Sozialhilferecht: Einkommensermittlung eines minderjährigen Kindes - Einsatzgemeinschaft
Gründe:
I.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, daß er Anspruch auf ergänzende
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt sowie auf die begehrte Bekleidungspauschale hat. Insoweit ist auch der für den Erlaß einer
einstweiligen Anordnung notwendige Anordnungsgrund gegeben.
1. Aufgrund des Entwurfs einer Strafanzeige der Mutter des Antragstellers gegen seinen Vater wegen Verletzung der Unterhaltspflicht
ist nunmehr glaubhaft gemacht, daß der Vater der Unterhaltspflicht seit März 1994 nicht mehr nachgekommen und derzeit nicht
zu erreichen ist. Der Unterhaltsanspruch gegen ihn ist mithin nicht durchsetzbar und zählt nicht zu den zur Abwendung des
Sozialhilfebezuges einsetzbaren bereiten Mitteln (§ 11 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 BSHG).
2. Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob, wie das Verwaltungsgericht und die Antragsgegnerin angenommen haben, die Haushalts-
und Wirtschaftsgemeinschaft der Mutter des Antragstellers mit Herrn als eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 122 BSHG anzusehen ist (zu den Voraussetzungen hierfür vgl. BVerwG U.v. 17.5.1995, NJW 1995 S. 2802 f; OVG Hamburg, Beschluß v. 16.1.1995 - OVG Bs IV 249/94 -). Denn auch wenn diese Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft "eheähnlich", d.h. auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere
Lebensgemeinschaft gleicher Art zuläßt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner
füreinander begründen, und mithin im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ausgelegt ist (vgl. BVerfG, Urt.
v. 17.11. 1992, BVerfGE Bd. 87 S. 234, 264 f. zu § 137 Abs. 2 a AFG), ist der sozialhilferechtliche Bedarf des Antragstellers nicht vollständig gedeckt.
a) Es ist hinreichend glaubhaft gemacht, daß die Voraussetzungen des § 16 Satz 2 BSHG vorliegen, so daß nicht vermutet werden kann, daß der Antragsteller Leistungen zum Lebensunterhalt von Herr gem. § 122 Satz 2 BSHG in entsprechender Anwendung des § 16 Satz 1 BSHG tatsächlich erhält. Denn Herr hat gegenüber der Antragsgegnerin hinreichend deutlich erklärt, daß er es ablehne, sich von
der Antragsgegnerin für den Antragsteller "zum Unterhalt verpflichten zu lassen". Dem ist zu entnehmen, daß er nicht bereit
ist, den Lebensbedarf des Antragstellers im Rahmen der Gemeinschaft unter Einsatz seines Einkommens mitzudecken. Dies erscheint
plausibel, zumal die Mutter des Antragstellers durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, daß Herr bei einem
monatlichen Nettoeinkommen von ca. 2.400,-- DM wegen eigener Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinem im Haushalt lebenden
Sohn und einer nichtehelichen Tochter in Höhe von 318,-- DM monatlich sowie Schuldentilgung, die mit monatlich 1000 DM angegeben
wird, dem Antragsteller gegenüber auch tatsächlich keine Leistungen zu erbringen in der Lage ist.
b) Das gemäß § 11 Abs. 1 BSHG zu berücksichtigende Einkommen seiner Mutter reicht nicht aus, um den Bedarf des Antragstellers an Lebensunterhalt zu decken.
Die Mutter erhält Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 278,40 DM (monatlich 1206,40 DM) und hat einen Anspruch auf monatlich
200,- DM Kindergeld (§
66 Abs.
1 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995 /BGBl. I S. 1250/). Diesen Einkünften von monatlich 1406,40
DM steht ihr eigener sozialhilferechtlicher Bedarf für die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt von zumindest 720,42 DM gegenüber.
Darin enthalten sind neben dem - hier unterstellten - monatlichen Regelsatz für Haushaltsangehörige in Höhe von 421,- DM die
anteiligen (1/4) Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 235,92 DM und die auf den monatlichen Bedarf umgerechnete Bekleidungspauschale
(vgl. Nr. 3.2 der fachlichen Weisung SR 10/91) in Höhe von 63,50 DM.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts erhöht sich das gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz BSHG beim Antragsteller zu berücksichtigende Einkommen der Mutter auch dann nicht, wenn sie mit Herrn eine eheähnliche Gemeinschaft
bilden sollte und damit beide gem. § 122 BSHG nicht besser gestellt werden dürften als Ehegatten, mithin gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG wie eine Einsatzgemeinschaft von Ehegatten behandelt werden müßten. Beide Erwachsene verfügen über eigenes Einkommen, das
einen Sozialhilfebezug ausschließt. Der Antragsteller ist mit Herrn nicht verwandt, bildet mit ihm daher keine Einsatzgemeinschaft
im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz BSHG. Eine Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 BSHG käme mithin nur in Betracht, wenn § 11 Abs. 1 BSHG dahin auszulegen wäre, daß eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG mit der Folge der Berücksichtigung des Einkommens aller Mitglieder auch dann anzunehmen wäre, wenn mehrere Einsatzgemeinschaften
lediglich durch jeweils ein gemeinsames Mitglied miteinander verknüpft sind und nicht alle Mitglieder jeweils zueinander die
gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen (Einsatzgemeinschaftenkette). Für eine derartige Auslegung ist keine Raum. Denn § 11 Abs. 1 BSHG stellt mit der Berücksichtigung fremden Einkommens ohnehin eine Ausnahme von dem Prinzip der individuellen Bedarfs- und Einkommensberechnung
dar. Eine solche Ausnahme findet ihre Rechtfertigung in der Anknüpfung an die zivilrechtlichen Einstandspflichten der Kernfamilie,
nämlich zwischen nicht getrennt lebenden Ehegatten sowie in einem Haushalt lebenden Eltern und minderjährigen Kindern. Eine
Ausweitung - sie findet sich etwa in § 122 BSHG mit Rücksicht auf Art.
6 Abs.
1 GG - bedarf der ausdrücklichen Regelung, da damit Leistungspflichten statuiert würden, die über die zivilrechtlichen Verpflichtungen
weit hinausgehen. Eine derartige ausdrückliche Regelung enthält § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG nicht. Da Herr gegenüber dem Antragsteller zivilrechtlich nicht zu Unterhaltsleistungen verpflichtet ist, bedürfte seine
sozialhilferechtliche Heranziehung zu Leistungen für ihn einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. Daran fehlt es. Dabei
kann es keinen Unterschied machen, ob seine Heranziehung direkt oder nur mittelbar dadurch erfolgt, daß er - hierzu führt
die Ansicht der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts nämlich - der Mutter des Antragstellers entsprechende Mittel zukommen
lassen muß.
Verbleiben mithin von dem danach allein zu berücksichtigenden Einkommen der Mutter 685,98 DM für den Unterhalt des Antragstellers,
kann daraus sein Bedarf an Aufwendungen für den laufenden Lebensunterhalt und für Bekleidung nicht vollständig gedeckt werden,
denn sein laufender Bedarf (Regelsatz zuzügliche seiner anteiligen (1/4) Kosten der Unterkunft) beträgt 708,92 DM. Darüber
hinaus besteht auch gegenwärtig ein Anspruch auf Gewährung der Bekleidungspauschale. Auch wenn Nr. 3.1 der Weisung 10/91 bei
erstmaliger Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt eine Wartezeit von 3 Monaten vorsieht, ist dem Sinn der Regelung, zunächst
Vorhandenes aufzubrauchen, hier genüge getan, da der Antragsgegnerin der Hilfebedarf des Antragstellers bereits mit Schreiben
vom 20. September 1995 bekannt gemacht worden ist. Daß der Bedarf nicht zwischenzeitlich anderweitig gedeckt worden ist, entnimmt
das Beschwerdegericht der Verfolgung des Begehrens mit der Beschwerde.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
154 Abs.
2,
188 Satz 2
VwGO.