Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung eines Säumniszuschlags.
Die Versicherte war zunächst vom 01. September 1981 an als Bürolehrling beim Kläger versicherungsfrei beschäftigt. Sie durchlief
dann ab dem 01. September 1983 bei ihm eine Ausbildung im mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst, bevor sie mit Ablauf
des 31. August 1985 ohne Anspruch oder Anwartschaft auf Versorgung aus dem Beamtenverhältnis ausschied.
Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 28. März 2003, dass sie ihre bisherige Verwaltungspraxis aufgeben und
nun künftig Säumniszuschläge auf verspätet gezahlte Nachversicherungsbeiträge erheben werde.
Sie fragte im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens unter dem 11. April 2007 beim Kläger wegen einer Nachversicherung der
Versicherten an. Dieser führte unter dem 09. Mai 2007 die Nachversicherung durch und überwies mit Zahlungseingang vom 14.
Mai 2007 Beiträge in Höhe von insgesamt 7.828,04 €. Die Beklagte hörte den Kläger unter dem 28. Oktober 2008 zur beabsichtigten
Auferlegung eines Säumniszuschlags von 9.610,50 € an, wobei sie von einem Beginn der Säumnis am 01. Januar 1995, einer Säumnisdauer
von 149 Monaten und einer Säumnisschuld von 6.466,45 € ausging. Der Kläger erhob mit Schreiben vom 20. November 2008 die Einrede
der Verjährung. Er führte aus, dass aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen eine Nachversicherung 1985 nicht erfolgt
sei. Er wies darauf hin, dass die Nachversicherungsbeiträge nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist lediglich aus Gründen
der Fürsorge an die Beklagte überwiesen worden seien. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 30. Juli 2009 einen Säumniszuschlag
in der vorher angekündigten Höhe fest. Sie führte zur Begründung aus, dass für Nachversicherungsbeiträge, welche nicht spätestens
bis zum Ablauf von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gezahlt würden, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag
in Höhe von 1 % des rückständigen, auf 50 € nach unten abgerundeten Betrags zu zahlen sei. Da der Kläger grundsätzlich Kenntnis
von der Nachversicherungspflicht gehabt und damit die Beiträge vorsätzlich vorenthalten habe, gelte vorliegend eine dreißigjährige
Verjährungsfrist.
Der Kläger hat sein Begehren mit der am 21. August 2009 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Er hat zur Begründung ausgeführt, dass eine Nachversicherung nach Aktenlage aus nicht mehr
nachvollziehbaren Gründen zunächst unterblieben sei und der Anspruch auf Zahlung des Säumniszuschlags aufgrund verspäteter
Geltendmachung beziehungsweise aufgrund treuwidrigen Verhaltens der Beklagten wegen Abweichens von ihrer bis März 2003 bestandenen
Verwaltungspraxis verwirkt sei. Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2010 einen Teilvergleich
geschlossen, wonach sie sich darüber einig sind, dass die Berechnungsmethode der Beklagten zur Ermittlung der Höhe der Säumniszuschläge
so akzeptiert wird, wie sie vorgenommen wurde, und dass die Höhe der jeweiligen Säumniszuschläge nicht in Streit steht, ferner,
dass der Kläger für den Fall, dass er mit seinem Begehren auf vollständige Aufhebung des gegenständlichen Bescheids nicht
durchdringen sollte, nicht die teilweise Aufhebung des Bescheids im Hinblick auf die angesetzte Höhe der Säumniszuschläge
begehrt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30. März 2010 abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht Säumniszuschläge nach §
24 Abs.
1 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs (
SGB IV) erhoben. Ein Anspruch auf Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen sei mit dem unversorgten Ausscheiden der Versicherten
aus dem Dienst des Klägers am 31. August 1985 unstreitig entstanden und erst mit Wertstellung am 14. Mai 2007 erfüllt worden.
Da die Beiträge mithin vor dem 01. Oktober 1994 fällig geworden seien, beginne die Säumnis hier nach §
184 Abs.
1 S. 3 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (
SGB VI) am 01. Januar 1995, wobei die vorgenannte Vorschrift klarstelle, dass eben auch vor dem 01. Januar 1995 fällig gewordene
Beiträge von §
24 Abs.
1 SGB IV erfasst seien. Die Höhe der erhobenen Säumniszuschläge stehe entsprechend dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich
außer Streit. Der Erhebung der Säumniszuschläge stehe auch nicht §
24 Abs.
2 SGB IV entgegen, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der Kläger, welchem bekannt gewesen sei, dass die Versicherte
unversorgt aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden sei, unverschuldet keine Kenntnis von der Verpflichtung zur Nachversicherung
gehabt haben könne. Ferner sei der Anspruch der Beklagten auf die erhobenen Säumniszuschläge auch nicht gemäß §
25 Abs.
1 SGB IV verjährt. Es gelte hier nicht gemäß §
25 Abs.
1 S. 1
SGB IV die vierjährige, sondern nach §
25 Abs.
1 S. 2
SGB IV die - hier noch nicht abgelaufene - dreißigjährige Verjährungsfrist, weil der Kläger die Beiträge unter Zugrundelegung der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17. April 2008 - B 13 R 123/07 R -, zitiert nach juris Rn. 29 ff.) bedingt vorsätzlich vorenthalten habe. Denn ihm sei die Kenntnis von der Beitragspflicht
zuzurechnen, und er habe es unterlassen, die Zahlung der Nachversicherungsbeiträge sicherzustellen. Deshalb sei der erforderliche
Vorsatz indiziert, ohne dass Umstände vorgetragen oder sonst ersichtlich seien, welche diesen Vorwurf würden entkräften können.
Schließlich könne sich der Kläger auch nicht auf Verwirkung berufen, schon weil die Beklagte nach §
24 Abs.
1 SGB IV verpflichtet gewesen sei, die entsprechenden Festsetzungen vorzunehmen. Neben den in §
76 Abs.
2 Nr.
1 oder 3
SGB IV enthaltenen, Billigkeitsgesichtspunkten Rechnung tragenden Regelungen über Stundung und Erlass sei für das Institut der Verwirkung
kein Raum; Billigkeitserwägungen seien mithin dem Einziehungsverfahren vorbehalten. Im Schreiben vom 28. März 2003 sei kein
Verzicht auf eine Erhebung von Säumniszuschlägen für vergangene Zeiträume enthalten.
Der Kläger hat gegen das ihm am 23. April 2010 zugestellte Urteil am 04. Mai 2010 Berufung eingelegt. Er vertieft sein erstinstanzliches
Vorbringen.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Die Beteiligten haben schriftsätzlich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter
allein erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen
Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
sind.
Entscheidungsgründe:
Der Berichterstatter kann allein anstelle des Senats im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung
entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §§ 155 Abs. 3 und 4,
153 Abs.
1 in Verbindung mit §
124 Abs.
2 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht.
Gemäß §
153 Abs.
2 SGG wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe zunächst abgesehen, weil die Berufung aus den Gründen der angefochtenen
Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen ist. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
Zum Einen ist dem SG in der angefochtenen Entscheidung insoweit zu folgen, als es zutreffend ausgeführt hat, dass der Erhebung des Säumniszuschlags
die in §
24 Abs.
2 SGB IV enthaltene Regelung nicht entgegen steht, wonach ein Säumniszuschlag nicht zu erheben ist, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft
macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Der unverschuldeten Unkenntnis von der Zahlungspflicht
steht sowohl fahrlässiges als auch vorsätzliches Verhalten im Sinne von §
276 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (
BGB) entgegen. Bei Körperschaften des öffentlichen Rechts schließt das Außerachtlassen ausreichender organisatorischer Vorkehrungen
(Organisationsverschulden) eine unverschuldete Unkenntnis im Sinne von §
24 Abs.
2 SGB IV aus. Das Fehlen notwendiger organisatorischer Maßnahmen bedingt, dass sich die Organisation das Wissen einzelner Mitarbeiter
zurechnen lassen muss. Hierbei ist eine konkret-individuelle Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BSG,
Urteil vom 01. Juli 2010 - B 13 R 67/09 R -, zitiert nach juris Rn. 23). Dies zugrunde gelegt ist hier in der Tat von einer verschuldeten, weil zumindest fahrlässigen
Unkenntnis auszugehen, weil sich dem Vorbringen des Klägers keinerlei Anhaltspunkte für geeignete organisatorische Vorkehrungen
wie etwa den Erlass einer die Durchführung und Kontrolle der Nachversicherung gewährleistenden Dienstanweisung entnehmen lassen
und solche auch sonst nicht ersichtlich sind.
Die angefochtene Entscheidung trifft zum Anderen insoweit zu, als sie gemäß §
25 Abs.
1 S. 2
SGB IV unter Zugrundelegung bedingten Vorsatzes von einer dreißigjährigen Verjährung ausgeht. Jedenfalls dann, wenn feststeht, dass
der Schuldner zu irgendeinem Zeitpunkt Kenntnis von der Beitragspflicht hatte und die Zahlung nicht sicherstellte, obwohl
er hierzu in der Lage war, indiziert dies den im Sinne von §
25 Abs.
1 S. 2
SGB IV erforderlichen Vorsatz (BSG, Urteil vom 17. April 2008 - B 13 R 123/07 R -, zitiert nach juris Rn. 31). Eben diesem weit gefassten Begriffsverständnis des (bedingten) Vorsatzes ist es geschuldet,
dass auch im vorliegenden Fall ein solcher zu bejahen ist. Indem der Kläger nämlich sowohl in seinem Schreiben vom 20. November
2008 als auch in seiner Klagebegründung ausführt, dass aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen eine Nachversicherung
nicht durchgeführt worden sei, bringt er zum Ausdruck und stellt er gerade nicht in Abrede, über die Nachversicherungspflicht
der Versicherten eigentlich im Bilde gewesen zu sein. Wäre bereits ein derartiges - kaum zu widerlegendes - Vorbringen hingegen
geeignet, den bedingten Vorsatz im Sinne von §
25 Abs.
1 S. 2
SGB IV entfallen zu lassen, liefe die Verlängerung der Verjährung auch bei bedingtem Vorsatz weitgehend ins Leere, obwohl der Gesetzgeber
in Abkehr von § 29
RVO, welcher noch eine Verjährungsfrist von zwei Jahren vorsah, soweit Beiträge nicht "absichtlich" hinterzogen waren, die dreißigjährige
Verjährung nun gerade unter die Voraussetzung des Vorsatzes im weiten Sinne stellte, der mithin auch den bedingten Vorsatz
mit einschließt (vgl. BSG, aaO., Rn. 26 und 32).
Die angefochtene Entscheidung trifft ferner zu, als sie im Schreiben vom 28. März 2003 kein Hindernis für die Durchsetzung
des von der Beklagten geltend gemachten Anspruchs erkennt. Zum einen lässt sich dem Schreiben vom 28. März 2003 weder eine
Zusicherung des Inhalts, dass die Beklagte die Festsetzung eines Säumniszuschlags von Nachversicherungsbeiträgen unterlassen
werde, noch ein Verzicht auf dessen Erhebung entnehmen. Hierfür gibt der Wortlaut nichts her. Insbesondere lässt sich aus
der Formulierung "künftig" nicht der Schluss ziehen, dass die Beklagte Säumniszuschläge nicht auch für zum Zeitpunkt des Schreibens
abgeschlossene Nachversicherungsfälle geltend machen wolle (vgl. BSG, Urteil vom 01. Juli 2010 - B 13 R 67/09 R -, zitiert nach juris Rn. 28).
Schließlich kommt keine Verwirkung in Betracht, welche als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Sinne von §
242 BGB auch auf Säumniszuschläge Anwendung findet und voraussetzt, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines
längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls
und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten
gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete
infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht
nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht
mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat
(Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (etwa
BSG, aaO., Rn. 31 f.). Hieran gemessen ist aus den vom SG genannten Gründen bereits ein Verwirkungsverhalten, an welches strenge Anforderungen zu stellen sind, zu verneinen. Indem
es die Beklagte entgegen ihrer Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes [GG]) unterließ, die seit 1995 bestehende
zwingende Gesetzespflicht zur Erhebung von Säumniszuschlägen flächendeckend in die Praxis umzusetzen, erfüllt dieses rechtswidrige
Unterlassen nach den aufgezeigten Maßstäben weder die Anforderungen eines Vertrauen begründenden Verwirkungsverhaltens noch
durfte der Kläger das bloße Nichtstun der Beklagten als bewusst und planmäßig erachten und deshalb darauf vertrauen, nicht
zu Säumniszuschlägen herangezogen zu werden (vgl. BSG, aaO., Rn. 34).
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG nicht vorliegen.