Entscheidung des Revisionsgerichts trotz verfahrensfehlerhafter Revisionszulassung durch das LSG; Ausstattung mit Hilfsmitteln
in der gesetzlichen Krankenversicherung; zusätzliche Versorgung eines beinamputierten Versicherten mit einer Badeprothese
Gründe:
I
Streitig ist die Versorgung mit einer wasserfesten Oberschenkelprothese (Badeprothese).
Die 1942 geborene Klägerin ist nach einer 1995 erfolgten Amputation des rechten Beines zum Behinderungsausgleich mit einer
normalen Laufprothese sowie mit einem Gehbock, einem Klapprollstuhl, Unterarmgehstützen und einem Rollator ausgestattet worden.
Im Badezimmer steht ein Badewannenlifter; an den Wänden gibt es Haltegriffe. Mit der Laufprothese kommt die - in die Pflegestufe
I eingestufte - Klägerin nicht gut zurecht. Zu Hause benutzt sie überwiegend den Gehbock. Außerhalb der Wohnung wird sie vorwiegend
im Rollstuhl gefahren, weil sie mit der Laufprothese nur etwa 300 Meter zurücklegen kann, wobei sie zusätzlich die Unteramgehstützen
benutzt. Hilfe bei der Mobilität erhält sie vor allem von ihrem Ehemann.
Am 24.3.2003 beantragte die Klägerin bei der beklagten Krankenkasse unter Vorlage einer - auf Teilnahme am öffentlichen Leben
im Schwimmbad lautenden - vertragsärztlichen Verordnung vom 10.3.2003 und des Kostenvoranschlages eines Sanitätshauses über
3.050,20 Euro die zusätzliche Versorgung mit einer Badeprothese, um im nahegelegenen Hallenbad an der Wassergymnastik und
an Bewegungsbädern teilzunehmen. Auch im Freibad und am Strand sowie im Urlaubshotel und bei Verwandtenbesuchen sei sie auf
die Badeprothese angewiesen. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil das Hilfsmittel nur der Freizeitgestaltung diene und
damit zur Erfüllung der allgemeinen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens nicht erforderlich sei. Mit den vorhandenen Hilfsmitteln
sei sie ausreichend versorgt. Die vertragsärztliche Verordnung allein begründe keinen Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse
(Bescheid vom 25.3.2003, Widerspruchsbescheid vom 27.5.2003).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 17.2.2005), weil die Badeprothese der Klägerin ermögliche, die Körperpflege in der
Dusche selbst vorzunehmen und in Gesellschaft der Gesundheitsvorsorge dienende Aktivitäten (Schwimmen, Wassergymnastik, Bewegungsbäder)
auszuüben, die heutzutage zum selbstverständlichen Bestandteil der sozialen und gesundheitlichen Lebensgestaltung in ihrer
Altersgruppe gehörten. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur medizinischen Notwendigkeit der Versorgung der Klägerin mit der
begehrten Badeprothese ein fachchirurgisches Gutachten des Arztes Dr. M. vom 18.7.2007 eingeholt und die Klage auf Grundlage
dieses Gutachtens abgewiesen (Urteil vom 6.2.2008). Dazu hat das LSG ausgeführt, die Klägerin benutze schon die technisch
komfortable Laufprothese nur wenig, weil sie körperlich dazu nicht in der Lage sei. Dies lasse den Schluss zu, dass die nicht
so komfortabel ausgestattete Badeprothese erst recht nicht gefahrlos genutzt werden könne und daher für die Bedürfnisse der
Klägerin kein geeignetes Hilfsmittel darstelle. Eine Badeprothese sei nur sinnvoll, wenn ein Versicherter mit der Alltagsprothese
sicher umgehen könne. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragte Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens
zu der Behauptung, sie sei nach ihren körperlichen und gesundheitlichen Voraussetzungen konkret in der Lage, eine Badeprothese
- ggf nach besonderer orthopädischer Anpassung - zu tragen, hat das LSG im Urteil als nicht entscheidungserheblich abgelehnt.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§
33 SGB V) und einen Verfahrensfehler (§
103 SGG). Zwar habe das LSG zu Recht eine Beweisaufnahme angeordnet, weil eine Badeprothese das sichere Gehen und Stehen im Nassbereich
zu Hause (Dusche, Bad) und außer Haus (Schwimmbad) ermögliche und daher ein dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienendes
Hilfsmittel iS des §
33 SGB V darstelle, das von den Krankenkassen einer beinamputierten Versicherten grundsätzlich zu gewähren sei. Zu der Auffassung,
die Badeprothese sei für sie nicht geeignet, sei das LSG jedoch nur aufgrund eines Verfahrensfehlers bei der Amtsermittlung
(§
103 SGG) gelangt, weil es das Ergebnis des eingeholten Gutachtens offensichtlich falsch gewichtet habe. Der Sachverständige Dr. M.
habe die Frage, ob sie, die Klägerin, individuell in der Lage sei, eine allgemein als zweckmäßig und notwendig einzustufende
Badeprothese sicher zu tragen, nach Anamnese und Untersuchungsbefund zwar "eher verneint", zugleich aber betont, eine empirische
Festlegung sei ihm nicht möglich; "letztlich würde nur das Ausprobieren einer gefertigten Badeprothese darüber klare Auskunft
geben". Angesichts dieses Ergebnisses der Begutachtung hätte das LSG ihrem Hilfsbeweisantrag stattgeben müssen. Die Ablehnung
dieses Antrags sei grundlos und damit verfahrensfehlerhaft erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 6.2.2008 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Oldenburg
vom 17.2.2005 zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG) begründet. Die Klägerin hat die Rüge der verfahrensfehlerhaften Ablehnung ihres in der mündlichen Verhandlung gestellten
Hilfsbeweisantrages (§
160 Abs
2 Nr
3 iVm §
103 SGG) zu Recht erhoben. Die bisher getroffenen Feststellungen des LSG lassen keine abschließende - positive oder negative - Entscheidung
darüber zu, ob die begehrte Badeprothese ein für die Klägerin individuell geeignetes Hilfsmittel darstellt. Es steht zwar
nach den getroffenen Feststellungen des LSG fest (§
163 SGG), dass die Badeprothese für die angestrebten Verwendungen grundsätzlich "zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig" ist (Wirtschaftlichkeitsgebot
des §
12 Abs
1 Satz 1
SGB V). Das LSG hat jedoch die Feststellung, die Badeprothese sei ein für die Klägerin "ungeeignetes" Hilfsmittel, sodass es an
der "Erforderlichkeit im Einzelfall" (§
33 Abs
1 Satz 1
SGB V) fehle, in verfahrensfehlerhafter Weise getroffen. Die Einschätzung des LSG, die Klägerin könne mit der begehrten Badeprothese
nicht hinreichend sicher umgehen, wird von dem vorliegenden Sachverständigengutachten nicht getragen. Insoweit bedarf es weiterer
Ermittlungen, die vom LSG im erneut durchzuführenden Berufungsverfahren nachzuholen sind.
1. Maßgebend ist hier §
33 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378), weil bei Leistungsklagen,
auch wenn sie - wie hier - mit einer Anfechtungsklage verbunden sind, grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
maßgebend ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr
34 mwN). Nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die
im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen
oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung
in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach
dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen
Kontrollen. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der GKV auch, müssen die Leistungen nach §
33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die
nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen Leistungserbringer nicht bewirken
und die Krankenkassen nicht bewilligen (§
2 Abs
4 und §
12 Abs
1 SGB V).
2. Die Leistungsablehnung ist rechtswidrig, wenn die Badeprothese zum Behinderungsausgleich erforderlich und individuell geeignet
ist. Dieser in §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels hat zweierlei Bedeutung:
a) Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren
Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung
des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis
des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer
schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis.
Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt
werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig
im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, jeweils RdNr 4 - C-leg-Prothese). Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich
dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich
teure Hilfsmittel zur Wahl stehen.
b) Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer
Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig.
Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten
eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl §
1 SGB V sowie §
6 Abs
1 Nr
1 iVm §
5 Nr
1 und
3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des
Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber
hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel
zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten
täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger
Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen,
Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen
eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7; BSGE 91, 60, 63 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 14; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums
gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen
Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 RdNr 18). Zum körperlichen
Freiraum gehört - im Sinne eines Basisausgleichs der eingeschränkten Bewegungsfreiheit - die Fähigkeit, sich in der eigenen
Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die
- üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB
Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs. Soweit überhaupt die
Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative
Momente verlangt worden (vgl BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7 - Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für Wachkomapatientin; BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike für Jugendliche; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 - behindertengerechtes Dreirad; BSG SozR 2200 § 182b
Nr 13 - Faltrollstuhl).
c) Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich Anspruch auf die
im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung.
Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell in gleicher Weise geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten
gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V (ebenso §
31 Abs
3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die
keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch
oder eine bessere Optik beschränken (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44; BSGE 93, 183, 188 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8).
3. Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze über die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der GKV beim unmittelbaren und mittelbaren
Behinderungsausgleich (3. Variante des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V und §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) wird deutlich, dass die Beklagte einen unrichtigen rechtlichen Ansatz gewählt hat. Sie hat die Ablehnung des Leistungsantrages
der Klägerin damit begründet, dass die Badeprothese in erster Linie dazu dienen solle, der Klägerin den Besuch eines Schwimmbads
zu ermöglichen; die Sportausübung und sonstige Freizeitaktivitäten zählten aber gerade nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen
des täglichen Lebens. Auch das LSG hat darauf abgestellt, die Badeprothese diene der Wahrnehmung von Grundbedürfnissen, sei
dafür im Falle der Klägerin aber nicht geeignet. Damit haben die Beklagte und das LSG fälschlich die Grundsätze des mittelbaren
Behinderungsausgleichs angewandt, obgleich hier allein die Grundsätze des unmittelbaren Behinderungsausgleichs heranzuziehen
sind.
Beinamputierte Versicherte, die mit einer normalen Laufprothese versorgt sind, können von der Krankenkasse die zusätzliche
Versorgung mit einer wasserfesten Prothese (Badeprothese, Schwimmprothese) verlangen, um sich zu Hause in Bad und Dusche sowie
außerhalb der Wohnung im Schwimmbad sicher und ohne Gefahr der Beschädigung der regelmäßig nicht wasserfesten Alltagsprothese
bewegen zu können. Maßgeblich ist, dass eine Badeprothese dem unmittelbaren Behinderungsausgleich beinamputierter Versicherter
dient und ihnen im heimischen Nassbereich sowie im Schwimmbad ein sicheres Gehen und Stehen ermöglicht. Dabei kommt es nicht
darauf an, dass der Besuch eines Schwimmbades einer sportlichen Betätigung bzw einer Freizeitbeschäftigung dient (Schwimmen,
Wassergymnastik) und solche Aktivitäten nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören. Dem Anspruch
auf Versorgung mit einer Badeprothese kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es am Markt Kunststoff-Überzüge gibt,
die über die vorhandene Alltagsprothese zu ziehen sind und diese vor Wasserschäden schützen. Dabei handelt es sich nicht um
eine in vollem Umfang gleichwertige Versorgungsalternative (vgl dazu Näheres im Urteil des erkennenden Senats vom 25.6.2009
- B 3 KR 2/08 R -, zur Veröffentlichung in SozR bestimmt).
a) Beinprothesen sind Körperersatzstücke gemäß §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V. Sie dienen dem unmittelbaren Ersatz des fehlenden Körperteils und dessen ausgefallener Funktion. Sie sind auf den Ausgleich
der Behinderung selbst gerichtet und dienen der medizinischen Rehabilitation, ohne dass zusätzlich die Erfüllung eines allgemeinen
Grundbedürfnisses des täglichen Lebens zu prüfen ist, wie es bei Hilfsmitteln erforderlich wäre, die nur die direkten und
indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen sollen. Bei einer Beinprothese geht es um das Grundbedürfnis auf möglichst
sicheres, gefahrloses Gehen und Stehen, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion der Beine gewährleistet ist.
Diese Funktion muss in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 - C-leg-Prothese).
b) Hieran ist anzuknüpfen, wenn es um die Versorgung mit einer Badeprothese geht. Die normale Beinprothese hat einen Gebrauchsnachteil,
weil sie nicht dort zu verwenden ist, wo der Benutzer beim Gehen und Stehen mit Wasser in Kontakt kommt. Durch den Kontakt
mit Wasser besteht die große Gefahr einer Beschädigung, sodass die Beklagte zur Reparatur bzw zum Einsatz verpflichtet wäre,
was erhebliche Kosten verursacht. Außerdem ist der Fuß einer normalen Laufprothese so ausgelegt, dass er mit Schuhen getragen
wird. Im Schwimmbad ist das Tragen von Straßenschuhen in aller Regel verboten. Ohne Schuhe besteht eine besondere Rutschgefahr.
Unterarmgehstützen bieten nicht den gleichen Halt wie eine Beinprothese und sind für die Gang- und Standsicherheit nur ergänzend
heranzuziehen. Die normale Laufprothese ist beim Aufenthalt in und am Wasser (Schwimmbad, Fluss, See) ungeeignet. Dieser Gebrauchsnachteil
wird durch die zusätzliche Ausstattung mit einer Badeprothese kompensiert. Die Badeprothese gleicht praktisch das Funktionsdefizit
der Alltagsprothese im Nassbereich aus.
c) Nicht abzustellen ist auf das Schwimmen als Freizeitbetätigung. Wie bereits ausgeführt, dient die Badeprothese dem unmittelbaren
Behinderungsausgleich beinamputierter Versicherter und ermöglicht ihnen im heimischen Nassbereich sowie im Schwimmbad ein
sicheres Gehen und Stehen; auf die Frage, ob ein Grundbedürfnis betroffen ist, kommt es mithin nicht an. Darüber hinaus stellt
die Ausübung von sportlichen Aktivitäten aber auch kein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens dar; dies gilt für
den Freizeit- und Berufssport gleichermaßen. Es ist deshalb nicht von Bedeutung, dass dem Freizeitsport und insbesondere dem
Schwimmen in der Regel eine gesundheitsfördernde Wirkung zukommt und beinamputierte Menschen von den Vorteilen des Schwimmens
besonders profitieren. Zudem ist zu berücksichtigen, dass man mit einer Badeprothese zwar schwimmen kann, viele Betroffene
auf das Anlegen der Prothese beim Schwimmen aber verzichten, weil sie wegen des Auftriebs eher hinderlich ist (vgl AOK/MDK-Protokoll
vom 30.1.2006).
d) Soweit nach der früheren Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 10.10.1979 - 3 RK 30/79 - SozR 2200 § 182 Nr 55) der Anspruch auf Versorgung mit einer Badeprothese auch auf die "Bedeutung des Schwimmens für die
Gesunderhaltung im Allgemeinen und des Versehrtenschwimmsports für die körperliche Ertüchtigung des behinderten Versicherten
im Besonderen" gestützt worden ist, stellt der Senat fest, dass dieser Aspekt weder der heutigen Lebenswirklichkeit entspricht
noch in der Sache entscheidungserhebliche Bedeutung besitzt. Etwas anderes kann allerdings bei vertragsärztlich verordneter
sportlicher Betätigung als ergänzende Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach §
44 SGB IX gelten, nämlich beim sog RehaSport (§
44 Abs
1 Nr
3 SGB IX) und beim Funktionstraining (§
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX). Nach der "Rahmenvereinbarung über den Reha-Sport und das Funktionstraining" vom 1.1.2007 (abgedruckt unter http://www.kbv.de/themen/2610.html)
gehört zu den Reha-Sportarten das Schwimmen (Ziffer 5.1) und zu den Funktionstrainingsarten die Wassergymnastik (Ziffer 6).
Die dazu erforderlichen Hilfsmittel werden nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen erbracht (Ziffer 17.3). Eine dafür
erforderliche vertragsärztliche Verordnung liegt hier aber nicht vor, weil als Verwendungszweck lediglich die "Teilnahme am
öffentlichen Leben im Schwimmbad" vermerkt worden ist.
e) Im häuslichen Bereich (Bad, Dusche) muss sich ein Versicherter nicht auf Badewannenlifter, Duschhocker, Unterarmgehstützen
und rutschfeste Matten verweisen lassen. Der unmittelbare Behinderungsausgleich durch ein Körperersatzstück hat Vorrang gegenüber
einem nur mittelbaren Ausgleich. Die genannten weiteren Hilfsmittel sind, soweit erforderlich, nur ergänzend zur Verfügung
zu stellen, soweit es sich nicht - wie die rutschfesten Matten - um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt.
Der Vorrang des unmittelbaren Behinderungsausgleichs vor dem mittelbaren lässt sich auch aus dem Benachteiligungsverbot für
behinderte Menschen (Art
3 Abs
3 Satz 2
GG) und aus dem Gebot gleichberechtigter Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§
1 SGB IX) ableiten. Außerdem ist in diesem Zusammenhang bei berechtigten Anliegen das Wunsch- und Wahlrecht der Versicherten nach
§
9 SGB IX zu berücksichtigen.
4. Wegen des grundsätzlichen Anspruchs der Klägerin auf Versorgung mit einer Badeprothese kann die Leistungsablehnung durch
die Beklagte nur dann rechtlichen Bestand haben, wenn das Hilfsmittel für die Klägerin nicht geeignet ist und es daher an
der "Erforderlichkeit im Einzelfall" (§
33 Abs
1 Satz 1
SGB V) fehlt. Die Einschätzung des LSG, die Badeprothese sei für die Klägerin "ungeeignet", wird allerdings von dem Gutachten des
Sachverständigen Dr. M. vom 18.7.2007, auf das sich das LSG maßgeblich stützt, nicht getragen. Insoweit bedarf es weiterer
Ermittlungen durch das LSG.
a) In dem Gutachten heißt es, dass nach den Operationen im Bereich des rechten Oberschenkels lediglich ein kurzer Knochenstumpf
mit sehr viel Weichteilüberhang verblieben sei. Es gebe nur noch wenig Muskulatur; neben einem Neurom würden die Stumpfverhältnisse
durch eine tiefe Narbe verkompliziert. Daraus resultierten insgesamt ungünstige Voraussetzungen für die Versorgung mit einer
Beinprothese. Die Klägerin benutze die vorhandene Laufprothese zu Hause wenig bis gar nicht; dort behelfe sie sich überwiegend
mit dem Gehbock. Außerhalb der Wohnung könne die Klägerin mit der Alltagsprothese und unter ständiger Zuhilfenahme von zwei
Unterarmgehstützen zwar Strecken bis maximal 300 m zurücklegen, werde aber meistens im Rollstuhl geschoben, weil das Gehen
mit der Prothese nur sehr langsam möglich und von Unsicherheit geprägt sei. Voraussetzung für das Tragen einer wasserfesten
Prothese, die weniger komfortabel ausgestattet sei als eine normale Laufprothese, sei der sichere Umgang mit der Alltagsprothese,
weil in den Nassbereichen (Bad, Dusche, Schwimmbad) die Sturzgefahr besonders groß sei. Da die Klägerin bereits große Schwierigkeiten
im Umgang mit der Alltagsprothese habe, sei davon auszugehen, dass ihr ein sicheres Gehen und Stehen im Nassbereich mit einer
Badeprothese ebenfalls nicht möglich sei.
b) Hierauf hat das LSG seine Überzeugung gestützt, die Klägerin werde voraussichtlich eine Badeprothese nicht gefahrlos nutzen
können, ohne aber die weitere Aussage des Sachverständigen in die Beweiswürdigung einzubeziehen, ihm sei eine empirische Festlegung
zu dieser Frage nicht möglich; letztlich könne nur eine praktische Überprüfung mit einer angepassten Badeprothese darüber
eine klare Auskunft geben. Diese Aussage hat die Klägerin mit ihrem - in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellten
- Hilfsbeweisantrag aufgegriffen, durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben über die Tatsachenbehauptung,
sie sei nach ihren körperlichen und gesundheitlichen Voraussetzungen in der Lage, eine Badeprothese, ggf nach besonderer orthopädietechnischer
Anpassung, zu tragen und in Nassbereichen sicher zu nutzen. Diesem Hilfsbeweisantrag hätte das LSG stattgeben müssen, weil
der Sachverständige zu einem letztlich offenen Beweisergebnis gekommen ist. Das Übergehen dieses Beweisantrags stellt einen
Verfahrensfehler dar, der die Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG) bedingt.
c) Das LSG hat der Frage der Eignung einer Badeprothese für die Klägerin im erneut durchzuführenden Berufungsverfahren nachzugehen.
Insoweit bietet sich die Einholung des Gutachtens eines erfahrenen Orthopädietechnikers und/oder eines Facharztes für Orthopädie
an. Dabei sollte auch geprüft werden, ob die beschriebenen Schwierigkeiten der Klägerin mit der vorhandenen Laufprothese möglicherweise
(auch) darauf beruhen, dass diese nicht ordnungsgemäß angepasst worden ist, um zu klären, ob die aus diesen Schwierigkeiten
abgeleitete "Prognose" über die mangelnde Eignung der Badeprothese auf einer zutreffenden oder falschen Prämisse basiert.
Bei der Begutachtung sollten auch praktische Versuche mit vorhandenen Modellen durchgeführt werden, ggf unter Beteiligung
einer Orthopädischen Versorgungsstelle (vgl §
275 Abs
3 Nr
1 SGB V). Nur wenn dies nicht möglich oder zur sicheren Beantwortung der Beweisfrage nicht ausreichen sollte, für eine positive Antwort
aber schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, kann die Beklagte verpflichtet sein, auf eigene Kosten eine Badeprothese
für die Klägerin anfertigen und anpassen zu lassen, um die Eignung des Hilfsmittels prüfen zu können. Als letztes Mittel der
Sachaufklärung kann dies in Betracht kommen, obgleich damit der - erst noch zu klärende - Sachleistungsanspruch in finanzieller
Hinsicht bereits erfüllt wäre und zur rechtlichen Erfüllung nur noch die Übereignung an die Klägerin hinzukommen müsste. Selbst
wenn sich die eigens angefertigte Badeprothese letztlich als ungeeignet herausstellen sollte, die Klage also abgewiesen werden
müsste, hätte die Beklagte die Kosten für das vergebens hergestellte Hilfsmittel zu tragen, weil Kosten des Prüf- und Genehmigungsverfahrens
bei der Hilfsmittelversorgung von den Krankenkassen zu übernehmen sind (§
275 Abs
3 Nr
1 und
3 iVm §
281 SGB V).
5. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahren zu entscheiden haben.