Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten; maßgeblicher
Zeitpunkt
Gründe:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. März 2011, mit dem dieses die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe für die auf die Gewährung von Mutterschaftsgeld gerichtet Klage abgelehnt hat, ist gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
127 Abs.
2 Satz 2
Zivilprozessordnung (
ZPO) sowie §§
172 und
173 SGG zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten
für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin. Ihre Rechtsverfolgung bietet eine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der
ZPO entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der
Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn
die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
114 ZPO). Dabei hat das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung
des Streitstoffes zu beurteilen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) soll die Prüfung
der Erfolgsaussicht im Rahmen des §
114 ZPO nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe
vorzuverlagern. Dieses darf nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den
Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz fordert, nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen soll (BVerfG,
Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, zitiert nach juris, sowie BVerfGE 81, 347,357). Im Hinblick auf die fehlende Aussicht einer Klage auf Erfolg darf Prozesskostenhilfe nur verweigert werden, wenn die
Klage (bei summarischer Prüfung) völlig aussichtslos ist oder ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen,
die Erfolgschance aber nur eine Entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2005, 1 BvR 175/05; LSG Berlin-Brandenburg, 1. Senat, Beschluss vom 10. März 2006, L 1 B 1150/05 KR PKH, jeweils zitiert nach juris).
Steht eine höchstrichterliche Klärung von im Hauptsacheverfahren noch entscheidungserheblichen Fragen aus oder kommt eine
Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme
mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider,
dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (BVerfG, Kammerbeschluss
vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, zitiert nach juris). Dasselbe gilt auch dann, wenn dem Rechtsstreit - wie hier - eine schwierige und komplexe Rechtslage
zu Grunde liegt, bei der Rechtsfragen aus verschiedenen Büchern des Sozialgesetzbuches (im vorliegenden Fall aus fortgeltenden
Bestimmungen der
RVO, des Sozialgesetzbuchs/Fünftes Buch [SGB V] und des Sozialgesetzbuchs/Drittes Buch [SGB III]) zu klären sind oder der geltend
gemachte Anspruch von der Entscheidung über eine Vorfrage abhängig ist, über die ein anderes Gericht zu entscheiden hat, was
hier ebenfalls der Fall ist (hier die Abhängigkeit des geltend gemachten Anspruchs auf Mutterschaftsgeld von einem Anspruch
auf Arbeitslosengeld I). Denn das über das Prozesskostenhilfegesuch entscheidende Gericht kann nicht sicher sein, dass das
andere über die vorgreifliche Rechtsfrage entscheidende Gericht seine Rechtsauffassung teilen wird, an die - ggf. durch entsprechende
Beiladung - die Beteiligten des von ihm zu entscheidenden Rechtsstreits gebunden sein können. Nicht einmal wenn die Entscheidung
über die vorgreifliche Rechtsfrage höchstrichterlich eindeutig geklärt sein sollte, kann es vom Nichtbestehen eines für seinen
Rechtstreit vorgreiflichen Anspruchs ausgehen, weil es auch in solchen Fällen u.U. zu einer für den Kläger günstigen vergleichsweisen
Beilegung des vorgreiflichen Rechtsstreits kommen kann.
Im vorliegenden Fall hätte das Sozialgericht daher nicht davon ausgehen dürfen, dass im vorgreiflichen Rechtsstreit S 80 AL 4405/09 die Klage in zulässiger Weise auf einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I für die Zeit ab dem 28. Oktober 2009 beschränkt wurde,
nachdem zunächst ein Anspruch ab dem 1. Oktober 2009 eingeklagt worden war. Vielmehr ist allein die 80. Kammer des Sozialgerichts
Berlin befugt, hierüber zu entscheiden. Das Sozialgericht hat deswegen zunächst - durchaus zu Recht - erwogen, den Rechtsstreit
bis zur Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Arbeitslosengeld I auszusetzen. In einem solchen
Fall erscheint die Klage jedoch nicht mehr als völlig aussichtslos oder ein Erfolg in der Hauptsache als fernliegend. Denn
entgegen der vom Sozialgericht in seinem Hinweisschreiben an die Klägerseite vom 8. Dezember 2010 vertretenen Rechtsauffassung
führt gerade der Umstand, dass die Erfolgsaussichten einer Klage wegen eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens über eine
vorgreifliche Frage derzeit nicht abschließend beurteilt werden können, nicht zum Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht.
Darüber hinaus ist es grundsätzlich bedenklich, wenn ein Sozialgericht der Prüfung der Erfolgsaussichten Tatsachen zugrunde
legt (hier: eine eventuelle teilweise Klagerücknahme im Rechtsstreit S 80 AL 4405/09), die ihm nur aufgrund seiner eigenen Ermittlungen von Amts wegen (hier: Beiziehung der Gerichtsakte S 80 AL 4405/09) bekannt werden, nachdem bereits Entscheidungsreife hinsichtlich des Antrags auf Prozesskostenhilfe vorliegt. Denn eine Betrachtung
im Nachhinein ist generell unzulässig (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2005, 1 BvR 175/05). Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist vielmehr der Zeitpunkt, zu dem der um Prozesskostenhilfe Ersuchende
alle von Gesetzes wegen erforderlichen Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht hat (sog.
Entscheidungsreife), im vorliegenden Fall somit der Tag, an dem der Nachweis über den laufenden Bezug von Arbeitslosengeld
II beim Sozialgericht einging.
Wird der unbemittelten Klägerin in einem solchen Fall Prozesskostenhilfe versagt und dadurch im Gegensatz zu einer bemittelten
Beteiligten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere
Instanz zu bringen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 4. Februar 2004, 2 BvR 626/06, BvR 656/06, zitiert nach juris), liegt darin eine Verletzung von Art.
3 Abs.
1 und 19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG). Dem ist durch eine weite Auslegung des §
114 Satz 1
ZPO in dem oben dargelegten Sinne Rechnung zu tragen.
Da die Klägerin ausweislich ihrer Angaben über keinerlei Vermögenswerte verfügt und zum maßgeblichen Zeitpunkt Arbeitslosengeld
II bezog, musste ihr Prozesskostenhilfe ab diesem Tag bewilligt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
73 a SGG in Verbindung mit §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177).