Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Hilfebedürftigkeit bei Unterstützung durch Angehörigen in einer Haushaltsgemeinschaft
Gründe:
I
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld II (Alg II).
Die 1954 geborene Klägerin wohnt mit ihrer 1920 geborenen Mutter in einem im Eigentum der Mutter stehenden Haus und pflegt
sie. Die Mutter bezieht eine Rente in Höhe von 1300 Euro monatlich. Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch werden
nicht gewährt. Die Klägerin beteiligt sich an den Kosten für den Unterhalt des Hauses nicht; insbesondere zahlt sie keine
Miete.
Die Klägerin ist zusammen mit ihrem Lebensgefährten Miteigentümerin eines (nicht mit Verbindlichkeiten belasteten) Grundstücks
mit einer Fläche von 972 qm, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Der Lebensgefährte bewohnt das Haus allein. Den Verkehrswert
des Hausgrundstücks hat die Klägerin mit 193 700 Euro angegeben; es sei jedoch eine Wertminderung eingetreten, weil nach 29
Jahren Renovierungsbedarf bestehe. Daneben verfügte die Klägerin im hier streitigen Zeitraum über drei Lebensversicherungen.
Nachdem ein zum 1.1.2005 gestellter Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Erfolg geblieben war, beantragte
die Klägerin am 23.3.2005 bei der Beklagten erneut Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und machte geltend,
ihr Vermögen sei unter den Freibetrag gesunken. Sie habe eine Lebensversicherung in Höhe von 3385 Euro aufgelöst, hiervon
1498 Euro für dringende Instandhaltungsarbeiten an ihrem eigenen Haus eingesetzt und den Rest für ihren Lebensunterhalt verbraucht.
Antrag und Widerspruch blieben ohne Erfolg (Bescheid der Agentur für Arbeit Balingen vom 28.4.2005; Widerspruchsbescheid der
Beklagten vom 13.7.2005). Die Klägerin verfüge über verwertbares Vermögen in Höhe von 105 477,05 Euro, das den Freibetrag
von 10 750 Euro übersteige. Dabei seien Lebensversicherungen in Höhe von 8627,37 Euro sowie der Miteigentumsanteil mit einem
Wert von 96 849,68 Euro zu berücksichtigen.
Das Sozialgericht (SG) Reutlingen hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 19.10.2007). Die hiergegen gerichtete Berufung
hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 13.3.2008 zurückgewiesen. Die Klägerin sei gemäß § 9 Abs
1 Halbs 2 SGB II nicht hilfebedürftig, weil sie die erforderliche Hilfe von ihrer Mutter, mit der sie nicht in Bedarfsgemeinschaft
lebe, tatsächlich erhalte. Die Verwendung der Rente ihrer Mutter zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sowie das in Anspruch
genommene kostenfreie Wohnen stellten zwar kein Einkommen der Klägerin im Sinne des § 9 Abs 1 Halbs 1 SGB II dar. § 9 Abs
1 SGB II enthalte in Halbs 2 aber einen eigenständigen und unmittelbaren Subsidiaritätsgrundsatz, wie er auch in § 2 Abs 1
des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) normiert sei. Die Hilfeleistung anderer sei insoweit von eigenem Einkommen
zu trennen. Diese anderweitige Bedarfsdeckung schließe im Sozialhilferecht Leistungen auf Grund des Nachranggrundsatzes in
§ 2 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) aus (Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], BVerwGE 108, 36 und BVerwGE 122, 317). Dies gelte weiterhin, denn der mit der Einführung des SGB II und SGB XII vorgenommene Systemwechsel berühre die grundsätzliche
Subsidiarität des den gesamten Lebensunterhalt sichernden materiellen Sozialhilferechts nicht. Vorliegend habe die Klägerin
tatsächlich Zuwendungen von ihrer Mutter erhalten und erhalte diese weiterhin, die den gesamten Bedarf deckten. Sie wohne
mietfrei im Haus der Mutter und habe selbst eingeräumt, seit April 2005 ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen der Mutter
zu decken. Die Mutter sei auch tatsächlich in der Lage, den Lebensunterhalt der Klägerin zu decken, ohne ihren eigenen notwendigen
Lebensunterhalt zu gefährden. Es ergebe sich ein grundsicherungsrechtlicher Gesamtbedarf in Höhe von 945,61 Euro (Regelsatz
der Mutter nach dem SGB XII zuzüglich eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs 1 SGB XII in Höhe von insgesamt 406 Euro, Regelbedarf
der Klägerin in Höhe von 347 Euro, Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 192,65 Euro ausgehend von den für
das Jahr 2004 angegebenen Kosten), der das Einkommen der Mutter in Höhe von 1300 Euro nicht übersteige. Dieses Ergebnis widerspreche
nicht den Kriterien, die im Rahmen des § 9 Abs 5 SGB II anzuwenden seien. § 9 Abs 5 SGB II regele nicht die Fälle, in denen
der Verwandte tatsächlich Leistungen erbringe, auch wenn dies von ihm - typisiert - nicht erwartet werden könne. Daher komme
es vorliegend auf das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft nicht an. Die Klägerin habe schließlich nicht vorgetragen, die
Sicherung ihres Lebensunterhalts aus dem Einkommen ihrer Mutter stelle nur eine vorschussweise Überbrückung bis zur Leistungsgewährung
durch die Beklagte dar. Angesichts der Höhe der Rente und der Pflegeleistungen der Klägerin dränge sich dies auch nicht auf.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie hält die Berücksichtigung von Leistungen ihrer Mutter nach § 9 Abs 1
SGB II für nicht zulässig. Die Auffassung des LSG verletze insbesondere § 9 Abs 1 und § 9 Abs 5 iVm § 1 Abs 2 Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V), wonach das Einkommen der Mutter im dort genannten Umfang nicht anrechnungsfähig sei.
Nach der Auffassung des LSG sei sie ferner von der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung
ausgeschlossen, die aber ebenso wie die Bedarfsdeckung im Übrigen zur notwendigen Daseinsvorsorge gehöre. Aus der Tatsache,
dass die Mutter die von der Beklagten geschuldete Leistung erbringe, könne ferner nicht geschlossen werden, dass die Leistungspflicht
der Beklagten hinfällig sei. Insoweit würden ihr in Konsequenz der Auffassung des LSG notwendige Leistungen zur Existenzsicherung
vorenthalten und insoweit Art
2 Grundgesetz (
GG) verletzt. Es widerspreche schließlich jeder Lebenserfahrung, dass für den Nachweis einer nur übergangsweisen Unterstützung
durch Verwandte eine ausdrücklich abgeschlossene Darlehensvereinbarung Voraussetzung sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.3.2008 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen
vom 19.10.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.4.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.7.2005 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 23.3.2005 bis zum 21.6.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das LSG
begründet, §
170 Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden, ob und ggf welches zu berücksichtigende
Einkommen oder Vermögen der Klägerin zur Abwendung ihrer Hilfebedürftigkeit zur Verfügung stand.
1. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren sind noch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 23.3.2005
bis zum 21.6.2005. Die Klägerin hat auf Hinweis des Senats ihren Antrag im Revisionsverfahren entsprechend begrenzt, nachdem
sich die Beteiligten wegen der Folgezeiträume, über die die Beklagte auf einen Antrag vom 22.6.2005 hin mit einem weiteren
Bescheid entschieden hatte, im Wege eines so genannten Überprüfungsvergleichs geeinigt hatten.
2. Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben (Nr 1), die erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der
Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4).
Nach § 7 Abs 1 Nr 3, § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften
und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr 1) oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und
Vermögen (Nr 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern
anderer Sozialleistungen erhält. Die Klägerin bildete hier gemäß § 7 Abs 3 Nr 1 SGB II allein für ihre Person "eine Bedarfsgemeinschaft".
Eine Bedarfsgemeinschaft zwischen über fünfundzwanzigjährigen Kindern und ihren Eltern sieht das Gesetz nicht vor, weshalb
hier eine Bedarfsgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrer Mutter nicht angenommen werden kann (dazu BSGE 97, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 2, jeweils RdNr 18 f). Die Hilfebedürftigkeit der Klägerin misst sich daran, ob und inwieweit im streitigen
Zeitraum ihr Bedarf (dazu unter 3) von dem zu berücksichtigenden Einkommen (dazu unter 4) und ggf einzusetzenden Vermögen
(dazu unter 5) gedeckt wird.
3. Bei Prüfung des Anspruchs der Klägerin auf Alg II ist vorliegend der durch die Regelleistung nach § 20 Abs 2 SGB II (in
der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) für einen Alleinstehenden
ausgedrückte Bedarf in Höhe von 345 Euro zu Grunde zu legen. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats
(BSGE 101, 70 = SozR 4-4200 § 11 Nr 11) davon ausgegangen, dass im Hinblick auf die pauschalierte Regelleistung für eine individuelle Bedarfsermittlung
vor dem Hintergrund möglicherweise ersparter Aufwendungen kein Raum ist. Daneben besteht ein Bedarf für Kosten der Unterkunft
und Heizung (vgl § 22 SGB II) nach den bisherigen Feststellungen des LSG nicht, weil der Klägerin keine solchen tatsächlichen
Aufwendungen entstanden sind. Insoweit kommt nach dem Wortlaut des § 22 SGB II abweichend von § 20 SGB II nur die Berücksichtigung
tatsächlich anfallender Kosten als die Hilfebedürftigkeit begründender Bedarf in Betracht.
4. Ob und ggf in welchem Umfang dieser Bedarf der Klägerin durch Einkommen gedeckt ist, kann nicht abschließend entschieden
werden. Die Feststellung des LSG, die Klägerin habe "seit April 2005 ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen der Mutter bestritten",
trägt allein die rechtliche Schlussfolgerung nicht, sie - die Klägerin - sei wegen der vollständigen Deckung ihres Bedarfs
nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs 1 SGB II. Nur soweit die Klägerin mit ihrer Mutter in einer Haushaltsgemeinschaft
lebt, kann nach § 9 Abs 5 SGB II vermutet werden, dass ihr Unterstützungsleistungen in dem dann nach §§ 1 Abs 2, 4 Abs 2 Alg
II-V (hier in der Fassung vom 20.10.2004 [BGBl I 2622]) zu bestimmenden Umfang zufließen, ohne dass der entsprechende Zufluss
im Einzelnen nachgewiesen sein muss (dazu unter a). Darüber hinausgehend können Einnahmen nur Berücksichtigung finden, wenn
feststeht, dass und in welchen Umfang Geldleistungen der Mutter tatsächlich zugeflossen sind (dazu unter b). Das LSG wird
die noch fehlenden Ermittlungen im Hinblick auf beide Möglichkeiten nachzuholen haben (dazu unter c).
a) Lebt der Hilfebedürftige mit anderen Personen zusammen, ohne dass sie eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs 3 SGB
II bilden, bietet lediglich § 9 Abs 5 SGB II iVm § 1 Abs 2, § 4 Abs 2 Alg II-V eine Handhabe dafür, Einkommen (und ggf Vermögen)
eines Mitglieds des Haushalts bei der Prüfung des Bedarfs beim Hilfebedürftigen zu berücksichtigen, ohne dass der entsprechende
Zufluss bei ihm nachgewiesen sein muss. § 9 Abs 5 SGB II knüpft insoweit an eine bestehende Haushaltsgemeinschaft zwischen
Verwandten und Verschwägerten im Sinne des Wirtschaftens aus einem Topf die Vermutung, dass der Hilfebedürftige bei Leistungsfähigkeit
des Verwandten Leistungen in bestimmter Höhe auch erhält (im Einzelnen BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 6). Der Zufluss der Unterstützungsleistungen
wird dabei widerleglich vermutet: Besteht eine Haushaltsgemeinschaft, ist es dem Hilfebedürftigen möglich, die gesetzliche
Vermutung - er erhält Leistungen von den Verwandten oder Verschwägerten - zu widerlegen, indem er Tatsachen vorträgt, die
geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung zu begründen. Nur dann besteht Anlass, weitergehend von Amts wegen
zu ermitteln. Unterstützungen von Verwandten werden im Anwendungsbereich des § 9 Abs 5 SGB II mithin dann nicht berücksichtigt,
wenn nachgewiesen ist, dass sie trotz entsprechender Leistungsfähigkeit tatsächlich nicht erbracht werden. Der Sache nach
handelt es sich im Übrigen auch bei solchen Leistungen durch Familienangehörige um zu berücksichtigendes Einkommen des Hilfebedürftigen
iS des § 9 Abs 1 Nr 2, § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II (vgl bereits BSGE 102, 258 = SozR 4-4225 § 1 Nr 1, jeweils RdNr 18).
b) Tatsächlich gewährte Unterstützungsleistungen von Verwandten oder Verschwägerten in Geld oder Geldeswert, die über die
Leistungsfähigkeit im Sinne des § 9 Abs 5 SGB II iVm § 1 Abs 2 Alg II-V hinaus erfolgen, sind wie sonstige Zuwendungen von
Dritten nach den Grundsätzen des § 9 Abs 1 Nr 2 iVm § 11 SGB II zur Deckung der Bedarfe heranzuziehen. Entgegen der Auffassung
der Klägerin schließt § 9 Abs 5 SGB II die Berücksichtigung von weitergehenden, tatsächlich zufließenden Unterstützungsleistungen
innerhalb von Haushaltsgemeinschaften nicht von vornherein aus. § 9 Abs 5 SGB II beinhaltet lediglich die entsprechende Wertung
des Gesetzgebers, dass unter Angehörigen einer Haushaltsgemeinschaft eine gegenseitige Unterstützung erst erwartet und also
der Zufluss vermutet werden kann, wenn dem Verwandten oder Verschwägerten ein deutlich über den Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts liegendes Lebenshaltungsniveau verbleibt. Soweit Zuflüsse tatsächlich nachgewiesen sind, räumt die Vorschrift
keine über § 11 Abs 2 und 3 SGB II hinausgehende Privilegierung von Einkommen auf Seiten des Hilfebedürftigen ein.
Der Zufluss solcher Geldleistungen muss aber konkret nachgewiesen sein. Während § 9 Abs 2 SGB II innerhalb der Bedarfsgemeinschaft
eine bestimmte Verteilung des Einkommens ihrer Mitglieder unwiderleglich unterstellt (vgl etwa BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 29; BSGE 102, 76 = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 31) und § 9 Abs 5 SGB II die Anforderungen an die Ermittlungen zum Tatbestandsmerkmal
"Hilfebedürftigkeit" wegen der Vermutung von Einkommen einschränkt, treffen den Hilfebedürftigen bei der Berücksichtigung
von Einkommen in den übrigen Fällen bei der Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen Mitwirkungsobliegenheiten (vgl § 60
Sozialgesetzbuch Erstes Buch und dazu BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2). Lässt sich Hilfebedürftigkeit nicht nachweisen, geht dies zu Lasten des Antragstellers. Dies erlaubt
es aber nicht, den Zufluss von Einkommen, der der Annahme von Hilfebedürftigkeit entgegenstehen könnte, zu unterstellen (vgl
auch Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris RdNr 28).
Vorliegend hat das LSG, ausdrücklich ohne Feststellungen zu einer Haushaltsgemeinschaft iS des § 9 Abs 5 SGB II zu treffen,
den Zufluss von Einkommen der Mutter in ausreichender Höhe (lediglich) vermutet und dies damit begründet, das Einkommen der
Mutter reiche (in entsprechender Anwendung der ausschließlich für Bedarfsgemeinschaften vorgesehenen horizontalen Berechnungsmethode)
zur Deckung des Gesamtbedarfs aus. Eine solche "Vermutungsregel" widerspricht den insoweit abschließenden Grundsätzen des
§ 9 Abs 5 SGB II und ist damit unzulässig. Unerheblich ist im Hinblick auf die Ermittlung von Einkommen auch, dass die Klägerin
"keine konkreten Bedarfslagen genannt hat, die ungedeckt bleiben würden", wie das LSG meint. Der in der Regelleistung zum
Ausdruck kommende Gesamtbedarf eines Hilfebedürftigen ist pauschal bestimmt, sodass die Begründung von Ansprüchen nach dem
SGB II gerade nicht die Feststellung (und erst recht nicht den entsprechenden Vortrag des Antragstellers) voraussetzt, bestimmte
Bedarfe, die in der Regelleistung zum Ausdruck kommen (Essen, Kleidung etc), seien ungedeckt. Schließlich genügt die in den
Urteilsgründen wiedergegebene (offenbar erst nach Antragstellung gemachte) Angabe der Klägerin, "seit April 2005 ihren Lebensunterhalt
aus dem Einkommen der Mutter zu decken", in dieser Allgemeinheit nicht, um von einer vollständigen Bedarfsdeckung durch den
Zufluss von Einkommen auszugehen. Allein die Tatsache, dass auch ohne die entsprechenden Leistungen durch den Träger der Grundsicherung
jedenfalls das Lebensnotwendige offenbar gesichert war, lässt Hilfebedürftigkeit nicht (im Nachhinein) entfallen. Entscheidend
ist, ob Einkommen in Geld oder Geldeswert im jeweils zu beurteilenden Zeitraum in einer Höhe konkret zur Verfügung steht,
das den Gesamtbedarf (vorliegend 345 Euro) vollständig deckt.
Entgegen der Auffassung des LSG folgt aus § 9 Abs 1 letzter Halbsatz SGB II nichts anderes. Soweit hier neben den Möglichkeiten
der Bedarfsdeckung durch zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen auf die erforderliche Hilfe anderer, insbesondere die
Hilfe von Angehörigen, Bezug genommen wird, ist damit keine weitere, eigenständige Möglichkeit der "faktischen" Bedarfsdeckung
aufgezeigt. Sobald ein Hilfebedürftiger solche Hilfen "erhält", handelt es sich um Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 Satz
1 SGB II. Die Nennung der Hilfe anderer im Gesetz ist vor dem Hintergrund des § 9 Abs 1 Nr 2 SGB II überflüssig und verdeutlicht
nur, dass es (auch) insoweit auf den tatsächlichen Zufluss "bereiter Mittel" ankommt (vgl Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl
2009, § 9 RdNr 14 f). Nichts anderes galt im Übrigen unter Geltung des BSHG. Auch insoweit war entscheidend, ob Einkommen im Sinne des § 11 BSHG tatsächlich zufließt (so etwa ausdrücklich die vom LSG herangezogene Entscheidung BVerwGE 108, 36, 39 = juris RdNr 13). Daneben kam zwar auf Grundlage des § 22 Abs 1 Satz 2 BSHG die Minderung des eigenen Bedarfs durch Hilfeleistungen anderer in Betracht (vgl BVerwG aaO sowie BVerwG Beschluss vom 30.12.1996
- 5 B 47/96 - FEVS 47, 337; BVerwGE 72, 354). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist eine § 22 Abs 1 Satz 2 BSHG und § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII entsprechende Rechtsgrundlage, die eine abweichende Bestimmung der Bedarfe erlaubt, im SGB II aber nicht ersichtlich
(BSGE 101, 70 = SozR 4-4200 § 11 Nr 11 zur Verköstigung während eines Krankenhausaufenthalts und Urteil vom 18.6.2008 - B 14 AS 46/07 R - zur kostenlosen Verpflegung durch Familienangehörige). Insoweit hat sich das SGB II von den zuvor geltenden Grundsätzen
der Sozialhilfe gelöst.
c) Das LSG hat es ausdrücklich offen gelassen, ob zwischen der Klägerin und ihrer Mutter eine Haushaltsgemeinschaft im Sinne
des § 9 Abs 5 SGB II bestand. Die notwendigen Ermittlungen dazu, ob die Klägerin und ihre Mutter aus einem Topf wirtschafteten
(vgl BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 6), wird es nachzuholen haben. Gelangt es zu der Überzeugung, es habe im streitigen Zeitraum eine
Haushaltsgemeinschaft bestanden, wird es weiter zu überprüfen haben, ob überhaupt bzw in welchem Umfang auf Grundlage des
§ 9 Abs 5 iVm § 1 Abs 2 Alg II-V und § 4 Abs 2 Alg II-V (nunmehr: § 7 Abs 2 Alg II-V in der Fassung vom 17.12.2007 [BGBl I
2942]) eine Unterstützung der Klägerin durch ihre Mutter erwartet werden konnte. Nach den bisherigen Feststellungen spricht
einiges für die Leistungsfähigkeit der Mutter (jedenfalls in gewissem Umfang) als weitere Voraussetzung für die Vermutung
iS des § 9 Abs 5 SGB II, ohne dass hierzu vom Senat abschließend eine Entscheidung getroffen werden könnte.
Zunächst ist das bereinigte Einkommen der Mutter zu ermitteln. Von dem Rentenzahlbetrag, der bislang die einzige ersichtliche
Einnahme darstellt, sind die Absetzungen des § 11 Abs 2 SGB II vorzunehmen. Im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin, ihre
Krankenversicherung sei nicht gesichert gewesen, wird das LSG dabei zu beachten haben, dass vom Einkommen der Mutter auch
solche Absetzungen entsprechend § 11 Abs 2 SGB II vorzunehmen sind, die zugunsten der Klägerin erfolgen. Zahlt die Mutter
beispielsweise tatsächlich Aufwendungen für eine Krankenversicherung (§
11 Abs
2 Nr
3 SGB II) oder eine geförderte Altersvorsorge nach §
82 Einkommensteuergesetz (§
11 Abs
2 Nr
4 SGB II) für die Klägerin, sind die entsprechenden Beiträge von ihrem Einkommen abzusetzen.
Sodann ist der Freibetrag nach § 1 Abs 2 Satz 1 Alg II-V festzulegen. Auszugehen ist vom doppelten Freibetrag nach § 20 Abs
2 SGB II (im streitigen Zeitraum mithin 690 Euro monatlich) zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung,
wobei die Mutter nach den bisherigen Feststellungen des LSG sämtliche Aufwendungen für den Unterhalt des Hauses trägt. Solche
Aufwendungen sind nach der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate allerdings
auch zugunsten selbst genutzter Immobilien lediglich in den Monaten, in denen sie tatsächlich anfallen, berücksichtigungsfähig
(vgl etwa BSGE 100, 186 = SozR 4-4200 § 12 Nr 10, jeweils RdNr 34; SozR 4-4200 § 22 Nr 17 RdNr 14). Abweichend von dem in § 1 Abs 2 Alg II-V beschriebenen
Regelfall wird schließlich der Einsatz des Einkommens von Angehörigen, die in ihrer Person die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf
entsprechend §§ 21, 28 Abs 1 Satz 3 SGB II bzw § 30 SGB XII erfüllen, nur erwartet werden können, soweit die Einnahmen zusätzlich
zum Freibetrag den für den jeweiligen Mehrbedarf vorgesehenen Betrag (hier also in Ansehung des Alters der Mutter ein Mehrbedarf
von 17 Prozent der Regelleistung) überschreiten. Soweit die bereinigten Einnahmen diese Grenze überschreiten, wird der Zufluss
dieser Einnahmen bei der Klägerin in Höhe von 50 Prozent als Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II unterstellt.
Schließlich sind die notwendigen Feststellungen zum Vermögen der Mutter nachzuholen. Es kann auf Grundlage der bisherigen
Feststellungen insbesondere nicht beurteilt werden, ob das selbst genutzte Hausgrundstück eine angemessene Größe hat und damit
von einer möglichen Verwertung nach § 4 Abs 2 Alg II-V iVm § 12 Abs 3 Nr 3 SGB II ausgenommen ist. Ob und ggf welcher Einsatz
von weiteren Vermögensgegenständen der Mutter zur Abwendung von Hilfebedürftigkeit der Klägerin erwartet werden kann, ist
bislang ebenfalls nicht ermittelt.
In Anbetracht der schriftlichen Angaben der Klägerin im Verlauf des bisherigen Verfahrens, wie sie aus den Akten ersichtlich
sind, kann es abschließend - sofern diese Anhaltspunkte auch nach Aufklärung der Einzelheiten zu einer möglichen Haushaltsgemeinschaft
fortbestehen - angebracht sein, den Sachverhalt im Hinblick auf (weitergehende) tatsächliche Geldzuwendungen der Mutter aufzuklären.
Die für diesen Fall erforderlichen umfassenden Ermittlungen und Würdigungen dahin, ob und in welcher Höhe im Einzelnen Einkommen
in Geld tatsächlich (und zum endgültigen Verbrauch) zugeflossen ist, hat das LSG - ausgehend von seiner Rechtsauffassung -
bislang unterlassen. Dies wird es ggf nachzuholen haben.
5. Ergeben die weiteren Ermittlungen des LSG, dass das zur Verfügung stehende Einkommen den Bedarf der Klägerin nicht oder
nicht vollständig deckt, wird es zu prüfen haben, inwieweit der Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück zum verwertbaren
Vermögen der Klägerin gehört hat, das zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit einzusetzen wäre. Problematisch erscheint insoweit
schon, ob - wie vom SG angenommen - der Miteigentumsanteil prognostisch innerhalb von 6 Monaten ab Antragstellung rechtlich und tatsächlich verwertbar
war (dazu BSGE 99, 248 = SozR 4-4200 § 12 Nr 6 RdNr 15 und BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr 23). Schließlich ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang
- wie von der Beklagten angenommen - auch die Lebensversicherungen zum zu berücksichtigenden Vermögen gehören.
Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.