Krankenversicherung
Operative Brustverkleinerung als Sachleistung
Begriff der Krankheit
Begriff und Feststellung der Entstellung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin eine operative Brustverkleinerung beidseits als Sachleistung
zu gewähren hat.
Die 1957 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist 1,68 m groß, wog im Jahr 2010 67 kg
und hat BH-Größe 85D. Im Juni 2010 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Mammareduktions- und Liftingplastik
beidseits und legte einen Arztbrief des -Zentralklinikums S. GmbH (S. B. S./M.) vom 9. Juni 2010 vor, wonach sie an Makromastie
mit erheblichen statischen Beschwerden, chronischem Wirbelsäulensyndrom und ausgeprägter zystischer Mastopathie beidseits
leidet. Sie habe seit vielen Jahren erhebliche HWS- und BWS-Beschwerden, Nackenschmerzen sowie eine chronische Fehlhaltung.
Analgetika, Chirotherapie und physiotherapeutische Behandlungen sowie eigene sportliche Aktivitäten hätten zu keiner nennenswerten
Besserung der Symptome geführt. Hinzu komme ein sehr echodichtes zystisches Drüsengewebe, welches in der Mammadiagnostik immer
wieder Probleme bei der Beurteilbarkeit verursacht habe, sodass sie zusätzlich noch eine erhebliche Karzinophobie und Angst
entwickelt habe. Nach dem Arztbrief des Facharztes für Orthopädie Dr. K. vom 19. Mai 2010 könne die Mammareduktionsplastik
eine weitere Progredienz der Beschwerden verhindern und hierdurch eine Gefährdung der Leistungsfähigkeit und der Erwerbsfähigkeit
vermeiden. Aus orthopädischer Sicht werde die geplante Mammareduktionsplastik befürwortet.
Die Beklagte beauftragte den ... (MDK) mit der Begutachtung der Klägerin. Dieser verneinte im Gutachten vom 6. August 2010
(Dr. H.) die medizinische Notwendigkeit der beantragten Maßnahme. Die Klägerin leide an chronisch-rezidivierendem Zervikalsyndrom,
rezidivierenden Kopfschmerzen und zystischer Mastopathie beidseits. Es bestünden seit zwei Jahren verstärkt Kopfschmerzen,
teilweise migräneartig mit Übelkeit, die an Häufigkeit und Frequenz deutlich zugenommen hätten und zu einer erheblichen Beeinträchtigung
der körperlichen Leistungsfähigkeit führten. Von Seiten des orthopädischen Fachgebiets bestehe nach vorliegenden Befunden
eine Fehlstatik der HWS mit leichter Osteochondrose, Retrospondylose und leichter Seitverbiegung sowie rezidivierende Blockierungen
im Bereich der BWS. Darüber hinaus liege eine zystische Mastopathie mit engmaschiger bildgebender und gynäkologischer Kontrolle
vor. In Bezug auf die Form und Größe der Brust bestehe kein auffälliger, erheblich von der Norm abweichender Befund. Die Brustgröße
sei dem Körperbau und dem Körpergewicht der Klägerin angepasst, sodass keine medizinische Indikation für eine Mammareduktionsplastik
vorliege. Aufgrund der festgestellten Brustlast sei nicht davon auszugehen, dass das Brustgewicht die Beschwerden ursächlich
bedinge. Es werde dringend eine weitere Diagnostik der zunehmenden Kopfschmerzen, auch unter Einbeziehung einer neurologischen
Diagnostik empfohlen sowie eine Optimierung der Schmerztherapie, ggf. unter Einbeziehung eines Schmerztherapeuten. Außerdem
seien muskelkräftigende Übungen im Bereich der Wirbelsäule durch Heilmittelverordnungen angezeigt, ergänzend könne Reha-Sport
empfohlen werden. Die Beklagte lehnte den Antrag daraufhin mit Bescheid vom 11. August 2010 ab.
Den mit Schreiben vom 5. September 2010 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie ihre Brustgröße und
-form in keiner Weise mehr normal empfinde. Auch die Brustlast stelle ein großes Problem dar. Hinzu komme, dass sie ein sehr
schlechtes Drüsengewebe habe und in den letzten Jahren zunehmend Zysten und Knoten aufgetreten seien; alle Befunde seien bis
jetzt jedoch für sie positiv gewesen. Das alles sei eine große psychische Belastung für sie. Es bestehe kein Zweifel daran,
dass ihr jetziger Gesundheitszustand zum größten Teil in Zusammenhang mit ihrer Brust stehe.
Die Beklagte hat wiederum den MDK mit einer Begutachtung beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 28. September 2010
(Dr. B.) ausgeführt, nach nochmaliger sorgfältiger Prüfung der vorliegenden Unterlagen könne die medizinische Notwendigkeit
der beantragten Maßnahme nicht begründet werden. Es bestehe kein regelwidriger körperlicher Zustand. Große Brüste seien keine
behandlungsbedürftige Krankheit. Sie bedingten bei der Versicherten weder eine Funktionseinschränkung noch wirkten sie entstellend.
Die psychischen Beschwerden rechtfertigten es nicht, die Kosten einer operativen Brustverkleinerung zu übernehmen. Es sollten
primär konservative Behandlungen erfolgen, speziell Kräftigung der Wirbelsäule für die Rückenmuskulatur. Ein gut sitzender
entsprechender Sport-BH müsse genutzt werden. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin daraufhin mit Widerspruchsbescheid
vom 30. März 2011 zurück und führte zur Begründung aus, bislang gebe es keine wissenschaftliche Studie, die einen Zusammenhang
zwischen der Größe der Brust und des Auftretens von Wirbelsäulenbeschwerden belegten. Die Gutachter des MDK hätten keine medizinische
Notwendigkeit der beantragten Maßnahme bestätigen können.
Hiergegen hat die Klägerin am 18. April 2011 Klage erhoben und vorgetragen, die Befundung der Orthopädie-Praxis K. lasse keinen
Zweifel daran, dass die Mammareduktionsplastik eine weitere Progredienz der Beschwerden verhindere und zugleich eine Gefährdung
ihrer Leistungs- und Erwerbsfähigkeit vermeide. An der medizinischen Indikation der gewünschten Maßnahme könne daher keinerlei
Zweifel bestehen. Er bestätige die bereits morgens um 9:30 Uhr aufgrund der Fehlstatik der Klägerin bestehende Fehlbelastung
der Schultergürtelmuskulatur sowie ein deutliches Einschneiden der BH-Träger und stelle eindeutig fest, dass die Mammareduktionsplastik
erforderlich sei, um sekundäre Veränderungen der Wirbelsäule zu vermeiden. Auch die Diagnose des Dr. R., Leiter des Brustzentrums
des -Zentralklinikums in S. vom 23. Januar 2013 bestätige diese Indikation. Danach bestehen im Vergleich zum Vorbefund von
2010 unverändert Makromastie beidseits mit überwiegend statischen Beschwerden. Es bestehe eine Indikation zur Mammareduktions-
und Liftingplastik beidseits, weshalb er den Antrag der Klägerin aus fachärztlicher Sicht unterstütze.
Das SG hat einen Befundbericht des Dr. K. vom 14. Februar 2012 eingeholt, in dem dieser ausführt, die Klägerin zuletzt am 19. Mai
2010 gesehen zu haben und ein orthopädisches Gutachten des Dr. J. vom 11. September 2012 eingeholt. Danach leidet die Klägerin
an einem rezidivierenden Schulter-Nacken-Syndrom. Hinsichtlich der HWS bestehe freie Beweglichkeit mit diskreter Schmerzangabe
in der Schulter-Nacken-Muskulatur beidseits und zusätzlichem Druckschmerz. Die Schultern wiesen keine Schnürfurchen unter
den geringfügig verbreiterten BH-Trägern auf. Es fänden sich keine neurologischen Defizite der oberen Extremitäten. Die BWS/LWS
weise eine achsengerechte Stellung bei Beckengeradstand auf, zurzeit bestehe kein Klopf-, Druck- oder Bewegungsschmerz in
sämtlichen Etagen. Röntgenologisch zeige sich an der HWS ein achsengerechter Aufbau und eine unauffällige Darstellung der
Bandscheibenräume und der Wirbelkörper sowie eine unauffällige Darstellung der Gelenke sowie eine unauffällige Knochenfeinzeichnung.
Gleiches gelte röntgenologisch für die BWS in zwei Ebenen. Bei der Untersuchung hätten sich keine wesentlichen Funktionseinschränkungen
der HWS, BWS und LWS sowie der großen und kleinen Gelenke und keine Veränderungen, die mit einer Fehlstatik einhergingen,
gefunden. Insbesondere bestehe kein Hinweis auf eine Abstützreaktion, die im Zusammenhang mit einer Fehlstatik auftreten könne.
Die angegebene Schmerzhaftigkeit habe entzündlichen Charakter mit wechselhafter Ausprägung des Beschwerdebildes und Auftreten
von Migräneanfällen. Zu beachten sei, dass die Brüste aufgrund ihres Gewichtes herabhingen und damit den Hebelarm deutlich
verkleinerten. Es handele sich nicht um einen regelwidrigen körperlichen Zustand. Eine medizinische Notwendigkeit, eine Brustverkleinerung
durchzuführen, bestehe nicht.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Mai 2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, hinsichtlich des Zustandes der Brust liege bei der Klägerin keine Krankheit
vor, die der ärztlichen Behandlung bedürfe. Unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion stelle die Brustgröße und
-form der Klägerin keine körperliche Anomalie dar, die als Krankheit zu bewerten sei. Den vorliegenden medizinischen Befunden
der behandelnden Ärzte und den Ausführungen sowohl des MDK als auch des gerichtlichen Sachverständigen lasse sich nicht entnehmen,
dass die Form und die Größe der Brust Funktionseinschränkungen mit Krankheitswert bedingten. Auch der mastopathische Drüsenkörper
beidseits ohne Tumorhinweis rechtfertige nicht die begehrte operative Brustverkleinerung. Eine äußerliche Entstellung sei
ebenfalls nicht gegeben. Die Klägerin trage einen BH mit Körbchengröße D. Ein solcher Befund könne unter Berücksichtigung
der außerordentlichen Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust nicht als entstellend oder krankhaft gewertet werden.
Für den Gesichtspunkt einer psychischen Beeinträchtigung sei die Beklagte ebenfalls nicht leistungspflichtig. Soweit Dr. R.
ausführe, bei der Klägerin habe sich zusätzlich eine erhebliche Karzinophobie und Angst entwickelt, sei dem entgegen zu halten,
dass psychische Probleme keinen Rechtfertigungsgrund für einen körperlichen Eingriff darstellten, sondern mit Mitteln der
Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln seien. Schließlich ließen die von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens
angeführten orthopädischen Beschwerden die Notwendigkeit eines operativen Eingriffes im Bereich der Brüste nicht erkennen.
Der Sachverständige Dr. J. habe in seinem Gutachten vom 11. September 2012 schlüssig und überzeugend dargelegt, dass keine
Hinweise auf Auswirkungen des Gewichts der Brüste, einschließlich deren Form, auf die Beschwerden vorlägen und auch die Weichteile
im Schulter-Nackenbereich nicht krankmachend beeinflusst seien. Es fänden sich keine Schnürfurchen im Bereich der Schultern
beidseits. Soweit die Klägerin demgegenüber in Bezug auf die Vorstellung bei Dr. K. ausführe, bereits morgens sei ein deutliches
Einschneiden der BH-Träger festgestellt worden, habe dies während der gerichtlich angeordneten Begutachtung nicht festgestellt
werden können und stehe möglicherweise mit dem konkret getragenen BH im Zusammenhang.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 27. Mai 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. Juni 2013 Berufung
eingelegt, mit der sie an ihrer Ansicht festhält, dass die jahrelangen Maßnahmen, ihre Beschwerden zu lindern, offensichtlich
nicht ausreichend gewesen seien. Im Hinblick auf die eingereichten Atteste ihrer behandelnden Ärzte bedürfe es der Einholung
eines Obergutachtens, um zu bestätigen, dass die Größe ihrer Brust Funktionseinschränkungen mit direkten Krankheitsauswirkungen
mit sich bringe. Dr. K. stelle mit seinem Arztbrief vom 18. Juni 2014 klar, dass sie an einem rezidivierenden Zervikobrachialsyndrom
beidseits mit statischer Fehlbelastung der Wirbelsäule leide und die Veränderungen an ihrer HWS sowie ihrer BWS degenerativ
und voranschreitend seien. Die begehrte Mammareduktionsplastik sei deshalb erforderlich. Zuzugeben sei allerdings, dass die
Brust selber ob ihrer Größe und des veränderten Gewebes glücklicherweise nicht erkrankt sei. Schließlich stelle auch Prof.
Dr. H. in seinem Gutachten vom 22. Juni 2015 fest, dass ihre Brustgröße unmittelbar zu krankhaften Veränderungen von Schulter
und Nacken mit orthopädischem entzündlichen Befund geführt habe und bestätige, dass es sich hier um eine fachorthopädisch
unterfütterte Indikation handele. Sie legt diverse Heilmittelverordnungen, Anträge auf Kostenübernahme für Funktionstraining
sowie Überweisungsscheine aus den Jahren 2011 bis 2014 sowie die Epikrise des am Zentralklinikum S. vom 3. November 2014 vor.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 15. Mai 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 11. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2011 zu verurteilen, ihr eine beidseitige Mammareduktions-
und Liftingplastik als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids und verweist einerseits auf
das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 25. August 2014, wonach alle beschriebenen orthopädischen Erkrankungen und Veränderungen
mit den Mitteln der Orthopädie und der Physiotherapie behandelt werden könnten, und andererseits auf dessen Gutachten vom
24. August 2015, das den Schlussfolgerungen des Prof. Dr. H. widerspreche. Sie hat die beiden MDK-Gutachten vom 25. August
2014 und vom 24. August 2015 vorgelegt.
Am 16. Juni 2014 hat der vormalige Berichterstatter des Senats mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung der Sach- und
Rechtslage durchgeführt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der in der Gerichtsakte befindlichen Sitzungsniederschrift
verwiesen.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach §
109 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) ein frauenheilkundliches Sachverständigengutachten des Prof. Dr. H. vom 22. Juni 2015 in Auftrag gegeben. Dort kommt dieser
aufgrund der von ihm diagnostizierten Mammahyperplasie (Jugulum-Mamillenabstand von jeweils 30 cm), die einher gehe mit Migräne
und einem orthopädisch bewerteten Schulter-Nackensyndrom sowie intermittierend mit einer Entzündungssituation unter den Brüsten
und Schnürfurchen bzw. Striae, zu dem Schluss, dass unter Annahme eines Resektionsgewichtes von 500 Gramm oder mehr je Seite
eine Linderung der Beschwerden, hinsichtlich der Intertrigo sogar ein Verschwinden zu erwarten sei. Die konservativen Behandlungsalternativen
seien von der Klägerin durchaus wahrgenommen worden. Die Erfahrung lehre jedoch, dass bei der vorliegenden Brustgröße die
Verbesserung der Situation auf diesem Wege nur geringfügig möglich sei. Es bestehe keine kosmetische, sondern eine medizinische
Indikation.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Nach §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des
gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich
- Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. Februar 2008 - Az.: B 1 KR 19/07 R m.w.N., nach juris).
Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass Versicherte
in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt sind oder dass sie an einer Abweichung vom Regelfall leiden, die entstellend wirkt
(vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, a.a.O.). Die Klägerin ist durch die Makromastie beider Brüste nicht in ihren Körperfunktionen
beeinträchtigt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie entstellend wirkt.
Eine Beeinträchtigung der Brustfunktion wurde von der Klägerin letztlich nicht geltend gemacht. Im Gegenteil trägt sie in
der Berufung vor, dass "die Brust selber ob ihrer Größe und des veränderten Gewebes glücklicherweise nicht erkrankt sei".
Auch die behandelnden Ärzte sowie der MDK und die gerichtlichen Sachverständigen gehen nicht von einer Beeinträchtigung der
Brustfunktion aus. Bei der Klägerin liegt auch keine Entstellung vor. Hierfür genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr
muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder
Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer
Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehen und zu vereinsamen droht, sodass die
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine
beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein und in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon
bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des
Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsordnung im Interesse
der Eingliederung behinderter Menschen fordert, dass Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung von Behinderung korrigieren müssen.
Die Rechtsprechung hat als Beispiele für eine Entstellung z.B. das Fehlen natürlichen Kopfhaares bei einer Frau, eine Wangenathrophie
oder Narben im Lippenbereich angenommen oder erörtert, während bei der Fehlanlage eines Hodens eines männlichen Versicherten
eine Entstellung in der Rechtsprechung nicht einmal für erörterungswürdig angesehen wurde. Die Feststellung, dass im Einzelfall
ein Versicherter wegen einer körperlichen Anormalität an einer Entstellung leidet, ist in erster Linie Tatfrage (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, a.a.O.). Der Senat geht davon aus, dass bei Klägerin eine solche Entstellung im Sinne der Rechtsprechung
des BSG schon deshalb nicht vorliegt, weil dieser Körperbereich in der Regel durch Kleidung verdeckt ist (vgl. Landessozialgericht
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Januar 2006 - Az.: L 5 KR 65/05, nach juris) und sie im Übrigen eine solche auch nicht behauptet.
Eine eventuelle psychische Belastung der Klägerin rechtfertigt keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV). Sie könnte, kommt ihr Krankheitswert zu, nur einen Anspruch auf Behandlung mit den Mitteln der Psychiatrie, nicht aber
auf eine Mammareduktionsplastik begründen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, a.a.O.). Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) muss Versicherten nicht mit jeglichem Mittel
versorgen, dass ihrer Gesundheit förderlich ist oder für sich in Anspruch nimmt, auf die Krankheit einzuwirken; vielmehr mutet
das Gesetz den Versicherten zu, teilweise selbst für ihre Gesundheit zu sorgen (vgl. §
1 Satz 2 Halbsatz 1
SGB V, §
2 Absatz
1 Satz 1 Halbsatz 2
SGB V). Auch deshalb verneint die höchstrichterliche Rechtsprechung einen Anspruch auf Heilbehandlung in Form körperlicher Eingriffe,
wenn diese Maßnahmen nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1998 - Az.: B 1 KR 18/96 R, nach juris). Damit wertet sie Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische
Leiden beeinflussen sollen, nicht als "Behandlung" i.S. von §
27 Abs.
1 SGB V und weist derartige Maßnahmen der Eigenverantwortung des Versicherten zu (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Az.: B 1 KR 3/03 R, nach juris). Operationen am gesunden Körper bedürfen gerade wegen der mit ihnen verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung,
weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen wird, sondern nur mittelbar die Besserung eines
einzig einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2003 - Az.: B 1 KR 1/02 R, nach juris). Eine solche Rechtfertigung hat das BSG für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen zu Recht verneint (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, a.a.O.).
Auch die von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens geltend gemachten orthopädischen Beschwerden begründen nicht die
Notwendigkeit eines operativen Eingriffs im Bereich der Brust. Eine Mammareduktionsplastik würde lediglich eine mittelbare
Behandlung der Erkrankungen der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet darstellen. Lediglich mittelbare Behandlungen einer
Krankheit bedürfen einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention,
die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander
abzuwägen sind (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2003, a.a.O.). Eine chirurgische Behandlung in Form der Brustverkleinerung darf danach nur die ultima
ratio sein, zumal ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, Operationsfolgen wie z.B. Entzündungen,
Thrombose bzw. Lungenembolie, operationsspezifische Komplikationen) verbunden ist. Zu fordern ist auf jeden Fall eine schwerwiegende
Erkrankung der Wirbelsäule und die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen (vgl. LSG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. September 2011 - Az.: L 11 KR 33/09 m.w.N., nach juris, Urteil des erkennenden Senats vom 29. Oktober 2013 - Az.: L 6 KR 158/11, nach juris).
Nach den eingeholten medizinischen Befunden fehlt es hier bereits an einer schwerwiegenden Erkrankung der Wirbelsäule. So
hat Dr. J. in seinem Gutachten vom 11. September 2012 ausgeführt, dass die Klägerin zwar unter einem rezidivierenden Schulter-Nacken-Syndrom
leidet, hinsichtlich der HWS jedoch freie Beweglichkeit besteht. Auch finden sich keine neurologischen Defizite der oberen
Extremitäten. Röntgenologisch zeigen sich an der HWS ein achsengerechter Aufbau und eine unauffällige Darstellung der Bandscheibenräume
und der Wirbelkörper, eine unauffällige Darstellung der Gelenke sowie eine unauffällige Knochenfeinzeichnung. Ebenso weisen
die BWS sowie LWS eine achsengerechte Stellung bei Beckengeradstand auf. Bei der Untersuchung durch Dr. J. haben sich zusammenfassend
keine wesentlichen Funktionseinschränkungen der HWS, BWS und LWS sowie der großen und kleinen Gelenke und keine Veränderungen,
die mit einer Fehlstatik einhergingen, gefunden. Vielmehr ist, so Dr. J., zu beachten, dass die Brüste aufgrund ihres Gewichtes
herabhängen und damit den Hebelarm deutlich verkleinern. Eine medizinische Notwendigkeit der Brustverkleinerung sieht der
orthopädische Sachverständige nicht.
Selbst wenn man mit dem behandelnden Orthopäden Dr. K. in dessen Arztbrief vom 18. Juni 2014 von einer Progredienz der degenerativen
Veränderungen (im Vergleich zu 2010) ausgeht, ist für den Senat nicht ersichtlich, dass derzeit bereits eine schwerwiegende
Erkrankung der Wirbelsäule der Klägerin vorliegt. Ausweislich der sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK vom 25. August
2014 ist der dem Arztbrief des Dr. K. zugrundeliegende Röntgenbefund altersentsprechend und keinesfalls dem Alter vorauseilend.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem auf Antrag der Klägerin nach §
109 SGG eingeholten Gutachten des Gynäkologen Prof. Dr. H. Dieser hält zwar eine Brustverkleinerung für indiziert, stützt sich dabei
aber maßgeblich auf die vorliegenden orthopädischen Befunde, ohne eigene zu erheben. Dies ist im Hinblick auf die obigen Ausführungen
jedoch nicht überzeugend, zumal eine gynäkologische Begutachtung aufgrund der bei der Klägerin nicht vorhandenen Funktionsbeeinträchtigungen
ihrer Brust als fachfremd und damit ungeeignet anzusehen ist. Letztlich ist auch die Schlussfolgerung des Prof. Dr. H., dass
eine Linderung der Beschwerden, hinsichtlich der Intertrigo sogar ein Verschwinden zu erwarten sei, spekulativ. Insbesondere
ist in Übereinstimmung mit dem MDK in dessen weiteren Gutachten vom 24. August 2015 die von Prof. Dr. H. angenommene Resektatmenge
von 500 Gramm und mehr je Brust bei einem derzeitigen Brustgewicht von ca. 800 Gramm je Brust anzuzweifeln, da nach der Mammareduktion
das Restgewicht der Brust so klein wäre, dass ein kosmetisches Problem auftreten könnte. Hinsichtlich der Intertrigo, die
Prof. Dr. H. als intermittierend beschreibt, ist darauf hinzuweisen, dass Dr. J. eine solche nicht festgestellt hat und im
Übrigen dermatologische Behandlungsmöglichkeiten bestehen.
Letztlich lässt es der Senat dahinstehen, ob die Klägerin außerdem die konservativen Behandlungsmöglichkeiten vollständig
ausgeschöpft hat. Anlass zu Zweifeln bietet hier allerdings der MDK in der bereits erwähnten sozialmedizinischen Stellungnahme
vom 25. August 2014, wonach den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen ist, wie regelmäßig und intensiv
die krankengymnastischen Behandlungen durchgeführt wurden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.