Parallelentscheidung zu BSG - B 3 P 17/17 B - v. 15.03.2018
Gründe:
I
Der Kläger betreibt in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins eine zur Versorgung von Versicherten der sozialen Pflegeversicherung
zugelassene teilstationäre Pflegeeinrichtung. Er begehrt die Aufhebung und hilfsweise Feststellung, dass der von den Beklagten
erteilte Maßnahmebescheid vom 9.2.2011 rechtswidrig war.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte im Oktober 2010 eine turnusmäßige Qualitätsprüfung (Regelprüfung)
in der Einrichtung des Klägers unter Einbeziehung von fünf von insgesamt 14 betreuten Pflegebedürftigen durch. In seinem Prüfbericht
listete der MDK 29 Defizite und die zu ihrer Behebung erforderlichen Maßnahmen auf. Auf dieser Grundlage erging der streitige
Maßnahmebescheid vom 9.2.2011, mit dem die beklagten Landesverbände der Krankenkassen, handelnd für die Landesverbände der
gesetzlichen Pflegekassen im Freistaat Sachsen, dem Kläger diverse Maßnahmen zur Beseitigung der festgestellten Mängel und
Sicherstellung einer angemessenen Pflege ab sofort aufgaben (zB bei der Erstellung bedarfsgerechter prospektiver Fortbildungspläne
für alle Leistungsbereiche der Pflegeinrichtung, im Hygienemanagement, bei der Risikoeinschätzung von Versicherten in der
Tagespflegeinrichtung, bei der Durchführung von Prophylaxen).
Dagegen hat der Kläger im März 2011 Klage erhoben. Nach erneuter Regelprüfung im September 2011 haben die Beklagten im Dezember
2011 einen neuen Maßnahmebescheid erlassen und dem Kläger mitgeteilt, dass aufgrund der im streitigen Maßnahmebescheid genannten
Mängel eine Vergütungskürzung nicht beabsichtigt sei. Im August 2012 haben die Beklagten eine weitere Qualitätsprüfung (Regelprüfung)
durchgeführt und dem Kläger mitgeteilt, nach dem aktuellen Prüfbericht sei man zu dem positiven Ergebnis gelangt, dass der
Kläger seine gesetzlichen und vertraglichen Pflichten nach dem
SGB XI erfülle und eine leistungsfähige Pflege sowie wirtschaftliche pflegerische Versorgung in der Einrichtung gewährleistet sei.
Die Qualitätsprüfung in der Einrichtung sei damit abgeschlossen. Die Beklagten gingen davon aus, dass sich der Rechtsstreit
in der Hauptsache erledigt habe. Dieser Erledigungserklärung hat der Kläger widersprochen. Der Maßnahmebescheid habe seine
Regelungswirkung nicht verloren, weil die aufgeführten Maßnahmen weiterhin zu befolgen seien und der Bescheid die Basis für
potentielle Sanktionsmaßnahmen wie Vergütungskürzungen bzw Vertragskündigung bilde. Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.5.2013).
Das Sächsische LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es ist wie bereits das SG davon ausgegangen, dass sich der Maßnahmebescheid erledigt habe, weil der im Rahmen der nachfolgenden Regelprüfung erlassene
Maßnahmebescheid aus Dezember 2011 ein eigenständiges und aktualisiertes Mängelbeseitigungsregime statuiert habe und die weitere
Regelprüfung im August 2012 sowie eine während des Berufungsverfahrens durchgeführte weitere Regelprüfung im September 2013
jeweils beanstandungsfrei geblieben und weitere Maßnahmebescheide nach §
115 Abs
2 SGB XI nicht ergangen seien. Soweit der Kläger meine, er sei auch zukünftig verpflichtet, den auferlegten Maßnahmen Rechnung zu
tragen, wende er sich nur allgemein gegen das gesetzliche bzw vertragliche Regelwerk. Aus nur potentiellen Sanktionen (s §
115 Abs
2 SGB XI) könne der Kläger keine fortdauernde Regelungswirkung des Maßnahmebescheids herleiten. Eine Verletzung des Gebots effektiven
Rechtsschutzes aus Art
19 Abs
4 GG sei nicht ersichtlich. Die Fortsetzungsfeststellungsklage gehe mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresse ins Leere. Eine
Wiederholungsgefahr bestehe nicht, da für ein landesweites, regelmäßig rechtswidriges Vorgehen der Prüfeinrichtungen bei Qualitätsprüfungen
nach §
114 SGB XI keine Anhaltspunkte vorlägen. Überdies handele es sich um Stichprobenprüfungen, denen unterschiedliche Lebenssachverhalte
zugrunde lägen. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen eines Amtshaftungsprozesses sei nicht ersichtlich. Ein solches
Interesse setze einen nicht offenbar aussichtslosen Amtshaftungsprozess mit hinreichender Sicherheit voraus. Insofern sei
der Vortrag des Klägers unsubstantiiert und widersprüchlich. Zum einen sei nicht ersichtlich, welcher Schaden dem Kläger entstanden
sein sollte, wenn er behaupte, dass gar keine Mängel vorgelegen hätten. Soweit er aber meine, dass ihm zusätzliche Lohnkosten
aus überobligatorisch auferlegten Pflichten entstanden seien, stehe dem entgegen, dass die gesetzlichen und vertraglichen
Vorgaben bei der Prüfung eingehalten worden seien. Daraus ergebe sich aber keine Amtspflichtverletzung. Vielmehr rüge der
Kläger die allgemeinen Anforderungen an den Betrieb von Pflegeeinrichtungen (Urteil vom 9.5.2017).
Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Soweit sie nicht bereits unzulässig ist, ist sie jedenfalls unbegründet.
Eine vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) liegt nicht vor und das Urteil des LSG beruht auch nicht auf einer Abweichung von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB und des BVerfG (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
1. Die beklagten Landesverbände der Krankenkassen sind in diesem Rechtsstreit passiv legitimiert. Der angefochtene Maßnahmebescheid
ist von den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen im Freistaat Sachsen "handelnd für die Landesverbände der gesetzlichen
Pflegekassen im Freistaat Sachsen" gemäß §
115 Abs
2 SGB XI erteilt worden. Dies entspricht den Regelungen in §
52 Abs
1 S 1 und Abs
4 SGB XI. Soweit danach die Landesverbände der Pflegekassen Aufgaben nach dem
SGB XI wahrnehmen, handeln die Landesverbände der Krankenkassen; dh diese nehmen die Aufgaben der Landesverbände der Pflegekassen
wahr. Die Landesverbände der Krankenkassen handeln hinsichtlich der im
SGB XI den Landesverbänden der Pflegekassen zugewiesenen Aufgaben zwar unter einer anderen Bezeichnung, aber als identische juristische
Personen (vgl dazu BSGE 82, 252 = SozR 3-3300 § 73 Nr 1 S 3 = Juris RdNr 11).
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfordert eine klärungsbedürftige
und für den zu entscheidenden Fall erhebliche, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage mit Breitenwirkung (stRspr vgl
nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Das ist vorliegend nicht der Fall.
Der Kläger hält für klärungsbedürftig die Frage:
"Wird ein Maßnahmebescheid nach §
115 Abs
2 SGB XI durch die Feststellung des Ergebnisses einer weiteren Qualitätsregelprüfung nach §§
114 ff
SGB XI im Sinne des § 39 Abs 2 SGB X auf andere Weise erledigt?"
Diese Frage ist weder klärungsbedürftig noch in einer über den Einzelfall hinausgehenden Weise in einem Revisionsverfahren
klärungsfähig. Sie kann nicht allein auf der Grundlage der Anwendung und Auslegung revisiblen Bundesrechts (§
162 SGG) mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden. Zur ihrer Beantwortung bedarf es vielmehr der Würdigung und Feststellung von Tatsachen
zum konkreten Inhalt des Maßnahmebescheids und des Ergebnisses einer weiteren Qualitätsprüfung nach §
114 SGB XI. Nur unter Berücksichtigung der konkreten tatsächlichen Umstände des Einzelfalls kann entschieden werden, ob und in welcher
Weise sich der Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts (VA) iS von § 39 Abs 2 SGB X auf andere Weise erledigt hat. Nach dieser Vorschrift bleibt ein VA wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen,
widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Zu dem abstrakten Maßstab der
anderweitigen Erledigung hat das BSG aber schon wiederholt entschieden, dass von einer Erledigung "auf andere Weise" auszugehen ist, wenn der VA nicht mehr geeignet
ist, rechtliche Wirkungen zu entfalten oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen
ist (vgl BSGE 119, 57 = SozR 4-2500 § 34 Nr 17, RdNr 38 unter Hinweis auf BSG SozR 4-1200 § 51 Nr 1 RdNr 20; BVerwG Urteil vom 25.9.2008 - 7 C 5/08 - Juris RdNr 13 = NVwZ 2009, 122; ebenso schon BVerwG Beschluss vom 17.11.1998 - 4 B 100/98 - Juris RdNr 9 mwN; vgl auch BSGE 80, 283 = SozR 3-1300 § 50 Nr 19 S 56; BSGE 84, 16 = SozR 3-1300 § 50 Nr 21 S 71 f). Dies hat das LSG vorliegend im Einzelfall bejaht, ohne dass neuer oder weiterer Klärungsbedarf
deshalb vorliegt. Dieser ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers weder aus einer potentiellen Kündigung des Versorgungsvertrags
noch wegen anderer Sanktionen bei nicht fristgerechter Beseitigung von Qualitätsmängeln. Sanktionen haben die Beklagten vorliegend
gerade nicht erwogen, insbesondere ist auch keine Vergütungskürzung erfolgt. Daher ist auch nicht zu erwarten, dass hier solche
Fragen im angestrebten Revisionsverfahren abschließend beantwortet würden.
Schließlich weist der Kläger auch selbst darauf hin, dass den einzelnen Qualitätsregelprüfungen jeweils unterschiedliche konkrete
Lebenssachverhalte zugrunde liegen; ausgehend von einer Stichprobenprüfung könne daher das Ergebnis der nachfolgend ergangenen
Qualitätsregelprüfung nicht denselben Sachverhalt betreffen und daher je nach Auswahl der Stichprobe zu völlig unterschiedlichen
Ergebnissen führen. Auch hieran zeigt sich gerade, dass von der als grundsätzlich bedeutsam formulierten Frage keine über
den Einzelfall hinausgehende Antwort im Sinne allgemeiner Maßstäbe oder Vorgaben zu erwarten ist.
Dass die Beklagten jedenfalls berechtigt waren, zur Überprüfung des Maßnahmebescheids eine Wiederholungsprüfung im Zusammenhang
mit der zuvor durchgeführten Regelprüfung zu veranlassen, um zu überprüfen, ob die festgestellten Qualitätsmängel durch die
nach §
115 Abs
2 SGB XI angeordneten Maßnahmen beseitigt worden sind, ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes von §
114 Abs
4 S 4
SGB XI und bedarf daher keiner weiteren revisionsrechtlichen Prüfung.
Soweit sich der Kläger im Kern seines Vortrags gegen die seiner Ansicht nach überhöhten Pflegestandards bei zukünftigen Qualitätsprüfungen
wendet, ist darauf hinzuweisen, dass das BSG bereits ausführlich zum Qualitätsmanagement nach §§
112 ff
SGB XI entschieden hat. Als Träger einer zugelassenen Pflegeeinrichtung hat der Kläger die Qualitätsverantwortung für seine Einrichtung.
Die Träger der Pflegeeinrichtungen sind unbeschadet des Sicherstellungsauftrags der Pflegekassen nach §
69 SGB XI für die Qualität der Leistungen ihrer Einrichtungen einschließlich der Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität
verantwortlich (§
112 Abs
1 S 1
SGB XI). Sie haben sich dabei auszurichten an den Maßstäben, die sich aus den für sie verbindlichen Anforderungen in den Vereinbarungen
nach §
113 SGB XI sowie den vereinbarten Leistungs- und Qualitätsmerkmalen nach §
84 Abs
5 SGB XI ergeben (§
112 Abs
1 S 2
SGB XI). Zur Umsetzung dessen haben sie Maßnahmen der Qualitätssicherung sowie ein Qualitätsmanagement nach Maßgabe der Vereinbarungen
nach §
113 SGB XI durchzuführen, Expertenstandards nach §
113a SGB XI anzuwenden sowie bei Qualitätsprüfungen nach §
114 SGB XI mitzuwirken (§
112 Abs
2 S 1
SGB XI). Diese Qualitätsverpflichtung ist Voraussetzung dafür, als Pflegeeinrichtung an der Versorgung von Pflegebedürftigen überhaupt
beteiligt zu sein (§
72 Abs
3 Nr
3 und
4 SGB XI) und stellt mithin die Anforderungen an den Betrieb von Pflegeeinrichtungen sicher (vgl BSG Urteil vom 16.5.2013 - B 3 P 5/12 R - SozR 4-3300 § 115 Nr 2 RdNr 12).
3. Die Darlegungen des Klägers zur vermeintlichen Rechtsprechungsabweichung können eine Divergenz nicht begründen. Eine Divergenz
iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den
Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Liegt die Unrichtigkeit der Entscheidung nicht im Einzelfall, sondern in der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen, begründet
dies die Zulassung der Revision wegen Abweichung (stRspr vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17 mwN).
Der Kläger zitiert aus dem Urteil des BSG vom 8.11.2011 (B 1 KR 19/10 R - BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 9):
"Eine Wiederholungsgefahr setzt die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage beim
Kläger voraus".
Er stellt dem die Ausführungen des LSG in seinem Urteil (S 9) gegenüber:
"Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen
und rechtlichen Umständen ein gleicher Verwaltungsakt erlassen wird."
Aus dieser Gegenüberstellung folgt aber keine Divergenz, da sich diese Rechtssätze nicht widersprechen. Die aus dem Urteil
des BSG zitierte Passage bezieht sich im nachfolgenden Satz darauf, dass Wiederholungsgefahr bestand, wenn sich konkret abzeichnete,
dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder
auftreten könnte (vgl BSG aaO RdNr 9). Nichts anderes setzt aber das LSG in Bezug auf einen möglicherweise erneuten Maßnahmebescheid voraus. Ein Widerspruch
im Grundsätzlichen zwischen den Zitaten aus den Entscheidungen besteht deshalb nicht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung basiert auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 47 Abs 3, § 52 Abs 2 GKG.