Leistungen SGB II
Nichteinhalten der Widerspruchsfrist
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von Januar bis Juli 2011.
Der 1947 geborene Kläger beantragte am 31.01.2011 beim Beklagten Leistungen nach dem SGB II.
Am 10.05.2011 ging ein vom Kläger nicht unterschriebenes Antragsformular auf Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten ein. Ein Bescheid erging daraufhin nicht.
Am 26.08.2011 stellte der Kläger erneut einen Leistungsantrag, woraufhin der Beklagte mit Bescheid vom 22.09.2011 vorläufig
Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.08.2011 bis zum 31.01.2012 in Höhe von monatlich 628,33 EUR bewilligte.
Gegen den Bescheid vom 22.09.2011 legte der Kläger am 26.10.2011 Widerspruch ein. Er führte aus, sein Einspruch richte sich
gegen die Gewährung der Leistungen erst ab dem 01.08.2011. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
01.03.2012 als unbegründet zurück. Über den erstmaligen Antrag vom 31.01.2011 sei bereits mit Bescheid vom 01.03.2011 bestandskräftig
entschieden worden. Daher könne im Widerspruchsverfahren über die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.07.2011 keine Entscheidung
getroffen werden. Aufgrund des nochmaligen Antrags seien dem Kläger ab Anfang August 2011 Leistungen bewilligt worden.
Am 30.03.2012 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Köln (SG) erhoben. Er habe Anspruch auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II für die Zeit von Januar bis Juli 2011. Einen Bescheid
vom 01.03.2011 habe er nicht erhalten.
Mit Bescheid vom 03.10.2012 hat der Beklagte nach Auswertung der Einkommensverhältnisse des Klägers eine Überprüfung des Leistungszeitraums
von Januar 2011 bis Juli 2011 vorgenommen und entschieden, dass ein Leistungsanspruch in diesem Zeitraum nicht gegeben sei.
Diesen Bescheid hat der Beklagte mit Schreiben vom 03.12.2012 dem SG übersandt, das die Schriftstücke an den Kläger weitergeleitet hat. Mit Schreiben vom 11.01.2013 an das Gericht, das am selben
Tag dort eingegangen ist, hat der Kläger erklärt, er sei seit Mitte Dezember 2012 bis einschließlich Ende der Woche krankgeschrieben.
Für den Fall der Verfristung beantrage er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zum Schreiben des Jobcenters von Frau S vom
03.10.2012 (samt dem Schreiben von Herrn H vom 03.10.2012), das ihm vom Sozialgericht mit Datum 06.12.2012 per Post übersandt
worden sei (Poststempel 06.12.2012, Einwurf am 08.12.2012) werde er unbedingt Stellung nehmen. Mit Schreiben vom 10.02.2013
hat der Kläger den Bescheid vom 03.10.2012 "beanstandet".
Der Kläger hat beantragt,
dass mit Rücksichtnahme auf alle relevanten Fakten dieses Falles
1.)
der Bescheid vom 22.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2012 dergestalt geändert wird, dass der Beklagte
verpflichtet wird, Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit von einschließlich Januar bis Juli 2011 zu zahlen,
2.)
den Bescheid vom 03.10.2012 aufzuheben und Leistungen nach dem SGB II in vorgenannter Höhe basierend auf dieser Aufhebung für die Zeit von Januar bis Juli 2011 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 08.07.2015 hat das SG nach 75-minütiger mündlicher Verhandlung die gegen die Bescheide vom 22.09.2011 und 03.10.2012 gerichtete Klage abgewiesen
und zur Begründung ausgeführt:
Die Klage gegen den Bescheid vom 22.09.2011 sei unzulässig, da dieser keine Regelung über den Leistungszeitraum Januar bis
Juli 2011 enthalte. Der Beklagte habe nur über Leistungen ab dem 01.08.2011 entschieden, darin sei keine Ablehnung der Leistungen
für einen zeitlich davor liegenden Zeitraum enthalten.
Die Klage gegen den Bescheid vom 03.10.2012 sei ebenfalls unzulässig. Der Beklagte habe hier zwar über den Leistungsanspruch
für die Zeit vom 01.01. bis 31.07.2011 entschieden. Bevor zulässigerweise Klage erhoben werden könne, müsse jedoch das Widerspruchsverfahren
durchgeführt werden; daran fehle es hier. Der Bescheid vom 03.10.2012 sei nicht gemäß §
96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Auch liege kein Fall vor, in dem ausnahmsweise auf die Durchführung des vorgeschriebenen
Vorverfahrens verzichtet werden könne. Dessen Durchführung erscheine, da der Beklagte sich im Klageverfahren inhaltlich nicht
mit dem erhobenen Anspruch auseinandergesetzt habe, keineswegs zwecklos.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2015 hat der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 03.10.2012 als
unzulässig verworfen, da der Kläger die einmonatige Widerspruchsfrist nicht eingehalten habe. Der Bescheid sei dem Kläger
über das Sozialgericht bekanntgegeben worden; er habe ihn am 08.12.2012 erhalten. Die Widerspruchsfrist habe daher am 10.01.2013
geendet. Erst nach Ablauf dieser Frist, nämlich am 11.01.2013, sei der Widerspruch beim Sozialgericht Köln eingegangen.
Am 07.09.2015 hat der Kläger gegen das ihm am 08.08.2015 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Hinsichtlich des Widerspruchs
gegen den Bescheid vom 03.10.2012 beantragt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Während der Widerspruchsfrist sei er
arbeitsunfähig und daher gehindert gewesen, die Widerspruchsfrist einzuhalten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.07.2015 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 22.09.2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2012 und des Bescheides 03.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23.07.2015 zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.06.2011 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Sach- und
Rechtslage weist keine besonderen Schwierigkeiten auf, der Sachverhalt ist geklärt. In der mündlichen Verhandlung vor dem
Sozialgericht hatte der Kläger die Gelegenheit, sich zu äußern, zu der Verfahrensweise, über die Berufung durch Beschluss
zu entscheiden, sind die Beteiligten gehört worden (§
153 Abs.
4 SGG).
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klage gegen den Bescheid vom 22.09.2011, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 01.03.2012, ist unzulässig. Denn er
enthält keine den Kläger belastende Regelung (Ablehnung) über den von ihm verfolgten Anspruch auf Leistungen für die Zeit
von Januar bis Juli 2011, die das Gericht hätte auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen können. Auf die zutreffenden Ausführungen
des SG in den Entscheidungsgründen, die sich der Senat zu eigen macht, wird verwiesen.
Die Klage gegen den Bescheid vom 03.10.2012 ist nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2015 nicht (mehr) unzulässig,
aber unbegründet. Der Beklagte hat den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 03.10.2012 zu Recht als unzulässig verworfen.
Der Kläger hat die Widerspruchsfrist gemäß §
84 Abs.
1 S. 1
SGG nicht eingehalten (zur Zulässigkeit der Klage trotz Versäumens der Widerspruchsfrist vgl. BSG SozR 2200 § 1422 Nr 1). Nach seinen eigenen Angaben hat er den Bescheid, der vom Beklagten an das Gericht auch zur Weiterleitung an den Kläger
übersandt wurde, am 08.12.2012 erhalten, spätestens an diesem Tage ist ihm der Bescheid bekannt gegeben worden. Die Widerspruchsfrist
endet damit am Dienstag, den 08.01.2013. Beanstandet hat der Kläger den Bescheid erst mit Schreiben 10.02.2013. Mit dem am
11.01.2013 eingegangen Schreiben vom 08.01.2013 hat er eine Stellungnahme zu dem Bescheid lediglich angekündigt. Selbst wenn
man hierin bereits den Widerspruch sehen wollte, wäre dieser am 11.01.2013 und damit außerhalb der Widerspruchsfrist eingegangen.
Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Widerspruchsfrist einzuhalten (§
67 SGG). Eine derartige Verhinderung hat der Kläger weder vorgetragen noch nachgewiesen. Die eingereichte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
(Erstbescheinigung vom 09.01.2013) belegt nicht einmal eine Arbeitsunfähigkeit vom 18.12.2012 bis zum 09.01.2013. Ungeachtet
des Umstandes, dass die rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auf diesem Wege schon formal unzulässig sein dürfte,
ist es auch inhaltlich nicht nachvollziehbar, wie der Arzt das Vorliegen einer durch eine Infektion der oberen Atemwege und
sonstige Aortenklappenkrankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von drei Wochen rückwirkend bescheinigen konnte.
Selbst wenn aber im gesamten von der Bescheinigung umfassten Zeitraum Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat, lässt dies keine
Schlussfolgerungen darauf zu, dass auch das Abfassen eines fristwahrenden Widerspruchsschreibens für den Kläger unmöglich
gewesen sein soll, dies um so weniger, als er sein Schreiben vom 10.01.2013 ebenfalls im Zeitraum der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit
abgefasst und per Fax an das SG gesandt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass die Revision zuzulassen besteht nicht.