Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten erhobenen Zusatzbeitrages.
Der Kläger war bei der ..., einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend ebenfalls: Beklagte), gesetzlich krankenversichert.
Ihr Verwaltungsrat beschloss am 1. Februar 2010 eine Änderung der §§ 7, 11 und 12 ihrer Satzung, wodurch von allen Mitgliedern
ab 1. Februar 2010 ein Zusatzbeitrag in Höhe von 8 Euro monatlich, unabhängig vom jeweiligen Einkommen, erhoben wird. Der
Zusatzbeitrag wurde erstmals am 31. März 2010 fällig. Das Bundesversicherungsamt genehmigte die Satzungsänderung am 2. März
2010.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 18. Februar 2010 die Festsetzung des Zusatzbeitrages mit. Es enthält einen
Hinweis auf das Sonderkündigungsrecht sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung und wurde durch die als sog. Infopost verschickt.
Der vom Kläger eingelegte Widerspruch vom 21. Februar 2010 war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2010).
Das Sozialgericht Meiningen hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 31. Januar 2012 abgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen
für die Erhebung des Zusatzbeitrages seien erfüllt; verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht.
Im Berufungsverfahren macht der Kläger geltend, der Bescheid sei formell nichtig, weil er als Infopost versandt wurde. Der
Zusatzbeitrag sei nicht notwendig oder zumindest zu vermindern; um dies genau festzustellen, solle die Beklagte zur Angabe
der Höhe der Vorstandsbezüge verpflichtet werden. Er sei auch deswegen überhöht, weil die Beklagte im Geschäftsjahr 2011 einen
Überschuss erwirtschaftet habe und der Beitrag auch vom Arbeitsgeber hätte mitgetragen werden müssen. Weiter sei die Satzung
der Beklagten wegen der unzulässigen echten Rückwirkung nichtig bzw. rechtswidrig. Der Zusatzbeitrag verstoße gegen den Gleichheitssatz
und stelle einen unzulässigen "Sonderbeitrag" dar. Unter Hinweis auf ein Gutachten von Prof. Dr. E. vom 22. Juli 2010 liege
auch ein Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip vor. Letztlich würden viele Beitragspflichtige den Zusatzbeitrag nicht
zahlen, weswegen ein Vollzugsdefizit bestehe. Der Kläger beantragt daher, dass die Beklagte konkret über den Einnahmeausfall
(Soll/Ist) Auskunft erteilen soll, diese notfalls durch Vorlage der Buchführung oder entsprechender Unterlagen, wo diese Zahlen
ersichtlich seien, belegen solle.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 31. Januar 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2010 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht sei eine formelle Nichtigkeit nicht zu erkennen. Der Gesetzgeber habe im Fall des Zusatzbeitrages von seinem
Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht. Ein Vollzugsdefizit bestehe nicht, die Beklagte mache ihre Ansprüche auf den Zusatzbeitrag
konsequent geltend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid der Beklagten
vom 18. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2010 rechtmäßig ist. Die Festsetzung des Zusatzbeitrages
ab dem 1. Februar 2010 begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rechtsgrundlage ist §
242 Abs.
1 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) in der bei Erlass der angegriffenen Bescheide geltenden Fassung. Danach hat eine Krankenkasse, soweit ihr Finanzbedarf durch
die Zuweisungen aus dem Fonds nicht gedeckt ist, in ihrer Satzung zu bestimmen, dass von ihren Mitgliedern ein Zusatzbeitrag
erhoben wird (Satz 1). Der Zusatzbeitrag ist auf 1 vom Hundert der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds begrenzt (Satz
2). Abweichend von Satz 2 erhebt die Krankenkasse den Zusatzbeitrag ohne Prüfung der Höhe der Einnahmen des Mitglieds, wenn
der monatliche Zusatzbeitrag den Betrag von 8 Euro nicht übersteigt (Satz 3). Von Mitgliedern, die das Sonderkündigungsrecht
nach §
175 Abs.
4 Satz 5
SGB V wegen der erstmaligen Erhebung des Zusatzbeitrags fristgemäß ausgeübt haben, wird der Zusatzbeitrag nicht erhoben (Satz 4).
Wird das Sonderkündigungsrecht wegen einer Erhöhung des Zusatzbeitrags ausgeübt, wird der erhöhte Zusatzbeitrag nicht erhoben
(Satz 5). Wird die Kündigung nicht wirksam, wird der Zusatzbeitrag im vollen Umfang erhoben (Satz 6).
Die Voraussetzungen des §
242 Abs.
1 SGB V liegen vor. Die Beklagte hat bei dem Kläger ab dem 1. Februar 2010 auf Grundlage ihrer Satzung (§ 11 Abs. III) einen einkommensunabhängigen
Zusatzbeitrag von 8 Euro erhoben. Der Kläger hat von seinem Sonderkündigungsrecht keinen Gebrauch gemacht.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist der zugrundeliegende Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2010 formell weder nichtig
noch rechtswidrig. Gegen die Bekanntgabe durch Infopost bestehen keine rechtlichen Bedenken. Für die Geltendmachung des Zusatzbeitrages
ist eine besondere Form nicht gesetzlich vorgeschrieben. Der Verwaltungsakt kann daher nach § 33 Abs. 2 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Eine besondere Zustellung ist im Gesetz nicht
vorgesehen, eine Bekanntgabe durch einfachen Brief oder durch Infopost ist ausreichend. Dass es an einem Bekanntgabewillen
gefehlt haben soll, ist nicht ersichtlich. Wie sich im Übrigen aus dem am 21. Februar 2010 eingelegten Widerspruch ergibt,
hat der Kläger auch tatsächlich Kenntnis genommen.
Die Satzung der Beklagten ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Rückwirkung als verfassungswidrig einzustufen.
Der Senat kann offen lassen, ob überhaupt eine Rückwirkung vorliegt, da die Satzungsänderung zum 1. Februar 2010 beschlossen
wurde. Selbst wenn auf die Genehmigung durch das Bundesversicherungsamt abzustellen wäre, würde nur eine zulässige unechte
Rückwirkung vorliegen, weil die Satzung zwar den 1. Februar 2010 als Beginn der Pflicht zur Zahlung des Zusatzbeitrages festlegt,
die eigentliche Rechtsfolge, nämlich die Zahlung des Zusatzbeitrages aber erst zum 1. April 2010 erfolgen soll, also zu einer
Zeit nach dem Wirksamwerden der Satzung.
Die nachträgliche, belastende Änderung der Rechtsfolge eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens bedarf einer besonderen
Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 3.
Dezember 1997 - Az.: 2 BvR 882/97, nach juris Rn. 39). Eine "echte" Rückwirkung, also eine Rückbewirkung von belastenden Rechtsfolgen auf Tatbestände, die
bereits vor dem Zeitpunkt der Normverkündung abgeschlossen sind, ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 7. Juli 2010 - Az.: 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, nach juris Rn. 56). Nicht grundsätzlich unzulässig ist hingegen eine "unechte" Rückwirkung, in deren Rahmen die Rechtsfolgen
einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, jedoch tatbestandlich von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst
werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung" - vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. Februar 2002 - Az.: 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, nach juris Rn. 63 f.). Um mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar zu sein, muss die unechten Rückwirkung zur
Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich sein; zudem müssen bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des
enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der
Zumutbarkeit gewahrt bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2010 - Az.: 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, nach juris Rn. 58).
Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit bestehen hier bereits deshalb nicht, weil das Vertrauen der Versicherten ausreichend
durch das Sonderkündigungsrecht des §
175 Abs.
4 Satz 5
SGB V geschützt wird. Hierdurch ist gewährleistet, dass jeder Versicherte die Zahlung des Zusatzbeitrages vermeiden kann. Der Zusatzbeitrag
verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 des
Grundgesetzes (
GG), auch nicht vor dem Hintergrund, dass er nicht von allen Krankenkassen erhoben wird. Ein Ungleichbehandlung im Sinne von
Art.
3 Abs.
1 GG liegt nur vor, wenn die Vergleichsfälle der gleichen Stelle zuzurechnen sind (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth,
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Auflage 2007, Art.
3 Rn. 4a). Daran fehlt es, wenn die Sachverhalte von verschiedenen Trägern öffentlicher Gewalt gestaltet werden. Der Gleichheitssatz
bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt allein in seinem konkreten Zuständigkeitsbereich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. November
1988 - Az.: 2 BvR 1619/83, 2 BvR 1628/83, nach juris Rn. 76). Solange die Beklagte von allen ihren Mitgliedern den Zusatzbeitrag erhebt, was hier nicht streitig ist,
kommt ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht in Betracht.
Soweit sich der Kläger auf eine Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzip beruft und auf ein Gutachten von Prof. Dr. E. vom
22. Juli 2010 Bezug nimmt, kann der Senat dies nicht nachvollziehen. Das Gutachten behandelt die Frage des Sozialausgleichs
im Rahmen des Zusatzbeitrages, nicht aber die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Beitrages an sich.
Für den Senat ist auch nicht ersichtlich, dass ein unzulässiger "Sonderbeitrag" vorliegt, wobei er davon ausgeht, dass der
Kläger ihn mit der sog. Sonderabgabe verwechselt. Eine Sonderabgabe ist eine hoheitlich auferlegte Geldleistungspflicht, der
keine unmittelbare Gegenleistung gegenübersteht. Ihre Zulässigkeit ist an strenge Voraussetzungen geknüpft (vgl. Pieroth in
Jarass/Pieroth,
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Auflage 2007, Art.
105 Rn. 9 m.w.N.). Hier steht jedoch lediglich ein (erhöhter) Beitrag im Streit, der für die potentielle Inanspruchnahme einer
öffentlichen Einrichtung zu zahlen ist (vgl. Pieroth in Jarass/Pieroth,
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Auflage 2007, Art.
105 Rn. 15).
Der Kläger kann nicht mit seinem Vortrag gehört werden, der Zusatzbeitrag wäre niedriger ausgefallen, wenn die Beklagte besser
gewirtschaftet hätte, insbesondere durch niedrigere Vorstandsbezüge. Nach §
242 Abs.
1 Satz 1
SGB V hat die Krankenkasse in ihrer Satzung zu bestimmen, dass von ihren Mitgliedern ein Zusatzbeitrag erhoben wird, soweit ihr
Finanzbedarf nicht durch die Zuweisungen aus dem Fonds gedeckt ist. Voraussetzung für die Erhebung eines Zusatzbeitrages ist
dementsprechend ein Finanzbedarf, d.h. ein Defizit. Unerheblich ist, worauf dieses beruht. Der Versicherte kann schon nach
dem Wortlaut der Norm nicht einwenden, die Krankenkasse könne in bestimmten Bereichen wirtschaftlicher arbeiten (vgl. LSG
Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. November 2011 - Az.: L 10 KR 33/11 B ER, nach juris Rn. 30). Grundsätzlich kann ein Versicherter nicht bestimmte Ausgaben einer Krankenkasse gerichtlich kontrollieren
lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. April 1984 - Az.: 1 BvL 43/81, nach juris Rn. 35).
Soweit der Kläger geltend macht, dass der Beitrag auch vom Arbeitgeber hätte getragen werden müssen, führt dies zu keiner
anderen Bewertung. Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass Sozialversicherungsbeiträge für Beschäftigte immer
paritätisch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu zahlen sind. Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums
eine andere Regelung zu treffen.
Auch kann der Kläger nicht einwenden, dass der Beitrag nicht hätte erhoben werden dürfen, da die Beklagte im Geschäftsjahr
2011 einen Überschuss erwirtschaftet hat. Zum einen beruhte dieser Überschuss auch auf dem Zusatzbeitrag. Zum anderen handelt
es sich bei der Festlegung des Zusatzbeitrages um eine Prognoseentscheidung. Es gibt keine rechtliche Grundlage für eine rückwirkende
Aufhebung des Zusatzbeitrages. Vielmehr ist die Krankenkasse gehalten, bei einem deutlichen Überschuss zu prüfen, ob nicht
ggf. eine Abschaffung des Zusatzbeitrages in Betracht kommt. Dies hat die Beklagte hier getan und das Ergebnis aus dem Geschäftsjahr
2011 zum Anlass genommen, ab dem 1. April 2012 keine Zusatzbeiträge mehr zu erheben (vgl. Pressemitteilung vom 10. Februar
2012 unter ...).
Letztlich hat der Senat auch keine belastbaren Hinweise über ein eventuell bestehendes Vollzugsdefizit. Der Kläger, der ein
solches behauptet, teilt nicht mit, worauf seine Erkenntnisse beruhen. Vor diesem Hintergrund sind weitere Ermittlungen des
Senats nicht angezeigt, insbesondere ist der beantragten Beweiserhebung durch Vorlage der kompletten Buchführung der Beklagten
nicht nachzugehen. Sein Begehren ist tatsächlich ein Beweisermittelungsantrag; denn der gestellte Antrag zielte auf die Ausforschung
von Tatsachen (sog. Ausforschungsbeweis) oder die Erschließung von Erkenntnisquellen, die es vielleicht erst ermöglichen,
bestimmte Tatsachen zu behaupten und sodann unter Beweis zu stellen (vgl. Greger in Zöller,
ZPO, 30. Auflage 2014, Vor § 284 Rn. 5). Einem solcher Antrag braucht ein Gericht nicht nachzukommen (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Februar 2009 - Az.: B 13 RS 85/08 B, nach juris Rn. 18). Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte ("ins Blaue hinein") besteht auch unter verfassungsrechtlichen
Erwägungen keine Verpflichtung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 2007 - Az.: 2 BvR 1268/03, nach juris Rn. 19).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.