Vergütung von Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren
Kein Anspruch auf Honorar für den Zeitaufwand bei der nachträglichen Übersendung von Unterlagen
Gründe
I.
Streitig ist, in welcher Höhe eine vom Gericht angeforderte Nachsendung von Unterlagen durch einen Sachverständigen nach dem
Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) zu vergüten ist, insbesondere, ob der dafür erforderliche Zeitaufwand als Honorar zu vergüten ist.
In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen geführten Berufungsverfahren bat das Gericht mit Schreiben
vom 29.01.2016 den Antragsteller, der auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) am 22.10.2014 in dem dem Berufungsverfahren vorhergehenden Klageverfahren ein Gutachten erstellt hatte, auf der Grundlage
von §
202 SGG i.V.m. §
407 a Abs.
4 Zivilprozessordnung, die vollständigen Testunterlagen, die dem Gutachten zugrunde gelegen hatten, zu übersenden.
Mit Schreiben vom 14.02.2016 übersandte der Antragsteller 16 Blatt Kopien zu den im Rahmen der testpsychologischen Untersuchungen
angefertigten Unterlagen und stellte dafür dem Gericht "für notwendige Archivarbeit und Schriftverkehr" einen Betrag von 120,45
EUR (eine Stunde Arbeitszeit zu 100,- EUR zzgl. Umsatzsteuer und Porto von 1,45 EUR) in Rechnung.
Die Kostenbeamtin des LSG bewilligte mit Schreiben vom 22.03.2016 einen Betrag von 16,45 EUR (Mindestentschädigung für Zeitverlust:
3,50 EUR; Aufwandsentschädigung [Personal]: 3,50 EUR; 16 Kopieren zu je 0,50 EUR: 8,- EUR; Porto: 1,45 EUR).
Dagegen hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 04.04.2016 gewandt und Folgendes vorgetragen: Bei einer schon im Herbst
2014 erfolgten Erstattung des Gutachtens habe er den Fall jetzt nicht mehr präsent haben können. Er habe daher persönlich
die Unterlagen "aus dem Archiv graben" müssen. Die Erstellung von Gutachten sei in den Kliniken des Bezirks eine Nebentätigkeit,
weswegen er damit das Sekretariat nicht belasten dürfe. Zudem habe er die gewünschte Vollständigkeit garantieren und sich
deshalb mit seinem Mitarbeiter absprechen sowie das Aktenkonvolut durchsehen müssen. Der geltend gemachte persönliche Zeitaufwand
sei mindestens gerechtfertigt.
Der Senat hat die Akten des Hauptsacheverfahrens beigezogen.
II.
Die Festsetzung der Vergütung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 04.04.2016 die gerichtliche Festsetzung der
Vergütung beantragt.
Die Vergütung für die Übersendung der Testunterlagen mit Schreiben vom 14.02.2016 ist auf 9,45 EUR festzusetzen.
1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist
eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich
vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Entscheidung
vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis
gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen,
ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung
oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der
reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).
2. Berechnung der Vergütung des Antragstellers
2.1. Allgemeines
Die Vergütung eines Sachverständigen setzt sich gemäß § 8 Abs. 1 JVEG aus dem Honorar für seine Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), dem Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), der Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) und dem Ersatz für sonstige und für besondere Aufwendungen (§§ 7, 12 JVEG) zusammen.
Weitere Vergütungselemente als die vom Gesetzgeber explizit genannten stehen nicht zur Verfügung, da das JVEG - wie schon das zuvor geltende Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.1983, Az.: VI ZR 249/81; Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 09.02.2000, Az.: B 9 SB 10/98 R) - ein geschlossenes und in sich stimmiges Entschädigungs- und Vergütungssystem mit abgeschlossenen Regelungen darstellt.
Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 2 JVEG: "Eine Vergütung oder Entschädigung wird nur nach diesem Gesetz gewährt."). Andere Tatbestände, Kosten oder Aufwendungen
als die, die der Gesetzgeber explizit aufgeführt hat, können daher bei der Vergütung nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH,
Beschluss vom 14.10.2010, Az.: Xa ZR 62/07; Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl. 2016, Grundz JVEG, Rdnrn. 1, 6).
Auch in der Gesetzesbegründung ist dies für die Vergütung von Sachverständigen wie folgt zum Ausdruck gebracht worden (vgl.
Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts [Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG]
- Bundestags-Drucksache 15/1971, S. 184 - zu § 12 JVEG):
"Gemäß Absatz 1 Satz 1 sollen mit dem Honorar nach den §§ 9 bis 11 JVEG-E auch die üblichen Gemeinkosten sowie der mit der Erstattung des Gutachtens oder der Übersetzung üblicherweise verbundene
Aufwand abgegolten sein, soweit das Gesetz nicht - wie in den §§ 5 bis 7 JVEG-E und in Satz 2 - ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Zu den üblichen Gemeinkosten rechnen in erster Linie die mit dem Bürobetrieb
verbundenen Kosten sowie die Aufwendungen, die sich aus einer angemessenen Ausstattung mit technischen Geräten und fachbezogener
Literatur ergeben. Bei der Bemessung der Honorargrundlagen ist dies in angemessenem Umfang berücksichtigt worden."
2.2. Vergütung des Antragstellers im vorliegenden Fall
Bei Beachtung der aufgezeigten Grundsätze steht dem Antragsteller für die Übersendung der Unterlagen zu den durchgeführten
testpsychologischen Untersuchungen eine Vergütung in Höhe von 9,45 EUR zu. Eine Rechtsgrundlage für die Vergütung als Erbringung
einer Leistung als Sachverständiger, also für ein nach einem Stundensatz zu bemessendes Honorar, besteht nicht.
2.2.1. Kosten für Kopien
Dem Antragsteller steht für die übersandten 16 Kopien gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG ein Betrag von 8,- EUR zu.
2.2.2. Portokosten
Die für die Übersendung der Kopien erforderlichen Portokosten sind gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG (vgl. Hartmann, a.a.O., § 12 JVEG, Rdnr. 5) in Höhe von 1,45 EUR zu ersetzen.
2.2.3. Vom Antragsteller geltend gemachter Zeitaufwand für die Suche nach den Unterlagen im Archiv
Bei den vom Antragsteller durchgeführten Vorarbeiten vor der Übersendung der vom Gericht erbetenen Unterlagen (Suche im Archiv
und Absprache mit einem Mitarbeiter) handelt es sich nicht um eine Leistung des Sachverständigen im Sinn von § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG i.V.m. §§ 9 - 11 JVEG.
Eine solche Leistung, die mit einem Honorar vergütet wird, das sich grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG aus der (objektiv erforderlich aufgewandten) Zeit und dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Stundensatz errechnet, ist dadurch
gekennzeichnet, dass sich der Sachverständige in seiner Eigenschaft als vom Gericht beauftragter Gutachter im Rahmen des gerichtlichen
Auftrags betätigt und äußert (vgl. Beschluss des Senats vom 14.03.2016, Az.: L 15 RF 2/16). Von einer solchen Leistung kann
nicht ausgegangen werden, wenn sich der Sachverständige auf die Suche nach Unterlagen zu einem von ihm erstellten Gutachten
begibt und diese Unterlagen "aus dem Archiv graben" muss. Es handelt sich dabei um typische Büroarbeiten, die von den üblichen
Gemeinkosten eines Gutachtens abgedeckt sind und damit mit dem Honorar nach §§ 9 ff. JVEG, das der Antragsteller bereits für sein Gutachten vom 22.10.2014 erhalten hat, abgegolten sind. Dass die Übersendung der
Unterlagen im vorliegenden Fall möglicherweise auch aufgrund der zeitlichen Konstellation einen erhöhten Zeitaufwand verursacht
hat und die Suche aufgrund der personellen und vertraglichen Situation in der Klinik des Antragstellers vom Antragsteller
selbst vorgenommen werden musste, ist für die Bewertung ohne rechtliche Relevanz. Denn es handelt sich dabei um keinen Gesichtspunkt,
der im Rahmen des dem Sachverständigen zustehenden Honorars oder der sich aus anderen gesetzlichen Regelungen ergebenden Vergütung
Berücksichtigung finden könnte. Zum besseren Verständnis für den Antragsteller erlaubt sich der Senat den Hinweis darauf,
dass auch dann, wenn der Sachverständige bereits mit dem Gutachten zusammen die Unterlagen übersandt hätte, ein Honorar wegen
der Übersendung an sich ihm nicht zugestanden und der für die Übersendung erforderliche Zeitaufwand beim Honorar keine gesonderte
Berücksichtigung gefunden hätte. Nicht anders ist dies bei einer späteren Übersendung.
Ein anderer Vergütungstatbestand ist für derartige Arbeiten nicht eröffnet. Insbesondere kann man dem Antragsteller auch keine
"Mindestentschädigung für Zeitverlust" und "Aufwandsentschädigung (Personal)" gewährt werden, wie dies die Kostenbeamtin im
Schreiben vom 22.03.2016 getan hat. Der Kostensenat kann nur vermuten, dass die Kostenbeamtin sich dabei auf das Urteil des
BSG vom 09.04.1997, Az.: 9 RVs 6/96, gestützt hat. In dieser Entscheidung hatte das BSG bei der Erteilung einer sogenannten Negativauskunft den Arzt mit einem Stundensatz entschädigt, wie er Zeugen bei fehlendem
Verdienstausfall als Mindestentschädigung zusteht. Diese für die Entschädigung eines Zeugen ergangene Entscheidung kann aber
auf den vorliegenden Fall der Vergütung eines Sachverständigen nicht übertragen werden, da die Regelungen für die Entschädigung
von Zeugen anderen gesetzlichen Vorgaben folgen als die für die Vergütung von Sachverständigen. Eine vergleichbare "Auffangregelung"
enthält das JVEG für die Vergütung von Sachverständigen nicht, zumal die Vorarbeiten für die Übersendung bereits als Gemeinkosten von dem
dem Sachverständigen zustehenden Honorar abgedeckt sind.
Der Antragsteller kann daher für die Übersendung der vom Gericht erbetenen Unterlagen lediglich Kosten für die Anfertigung
von Kopien und Porto in Höhe von insgesamt 9,45 EUR geltend machen.
Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).