Übernahme von Kosten für ein Gutachten auf die Staatskasse
Förderung der Sachaufklärung durch ein Gutachten
Bedeutung eines Gutachtens für die gerichtliche Entscheidung
Gründe
I.
Im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren (Verfahren beim Sozialgericht Nürnberg - SG -, S 2 U 69/09) war die Bewilligung einer Verletztenrente für eine anerkannte Berufskrankheit Nr. 2102 nach Anlage 1 der
Berufskrankheitenverordnung (BK 2102) streitig. Im vorliegenden Verfahren geht es um die Übernahme der Kosten eines auf Antrag der Klägerin eingeholten
Gutachtens mit ergänzender Stellungnahme auf die Staatskasse. Das SG holte im erstinstanzlichen Verfahren von Amts wegen gemäß §
106 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein unfallchirurgisch-orthopädisches Gutachten des Dr. D. (im Folgenden: D) vom 02.06.2009 mit ergänzender Stellungnahme
vom 06.10.2009 ein. Auf Antrag des Klägers wurde der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. L. (im Folgenden: L) gemäß
§
109 SGG mit unfallchirurgischem Fachgutachten vom 12.01.2010 gehört. Am 29.11.2010 holte das SG eine ergänzende Stellungnahme des L ein. Mit Urteil vom 22.03.2011 hat das SG die Klage auf Gewährung einer Verletztenrente abgewiesen. Die hiergegen zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegte
Berufung wurde in der nicht-öffentlichen Sitzung vom 28.09.2016 zurückgenommen. Im Berufungsverfahren wurden keine weiteren
Gutachten eingeholt.
Am 13.10.2016 hat der Kläger beim SG beantragt, die Kosten des Gutachtens des L auf die Staatskasse zu übernehmen. Mit Beschluss vom 15.02.2017 hat das SG die Übernahme der Kosten für das gemäß §
109 SGG erstellte Gutachten von Dr. L. auf die Staatskasse abgelehnt.
Dagegen hat die Klägerin Beschwerde zum LSG eingelegt. Sie begründet ihre Beschwerde damit, dass der nach §
109 SGG gehörte ärztliche Sachverständige L wesentlich zur Sachaufklärung beigetragen habe. Auch wenn sich das SG seinen Feststellung letztlich nicht habe anschließen können, habe L schlüssig und nachvollziehbar eine Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) von 20 beim Kläger festgestellt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht die Übernahme der Kosten für das Gutachten des Dr. L. vom 12.01.2010 abgelehnt.
Nach §
109 Abs.
1 SGG hat ein Kläger, auf dessen Antrag im sozialgerichtlichen Verfahren ein von ihm benannter Arzt als Gutachter seines Vertrauens
gehört wird, auf Verlangen des Gerichts die Kosten vorzuschießen und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts
endgültig zu tragen. Über die endgültige Kostentragungspflicht entscheidet das Gericht nach Ermessen durch Beschluss (allg.
Auffassung, vgl. u.a. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
109 Rn. 16; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen v. 10.04.1959 - L II BR 12/56; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg v. 21.06.2006 - L 27 B 64/05 R; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen v. 20.12.2006 - L 6 B 24/06 SB). Die Entscheidung des Gerichts ist im Beschwerdeverfahren voll und nicht nur auf Ermessensfehler überprüfbar (vgl. Keller
a.a.O. Rn. 22 m.w.N.; Roller in Lüdtke,
SGG, Handkommentar, 4. Aufl. 2012, §
109 Rn. 34).
Im Rahmen der Entscheidung über die endgültige Kostentragungspflicht ist insbesondere und vor allem zu berücksichtigen, ob
das Gutachten die Sachaufklärung wesentlich gefördert hat (Keller, a.a.O., Rn. 16 a; Roller, a.a.O. Rn. 29). Es ist zu prüfen,
ob das Gutachten zusätzliche, für die Sachaufklärung bedeutsame Gesichtspunkte erbracht hat. Dabei kann aber nicht in jedem
neuen Gesichtspunkt ein Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts gesehen werden. Es muss sich vielmehr um einen wesentlichen
Beitrag gehandelt haben, und zwar orientiert am Prozessziel des Klägers. Die Wesentlichkeit des Beitrags kann sich ggf. daraus
ergeben, dass das Gutachten für die gerichtliche Entscheidung Bedeutung erlangt hat oder deswegen ein Vergleich abgeschlossen
oder ein Anerkenntnis abgegeben wurde (siehe dazu Keller, a.a.O., Rn. 16a).
Das Gutachten des L hat die Sachaufklärung im dargelegten Sinne wesentlich gefördert. Zwar hat D in seinem Gutachten und seiner
ergänzenden Stellungnahme bereits das Vorliegen einer BK 2102 verneint. Allerdings war die Frage des Vorliegens einer BK 2102
gar nicht streitgegenständlich, da diese BK bereits von der Beklagten anerkannt worden war. Nur aufgrund einer am Streitgegenstand
vorbeigehenden Beweisanordnung des damals zuständigen Richters hat der ärztliche Sachverständige D bereits das Vorliegen der
BK 2102 verneint, ohne auf das Ausmaß der durch die anerkannte BK 2102 bedingten MdE einzugehen. L hat hingegen in seinem
Gutachten tatsächliche Feststellungen zum Umfang der MdE getroffen. Auch wenn diese nach Auffassung des SG letztlich keine MdE in rentenberechtigendem Maße begründen konnten, so waren diese doch für die Bewertung der MdE - mit unter
20 v.H. - maßgeblich, wie sich der rudimentären Begründung des Urteils des SG vom 22.03.2011 entnehmen lässt. Für eine Förderung der Sachaufklärung in medizinischer Hinsicht durch das Gutachten des L
spricht im Übrigen auch, dass sich das SG nach Vorliegen des Gutachtens veranlasst gesehen hat, von Amts wegen eine ergänzende Stellungnahme des L einzuholen.
Aus diesen Gründen erscheint die Übernahme der Kosten für das Gutachten des Dr. L. vom 12.01.2010 auf die Staatskasse geboten.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei, §
183 SGG. Er ist nicht anfechtbar, §
177 SGG.