ermittelnde Kriterium des (höchsten) förmlich erlangten Berufsausbildungsabschlusses
abzustellen (LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 20. Januar 2020 - L 2 R 377/19 - juris, Rn 26), wie dies auch in der Anwendung des §
152 SGB III erfolgt.
c) Der Anwendung der Qualifikationsgruppe 2 auf den Fachschulabschluss der Klägerin stehen systematische Gründe nicht entgegen.
Weder fordert die Anwendung der Qualifikationsgruppe 2 vorliegend die Erfüllung einer weiteren Voraussetzung, noch ist aufgrund
des konkreten Ausbildungsgangs der Klägerin mit vorheriger Ausbildung zur Zahnarzthelferin die Zuordnung ihres Abschlusses
in die Qualifikationsgruppe 3 geboten.
Die Qualifikationsgruppen des §
68 Abs.
2 SGB IX bauen vorliegend nicht dergestalt aufeinander auf, dass zunächst die Anforderungen der niedrigeren Gruppe erfüllt sein müssen,
um die Anwendung der nächsthöheren Gruppe geltend machen zu können. Die Qualifikationsgruppen sind bereits sprachlich normativ
nicht im Sinne aufeinander aufbauender Gruppen geregelt. Ein solches Erfordernis ergibt sich auch nicht aus den inhaltlichen
Regelungen. So setzt der zur Anwendung der Qualifikationsgruppe 1 führende Hochschulabschluss weder eine abgeschlossene Berufsausbildung
noch einen Fachschulabschluss oder den Nachweis einer Meisterqualifikation voraus. Insofern ergibt sich entgegen der angedeuteten
Auffassung der Beklagten kein systematischer Zwang für ein aufeinander aufbauendes Stufenschema. Daher kann ein solches Erfordernis
auch nicht in die anderen Qualifikationsgruppen hineingelesen werden.
Entgegen der Auffassung der Beklagten enthält die Qualifikationsgruppe 2 bei Vorliegen eines Fachschulabschlusses auch keine
aus systematischen Gründen erforderliche weitere inzidente oder ungeschriebene Voraussetzung. Insbesondere kann nicht die
Erfüllung der (Zugangs-)Voraussetzungen an eine andere Qualifikation derselben Gruppe verlangt werden. Auf die jeweiligen
Zugangsvoraussetzungen zu den vom Gesetzgeber ausweislich des Wortlauts gleichgestellten Abschlüssen kommt es nicht an. Eine
Heterogenität in den Zugangsvoraussetzungen ist in allen Qualifikationsgruppen, die auf einen Abschluss Bezug nehmen (Gruppen
1 bis 3), gegeben. So bedarf der Zugang zur (Fach-)Hochschule der ggf. über eine Ausbildung erlangten Fachhochschulreife oder
der Hochschulreife. Für die Anwendung der Qualifikationsgruppe 1 ist indes der individuelle Zugang dann nicht mehr entscheidend.
Entsprechend unterschiedliche Zugänge bestehen auch in der Qualifikationsgruppe 2: zur Meisterprüfung ist zuzulassen, wer
eine Gesellenprüfung in dem zulassungspflichtigen Handwerk, in dem er die Meisterprüfung ablegen will, besitzt (§ 49 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. Handwerksordnung (HwO). Doch auch hier bestehen zahlreiche Zugangsalternativen (vgl. § 49 Abs. 1 Satz 1 weitere Alternativen, Abs. 2 - 4 HwO). Eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung in Form der Gesellenprüfung ist hinreichende, aber keine notwendige Zugangsvoraussetzung.
Die Heterogenität von Zugangsvoraussetzungen zu den gruppenbildenden Qualifikationen liegt mithin dem §
68 SGB IX insgesamt zugrunde. Ihre Außerachtlassung führt daher nicht zu systematischen Spannungen.
Der Senat folgt nicht der Auffassung der Beklagten, die Zuordnung eines Fachschulabschlusses zur Qualifikationsgruppe 2 unabhängig
von dem konkreten vorherigen Ausbildungsgang führe zu systematischen Inkonsequenzen gegenüber der Qualifikationsgruppe 3.
Der Senat vermag bereits nicht nachzuvollziehen, dass eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf, die der Qualifikationsgruppe
3 zuzuordnen ist und ein Fachschulabschluss, der der Qualifikationsgruppe 2 zuzuordnen ist, formal gleichwertig und mit parallelen
Ausbildungsinhalten belegt sein soll. Es besteht bereits ein unterschiedlicher Regelungskontext. Während die Berufsbildung
grundsätzlich im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelt ist, erfolgt dies bei Fachschulausbildungen durch die Bundesländer. Der Senat berücksichtigt dabei den Umstand,
dass sich diese - wie vorliegend - im Rahmen der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz zu halten haben, um im Rahmen des
§
68 Abs.
2 SGB IX Berücksichtigung finden zu können. Die beiden Qualifikationen unterscheiden sich auch in ihrer Zielsetzung: Ziel der beruflichen
Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen ist die Erlangung der für eine qualifizierte, berufliche Tätigkeit in einer sich
wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) (siehe
§ 1 Abs. 3 BBiG). Demgegenüber sind Fachschulen Einrichtungen der beruflichen Weiterbildung. Ihre Bildungsgänge schließen an eine berufliche
Erstausbildung und an Berufserfahrungen an. Es bestehen besondere Zugangsvoraussetzungen. Im Fall der Klägerin sind diese
in § 3 APO-FSH geregelt. Fachschulen führen in unterschiedlichen Organisationsformen des Unterrichts zu einem staatlichen postsekundaren
Berufsabschluss nach Landesrecht. Sie führen zu qualifizierten Abschlüssen der beruflichen Weiterbildung und haben zum Ziel,
Fachkräfte mit in der Regel beruflicher Erfahrung zu befähigen, Führungsaufgaben in Betrieben, Unternehmen, Verwaltungen und
Einrichtung zu übernehmen und/oder selbstständig verantwortungsvolle Tätigkeiten auszuführen (siehe Rahmenvereinbarung der
Kultusministerkonferenz über Fachschulen, aaO). Letztlich ist die erlangte Qualifikation nicht gleichwertig, denn der Abschluss
der Fachschule berechtigt im Fall der Klägerin zur Aufnahme eines Studiums, vorliegend zum Studium in grundständigen Studiengängen
nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Nummer 6 des Hamburgischen Hochschulgesetzes vom 18. Juli 2001.
Das Ergebnis wird vorliegend inhaltlich auch durch die Einstufung des Abschlusses der Klägerin nach DQR in Stufe 6 (von 8)
gestützt. Zwar hat die Einstufung nach DQR keine konstitutive Wirkung für die Anwendung von Normen, insbesondere für die Einordnung
in die Qualifikationsgruppen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Januar 2022 - L 2 R 1006/20 - juris, Rn 21). Sie stellt Kompetenzen dar und soll eine Vergleichbarkeit und Einordnung von Ausbildungsinhalten ermöglichen. Sie kann
aber (so auch Jabben in: BeckOK SozR, 64. Ed. 01.09.2020,
SGB IX, §
68 Rn 7.3) als Orientierung für die Einordnung von Berufs- und Studienabschlüssen herangezogen werden. Vorliegend ist die Einstufung
nach DQR mit der gesetzgeberisch getroffenen Entscheidung der Zuordnung des Fachschulabschlusses zur Qualifikationsgruppe
2 und nicht zur Qualifikationsgruppe 3 konsistent.
4. Da die Bemessung des Übergangsgeldes nach der Qualifikationsstufe 2 zu einem höheren Leistungsanspruch führt, sind die
entgegenstehenden Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte hat der Klägerin für den Leistungszeitraum ein höheres
Übergangsgeld zu zahlen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
6. Gründe, die Revision zuzulassen, (§
160 Abs.2 Nr. 1 oder 2
SGG), sind nicht gegeben.