Prozesskostenhilfe
Hinreichende Erfolgsaussicht
Opferentschädigung
Mitverursachung
Drogenmilieu
Gründe:
Die gemäß §
172 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin, der wohl am 16. Februar 2012 ergangen sein dürfte, ist
nach Maßgabe des Tenors begründet. Das Sozialgericht Berlin hat insoweit den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für
das Streitverfahren zum Aktenzeichen S 40 VG 42/11 zu Unrecht zurückgewiesen.
Der Kläger, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht - auch nicht
in Raten - aufbringen kann, hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach Maßgabe des Tenors, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinsichtlich der von ihm geltend gemachten Ansprüche auf Versorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
114 Zivilprozessordnung -
ZPO -).
Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) verfassungskonform auszulegen. Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip nach Art.
20 Abs.
3 GG und dem aus Art.
19 Abs.
4 S. 1
GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten
bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt
zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf
die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe dieses Verfahren an die Stelle des Verfahrens der Hauptsache treten zu lassen
(BVerfG, Beschluss vom 28. November 2007, 1 BvR 68/07). Aus diesem Grunde dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen in dem Verfahren der Prozesskostenhilfe
nicht entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von dem Unbemittelten einer prozessualen
Klärung im Verfahren der Hauptsache zugeführt werden können (BVerfG aaO.).
Hiernach ist ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht
bereits dann gegeben, wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden
Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält bzw. - sofern der Tatsachenstoff noch nicht geklärt ist - eine
Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die
Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden ausgehen würde (so BVerfG aaO. mit weiteren
Nachweisen).
Vor dem Hintergrund dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist entgegen anders lautender früherer Entscheidung des
Senats bzgl. des strittigen Anspruchs nach dem
OEG der von dem Kläger beabsichtigten Rechtsverfolgung im maßgeblichen Zeitpunkt für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag,
nämlich dem Tag des Eingangs der vollständigen Unterlagen - hier am 21. Mai 2013 -, eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht
abzusprechen.
Die Frage, ob ein Anspruch des Klägers auf die Gewährung von Leistungen nach dem Operentschädigungsgesetz (
OEG) bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil ihm Versagungsgründe nach §
2 OEG entgegenstehen, ist nach den gegenwärtigen Feststellungen nicht abschließend geklärt, so dass bei auch im Übrigen offenen
Prozessausgang eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage im Sinne des §
114 ZPO besteht.
Ob das Einstehen der staatlichen Gemeinschaft für die Folgen bestimmter Gesundheitsstörungen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen
im Rahmen der Operentschädigung aus Gründen der Mitverursachung oder der Unbilligkeit auszuschließen ist, ist eine richterliche
Tatfrage. Soweit das Sozialgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 6. Juli 2006 (Az: B
9a VG 1/05 R) einen Ausschlussgrund wegen der Zugehörigkeit des Klägers zu einem sozialwidrigen, mit besonderen Gefahren verbundenen
"Milieu" als gegeben ansieht, weil der Kläger dem Drogenmilieu angehöre und sich wegen der vom Kläger versuchten Schutzgelderpressung
mit der erlittenen Schussverletzung eine typische Gefahr realisiert habe, verbietet sich nach den vorgenannten Grundsätzen
die von Sozialgericht vorgenommene abschließende Bewertung dieses Ausschlussgrundes durch deren Vorverlagerung in das Verfahren
der Prozesskostenhilfe. Dies gilt umso mehr, als dass der Kläger diesbezüglich Einwendungen vorgetragen hat. Ob diese zutreffend
und überzeugend sind oder gleichwohl zu einem Ausschlussgrund führen, kann abschließend erst im Rahmen einer umfassenden Aufklärung
des Sachverhalts von Amts wegen - ggf. durch eine persönliche Einvernahme des Klägers - im Verfahren der Hauptsache gewürdigt
und bewertet werden.
Vor diesem Hintergrund und bei auch ansonsten zumindest offenem Prozessausgang ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage
im Sinne des §
114 ZPO zu bejahen; die Beiordnung folgt aus §
121 Abs.
2 ZPO.
Da eine Bedürftigkeit im Sinne des Prozesskostenrechts erst mit Eingang der vollständigen Prüfunterlagen am 21. Mai 2013 nachgewiesen
ist, ist die Beschwerde zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe auf die Zeit zuvor bis
zur Antragstellung beim Sozialgericht bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 127 Abs. 4
ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).