Entschädigung wegen unangemessener Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens; Gestaltungsspielraum des Richters bei der Terminierung;
Zulässigkeit von Zwangsmitteln bei Gutachten nach § 109 SGG; Verzinsung des Entschädigungsanspruchs
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des beim Sozialgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen S 7 U 93/99 geführten Verfahrens.
Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Nachdem die zuständige Unfallkasse es 1999 abgelehnt hatte, eine toxische Enzephalopathie als Berufskrankheit nach Ziffer
1302 der Anlage 1 der
Berufskrankheiten-Verordnung (Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe) anzuerkennen, erhob der Kläger am 18. August 1999 vor dem Sozialgericht Cottbus
Klage, die unter dem Aktenzeichen S 7 U 93/99 registriert wurde. Mit am 12. Oktober 1999 eingegangenem Schreiben begründete er diese. Am 18. Oktober 1999 forderte das
Sozialgericht bei ihm Unterlagen und Angaben zu seinen behandelnden Ärzten an, die der Kläger am 02. November 1999 einreichte.
Das Sozialgericht strengte daraufhin verschiedene medizinische Ermittlungen an. Parallel hierzu zeigte Mitte November 1999
eine Rechtsanwältin die Vertretung des Klägers an, erhielt Akteneinsicht und legte am 02. Februar 2000 eine ausführliche Klagebegründung
vor. Am 12. April 2000 ging - nach zwischenzeitlicher Mahnung durch das Gericht - eine Stellungnahme der damaligen Beklagten
ein. Anfang Juli 2000 bat das Gericht um Benennung von Beweismitteln, woraufhin die damalige Bevollmächtigte des Klägers am
24. und ergänzend am 28. Juli 2000 Zeugen benannte.
Ende Februar 2001 erkundigte die Bevollmächtigte sich nach dem Sachstand. Der Kammervorsitzende informierte sie kurz darauf,
dass das Verfahren zur Verhandlung vorgesehen sei, ein konkreter Termin aber noch nicht benannt werden könne. Auf eine weitere
Sachstandsanfrage Mitte Oktober 2001 erfolgte der Hinweis auf die Erkrankung des Kammervorsitzenden. Nach erneutem Drängen
der Bevollmächtigten Mitte November 2001 und einer weiteren Sachstandsanfrage Ende Februar 2002 wurde die Sache mit Ladung
vom 02. August auf den 16. August 2002 angesetzt. Auf Nachfrage der Bevollmächtigten wurden unter dem 06. August 2002 zwei
bis dahin nicht geladene Zeugen nachgeladen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung konnten nur zwei der vier Zeugen vernommen
werden, woraufhin der Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung vertagt wurde. Weiter wurde den Beteiligten Gelegenheit
zur schriftlichen Stellungnahme zum Ermittlungsergebnis gegeben. Ende August 2002 teilte die damalige Bevollmächtigte des
Klägers nochmals die bereits benannte Anschrift der zuvor nicht ladbaren Zeugin mit und bat um einen erneuten Zustellversuch.
Mitte September 2002 schrieb der Kammervorsitzende die Sache erneut zur Sitzung aus und terminierte sie schließlich am 13.
November 2003 zum 03. Dezember 2003. Nach Einvernahme der Zeugin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 03. Dezember 2003
wurde die Sache erneut zur weiteren Sachverhaltsaufklärung vertagt. Ausweislich des Protokolls wollte der Kläger sich bemühen,
Möglichkeiten aufzuzeigen, die zur Ermittlung von Unterlagen seines früheren Beschäftigungsbetriebes führen könnten. Auf gerichtliche
Erinnerungen vom 15. März und 12. Mai 2004 erklärte die Bevollmächtigte des Klägers, dass dieser keine Hinweise zum Verbleib
von Unterlagen seines Beschäftigungsbetriebes geben könne. Im September 2004 gab der Kammervorsitzende daraufhin ein arbeitsmedizinisches
und internistisches Gutachten in Auftrag, das am 23. Dezember 2004 bei Gericht einging und den Beteiligten am 12. Januar 2005
zur Stellungnahme übersandt wurde.
Mitte Februar 2005 beantragte der Kläger die Einholung eines weiteren Gutachtens. Nach Eingang des Kostenvorschusses im März
2005, wurde der vom Kläger benannte Sachverständige im Mai 2005 beauftragt. Mit der Bestellung wurde ausdrücklich im Hinblick
auf die Verfahrensdauer um bevorzugte Behandlung gebeten. Auf eine gerichtliche Sachstandsanfrage vom September 2005 beantragte
dieser im Oktober 2005 eine Zusatzuntersuchung des Klägers, woraufhin ein weiterer Kostenvorschuss angefordert wurde. Noch
im selben Monat ging dieser ein und verfügte der Vorsitzende die Einholung des Zusatzgutachtens. Mitte März 2006 erkundigte
sich das Gericht erneut bei dem Sachverständigen nach dem Sachstand, der daraufhin über den für den 23. März 2006 anberaumten
Untersuchungstermin informierte. Am 31. Juli 2006 ging schließlich das Gutachten bei Gericht ein und wurde den Beteiligten
Anfang August 2006 übersandt. Die damalige Beklagte legte ihre erbetene Stellungnahme am 06. September 2006 vor.
Ende Mai 2007 wurde der Rechtsstreit auf den 21. Juni 2007 terminiert. An diesem Tage fand die mündliche Verhandlung statt.
Der Rechtsstreit wurde durch stattgebendes Urteil erledigt. Die schriftlichen Urteilsgründe wurden den Beteiligten Mitte August
2007 zugestellt.
Auf die Berufung der damaligen Beklagten zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg beauftragte dieses mit Beweisanordnung
vom 11. Juni 2008 einen weiteren Sachverständigen. Nachdem dieser das Gutachten - nach zwischenzeitlicher Mahnung durch das
Gericht - am 12. Februar 2009 vorgelegt hatte und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden war, kündigte
die damalige Bevollmächtigte des Klägers mit am 18. März 2009 eingegangenem Schriftsatz eine sachkundige Stellungnahme des
im erstinstanzlichen Verfahren nach §
109 SGG gehörten Sachverständigen innerhalb von vier Wochen an. Nachdem diese - ohne Zwischenmitteilung - bis Anfang Juli 2009 nicht
eingegangen war, erfolgte eine Terminierung auf den 26. August 2009. Am Mittag des 25. August 2009 wurde eine Stellungnahme
des Vorgutachters per Fax zu den Akten gereicht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. August 2009 hob der Senat das
erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Die Urteilsgründe wurden den Beteiligten Mitte November 2009 zugestellt.
Mit Beschluss vom 29. Januar 2010 verwarf das Bundessozialgericht die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Landessozialgerichts als unzulässig. Der am 16. Februar 2010 abgesandte Beschluss wurde der damaligen
Bevollmächtigten des Klägers am 22. Februar 2010 zugestellt. Am 16. August 2010 legte diese für den Kläger beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2011 wies dieser die damalige Bevollmächtigte des Klägers auf das Gesetz
über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) hin.
Am 10. Mai 2012 hat der Kläger daraufhin beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Klage auf Entschädigung wegen überlanger
Verfahrensdauer erhoben, die dem Beklagten am 12. September 2012 zugegangen ist. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen
vor, dass durch die schleppende Bearbeitung der Sache immer wieder Zeit vergeudet worden sei. Zunächst ist er davon ausgegangen,
dass allein bis zur ersten Terminierung drei Jahre vergangen und zwischen August 2002 und Mai 2004 erneut 21 Monate vergangen
seien, ohne dass der Sache inhaltlich Fortgang gewährt worden wäre. Nachdem das eingeholte Gutachten sich als unbrauchbar
erwiesen hätte, sei die Beauftragung eines weiteren Sachverständigen erforderlich geworden. Obwohl dessen Gutachten Anfang
September 2006 vorgelegen habe, habe es nochmals neun Monate bis zu einem Termin gedauert. Insgesamt hätte das Verfahren bei
zügiger Bearbeitung innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren abgeschlossen und eine Dauer von über sieben Jahren vermieden
werden können. Diese Verfahrensdauer sei auch unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, zwei Gutachten einzuholen, unangemessen.
Es sei davon auszugehen, dass das Verfahren fünf Jahre zu lange gedauert habe, sodass eine Entschädigung in Höhe von 6.000,00
€ angemessen sei. Eine andere Wiedergutmachung könne nicht erlangt werden. Auch sei die überlange Verfahrensdauer nicht dadurch
kompensiert, dass das Berufungsverfahren zwei Jahre lang gedauert habe, zumal auch dies nicht als zügig anzusehen sei. Entscheidend
sei, dass sich das Gesamtverfahren über zehn Jahre hingezogen habe, was ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Beklagten
falle. Es treffe ihn ein Organisationsverschulden, denn wesentlicher Grund für die Verfahrensdauer sei die zu geringe Personalausstattung.
Zuletzt ist der Kläger in Würdigung der für die Einholung des Gutachtens nach §
109 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) erforderlichen Zeit noch davon ausgegangen, dass das Verfahren vor dem Sozialgericht in etwa vier Jahren hätte abgeschlossen
sein müssen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen unangemessener Dauer seines Verfahrens gegen die Unfallkasse des Bundes vor dem Sozialgericht
Cottbus - S 7 U 93/99 - eine Entschädigung in Höhe von 4.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszins seit Zustellung der Klage
zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er geht davon aus, dass die Klage im Hinblick auf das zuvor beim EGMR anhängige Verfahren zwar zulässig sei. Auch räumt er ein, dass das Ausgangsverfahren überlang war, meint jedoch, dass eine
Entschädigung nicht in der begehrten Höhe zuzusprechen sei. Entgegen der - ursprünglich - vom Kläger vertretenen Ansicht wäre
der Rechtsstreit nicht innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren zum Abschluss zu bringen gewesen. Etwa für die Dauer eines
Jahres nach Klageeingang hätten die Beteiligten zur eigentlichen Sachverhaltsaufklärung Schriftsätze gewechselt. Zu einer
verzögerten Bearbeitungsweise sei es erst nach Ausschreibung der Sache im August 2000 zur Sitzung gekommen, da der Verhandlungstermin
erst zwei Jahre später erfolgte. Die Verzögerung sei jedoch einerseits auf die Erkrankung des Kammervorsitzenden zurückzuführen,
andererseits aber wohl auch der erforderlichen vorzugsweisen Bearbeitung anderer älterer Verfahren geschuldet gewesen. Indem
der Kammervorsitzende die Sache im September 2002 erneut zur Sitzung ausgeschrieben habe, ein Verhandlungstermin aber erst
im Dezember 2003 stattgefunden habe, sei das Verfahren weiterhin nicht in angemessener Weise gefördert worden. Für den weiteren
Verlauf sei zu berücksichtigen, dass es dem Kläger selbstverständlich freigestanden habe, nach §
109 SGG die Einholung eines weiteren Gutachtens zu beantragen, der von ihm benannte Gutachter jedoch zur Erstellung des Gutachtens
etwa 14 Monate benötigt habe. Als noch vertretbar sei es schließlich anzusehen, dass ab Eingang der Stellungnahme des damaligen
Beklagten zum Gutachten nach §
109 SGG bis zur erneuten Terminierung nochmals neun Monate vergangen seien. Schließlich habe das Landessozialgericht das Berufungsverfahren
nach erneuter Beweisaufnahme nach bereits knapp zwei Jahren zum Abschluss gebracht, sodass zumindest ein Teil der überlangen
Bearbeitungsdauer als kompensiert anzusehen sein dürfte. Insoweit sei zu beachten, dass Gerichtsverfahren im Sinne des §
198 Abs.
1 Satz 1
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) das einheitlich zu betrachtende Verfahren in allen Rechtszügen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
A. Die auf Gewährung einer Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig.
I. Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§
198 ff.
GVG sowie die §§
183,
197a und
202 SGG, jeweils in der Fassung des GRüGV vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer
gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt es sich nicht
um einen Amtshaftungsanspruch im Sinne des Art.
34 des
Grundgesetzes (
GG). Es ist daher nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern vorliegend der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.
Denn die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in
dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in §
202 Satz 2
SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des
GVG (§§
198-
201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle
des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der
Zivilprozessordnung das
SGG tritt. Für die Entscheidung über die Klage ist daher das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zuständig.
II. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §
202 Satz 2
SGG sind die Vorschriften des
SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß §
54 Abs.
5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn
ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger macht angesichts der Regelung des §
198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung i.S.d. §
54 Abs.
5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl.
§
198 Abs.
5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz
1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger
geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch
eine Verpflichtung handelt.
III. Auch ist die Klage form- und fristgerecht erhoben. Die gemäß §
90 SGG für die Klage vorgeschriebene Schriftform ist eingehalten.
Gleiches gilt für die Einlegungsfrist. §
198 Abs.
5 Satz 2
GVG, der vorsieht, dass eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer spätestens
sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des
Verfahrens erhoben werden darf, gilt für Verfahren, die bei Inkrafttreten des GRüGV bereits abgeschlossen waren, nicht (Art.
23 Satz 5 GRüGV). Vielmehr kann nach Art. 23 Satz 6 GRüGV die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach §
198 Abs. 1
GVG bei abgeschlossenen Verfahren sofort und muss spätestens am 03. Juni 2012 erhoben werden. Diese Frist wurde mit der am 10.
Mai 2012 erhobenen Klage gewahrt.
B. Auch ist die Zahlungsklage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Kläger begehrt eine Entschädigung ausdrücklich nur für das beim Sozialgericht Cottbus geführte und dort etwa acht Jahre
lang anhängige Verfahren. Insoweit rügt er eine Verfahrensverzögerung im Umfang von vier Jahren und macht ausschließlich einen
Nachteil geltend, der kein Vermögensnachteil ist. Der Senat hält allerdings eine Entschädigung lediglich in Höhe von 3.600,00
€ für angemessen, weil das Verfahren drei Jahre zu lange gedauert hat.
I. Zu Recht richtet sich die Klage gegen das hier passivlegitimierte Land Brandenburg. Denn nach §
200 Satz 1
GVG haftet für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land.
Die Vertretung des Landes Brandenburg erfolgt nach Nr. 5 der Anordnung über die Vertretung des Landes Brandenburg im Geschäftsbereich
des Ministers der Justiz (Vertretungsordnung JM Brdbg, Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz) vom 09.06.1992 (JMBl.
S. 78) in der Fassung der Änderung vom 21.11.2012 (JMBl. S. 116) durch die Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. zur Zulässigkeit einer entsprechenden Übertragung
durch eine Verwaltungsanordnung BFH, Urteil vom 17.04.2013 - X K 3/12 - zitiert nach juris, Rn. 30 ff. für die Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung
für Justiz vom 20.09.2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641).
II. Grundlage für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ist §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter
einen Nachteil erleidet.
Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass das von dem Kläger als unangemessen lang angesehene Verfahren
vor dem Sozialgericht Cottbus bei Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011 (vgl. Art. 24 GRüGV) bereits abgeschlossen
war. Denn nach Art. 23 S. 1 GRüGV gilt das Gesetz auch für bei seinem Inkrafttreten bereits abgeschlossene Verfahren, deren
Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim EGMR ist oder noch werden kann. Dies aber war hier der Fall. Nachdem das Sozialgericht Cottbus das Verfahren mit Urteil vom 21.
Juni 2007 beendet hatte, das Berufungsverfahren beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 26. August 2009
seinen Abschluss gefunden und das Bundessozialgericht die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde mit
Beschluss vom 29. Januar 2010 zurückgewiesen hatte, hatte der Kläger am 16. August 2010 die Dauer des hier streitgegenständlichen
Ausgangsverfahrens zum Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR gemacht. Dass dies nicht unter Berücksichtigung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 35 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) geschehen sein könnte, wird insbesondere vom Beklagten nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere
wurde die Beschwerde fristgerecht erhoben. Denn der Beschluss des Bundessozialgerichts vom 29. Januar 2010 wurde am 16. Februar
2010 abgesandt und der damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 22. Februar 2010 zugestellt. Beim EGMR wurde die Beschwerde am 16. August 2010 und damit - unabhängig davon, ob es für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt der Absendung
(vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl., § 160a Rn. 23) oder den der Zustellung des Beschlusses (so wohl BSG, Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 K - zitiert nach juris, jeweils Rn. 12) ankommt - innerhalb der einzuhaltenden
Sechsmonatsfrist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung eingelegt. Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen,
ob die Einhaltung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 35 EMRK im Rahmen des Art. 23 S. 1 GRüGV erforderlich ist oder nicht (eher bejahend: BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 K - zitiert nach juris, jeweils Rn. 12 m.w.N.; bejahend: BGH, Urteil vom
11.07.2013 - III ZR 361/12 - Rn. 9 ff., LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 21.11.2012 - L 2 SF 436/12 EK - Rn. 66 und vom 20.02.2013 - L 2 SF 1495/12 - Rn. 43, ablehnend: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 - L 10 SF 5/12 ÜG - Rn. 186 f.)
Einer vorherigen Verzögerungsrüge i.S.d. §
198 Abs.
3 GVG bedurfte es nicht; gemäß Art. 23 S. 5 GRüGV sind die Absätze 3 und 5 des §
198 GVG auf bei seinem Inkrafttreten abgeschlossene Verfahren nicht anzuwenden.
III. Nach §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG ist ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens
auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe. Unter rechtskräftigem
Abschluss ist die formelle Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen, sodass in die Verfahrensdauer auch der Zeitraum bis
zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einbezogen ist (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott,
Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, §
198 GVG, Rn. 54 m.w.N.). Damit erstreckt sich die Dauer des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht Cottbus
auf die Zeit von der Klageerhebung am 18. August 1999 bis zur Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 15. bzw. 17. August
2007 bei den Beteiligten.
Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch setzt damit voraus, dass überhaupt eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens
vorliegt (hierzu im Folgenden zu IV.), er als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten hat
(hierzu im Folgenden zu V.), nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Abs.
4 GVG nicht ausreichend ist (hierzu im Folgenden zu VI.) und der geforderte Betrag als Entschädigung angemessen ist (hierzu im
Folgenden zu VII.). Dies ist im Wesentlichen der Fall.
IV. Ob die Verfahrensdauer angemessen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber bewusst
(vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/3802, S. 18 zu § 198 Abs. 1) von der Einführung bestimmter
Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen, weil eine abstrakt-generelle Festlegung, wann ein Verfahren
unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (vgl. Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren,
§ 198 Rn. 68 m.w.N.).
Vielmehr regelt §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie
das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt. Lediglich beispielhaft und ohne abschließenden Charakter werden
hier - in Anknüpfung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sowie vom EGMR im Zusammenhang mit der Frage überlanger gerichtlicher Verfahren entwickelten Maßstäbe - Umstände benannt, die für die Beurteilung
der Angemessenheit besonders bedeutsam sind. Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer ist danach - so ausdrücklich
die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 17/3802, S. 18 f. zu § 198 Abs. 1) - unter dem Aspekt einer
möglichen Mitverursachung zunächst die Frage, wie sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat.
Außerdem sind insbesondere zu berücksichtigen die Schwierigkeit, der Umfang und die Komplexität des Falles sowie die Bedeutung
des Rechtsstreits. Hier ist nicht nur die Bedeutung für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht
eines verständigen Betroffenen von Belang, sondern auch die Bedeutung für die Allgemeinheit. Relevant ist ferner das Verhalten
sonstiger Verfahrensbeteiligter sowie das Verhalten Dritter. Wird eine Verzögerung durch das Verhalten Dritter ausgelöst,
kommt es darauf an, inwieweit dies dem Gericht zugerechnet werden kann. So kann ein Verzögerungen auslösendes Verhalten Dritter,
auf das das Gericht keinen Einfluss hat, keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen. Ob insbesondere die häufig
durch die Einholung von Sachverständigengutachten entstehenden Verzögerungen dem Gericht zuzurechnen sind, muss bei einer
ex-post-Betrachtung durch das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit anhand der Einzelfallumstände
beurteilt werden. Dabei kann eine Rolle spielen, inwieweit das Gericht Möglichkeiten, auf eine zügige Gutachtenerstattung
hinzuwirken, ungenutzt gelassen hat. Zum Tragen kommen kann auch, ob es im konkreten Fall Handlungsalternativen insbesondere
hinsichtlich Gutachterauswahl und -wechsel gegeben hat. Der Staat kann sich zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines
Verfahrens hingegen nicht auf Umstände innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs berufen; vielmehr muss er alle notwendigen
Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist beendet werden können. Deshalb kann bei der
Frage der angemessenen Verfahrensdauer nicht auf die chronische Überlastung eines Gerichts, länger bestehende Rückstände oder
eine allgemein angespannte Personalsituation abgestellt werden.
Allerdings reichen die in §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG benannten Umstände nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL -, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. und m.w.N.), der der Senat sich
anschließt, zur Ausfüllung des Begriffs der unangemessenen Verfahrensdauer in §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG nicht aus. Vielmehr sind diese Umstände in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen. So verdeutlicht bereits die Anknüpfung
des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art.
19 Abs.
4 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit, dass es auf eine Beeinträchtigung
eines Grund- und Menschenrechts durch die Länge des Gerichtsverfahrens ankommt. Es wird damit von vornherein eine gewisse
Schwere der Belastung vorausgesetzt, sodass nicht jede Abweichung vom Optimum ausreicht, vielmehr eine deutliche Überschreitung
der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen muss. Weiter verbietet sich das Ziehen einer engen zeitlichen Grenze bei der
Bestimmung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer zum einen im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der
Richter (Art.
97 Abs.
1 GG), zum anderen unter Berücksichtigung des Ziels einer inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidungen.
Gemessen daran ist das streitgegenständliche Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Cottbus, das ab Eingang der Klage bis
zur Zustellung der erstinstanzlichen Urteilsgründe acht Jahre gedauert hat, zwar als überlang einzustufen, dies allerdings
nicht in dem vom Kläger geltend gemachten Umfang von vier, sondern lediglich von drei Jahren.
Das Ausgangsverfahren ist zur Überzeugung des Senats als eher überdurchschnittlich komplex anzusehen. Denn zwar hatte das
Gericht nicht über schwierige, bis dahin ungeklärte Rechtsfragen zu urteilen. Wohl aber bedurfte die Klärung, ob die im Ausgangsverfahren
beklagte Unfallkasse zu Recht eine toxische Enzephalopathie nicht als Berufskrankheit anerkannt hatte, der Anstrengung verschiedener
Ermittlungen. So war zum einen zu klären, ob und in welchem Maße der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit überhaupt
schädigenden Substanzen ausgesetzt war. Zum anderen war festzustellen, ob eine entsprechende Exposition zu den von ihm geltend
gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Angesichts der mit der Anerkennung ggf. verbundenen Auswirkungen
stellte sich die Bedeutung der Sache für den Kläger schließlich keinesfalls als unbedeutend dar.
Mit Blick auf den Verfahrensverlauf ist festzustellen, dass weder dem Kläger noch der damaligen Beklagten Verzögerungen anzulasten
sind. Auch ist die Sache vom Eingang der Klage am 18. August 1999 bis zum 28. Juli 2000 konsequent betrieben worden. Zu einer
Verzögerung ist es erstmals gekommen, nachdem die damalige Bevollmächtigte des Klägers zu letztgenanntem Termin - wie erbeten
- noch Zeugen benannt hatte. Erst nach mehreren zwischenzeitlichen Sachstandsanfragen und gerichtlichen Hinweisen auf die
beabsichtigte Terminierung bzw. Erkrankung des Vorsitzenden erfolgte zwei Jahre später, nämlich mit am 02. August 2006 abgesandten
Schreiben die Ladung auf den 16. August 2002. Weitere vier Tage später wurde - auf einen entsprechenden Hinweis der Bevollmächtigten
hin - noch versucht, Zeugen nachzuladen, was teilweise nicht mehr möglich war. Auch unter Berücksichtigung, dass kein Anspruch
auf eine optimale Bearbeitung besteht, wäre hier eine frühere Terminierung nicht nur wünschenswert, sondern auch erforderlich
gewesen. Denn zwar kann von den Gerichten schon im Hinblick darauf, dass andernfalls komplexere Verfahren faktisch nie bearbeitet
werden könnten, nicht verlangt werden, eine als entscheidungsreif angesehene Sache unabhängig von der Dauer ihrer Anhängigkeit
stets umgehend einer Erledigung zuzuführen. Auch muss - gerade unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit - jedem
Vorsitzenden zugebilligt werden, im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums die Verhandlungstermine nach
eigenem Ermessen zusammenzustellen. Denn insofern können neben dem Aspekt der jeweiligen Verfahrensdauer und fachlichen wie
thematischen Erwägungen namentlich auch Überlegungen der Prozessökonomie sowie Bemühungen, den übrigen Verfahrensbeteiligten
das Erscheinen für nur einen einzigen Termin zu ersparen, eine Rolle spielen. Angesichts der Bedeutung der Sache für den Kläger
und unter Berücksichtigung der mit zunehmendem Zeitablauf erfahrungsgemäß immer schwieriger werdenden Beweisgewinnung erscheint
es vorliegend allerdings nicht mehr vertretbar, dass mit der Beweisaufnahme in Form der Vernehmung der benannten Zeugen zwei
Jahre zugewartet wurde. Spätestens nach einem Jahr wäre vielmehr die Ladung zur Beweisaufnahme nötig gewesen.
Zu einer weiterennunmehr vierzehnmonatigen Verzögerung ist es gekommen, nachdem der Termin am 16. August 2002 zu keiner Verfahrensbeendigung
geführt hatte. Unter Beachtung der vorstehenden Erwägungen sowie der mit zunehmender Dauer des Verfahrens an die Angemessenheit
zu stellenden Anforderungen (BVerfG, Beschlüsse vom 20.07.2000 - 1 BvR 352/00 - zitiert nach juris, Rn. 11 sowie vom 02.12.2011 - 1 BvR 314/11 -, zitiert nach juris, Rn. 7) erscheint es nicht mehr vertretbar, dass das zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren anhängige
Verfahren Mitte September 2002 erneut "nur" als entscheidungsreif ausgeschrieben wurde, hingegen erst Mitte November 2003
eine erneute Terminierung zum 03. Dezember 2003 erfolgte.
Nach erneuter Vertagung des Verfahrens zur Sachaufklärung und dem Kläger eingeräumter Zeit, weitere Beweismittel zu benennen,
war ab Eingang des entsprechenden Schriftsatzes der damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 12. Mai 2004 deutlich, dass
seitens des Klägers keine weiteren Beweismittel beigebracht werden würden. Soweit der Vorsitzende erst etwa vier Monate später
ein medizinisches Gutachten in Auftrag gab, ist dies letztlich - auch unter Berücksichtigung der zunehmenden Verfahrensförderungspflicht
- nicht zu beanstanden. Zwar wäre im Rahmen einer optimalen Bearbeitung eine schnellere Beweisanordnung wünschenswert gewesen.
Dem Gericht ist jedoch auch zuzubilligen, dass es vorrangig erst einmal würdigt, ob weiterer Beweis überhaupt erhoben werden
muss, und prüft, welches Beweismittel hierzu geeignet ist.
Nach Eingang des Gutachtens ca. drei Monate später und Übersendung desselben an die Beteiligten beantragte der Kläger Mitte
Februar 2005 die Einholung eines Gutachtens nach §
109 SGG. Im März 2005 ging der Kostenvorschuss ein, die Beauftragung des Sachverständigen erfolgte erst zwei Monate später. Diese
Verzögerung ist dem Beklagten als entschädigungsrelevant zuzurechnen. Bei einem inzwischen fünfeinhalb Jahre anhängigen Verfahren
darf der Kläger erwarten, dass es dem Gericht möglich ist, den nicht mehr mit einer Prüfung verbundenen, sondern im Wesentlichen
auf das Ausfüllen des entsprechenden Vordrucks beschränkten Arbeitsschritt innerhalb weniger Tage zu erledigen.
Soweit bis zum Eingang des Gutachtens am 31. Juli 2006 letztlich weitere etwa 14 Monate vergingen, ist dies hingegen nicht
dem Beklagten anzulasten. Vielmehr hat sich der Vorsitzende der zuständigen Kammer in dieser Zeit in gebotener Form bemüht,
auf eine zügige Erstattung des Gutachtens hinzuwirken. Zu beachten ist insoweit, dass zögerliches Verhalten Dritter nur dann
dem Beklagten anzulasten ist, wenn das Gericht auf deren Verhalten hätte Einfluss nehmen können. Dies ist hier jedoch in nur
sehr eingeschränktem Maße der Fall gewesen und letztlich in einer nicht zu beanstandenden Form geschehen. Auf die Auswahl
des Sachverständigen konnte der Kammervorsitzende nicht einwirken, vielmehr hatte er auf den entsprechenden Antrag des Klägers
hin den konkreten Sachverständigen zu beauftragen. In seinem Auftrag hat er diesen weiter ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass er im Hinblick auf die bisherige Verfahrensdauer um bevorzugte Erledigung bitte. Dass erstmals im September 2005 eine
Sachstandsanfrage durch das Gericht erfolgte, ist nicht zu beanstanden. In sozialgerichtlichen Verfahren kann erfahrungsgemäß
mit dem Eingang eines medizinischen Gutachtens nicht vor Ablauf von drei Monaten gerechnet werden und wird daher typischerweise
regelmäßig erst nach vier bis fünf Monaten eine Sachstandsanfrage an den jeweiligen Gutachter gerichtet. Nachdem dies hier
geschehen war und der Gutachter im Oktober 2005 eine Zusatzuntersuchung für erforderlich erklärt hatte, war abzusehen, dass
der angeforderte Kostenvorschuss nicht ausreichen würde. Noch im Oktober wurde daraufhin ein weitergehender Vorschuss vom
Gericht angefordert, vom Kläger einbezahlt und die Einholung des Zusatzgutachtens angeordnet. Mitte März 2006 - und damit
unter Berücksichtigung erneut der üblichen Begutachtungsdauer - erkundigte sich der Vorsitzende wieder bei dem Sachverständigen
nach dem Sachstand, woraufhin dieser über den für den 23. März 2006 angesetzten Untersuchungstermin informierte. Letztlich
legte er das Gutachten dann etwa vier Monate später am 31. Juli 2006 bei Gericht vor. Dass der Vorsitzende in der gesamten
Zeit davon abgesehen hat, mit Ordnungsmitteln zu arbeiten, führt nicht dazu, dass jedenfalls Teile dieses Verfahrensabschnitts
als von entschädigungsrelevanter Dauer anzusehen wären. Gerade im Zusammenhang mit der Einholung von Gutachten nach §
109 SGG darf das Gericht im Interesse des Rechtsuchenden, der sich für den konkreten Sachverständigen entschieden hat, beim Einsatz
von Zwangsmitteln Augenmaß walten lassen. Denn es hat dabei auch zu beachten, dass eine vorschnelle Drohung mit Zwangsmaßnahmen
zumindest befürchten lässt, das Gutachten, für dessen Kosten vorbehaltlich einer späteren anderen Entscheidung der Kläger
aufzukommen hat, werde nicht in der gebotenen Gründlichkeit und damit Qualität erstattet werden. Jedenfalls solange sich nicht
aufdrängt, dass die durch das Gericht gezeigte Zurückhaltung als Untätigkeit zu qualifizieren ist, oder seitens des Klägers
selbst Zwangsmittel angeregt werden, kann die mit dem Zuwarten einhergehende Verfahrensdauer nicht als entschädigungsrelevant
angesehen werden. Vorliegend aber gibt es keinerlei Anlass, das Abwarten des Vorsitzenden als Untätigkeit zu qualifizieren.
Im Gegenteil hat er in angemessenen Zeitabständen immer wieder den Kontakt zu dem Sachverständigen gesucht, der wiederum auf
die Anfragen stets reagiert und erkennen lassen hat, dass auf die Fertigstellung des Gutachtens hingearbeitet werde.
Wohl aber ist es dem Beklagten anzulasten, dass nach Übersendung des Gutachtens an die Beteiligten Anfang August 2006 und
nach Eingang der Stellungnahme der damaligen Beklagten hierzu am 06. September 2006 der Rechtsstreit erst Ende Mai 2007 und
damit nach mehr als weiteren acht Monaten, auf den 21. Juni 2007 terminiert wurde. Die Sache war bei Eingang der letzten Stellungnahme
bereits sieben Jahre anhängig und hätte daher schnellstmöglich einer Erledigung zugeführt werden müssen. Soweit im Folgenden
von der Entscheidung am 21. Juni 2007 bis zur Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe knapp zwei Monate vergingen, ist
dies hingegen nicht zu beanstanden.
Eine Addition der aufgezeigten, dem Beklagten zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen führt zur Annahme einer Überlänge von
36 Monaten. Weder rechtfertigt eine abschließende Gesamtwürdigung des Ablaufs des Verfahrens unter Beachtung seiner Bedeutung
und Schwierigkeit eine abweichende Einschätzung noch vermag - anders als der Beklagte meint - das Berufungsverfahren die Überlänge
von 36 Monaten (teilweise) zu kompensieren. Zwar geht der Senat bereits mit Blick auf die - auf den Zeitraum von der Einleitung
bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abstellende - Legaldefinition in §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG davon aus, dass Beurteilungsmaßstab für die Verfahrensdauer letztlich das gesamte Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen
Abschluss ist, und dies auch dann, wenn nur das Verfahren in einer der Instanzen zum Streitgegenstand gemacht wird. Denn Gegenstand
des jeweiligen Ausgangsverfahrens ist ein vom Kläger bzw. der Klägerin geltend gemachter prozessualer Anspruch, über den -
so von der Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, Gebrauch gemacht - nicht in nur einer Instanz geurteilt wird. Weiter ist
es gerade in der Sozialgerichtsbarkeit mit zwei vollständigen Tatsacheninstanzen typisch, dass der Umfang der erstinstanzlich
getätigten Ermittlungen das Ausmaß der in der zweiten Instanz noch anzustrengenden bedingt, sodass eine isolierte Betrachtung
beider Instanzenzüge zu zufälligen und damit nicht unbedingt gerechten Ergebnissen führen würde. Ist entschädigungsrelevantes
Gerichtsverfahren im Sinne des §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG jedoch das Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss insgesamt, kann eine Entscheidung darüber, ob gegen
Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art.
19 Abs.
4 GG verstoßen worden ist, typischerweise erst dann getroffen werden, wenn das Verfahren abgeschlossen ist. Insofern ist es durchaus
denkbar, dass die etwas verzögerte Bearbeitung in der ersten Instanz durch eine besonders zügige Bearbeitung in den weiteren
Instanzen (teilweise) kompensiert wird. Allerdings wird eine noch so schnelle Bearbeitung in einer Instanz kaum geeignet sein,
eine eklatant überlange Dauer in der anderen noch auszugleichen.
Vorliegend ist das Verfahren vor dem Landessozialgericht konsequent betrieben worden, hat aber letztlich - angesichts der
Einholung eines weiteren medizinischen, nunmehr für den Kläger negativen Gutachtens keinesfalls untypisch - ausgehend ab Zustellung
der erstinstanzlichen Urteilsgründe auch zwei Jahre und drei Monate gedauert. Dies ist für sich genommen völlig angemessen,
umgekehrt aber auch nicht geeignet, die frühere dreijährige Verfahrensverzögerung auch nur teilweise auszugleichen.
V. Durch diese überlange Verfahrensdauer hat der Kläger einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits
aus §
198 Abs.
2 Satz 1
GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert
hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich und auch von
dem Beklagten nicht vorgebracht worden.
VI. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Absatz
4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung
des Senats nicht ausreichend (§
198 Abs.
2 Satz 2
GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend
kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat
auch der Beklagte nicht geltend gemacht.
VII. Ausgehend von der im Umfang von drei Jahren überlangen Dauer des gerichtlichen Verfahrens beläuft sich die dem Kläger
zustehende angemessene Entschädigung gemäß §
198 Abs.
2 S. 3
GVG auf 3.600,00 €. Soweit das Gericht nach §
198 Abs.
2 S. 4
GVG einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen kann, sieht der Senat hierfür keinen Anlass. Anhaltspunkte, die den Ansatz
des gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrages unbillig und daher eine abweichende Festsetzung notwendig erscheinen lassen könnten,
sind weder ersichtlich noch von den Beteiligten vorgetragen. Ebenso wenig hatte der Senat schließlich Veranlassung, von der
in §
198 Abs.
4 Satz 3
GVG vorgesehenen Möglichkeit, in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung die Unangemessenheit der Verfahrensdauer auszusprechen,
Gebrauch zu machen.
VIII. Der Anspruch auf die von dem Kläger geltend gemachten Zinsen ab Eingang der Entschädigungsklage bei Gericht ergibt sich
schließlich aus einer entsprechenden Anwendung der §§
288 Abs.
1,
291 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB). Es ist nicht ersichtlich, dass diesem Anspruch sozialrechtliche Besonderheiten entgegenstehen könnten (so auch Hessisches
LSG, Urteil vom 06.02.2013 - L 6 SF 6/12 EK U - zitiert nach juris, Rn. 83). Bzgl. des Beginns der Zinszahlungspflicht hat der Senat auf die erfolgte Übersendung
der Klageschrift an den Beklagten nach Eingang des Gerichtskostenvorschusses abgestellt.
IX. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
155 Abs.
1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §§
708 Nr.
11,
709 Satz 1
ZPO war im Hinblick auf die Regelungen der §§
202,
198 Abs.
1 SGG nicht auszusprechen.
Die Revision war nach §§
160 Abs.
2 Nr.
1,
202 Satz 2
SGG,
201 Abs.
2 Satz 3
GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG.