Festsetzung der Höhe der Vergütung für ein fachärztliches Gutachten zum Leistungsvermögen der Versicherten im Rahmen eines
Rechtsstreits über die Bewilligung einer Rente nach SGB VI
Voraussetzungen für die Zugrundelegung der Honorargruppe M 3 (Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad) und M 2 (beschreibende
Ist-Zustandsbegutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge)
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Vergütung umstritten.
Dem Hauptsacheverfahren lag ein Streit über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem
Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung -
SGB VI) zugrunde.
Aufgrund der Beweisanordnung des Sozialgerichts (SG) M. vom 14. Juli 2009 in dem Klageverfahren S 5 R 665/08 erstattete der Antragsteller das fachärztliche Gutachten vom 15. März 2010 zum Leistungsvermögen der Klägerin im Erwerbsleben.
Das SG wies mit Urteil vom 27. Januar 2011 die Klage ab und folgte in seiner Einschätzung dem Gutachten des Antragstellers. Die
hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegte Berufung nahm die Klägerin am 20. Januar 2012 zurück.
Mit seiner Rechnung vom 25. März 2010 machte der Antragsteller dem SG gegenüber einen Betrag in Höhe von insgesamt 2.155,45 EUR geltend. Die hierin abgerechneten 20 Arbeitsstunden zum Stundensatz
von 85,00 EUR nach der Honorargruppe M3 schlüsselte er wie folgt auf:
Vorbereitung der Begutachtung 0,5 Stunden
Studium von Akten/Vorbefunden 1,5 Stunden
Exploration, Fremdanamnese 4,5 Stunden
Befunderhebung 1,0 Stunden
Ausarbeitung und Diktat des Gutachtens 9,5 Stunden
Durchsicht und Korrektur 3,0 Stunden
Er gab ferner Schreibgebühren sowie Kopie- und Versandkosten in Höhe von 111,30 EUR an. Der Antragsteller summierte die vorgenannten
Einzelbeträge zuzüglich einer Mehrwertsteuer von 19 % (344,15 EUR) zu einer Gesamtsumme von 2.155,45 EUR.
Die Urkundsbeamtin des SG setzte unter dem 20. April 2010 die Vergütung auf 1.560,44 EUR fest und führte zur Begründung aus, für das Gutachten sei
ein Stundensatz von 60 EUR nach der Honorargruppe M 2 angemessen, da es sich um ein typisches Gutachten auf dem Gebiet der
gesetzlichen Rentenversicherung handele. Die Entschädigung für den Zeitaufwand betrage somit 1.200,00 EUR.
Der Antragsteller hat am 5. Mai 2010 die richterliche Festsetzung beantragt, soweit die Rechnungskürzung darauf beruhe, dass
anstelle des Stundensatzes M 3 der Stundensatz M 2 angesetzt worden sei. Es handele sich zwar um ein "typisches" Gutachten
auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung, aber im konkreten Fall aufgrund der Komplexität des medizinischen Sachverhaltes
um ein besonders schwieriges Gutachten. Für die besondere Schwierigkeit sei zum einen die Beurteilung des komplexen Zusammenwirkens
und der Wechselwirkung von körperlichen Erkrankungen, seelischen Störungen und des zweckgerichteten Verhaltens der Klägerin
verantwortlich gewesen. Dazu seien ein vertieftes Fachwissen und eine spezielle Erfahrung, insbesondere mit der Begutachtung
so genannter "neurotischer" Rentenbewerber, Voraussetzung. Zum Anderen seien die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Klägerin
als Voraussetzung für die klinische Beurteilung von Gesundheitszustand und Leistungsvermögen und zudem die Exploration der
Klägerin - unter Hinweis auf die Wiedergabe des psychopathologischen Befunds auf Seite 33 bis 35 des Gutachtens und die Zusammenfassung
auf Seite 42 bis 43 des Gutachtens - besonders schwierig gewesen.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 24. Juni 2010 die Festsetzung der Urkundsbeamtin des SG als zutreffend erachtet. Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Vergütungsstufe sei nicht, ob sich bereits das Fachgebiet
als schwierig darstelle, sondern ob einem Experten eines bestimmten Fachgebietes besonders schwierige Beweisfragen des Gerichts
eine außergewöhnlich schwierige Leistung abverlangten. Vorliegend seien die für Stufe M 3 erforderlichen außergewöhnlich hohen
Anforderungen nicht zu erkennen. Die vom Antragsteller vorgetragenen Umstände und besonderen Schwierigkeiten wohnten offensichtlich
bereits dem Grunde nach dem psychiatrischen Fachgebiet inne.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2010 hat der Antragsteller unter Aufrechterhaltung seines Antrages auf richterliche Festsetzung
mitgeteilt, innerhalb des psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgebietes gebe es - bei gleichartiger Fragestellung nach
dem Leistungsvermögen im Erwerbsleben - Gutachten unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. In manchen Fällen - bei einer Demenz,
einer schizophrenen Psychose, einer schweren Suchterkrankung - könne die reine Zustandsbeschreibung ausreichen. In anderen
Fällen - wie vorliegend - könne die differenzialdiagnostische Abgrenzung sehr schwierig sein, insbesondere wenn körperliche
Beschwerden, neurotische Störungen, biographische Belastungen und eine Begehrenshaltung miteinander wechselwirkten. Häufig
werde dann die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Kläger zu einem zentralen Fokus der gutachterlichen Tätigkeit und sei mit
besonderen Schwierigkeiten verbunden.
Mit Beschluss vom 30. August 2011 hat das SG die Vergütung auf 1.560,44 EUR festgesetzt. Der Antragsteller habe ein durchschnittlich schwieriges Gutachten erstellt. Seine
Leistung sei in die Honorargruppe M 2 einzuordnen. Es handele sich um die beschreibende (Ist-Zustands-)Begutachtung nach standardisierendem
Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose. Die zeitliche Inanspruchnahme
des Antragstellers sei über den zugrunde gelegten Zeitaufwand abgegolten. Die sehr umfangreiche Exploration sei zeitlich entsprechend
zu bewerten. Eine besonders erschwerte Prüfung und Bewertung des Sachverhalts sei nicht notwendig gewesen. Die Qualifikation
des Antragstellers sei Ausgangspunkt für die Gutachtenerteilung durch das Gericht gewesen, mache jedoch nicht von vornherein
einen besonders hohen Schwierigkeitsgrad des Gutachtens aus.
Der Antragsteller hat gegen den ihm am 19. September 2011 zugestellten Beschluss am 28. September 2011 Beschwerde beim SG eingelegt, welches diese dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt hat. Im Fall der Klägerin
sei neben einer chronischen psychischen und einer neurologischen Erkrankung, die hätten bestätigt werden können, eine weitere
neurologische Erkrankung auszuschließen gewesen. Ferner seien mehrere körperliche Erkrankungen zu berücksichtigen gewesen.
Vor dem Hintergrund der Vorbefunde, der bestehenden Belastungen und Konflikte, aber auch der verbliebenen persönlichen Ressourcen
sei die Frage, ob überhaupt eine psychische Erkrankung bestehe und wie diese Störung ggf. einzuordnen sei, ausführlich zu
erörtern gewesen. Insofern seien spezielle differenzialdiagnostische Probleme zu bewältigen gewesen. Ferner habe die Fragestellung
die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Klägerin und nach der Prognose umfasst. Dass die Kammer jedem Gutachter diese Fragen
vorlege, sage nichts über den Schwierigkeitsgrad der Beantwortung im Einzelfall aus. Schließlich seien vier Gutachten und
Befundberichte explizit für eine kritische Auseinandersetzung benannt worden. Dass die medizinische Befunderhebung, nämlich
die Exploration der Klägerin, besonders schwierig gewesen sei, ergebe sich bereits aus dem im Gutachten wiedergegebenen Verlauf
der Exploration.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des SG M. vom 30. August 2011 abzuändern und die Vergütung für das von ihm in dem Rechtsstreit S 5 R 665/08 erstellte Sachverständigengutachten vom 15. März 2010 auf 2.155,45 EUR festzusetzen.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
II.
Der Senat entscheidet gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin. Es liegen keine Gründe dafür vor, das Verfahren auf den Senat zu übertragen.
Die Beschwerde ist zulässig, denn der Beschwerdewert von 200,00 EUR (§ 4 Abs. 3 JVEG) wird überschritten. Sie ist jedoch unbegründet.
Grundlage des Vergütungsanspruchs ist § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG. Danach erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend
wird es gemäß § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie
zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich
für eine volle Stunde ergebenden Betrages. Hier gehen die Beteiligten übereinstimmend von 20 vergütungsfähigen Stunden aus.
Dies wird im Rahmen der Plausibilitätsprüfung für zutreffend erachtet. Nach § 9 Abs. 1 JVEG in der vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Juli 2013 gültigen Fassung erhalten medizinische Sachverständige für jede Stunde ein
Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85,00 EUR, je nachdem, welcher Honorargruppe (M 1 bis M 3) das von ihnen erstattete Gutachten
nach der Anlage 1 des JVEG zuzuordnen ist.
In der Anlage 1 des JVEG werden die medizinischen Gutachten ihrem Schwierigkeitsgrad entsprechend in die drei Honorargruppen M 1, M 2 und M 3 eingeteilt.
Im Einzelnen lautet die Regelung (soweit der Bereich der Sozialgerichtsbarkeit betroffen sein könnte):
M 1: einfache gutachtliche Beurteilung, insbesondere zur Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einer Monoverletzung: 50,00 EUR
M 2: beschreibende (Ist-Zustands) Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge
mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, insbesondere Gutachten in Verfahren
nach dem
SGB IX, zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität, zu spurengrundlichen oder rechtsmedizinischen Fragestellungen mit
Befunderhebungen (z.B. bei Verletzungen und anderen Unfallfolgen): 60,00 EUR
M 3: Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer
Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen), insbesondere Gutachten zum
Kausalzusammenhang bei problematischen Verletzungsfolgen, in Verfahren nach dem
Opferentschädigungsgesetz, in Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz, zur Geschäfts-, Testier- oder Prozessfähigkeit, zur Berufskrankheiten und zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bei besonderen
Schwierigkeiten, zur rechtsmedizinischen toxikologischen und spurengrundlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit einer abschließenden
Todesursachenerklärung, ärztlichen Behandlungsfehlern oder einer Beurteilung der Schuldfähigkeit: 85,00 EUR
In den aufgezählten Beispielsfallgruppen werden Gutachten zur Feststellung einer Erwerbsminderung nicht ausdrücklich genannt.
Diese Zustandsgutachten werden nach der h.M. in Rechtsprechung und Literatur im Regelfall in der Honorargruppe M 2 vergütet
(vgl. u.a. Thüringisches LSG vom 17. April 2013 - L 6 SF 433/13 E -, vom 16. März 2012 - L 6 SF 151/12 E - und vom 01. Juni 2011 - L 6 SF 277/11 B -; Bayerisches LSG vom 23. September 2009 - L 15 SF 188/09 -; Hessisches LSG vom 23. November 2010 - L 2 SF 267/09 - und L 2 SF 337/09 - sowie vom 11.04.2005 - L 2/9 SF 82/04 -, LSG Baden-Württemberg vom 06.08.2010 - L 12 KO 1653/10 - jeweils juris; Reyels in jurisPR-SozR 18/2010 Anm. 6 und Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. 2007,
Rdnr. 872), denn es handelt sich um typische Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit.
Der Antragsteller hat im Rechtsstreit S 5 665/08 ein durchschnittlich schwieriges Gutachten erstattet. Die Voraussetzungen
für eine Einstufung in die Honorargruppe M 3 sind vorliegend nicht erfüllt. Das besonders umfangreiche und ersichtlich mit
großer Sorgfalt erstellte Gutachten des Antragstellers stellt sowohl nach der vom Gericht vorgegebenen Fragestellung als auch
nach seinem Aufbau und Inhalt eine beschreibende Ist-Zustands-Begutachtung nach standardisiertem Schema dar. Der Fragekatalog,
den der Antragsteller zu beantworten hatte, ist der Standartfragekatalog, soweit die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben auf
nervenfachärztlichem Gebiet festgestellt werden soll. Dass dabei eine komplexe neurologische und psychiatrische Symptomatik
unter Einbeziehung auch der somatischen Erkrankungen zu beurteilen ist, ändert nichts an der durchschnittlichen Schwierigkeit
der Gutachterleistung; denn es ist auf dem Gebiet der Erwerbsminderungsrente die Regel, dass medizinische Bewertungen unter
ausschließlicher Berücksichtigung eines Fachgebietes dem Beschwerdebild der Rentenantragsteller nicht genügen. Die Frage nach
den Gesundheitsstörungen - u.a. ob überhaupt eine psychische Erkrankung besteht - und den sich daraus ergebenden funktionellen
Einschränkungen mit Auswirkung auf das Leistungsvermögen, ist grundlegend und Bestandteil jeder Beweisanordnung in einem Gutachten,
in welchem eine Erwerbsminderung im Raum steht. Des Weiteren gehören die Auswertung und Bewertung von Vorbefunden und -gutachten
zum regelmäßigen Erscheinungsbild von Sachverständigengutachten im sozialgerichtlichen Verfahren. Die Auseinandersetzung mit
den Vorbefunden einschließlich einer umfassenden und mitunter auch komplexen Exploration und die Durchführung von Testverfahren
finden ihren Niederschlag bereits in der zeitlichen Komponente der Gutachtenerstellung und sind nicht zusätzlich bei der Beurteilung
des Schwierigkeitsgrades zu berücksichtigen. Schwierige differentialdiagnostische Überlegungen zur zutreffenden medizinischen
Einschätzung des quantitativen und qualitativen gesundheitlichen Restleistungsvermögens waren vorliegend nicht erforderlich.
Ausführungen zur Frage der Glaubwürdigkeit und der Prognose, die gründliche Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit allen
maßgeblichen Faktoren, sind in einer Vielzahl von psychiatrischen Gutachten anzutreffen und betreffen insbesondere die immer
wiederkehrende Frage nach dem Krankheitswert der psychischen Erkrankung, auch im Hinblick nach der Motivation und dem Zugang
zu einer psychiatrischen Behandlung.
Die Qualifikation des Antragstellers und dessen Erfahrung mit neurotischen Klägern ist Ausgangspunkt für die Gutachtenserteilung
durch das Gericht selbst und damit ein Umstand gewesen, der nicht von vornherein einen besonders hohen Schwierigkeitsgrad
ausmacht.
Nach alledem ist die Einstufung in die Honorargruppe M 2 nicht zu beanstanden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).