Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für Lorenzos Öl als diätetisches Lebensmittel; Notwendigkeit einer ärztlichen
Verordnung
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit der als "Lorenzos Öl" bekannten Ölmischung Glycerol-Trioleat (GTO)
und Glycerol-Trierucat (GTE) im Verhältnis 4 zu 1.
Die 1962 geborene Klägerin leidet ausweislich des Entlassungsberichtes des Fachkrankenhauses H in W, Klinik für Neurologie
und neurologische Intensivmedizin, vom 6. Oktober 2006 an einer symptomatischen Konduktorin einer X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie
(Adrenomyeloneuropathie) mit spastischer Paraparese, sensibler Ataxie und neurogener Blasenstörung. Im Fachkrankenhaus H wurde
die Klägerin seit 2002 jährlich stationär behandelt. Der dortige Chefarzt K empfahl der Klägerin die Behandlung mit Lorenzos
Öl, da anderweitige Behandlungsmöglichkeiten kaum bestünden. Das klinische Bild einer Adrenomyeloneuropathie liege vor. Die
Beklagte übernahm in den Jahren 2005 bis 2007 im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Kosten.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2007 beantragte diese die weitere Kostenübernahme unter Einreichung unter anderem des genannten
Entlassungsberichtes und von Laborberichte über den Anteil überlangen Fettsäuren im Blut der Klägerin. Die Beklagte forderte
einen weiteren Bericht des Fachkrankenhauses H vom 29. Februar 2008 an.
Sie lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 3. März 2008 ab. Das Bundessozialgericht (BSG) habe mit Urteil vom 28. Februar 2008 festgestellt, dass Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung eine Versorgung
mit Lorenzos Öl nicht verlangen könnten. Lorenzos Öl sei weder Heil- noch Hilfsmittel. Sofern Lorenzos Öl als Arzneimittel
zu qualifizieren sei, fehle in Deutschland die dazu grundsätzlich erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung. Soweit es
sich um ein (ggf. diätetisches) Lebensmittel handele, lägen die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nicht vor.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Es sollten die Ergebnisse neuerer Studien in das Verfahren einfließen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchbescheid vom 8. Mai 2008 zurück. Zur Begründung hat sie u. a. ausgeführt,
der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) lege in den Richtlinien nach §
92 Abs.
2 Satz 1, Abs.
1 Satz 2 Nr.
6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) fest, in welchen medizinischen notwendigen Fällen diätetische Nährungsmittel in Form von Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten,
Elementardiäten und Sondernahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werde. Laurenzos Öl falle nicht
unter einen der Ausnahmetatbestände.
Die Klägerin hat hiergegen Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben. Ohne Behandlung könne sich ihr Krankheitszustand weiter verschlechtern und zum Tode führen. Die Spastik verschlimmere
sich. Sie hat sich zur Wirkung von Lorenzos Öl auf eine Stellungnahme des (zwischenzeitlichen) Vertreibers S Gesellschaft
k mbH vom 19. Februar 2009 bezogen. Sie hat ferner ein ärztliches Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin L vom 26. Mai
2009 eingereicht, wonach um eine humane Entscheidung gebeten werde.
Die Beklagte hat u. a. darauf hingewiesen, dass selbst der Behandler K des Fachkrankenhauses H davon schreibe, dass derzeit
der Versuch unternommen werde, im Rahmen einer kontrollierten Studie die Wirksamkeit der Therapie mit Lorenzos Öl zu bestätigen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30. August 2011 abgewiesen. Das BSG habe im Urteil vom 28. Februar 2009 (B 1 KR 16/07 R) einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit Lorenzos Öl verneint. Die Erkrankung der Klägerin sei darüber hinaus auch
keine lebensbedrohliche, so dass die Voraussetzungen für eine Arzneimitteltherapie außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassungen
ebenfalls nicht vorlägen. Die Erkrankung der Klägerin sei auch keine seltene und könne im nationalen wie im internationalen
Rahmen systematisch erforscht bzw. systematisch behandelt werden, so dass eine erweiterte Leistungspflicht nicht in Betracht
zu ziehen sei (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/07 KR R). Nachdem eine vom Kennedy-Krieger-Institut der John Hopkins Universität
in Baltimore durchgeführte Phase-III Studie abgebrochen worden sei, liege nach wie vor ein Nutzennachweis für Lorenzos Öl
nicht vor.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Der Sachverhalt sei noch unzureichend aufgeklärt. Ihre Hausärztin stufe
die Erkrankung als lebensbedrohlich ein.
Im Erörterungstermin am 28. Januar 2013 hat der Berichterstatter daraufhin gewiesen, dass Lorenzos Öl wohl nach wie vor weltweit
nicht als Arzneimittel zugelassen sein dürfte und nach Recherchen des Senats derzeit in Deutschland auch nicht als Diätnahrung
vertrieben werde. Der Senat hat Ausdrucke aus dem Internetauftritt des Herstellers N zu dessen Produkt Lorenzos Öl eingeführt.
Der Berichterstatter hat darauf hingewiesen, dass eine Verordnung von Lorenzos Öl als Diätnahrung im Sinne der §§ 18, 19 Abs.
3, 20 Satz 3 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen
Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL; in der Fassung vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009 veröffentlicht im Bundesanzeiger
2009 Nr. 49a, zuletzt geändert am 20. Juni 2013 veröffentlicht BAnz AT 11.07.2013 B2 in Kraft getreten am 16. Juli 2013) nicht
per se von vornherein ausgeschlossen sein dürfte. Die Erstattungsfähigkeit setze aber nach der AM-RL eine ärztliche Verordnung
voraus. Die Klägerin ist auch daraufhin gewiesen worden, dass der Leistungsantrag zu beziffern sei.
Die Klägerin hat angeregt, bei der Klinik anzufragen, welche Krankenkassen das Öl bezahlten.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 30. August 2011 und den Bescheid vom 3. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 8. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die ab 1. April 2008 entstandenen Kosten für den
Kauf der Spezialöle GTO-GTE zu erstatten und die Klägerin künftig mit diesen Spezialölen zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist durch Beschluss gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zurückzuweisen. Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 15. Mai 2013 hingewiesen worden.
Der Berufung bleibt Erfolg versagt.
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Kosten für Lorenzos Öl für die Vergangenheit und für die Zukunft zu übernehmen.
Da die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.
3 SGB V nicht vorliegen, hat der Senat darauf verzichtet, die an sich gebotene Bezifferung des Leistungsanspruches einzufordern.
Der Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.
3 SGB V reicht nicht weiter als der entsprechende Naturalleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung
zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige
Rechtsprechung des BSG, z. B. Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - juris - Rdnr. 9 mwN).
Dabei kann, wie das SG richtig ausgeführt hat, auf dessen Ausführungen zunächst nach §
153 Abs.
2 SGG verwiesen wird, dahingestellt bleiben, ob es sich bei Lorenzos Öl um ein Arzneimittel handeln könnte, weil es nicht als solches
zugelassen ist.
Wie sich aus dem vom Senat einführten Produktblatt des Herstellers ergibt, geht selbst dieser von einem diätetischen Lebensmittel
aus.
Die Ölmischung unterfällt auch der Legaldefinition in § 1 der Verordnung über die diätetische Lebensmittel (Diätverordnung).
Im Sinne dieser Verordnung sind nach § 1 Abs. 4a Diätverordnung diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke
(bilanzierte Diäten) Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert und für die diätetische Behandlung von
Patienten bestimmt sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter
oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel
oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder ihrer Metaboliten oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch
bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel
für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen.
Die Klägerin zeigt jedenfalls die Symptome einer Adrenomyeloneuropathie, einer Fettstoffwechselstörung, der durch die Ernährung
mit der Spezialölmischung entgegengewirkt werden soll.
Die Beklagte muss die Kosten für Lorenzos Öl als diätetisches Lebensmittel bereits deshalb nicht übernehmen, weil ärztliche
Verordnungen fehlten und fehlen, die hier nicht generell ausgeschlossen wären:
Nach §
18 S. 1 AM-RL sind Lebensmittel grundsätzlich von der Versorgung nach §
27 SGB V ausgeschlossen. Ausnahmsweise haben nach §
31 Abs.
5 S. 1
SGB V (eingeführt durch Art. 1 Nr.
1a Buchst. c des G Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung -GKV-OrgWG-
vom 15. Dezember 2008 BGBl. I 2426 mit Wirkung vom 1. Januar 2009) Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung,
wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Nach
§ 18 S. 2 AM-RL sind deshalb Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung, soweit sie nach den
Bestimmungen dieser Richtlinie in medizinisch notwendigen Fällen ausnahmsweise verordnungsfähig sind, nicht ausgeschlossen.
Diese Diätlebensmittel werden in § 19 AM-RL näher bestimmt:
(1) Aminosäuremischungen sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten im Sinne der
Diätverordnung). Sie bestehen überwiegend aus qualitativ und quantitativ definierten Gemischen von Aminosäuren und sind nicht
für die Verwendung als einzige Nahrungsquelle geeignet. Entsprechend der Zweckbestimmung können gesetzlich vorgeschriebene
Mineralstoffe, Vitamine, Spurenelemente sowie zugelassene Zusatz- und Aromastoffe und Kohlenhydrate als Füll- oder Geschmacksstoffe
enthalten sein. Soweit dies medizinisch notwendig ist, können Aminosäuremischungen auch Fette und Kohlenhydrate enthalten.
(2) Eiweißhydrolysate sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten im Sinne der Diätverordnung),
bestehend aus abgebauten Proteinen (niedermolekularen Proteinkomponenten in Form von freien Aminosäuren, Oligopeptiden [2-10
Aminosäuren] und Peptiden). Sie sind nicht für die Verwendung als einzige Nahrungsquelle geeignet. Enthalten sein können entsprechend
ihrer Zweckbestimmung gesetzlich vorgeschriebene Mineralstoffe, Vitamine, Spurenelemente sowie zugelassene Zusatz- und Aromastoffe
und Kohlenhydrate als Füll- oder Geschmacksstoffe. (3) Elementardiäten sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische
Zwecke (bilanzierte Diäten im Sinne der Diätverordnung), die - unabhängig von der Molekulargröße - oral zuzuführende Gemische
aus Proteinen (auch hochhydrolysierte Proteine), Aminosäuren, Kohlenhydraten, Fetten, Mineralstoffen, Spurenelementen und
Vitaminen enthalten, und die als einzige Nahrungsquelle geeignet sind (so genannte Trinknahrung). (4) Sondennahrungen sind
diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten im Sinne der Diätverordnung), die bei einer
individuell gewählten Zusammensetzung und Dosierung als einzige Nahrungsquelle zur Ernährung über die Sonde bestimmt sind.
Eine Spezialdiät aus einer Ölmischung ist weder eine Aminosäuremischung, ein Eiweißhydolysat, eine Trinknahrung als einzige
Nahrungsquelle (Elementardiät-Lebensmittel) oder Sondennahrung.
Nach § 20 (ergänzende Bestimmungen) S. 3 AM-RL sind jedoch ergänzende bilanzierte Diäten zur Behandlung von angeborenen seltenen
Defekten u. a. im Fettstoffwechsel verordnungsfähig, auch wenn sie nicht unter § 19 AM-RL subsumierbar sind.
Allerdings hätte die verordnete Ärztin oder der verordnete Arzt zu prüfen, ob eine Behandlung medizinisch notwendig ist oder
ob symptomatische oder eigenverantwortliche Maßnahmen Priorität hätten (§ 20 Abs. 2 AM-RL).
Auf den Umstand, dass es an Verordnungen fehlt, ist die Klägerin hingewiesen worden. Es gibt nur ärztliche Empfehlungen.
Dahingestellt kann abschließend auch bleiben, dass die Verpflichtung zur Sachleistung bzw. Kostenerstattung der Beklagten
auch daran scheitern dürfte, dass Lorenzos Öl zur Zeit in Deutschland jedenfalls nach den unwidersprochen gebliebenen Recherchen
des Senats nicht vertrieben wird, so dass auch die Verordnungsvoraussetzung, dass sich das Produkt rechtmäßig auf dem deutschen
Markt befindet (§ 20 S. 1 AM-RL) fraglich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG liegen nicht vor.