Ausstattung mit Hilfsmitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung; zusätzliche Versorgung eines beinamputierten Versicherten
mit einer Badeprothese
Gründe:
I
Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einer wasserfesten Unterschenkelprothese (auch Bade- oder Schwimmprothese genannt).
Der 1941 geborene Kläger ist nach der Amputation des linken Unterschenkels von der beklagten Krankenkasse mit einer normalen
Laufprothese und - im Jahre 1992 - mit einer Badeprothese ausgestattet worden, die aber mittlerweile funktionsuntauglich geworden
und nicht mehr zu reparieren ist. Unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung vom 7.4.2003 und eines Kostenvoranschlages
eines Sanitätshauses vom 16.4.2003 beantragte der Kläger die erneute Versorgung mit einer Badeprothese. Die Beklagte lehnte
die Ersatzbeschaffung ab, weil der Kläger im häuslichen Bereich ausreichend mit Hilfsmitteln versorgt sei und er die Badeprothese
nur zum Schwimmen benötige. Sportliche Betätigungen und Freizeitaktivitäten zählten aber nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen
des täglichen Lebens, sodass eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausscheide. Zum Behinderungsausgleich
beim Gehen und Stehen sei die Badeprothese nicht erforderlich; dafür stehe die normale Laufprothese zur Verfügung. Um diese
im Schwimmbad nutzen zu können, sei sie aber bereit, den Kläger mit einem sog "Xero-Sox"-Beinschutz auszustatten. Diese Latexüberzüge
müssten nur über die normale Laufprothese gezogen werden und seien wasserdicht (Bescheid vom 12.6.2003, Widerspruchsbescheid
vom 7.7.2003). Der Kläger lehnte das Angebot als nicht gleichwertig ab.
Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, er benötige die Badeprothese nicht nur zum Schwimmen (Schwimmbad, Thermalbad,
Urlaub am Meer), sondern auch zu Hause beim Duschen und Baden. Zudem sei sie für nächtliche Toilettengänge vorteilhaft, weil
sie sich schneller anlegen lasse als die Alltagsprothese.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 5.1.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil geändert und die Klage
abgewiesen (Urteil des Berichterstatters vom 11.12.2007). Es hat ausgeführt, die Funktionen des Gehens und Stehens seien auch
bis zum Rand eines Schwimmbeckens und eines Gewässers durch die vorhandene Laufprothese sichergestellt. Das Schwimmen selbst
gehöre nicht zu den elementaren menschlichen Grundbedürfnissen. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) im Jahre 1979 entschieden,
das Schwimmen diene bei Beinamputierten der Befriedigung des Grundbedürfnisses auf sportliche Betätigung zur allgemeinen gesundheitlichen
Vorsorge, sodass eine Badeprothese von der Krankenkasse zur Verfügung gestellt werden müsse. Diese Rechtsprechung sei aber
überholt. Für sportliche Freizeitaktivitäten sei die GKV nicht eintrittspflichtig. Mehr als die angebotenen Latexüberzüge
könne der Kläger zur Ermöglichung des Schwimmens jedenfalls nicht verlangen. Sofern der Beinschutz nicht wasserdicht abschließen
und die Alltagsprothese deshalb beschädigt werden sollte, gehe dies zu Lasten der Beklagten, die dann eine neue Prothese zur
Verfügung stellen müsse, sodass dem Kläger insoweit kein Nachteil drohe. Im häuslichen Bereich sei der Kläger auf kostengünstigere
Hilfsmittel zu verweisen (Duschhocker, Badewannenlift, Unterarmgehstützen).
Mit der vom Berichterstatter des LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe
zu Unrecht die Voraussetzungen des §
33 SGB V verneint. Körperersatzstücke wie Prothesen dienten dem unmittelbaren Behinderungsausgleich und damit immer der Befriedigung
eines Grundbedürfnisses, hier des sicheren Gehens und Stehens in Bereichen, in denen er mit Wasser bzw Nässe in Berührung
komme und daher die nicht wasserfeste Alltagsprothese wegen der Beschädigungsgefahr nicht zu verwenden sei. Damit biete die
Badeprothese wesentliche Gebrauchsvorteile zur Verbesserung der Stand- und Gangsicherheit im Alltagsleben. Der angebotene
Beinschutz sei dafür kein vollwertiger Ersatz. Außerdem müsse jedem Menschen eine "sportliche Grundbetätigung" ermöglicht
werden, die bei Beinamputierten am besten durch das regelmäßige Schwimmen erfolge; deshalb sei die GKV leistungspflichtig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.12.2007 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf
vom 5.1.2006 zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch
auf Versorgung mit der begehrten Badeprothese gemäß §
33 SGB V. Daher war das zusprechende erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.
1. Der Senat ist an einer den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung in der Sache nicht gehindert. Er war nicht gehalten,
das vom Berichterstatter des LSG als Einzelrichter getroffene Urteil (§
155 Abs
4 SGG) aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG), obgleich das Berufungsurteil - legte man die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG zugrunde (Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a
SB 3/06 R -, BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2) - unter Verletzung des Anspruchs der Beteiligten auf Entscheidung durch den "gesetzlichen Richter"
(Art
101 Abs
1 Satz 2
GG) zustande gekommen ist und ein solcher grundlegender Verfahrensfehler regelmäßig zur Zurückverweisung an den eigentlich zuständigen
Spruchkörper führt.
a) Nach der oa Rechtsprechung des 9. Senats des BSG hat der Vorsitzende oder der bestellte Berichterstatter eines Senats des
LSG im Fall der Vorlage entsprechender Einverständniserklärungen der Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden,
ob er von der durch §
155 Abs
3 und
4 SGG eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, den Rechtsstreit allein zu entscheiden, oder ob es aus sachlichen Gründen bei der
Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat - in voller Besetzung, §
33 SGG - verbleibt. Bei einer Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung sei eine Entscheidung allein durch den Vorsitzenden oder
den bestellten Berichterstatter in der Regel ermessensfehlerhaft und damit verfahrensfehlerhaft (BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, jeweils RdNr 20 - 23 mit weiteren Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen). Der Verfahrensfehler
führe als absoluter Revisionsgrund - auch ohne Rüge - zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der
Sache an das LSG (§
202 SGG iVm §
547 Nr
1 ZPO, §
170 Abs
2 Satz 2
SGG).
b) Der erkennende 3. Senat hat sich zu der Frage, ob der Vorsitzende oder der bestellte Berichterstatter des LSG in den Fällen
des §
155 Abs
3 und
4 SGG einen Rechtsstreit ohne Verstoß gegen Art
101 Abs
1 Satz 2
GG allein entscheiden darf, wenn er der Sache grundsätzliche Bedeutung beimisst oder er mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung
des BSG abweicht und dementsprechend auch die Revision zulässt, bisher nicht geäußert. Der Senat neigt der Rechtsauffassung
des 9. Senats im Grundsatz zu, dass dies im Regelfall zu verneinen ist; er sieht Ausnahmen zB bei folgenden Fallgestaltungen:
Eine Entscheidung durch den Vorsitzenden oder den bestellten Einzelrichter dürfte dann ohne Verstoß gegen Art
101 Abs
1 Satz 2
GG in Betracht kommen, wenn der LSG-Senat in voller Besetzung (§
33 SGG) einen Rechtsstreit entschieden und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der dabei maßgeblichen Rechtsfrage die Revision zugelassen
hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und nunmehr Parallelverfahren anstehen, die zur Entlastung des Senats mit Einverständnis der Beteiligten vom Vorsitzenden
oder dem bestellten Berichterstatter nach Maßgabe der Leitentscheidung des Senats entschieden werden. Ähnlich dürfte es sein,
wenn zum Zeitpunkt der LSG-Entscheidung bekannt ist, dass vergleichbare Fälle mit grundsätzlicher Bedeutung bereits beim BSG
anhängig sind.
c) Einer abschließenden Entscheidung des erkennenden Senats zu diesem Problemkreis bedarf es jedoch nicht. Selbst bei Annahme
eines Verstoßes gegen Art 101 Abs 1 Satz 2
SGG hat der dann gegebene absolute Revisionsgrund (§
202 SGG iVm §
547 Nr 1
ZPO) nicht zwangsläufig zur Folge, dass der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muss (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Die Anordnung der Zurückverweisung in dem vom 9. Senat entschiedenen Fall (BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, jeweils RdNr 24) enthält nach dem Gesamtzusammenhang der dortigen Entscheidungsgründe nicht etwa
einen neuen allgemeinen Rechtssatz, dass in solchen Fällen immer so zu verfahren ist und keine Ausnahmen vorgesehen sind,
sondern folgt lediglich der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl etwa Urteil vom 14.9.1994 - 3/1 RK 36/93 -, BSGE 75, 74, 77 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12), dass die Zurückverweisung bei absoluten Revisionsgründen den Regelfall darstellt. Die Zurückverweisung
war danach nur prozessuale Rechtsfolge der konkreten Sach- und Rechtslage jenes Falles, wonach der Berichterstatter bereits
den Streitgegenstand ungenau erfasst hatte und in der Sache mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Diskussion standen, die
von der Beantwortung diverser Rechtsfragen abhingen.
Verfassungsrechtliche Schutzvorschriften haben dort ihre Grenzen, wo ein Rechtsstreit nach den konkreten Gegebenheiten des
Falles nur in einer ganz bestimmten Weise entschieden werden kann, eine andere Entscheidung also unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt denkbar ist. Dies gilt für den Erfolg einer Klage (BSGE 76, 59, 67 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1) wie für deren Abweisung (BSGE 75, 74, 77 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12) gleichermaßen und ist vom 6. Senat des BSG ausdrücklich auch für den Fall der fehlerhaften
Besetzung des Gerichts entschieden worden (BSGE 76, 59, 67 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1).
d) Im vorliegenden Fall war der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht geklärt und nicht umstritten. In rechtlicher Hinsicht
kam eine andere Entscheidung, als die begehrte Leistung zuzusprechen, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht. Deshalb
konnte der Senat in der Sache entscheiden und von der Zurückverweisung absehen.
2. Maßgebend ist hier §
33 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378), weil bei Leistungsklagen,
auch wenn sie - wie hier - mit einer Anfechtungsklage verbunden sind, grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
maßgebend ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr
34 mwN). Nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die
im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen
oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung
in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach
dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen
Kontrollen. Im vorliegenden Fall geht es um die Variante der Ersatzbeschaffung eines Hilfsmittels. Deren Tatbestandsvoraussetzungen
sind hier erfüllt.
3. Die Rechtswidrigkeit der Leistungsablehnung ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass dem Kläger im Jahre 1992
die Badeprothese bestandskräftig bewilligt worden war und diese jetzt nicht mehr funktionstüchtig und auch nicht mehr zu reparieren
ist. Denn auch bei der Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln müssen sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des §
33 SGB V erfüllt sein (vgl BSGE 79, 261, 263 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21, S 114, sowie BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11). Die Kriterien der Eignung, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit
und Erforderlichkeit (vgl §
2 Abs
4, §
12 Abs
1, §
33 Abs
1 SGB V) sind also nicht nur für die erstmalige Ausstattung mit einem bestimmten Hilfsmittel maßgeblich, sondern gelten auch für
die Ersatzbeschaffung und sind deshalb wie bei der erstmaligen Bewilligung eines Hilfsmittels zu prüfen. Die Ersatzbeschaffung
kann also nicht verlangt werden, wenn auch schon die erstmalige Bereitstellung dieses Hilfsmittels zum jetzigen Zeitpunkt
nicht (mehr) beansprucht werden könnte. Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn die Krankenkasse in einer Art Grundbescheid
festgestellt hat, dass ein Versicherter ein bestimmtes Hilfsmittel auf Dauer beanspruchen kann. Dann ist nur der beantragte
Ersatz des Hilfsmittels auf seine Notwendigkeit hin zu prüfen. In aller Regel fehlt es aber an einem solchen Grundbescheid
- und so auch hier. Wird ein Hilfsmittel antragsgemäß bewilligt, erledigt sich der Verwaltungsakt mit der Übergabe des Hilfsmittels
an den Versicherten. Eine Dauerwirkung kommt dem Verwaltungsakt in solchen Fällen nicht zu. Ob und in welcher Form in Fällen
der leihweisen Überlassung eines Hilfsmittels (§
33 Abs
5 Satz 1
SGB V) etwas anderes zu gelten hat, kann hier offenbleiben, weil die Badeprothese seinerzeit übereignet worden ist.
4. Die Leistungsablehnung ist rechtswidrig, weil die Badeprothese hier zum Behinderungsausgleich erforderlich ist. Dieser
in §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels hat zweierlei Bedeutung.
a) Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren
Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung
des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis
des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer
schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis.
Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt
werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig
im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, jeweils RdNr 4 - C-leg-Prothese). Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich
dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich
teure Hilfsmittel zur Wahl stehen.
b) Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer
Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig.
Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten
eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl §
1 SGB V sowie §
6 Abs
1 Nr
1 iVm §
5 Nr
1 und
3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des
Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber
hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel
zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten
täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger
Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen,
Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen
eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7; BSGE 91, 60, 63 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 14; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums
gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen
Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 RdNr 18). Zum körperlichen
Freiraum gehört - im Sinne eines Basisausgleichs der eingeschränkten Bewegungsfreiheit - die Fähigkeit, sich in der eigenen
Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die
- üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB
Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs. Soweit überhaupt die
Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative
Momente verlangt worden (vgl BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7 - Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für Wachkomapatientin; BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike für Jugendliche; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 - behindertengerechtes Dreirad; BSG SozR 2200 § 182b
Nr 13 - Faltrollstuhl).
c) Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich Anspruch auf die
im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung.
Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell in gleicher Weise geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten
gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V (ebenso §
31 Abs
3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die
keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch
oder eine bessere Optik beschränken (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44; BSGE 93, 183, 188 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8).
5. Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze über die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der GKV beim unmittelbaren und mittelbaren
Behinderungsausgleich (3. Variante des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V und §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) wird deutlich, dass die Beklagte und das LSG einen unrichtigen rechtlichen Ansatz gewählt haben. Sie haben die Ablehnung
des Leistungsantrages des Klägers damit begründet, dass die Badeprothese in erster Linie dazu dienen solle, dem Kläger weiterhin
den regelmäßigen Besuch eines Schwimmbads zu ermöglichen; die Sportausübung und sonstige Freizeitaktivitäten zählten aber
gerade nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Damit haben sie fälschlich die Grundsätze des mittelbaren
Behinderungsausgleichs angewandt, obgleich hier allein die Grundsätze des unmittelbaren Behinderungsausgleichs heranzuziehen
sind.
Beinamputierte Versicherte, die mit einer normalen Laufprothese versorgt sind, können von der Krankenkasse die zusätzliche
Versorgung mit einer wasserfesten Prothese (Badeprothese, Schwimmprothese) verlangen, um sich zu Hause in Bad und Dusche sowie
außerhalb der Wohnung im Schwimmbad sicher und ohne Gefahr der Beschädigung der regelmäßig nicht wasserfesten Alltagsprothese
bewegen zu können. Maßgeblich ist, dass eine Badeprothese - anders als die Beklagte und das LSG angenommen haben - dem unmittelbaren
Behinderungsausgleich beinamputierter Versicherter dient und ihnen im heimischen Nassbereich sowie im Schwimmbad ein sicheres
Gehen und Stehen ermöglicht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Besuch eines Schwimmbades einer sportlichen Betätigung
bzw einer Freizeitbeschäftigung dient (Schwimmen, Wassergymnastik) und solche Aktivitäten nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen
des täglichen Lebens gehören. Dem Anspruch auf Versorgung mit einer Badeprothese kann auch nicht entgegengehalten werden,
dass es am Markt Kunststoff-Überzüge gibt, die über die vorhandene Alltagsprothese zu ziehen sind und diese vor Wasserschäden
schützen. Dabei handelt es sich nicht um eine in vollem Umfang gleichwertige Versorgungsalternative.
a) Beinprothesen sind Körperersatzstücke gemäß §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V. Sie dienen dem unmittelbaren Ersatz des fehlenden Körperteils und dessen ausgefallener Funktion. Sie sind auf den Ausgleich
der Behinderung selbst gerichtet und dienen der medizinischen Rehabilitation, ohne dass zusätzlich die Erfüllung eines allgemeinen
Grundbedürfnisses des täglichen Lebens zu prüfen ist, wie es bei Hilfsmitteln erforderlich wäre, die nur die direkten und
indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen sollen. Bei einer Beinprothese geht es um das Grundbedürfnis auf möglichst
sicheres, gefahrloses Gehen und Stehen, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion der Beine gewährleistet ist.
Diese Funktion muss in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 - C-leg-Prothese).
b) Hieran ist anzuknüpfen, wenn es um die Versorgung mit einer Badeprothese geht. Die normale Beinprothese hat einen Gebrauchsnachteil,
weil sie nicht dort zu verwenden ist, wo der Benutzer beim Gehen und Stehen mit Wasser in Kontakt kommt. Durch den Kontakt
mit Wasser besteht die große Gefahr einer Beschädigung, sodass die Beklagte zur Reparatur bzw zum Einsatz verpflichtet wäre,
was erhebliche Kosten verursacht. Außerdem ist der Fuß einer normalen Laufprothese so ausgelegt, dass er mit Schuhen getragen
wird. Im Schwimmbad ist das Tragen von Straßenschuhen in aller Regel verboten. Ohne Schuhe besteht eine besondere Rutschgefahr.
Unterarmgehstützen bieten nicht den gleichen Halt wie eine Beinprothese und sind für die Gang- und Standsicherheit nur ergänzend
heranzuziehen. Die normale Laufprothese ist beim Aufenthalt in und am Wasser (Schwimmbad, Fluss, See) ungeeignet. Dieser Gebrauchsnachteil
wird durch die zusätzliche Ausstattung mit einer Badeprothese kompensiert. Die Badeprothese gleicht praktisch das Funktionsdefizit
der Alltagsprothese im Nassbereich aus.
c) Nicht abzustellen ist auf das Schwimmen als Freizeitbetätigung. Wie bereits ausgeführt, dient die Badeprothese dem unmittelbaren
Behinderungsausgleich beinamputierter Versicherter und ermöglicht ihnen im heimischen Nassbereich sowie im Schwimmbad ein
sicheres Gehen und Stehen; auf die Frage, ob ein Grundbedürfnis betroffen ist, kommt es mithin nicht an. Darüber hinaus stellt
die Ausübung von sportlichen Aktivitäten aber auch kein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens dar; dies gilt für
den Freizeit- und Berufssport gleichermaßen. Es ist deshalb nicht von Bedeutung, dass dem Freizeitsport und insbesondere dem
Schwimmen in der Regel eine gesundheitsfördernde Wirkung zukommt und beinamputierte Menschen von den Vorteilen des Schwimmens
besonders profitieren. Zudem ist zu berücksichtigen, dass man mit einer Badeprothese zwar schwimmen kann, viele Betroffene
auf das Anlegen der Prothese beim Schwimmen aber verzichten, weil sie wegen des Auftriebs eher hinderlich ist (vgl AOK/MDK-Protokoll
vom 30.1.2006).
d) Soweit nach der früheren Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 10.10.1979 - 3 RK 30/79 - SozR 2200 § 182 Nr 55) der Anspruch auf Versorgung mit einer Badeprothese auch auf die "Bedeutung des Schwimmens für die
Gesunderhaltung im Allgemeinen und des Versehrtenschwimmsports für die körperliche Ertüchtigung des behinderten Versicherten
im Besonderen" gestützt worden ist, stellt der Senat fest, dass dieser Aspekt weder der heutigen Lebenswirklichkeit entspricht
noch in der Sache entscheidungserhebliche Bedeutung besitzt. Etwas anderes kann allerdings bei vertragsärztlich verordneter
sportlicher Betätigung als ergänzende Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach §
44 SGB IX gelten, nämlich beim sog Reha-Sport (§
44 Abs
1 Nr
3 SGB IX) und beim Funktionstraining (§
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX). Nach der "Rahmenvereinbarung über den Reha-Sport und das Funktionstraining" vom 1.1.2007 (abgedruckt unter http://www.kbv.de/themen/2610.html)
gehört zu den Reha-Sportarten das Schwimmen (Ziffer 5.1) und zu den Funktionstrainingsarten die Wassergymnastik (Ziffer 6).
Die dazu erforderlichen Hilfsmittel werden nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen erbracht (Ziffer 17.3). Eine dafür
erforderliche vertragsärztliche Verordnung liegt hier aber nicht vor.
e) Im häuslichen Bereich (Bad, Dusche) muss sich ein Versicherter nicht auf Badewannenlifter, Duschhocker, Unterarmgehstützen
und rutschfeste Matten verweisen lassen. Der unmittelbare Behinderungsausgleich durch ein Körperersatzstück hat Vorrang gegenüber
einem nur mittelbaren Ausgleich. Die genannten weiteren Hilfsmittel sind, soweit erforderlich, nur ergänzend zur Verfügung
zu stellen, soweit es sich nicht - wie die rutschfesten Matten - um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt.
Der Vorrang des unmittelbaren Behinderungsausgleichs vor dem mittelbaren lässt sich auch aus dem Benachteiligungsverbot für
behinderte Menschen (Art
3 Abs
3 Satz 2
GG) und aus dem Gebot gleichberechtigter Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§
1 SGB IX) ableiten. Außerdem ist in diesem Zusammenhang bei berechtigten Anliegen das Wunsch- und Wahlrecht der Versicherten nach
§
9 SGB IX zu berücksichtigen. Hierzu gehört auch der vom Kläger betonte Gebrauchsvorteil der Badeprothese für nächtliche Toilettengänge.
6. Die Beklagte kann den Kläger nicht auf den angebotenen Kunststoff-Überzug verweisen, weil es sich dabei nicht um eine gleichwertige
Versorgungsalternative handelt. Dieser Latexüberzug wurde in der Vergangenheit unter der Bezeichnung "Xero-Sox" vertrieben.
Mittlerweile wird das Produkt überwiegend unter den Artikelnamen "Dry-Pro Waterproof Cast Protector" bzw "Dry-Pro Wasserdichter
Körperschutz" angeboten, und zwar in den Varianten Wasserdichter Armschutz, Beinschutz, Stomaschutz, Katheterschutz und Prothesenschutz.
In den Internet-Auftritten des deutschen Vertriebsunternehmens sowie des britischen sowie Herstellers (http://www.drypro.de/gebrauchsanweisung.htm
http://www.squidoo.com/drypro) findet sich unter dem Stichwort "Gebrauchsanweisung" folgender Warnhinweis: "Bitte beachten:
Lassen Sie den Dry Pro nicht zu lange an. Wir empfehlen eine maximale Tragedauer von 45 Minuten. Keine Anwendung bei gefäßkranken
Menschen. Halten Sie sich in nassen oder rutschigen Umgebungen fest. Dieses Produkt enthält natürliche Kautschukmilch. Verwenden
Sie dieses Produkt nicht, wenn Sie auf Latex allergisch reagieren. Befolgen Sie in jedem Fall die Anweisungen Ihres Arztes."
Die eingeschränkte Tragedauer und das Trageverbot für Menschen mit Gefäßerkrankungen stellen im Vergleich zu einer Badeprothese
einen deutlichen Gebrauchsnachteil dar. Im Übrigen wird der Dry Pro-Beinschutz in den Internet-Auftritten in erster Linie
als Nässeschutz für Gipsverbände, Bandagen und Wundverbände beworben; die Verwendungsmöglichkeit als Prothesenschutz wird
lediglich ergänzend erwähnt. Daraus ergibt sich in einer Gesamtbetrachtung, dass der Latexüberzug nicht in gleichem Umfang
zum sicheren Gehen und Stehen in Nassbereichen geeignet ist wie eine Beinprothese. Auf die Frage, ob ein Versicherter den
Latexüberzug allein wegen seiner optischen Wirkung ablehnen könnte (§
9 SGB IX sowie §
33 SGB I), kam es daher nicht an.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.