Sozialhilferecht: Nach den Umständen unabweisbar gebotenen Hilfe i.S. von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG
Gründe:
Die Beschwerde hat in dem in der Beschlußformel genannten Umfang Erfolg.
Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß der Antragsteller unter die Regelung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG fällt, da er sich außerhalb des Landes Mecklenburg-Vorpommern aufhält, in dem ihm eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis
erteilt worden ist. Er kann daher (grundsätzlich) von der Antragsgegnerin nur "die nach den Umständen unabweisbar gebotene
Hilfe" verlangen. Der Senat läßt offen, ob sich weitergehende Ansprüche des Antragstellers insbesondere auf Übernahme der
Unterkunftskosten aus der von der Antragsgegnerin erteilten Bestätigung vom 30. Juni 1995 über die Übernahme der Hälfte der
Gesamtmiete (Bescheinigung zur Vorlage beim Vermieter, der den Abschluß des Mietvertrages von der entsprechenden Zusage der
Antragsgegnerin abhängig gemacht hatte) ergeben. Offen bleiben kann insbesondere, ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts
zu folgen ist, daß diese Bescheinigung als Zusicherung im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB X, daß die Antragsgegnerin bei fortbestehender Bedürftigkeit des Antragstellers jedenfalls die laufenden Unterkunftskosten
auf Dauer übernehmen wird, anzusehen ist. Denn ein entsprechender Leistungsanspruch des Antragstellers ergibt sich für die
Zeit bis Ende Februar 1996 unmittelbar aus § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG. Zu der "nach den Umständen unabweisbar gebotenen Hilfe" gehört hier nämlich, dem Antragsteller eine angemessene Frist einzuräumen,
damit er sich eine angemessene Unterkunft in Mecklenburg-Vorpommern suchen kann. Die Einräumung einer solchen Frist ist hier
deshalb "unabweisbar geboten", weil der Antragsteller dort eine Wohnung nicht hat und noch nie hatte - er hat dort nach eigenen
Angaben in einem Wohnheim gewohnt - und weil die Antragsgegnerin durch die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich
der Leistungen für die Unterkunft für die Zeit bis Ende Juli 1995 und insbesondere durch die Ausstellung der Bescheinigung
für den Vermieter selbst dazu beigetragen hat, daß sich der Antragsteller auf einen Aufenthalt in ihrem Bereich eingerichtet
und den Mietvertrag für die Wohnung überhaupt erst abgeschlossen hat. Bei der Bemessung der Frist orientiert sich der Senat
an seiner Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO (u. a. Urt. v. 28. Sept. 1994 - 4 L 5583/93 -, info also 1995, S. 166), wonach einem Hilfeempfänger, der eine sozialhilferechtlich unangemessen teure Wohnung innehat, für die Suche nach einer
billigeren Unterkunft in der Regel eine Frist von sechs Monaten einzuräumen ist. Für die Suche nach einer Wohnung in einem
anderen Bundesland, in das der hilfebedürftige Ausländer dem Anliegen des § 120 Abs. 5 BSHG entsprechend zurückkehren soll, gilt nichts anderes. Der Senat läßt die Frist erst mit Zugang dieses unanfechtbaren Beschlusses
anlaufen, da erst dadurch der Streit, ob der Antragsteller darauf verwiesen werden darf, Sozialhilfe in Mecklenburg-Vorpommern
in Anspruch zu nehmen, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschließend geklärt ist. Er begrenzt die Frist allerdings
auf die Zeit bis zum 29. Februar 1996. Denn der Antragsteller hat in seinem Schreiben vom 9. August 1995 an das Verwaltungsgericht
Hannover (Bl. 17 der Akte) erklärt, daß er voraussichtlich nach einem sechs Monate dauernden Sprachkurs (September 1995 bis
einschließlich Februar 1996) einen Vollzeitarbeitsvertrag bekommen werde. Es ist deshalb zu erwarten, daß er ab März 1996
auf Leistungen der Sozialhilfe nicht mehr angewiesen sein wird. Sollte sich diese Erwartung nicht erfüllen, könnte die Frist
zunächst auf die regelmäßige Dauer von sechs Monaten verlängert werden. Eine weitere Verlängerung kommt dann nur noch in Betracht,
wenn der Antragsteller nachweist, daß er sich intensiv, aber vergeblich um eine Wohnung in Mecklenburg-Vorpommern bemüht hat.
Andererseits kann die Antragsgegnerin bei dem Verwaltungsgericht eine Änderung dieses Beschlusses und eine Verkürzung der
Frist beantragen, wenn es ihr - im Zusammenwirken mit einem Sozialhilfeträger in Mecklenburg-Vorpommern - gelingt, dem Antragsteller
eine angemessene Wohnung zu vermitteln.
Aus dem Gesagten folgt, daß der Antragsteller Anspruch darauf, von der Antragsgegnerin Hilfe zum Lebensunterhalt auf unbestimmte
Dauer zu erhalten, nicht hat. Zu Unrecht beruft er sich zur Begründung eines solchen Anspruchs auf Art. 23 der Genfer Konvention
- GK -. In dem Beschluß vom 3. November 1995 - 4 M 6573/95 - hat der Senat dazu ausgeführt:
"Danach (nach Art. 23 GK) sind die vertragschließenden Staaten verpflichtet, den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem
Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie
ihren eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Zu dieser Verpflichtung dürfte § 120 Abs. 5 BSHG schon deshalb nicht in Widerspruch stehen, weil er nicht den Umfang der einem Ausländer zustehenden Sozialhilfeleistungen
beschränkt, sondern diesen lediglich an einen bestimmten Sozialhilfeträger verweist und damit allenfalls faktisch seine Freizügigkeit
einschränkt. Diese Beschränkung widerspricht aber nicht dem Sinn und Zweck des Art. 23 GK. Denn auch Inländer können im Einzelfall
bei eingetretener bzw. unmittelbar bevorstehender Hilfebedürftigkeit nach dem Selbsthilfegebot aus § 2 Abs. 1 BSHG gehalten sein, einen bestimmten Wohnsitz nicht aufzugeben bzw. wieder aufzusuchen, an dem sie entweder den notwendigen Lebensunterhalt
für sich und gegebenenfalls ihre Angehörigen selbst beschaffen können oder zumindest eine Wohnung haben. Zum anderen ist nicht
ersichtlich, daß Art. 23 GK auch innerstaatliche Maßnahmen unterbinden sollte, die einer gleichmäßigen Verteilung einer unter
Umständen großen Zahl von Flüchtlingen innerhalb eines Aufnahmelandes und zugleich einer Verteilung der damit verbundenen
finanziellen Belastungen durch Fürsorgeleistungen auf alle Regionen des Landes dienen sollen (ebenso OVG Hamburg, Beschluß
v. 30. März 1994 - Bf IV 56/94 -, FEVS Bd. 45 S. 209, 211 f.)."
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§
155 Abs.
1 Satz 1,
188 Satz 2
VwGO.
Nach §
166 VwGO in Verbindung mit den §§
114,
119 Satz 2,
121 Abs.
2 ZPO ist dem Antragsteller für das Beschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und sein Verfahrensbevollmächtigter beizuordnen.