Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft bei dauernd getrennt lebenden Ehegatten
Gründe:
I
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom 5.1.2005 bis 30.6.2005.
Die 1954 geborene, SGB II-Leistungen beziehende Klägerin heiratete am 5.1.2005 den 1936 geborenen H M . Beide lebten nach
der Eheschließung - wie bisher - in ihren früheren Wohnungen, führten getrennte Haushalte und vereinbarten den Güterstand
der Gütertrennung. Die Klägerin, die keine Absicht zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft hatte, verbrachte weiterhin
drei- bis viermal wöchentlich Zeit mit ihrem Ehemann mit Gesprächen, Spaziergängen und Fernsehen. Gelegentlich wurden gemeinsame
Mahlzeiten eingenommen.
Die Beklagte hatte der Klägerin bereits vor ihrer Eheschließung SGB II-Leistungen vom 1.1.2005 bis 30.6.2005 in Höhe von 659,50
Euro monatlich bewilligt (Bescheid vom 10.11.2004). Diesen Bescheid hob sie mit Wirkung vom 5.1.2005 auf, weil die Klägerin
nach ihrer Heirat nicht mehr hilfebedürftig sei. Unter Berücksichtigung der Pension ihres Ehemannes und der gesetzlich vorgesehenen
Abzüge ergebe sich ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von 1 521,62 Euro, das den Bedarf der Eheleute in Höhe von 936,50
Euro übersteige (Bescheid vom 27.1.2005; Widerspruchsbescheid vom 31.3.2005).
Das LSG Niedersachsen-Bremen hat das klageabweisende Urteil des SG Osnabrück geändert sowie den Bescheid vom 27.1.2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.3.2005 aufgehoben (Urteil des SG vom 20.9.2006; Urteil des LSG vom 24.3.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Bescheid vom
27.1.2005 sei rechtswidrig, weil in den tatsächlichen Verhältnissen keine wesentliche Änderung iS des § 48 SGB X eingetreten sei. Die Klägerin bilde trotz Eheschließung keine Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann, weil sie von ihm dauernd
getrennt lebe und als alleinstehend iS des SGB II zu betrachten sei. Der Begriff des Getrenntlebens sei nicht ausschließlich
im Sinn der Kriterien des §
1567 Abs
1 Satz 1
BGB zu verstehen, weil das Familienrecht mit dieser Definition in erster Linie Unterhaltsansprüche auf der Basis einer zuvor
existierenden häuslichen und ehelichen Gemeinschaft begründe. Das Zusammenleben in einer Bedarfsgemeinschaft werde in § 7
Abs 3 SGB II nur als Zusammenkunft von Personen mit bestimmten persönlichen Zuordnungsmerkmalen zum Hauptleistungsberechtigten
definiert. Neben dem personalen Bezug würden weitere Anforderungen inhaltlicher Art nicht gestellt. Eine Partnerschaft zwischen
Mann und Frau, die vor der Eheschließung keine Bedarfsgemeinschaft darstelle, werde nicht allein durch die Heirat automatisch
zu einer solchen, wenn sich in tatsächlicher Hinsicht nichts geändert habe. Das "dauernd getrennt lebend" iS des § 7 Abs 3
Nr 3 Buchst a SGB II bestimme sich eigenständig nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift und ihres normativen Zusammenhangs mit
§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB II. Es sei Absicht des Gesetzgebers, sich mit dem fürsorgerechtlichen Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft
insgesamt von familienrechtlichen Einstandspflichten mit dem Ziel zu lösen, das SGB II als letztes soziales Auffangnetz zu
etablieren. Mit dem Merkmal des Nichtgetrenntlebens von Ehegatten im Rahmen der Bildung von Bedarfsgemeinschaften knüpfe der
Gesetzgeber wegen des Nachrangs von Grundsicherungsleistungen an die durch Ehe und Familie typischerweise gegebene wirtschaftliche
und sonstige Lebenssituation an. Für die eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II prägende Einstandspflicht sei von
Bedeutung, ob eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bestehe, wobei dem räumlichen Zusammenhang ein gewichtiges Indiz zukomme.
Wenn die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der Ehepartner nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht nur vorübergehend aufgehoben
sei, liege keine Bedarfsgemeinschaft vor. Es könne nicht festgestellt werden, dass zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann
eine Lebensgemeinschaft im Sinne einer räumlichen, persönlichen und geistigen Gemeinschaft wie bei Eheleuten bestehe. Auch
Anhaltspunkte für eine Wirtschaftsgemeinschaft seien nicht erkennbar. Zwar möge die Absicht eines Zusammenlebens im Rahmen
einer häuslichen Gemeinschaft üblicherweise dem Bild einer Ehe entsprechen. Dies schließe aber nicht aus, dass in Einzelfällen
Lebensgestaltungen und Interessenlagen gegeben seien, die für eine Heirat ohne häusliche Gemeinschaft sprächen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II. Das LSG berücksichtige nicht die
hier vorliegende besondere Gestaltungsform der Ehe, in der unstreitig eine häusliche Gemeinschaft zwischen den Eheleuten von
vornherein nicht bestanden habe bzw bestehe und bei der es sich für (wenigstens) einen Ehepartner um eine sog Versorgungs-
oder Zweckehe gehandelt habe und bis zum Tod handeln solle. Bei fehlender häuslicher Gemeinschaft sei entscheidend für das
Getrenntleben der nach außen erkennbare Trennungswille, dh der Wille, die Lebensgemeinschaft und damit auch die diese kennzeichnende
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft dauerhaft nicht fortsetzen zu wollen. Würden Ehen zu einem bestimmten Zweck, hier
dem der Versorgung, eingegangen, könne es schon aus Gründen der Gleichbehandlung im Ergebnis nicht gerechtfertigt sein, dass
die Eheleute - jedenfalls solange ihre Ehe in der vereinbarten Form "funktioniere" - nur die mit der Eheschließung verbundenen
Vorteile, nicht jedoch auch die hieraus entstehenden Pflichten oder Nachteile, wie zB die Behandlung als Bedarfsgemeinschaft,
in Kauf nehmen wollten. Anders als im "Normalfall" des Getrenntlebens bestehe in diesen Fällen die Lebensgemeinschaft in der
vereinbarten Form fort und auch die Ehe solle dauerhaft bis zum Tod bestehen, weil sonst die gerade für die Zeit nach dem
Tod des Ehepartners erwartete Versorgung nicht in der erhofften Form eintreten könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 24. März 2009 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG
Osnabrück vom 20. September 2006 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet
(§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Aufgrund fehlender Sachverhaltsfeststellungen des LSG zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Ehemanns der Klägerin
und dem Bedarf der Ehegatten insgesamt kann der Senat nicht beurteilen, ob und in welchem Umfang die Beklagte die Bewilligung
der SGB II-Leistungen mit Wirkung vom 5.1.2005 wegen einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse aufheben durfte.
Anders als vom LSG angenommen, bildete die Klägerin aber mit ihrem Ehemann ab der Heirat eine Bedarfsgemeinschaft iS des SGB
II. Das Berufungsurteil beruht insofern auf einer unzutreffenden Rechtsansicht zum Begriff des "nicht dauernd getrennt lebenden
Ehegatten" iS des § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II, weil dieser ausgehend von der Typik dieser Regelung nach familienrechtlichen Grundsätzen
zu bestimmen ist.
1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 27.1.2005, gegen den sich die Klägerin zu Recht (nur) mit der reinen Anfechtungsklage
(§
54 Abs
1 SGG) wendet; mit der Aufhebung dieses Bescheides bleibt die im Bewilligungsbescheid vom 10.11.2004 enthaltene Verfügung über
die Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.1.2005 bis 30.6.2005 wirksam. Bei der Prüfung, ob die Aufhebung zu
Recht erfolgte, ist bei der hier vorliegenden reinen Anfechtungsklage die Sach- und Rechtslage zu dem Zeitpunkt maßgebend,
in dem der angefochtene Verwaltungsakt erlassen worden ist (BSG, Urteil vom 20.4.1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr 18 S 46 mwN). Gegenstand der Überprüfung des LSG-Urteils im Revisionsverfahren sind daher die tatsächlichen
Verhältnisse im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Januar 2005, nicht die Frage, ob zu einem späteren
Zeitpunkt von einem Getrenntleben zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann ausgegangen werden kann.
2. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung ist § 40 Abs 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X. Hiernach ist, soweit in den Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine
wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß §
40 Abs
1 Satz 1 SGB II iVm §
330 Abs
3 SGB III ist dabei mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse der Verwaltungsakt aufzuheben, soweit nach Antragstellung
oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hat
(§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X). Dabei genügt es, dass nicht der Hilfebedürftige selbst, sondern - wie hier - eine andere Person, deren wirtschaftliche
Verhältnisse für den Leistungsanspruch rechtserheblich sind, Einkommen oder Vermögen erzielt hat (BSG, Urteil vom 11.1.1989
- 10 RKg 12/87 - SozR 1300 § 48 Nr 53 S 149). Neben der Frage, ob wegen des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft dem Grunde nach eine Einkommensanrechnung
erfolgen kann, setzt § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X auch eine Prüfung voraus, in der der Einfluss der Erzielung von Einkommen auf die Leistungshöhe vorzunehmen ist. Die letzte
Prüfung hat das LSG unterlassen, weil es davon ausging, dass die Klägerin und H M auch nach ihrer Heirat keine Bedarfsgemeinschaft
bildeten.
3.a) Die Klägerin bildete jedoch mit ihrem Ehemann mit Wirkung ab 5.1.2005 eine Bedarfsgemeinschaft, weil sie nicht zeitgleich
mit der Eheschließung von ihm iS des § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II dauernd getrennt lebte. Nach § 7 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 Abs
1 SGB II in der Normfassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954)
ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch
Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr 1) oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (Nr 2) sichern kann und
die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Nach § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und das Vermögen
des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ua der nicht
dauernd getrennt lebende Ehegatte (§ 7 Abs 3 Nr 3a SGB II).
b) Bei der Auslegung des Begriffs des "nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten" iS des § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II folgt der
Senat den Grundsätzen, die zum familienrechtlichen Begriff des "Getrenntlebens" entwickelt worden sind. Neben einer räumlichen
Trennung setzt dies einen Trennungswillen voraus. Zwar lässt sich dem Wortlaut des § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II nicht unmittelbar
entnehmen, wann ein Getrenntleben iS des SGB II vorliegt. Gegen ein enges Verständnis dieses Begriffs in dem Sinne, dass Ehegatten
nur dann nicht dauernd getrennt leben, wenn sie räumlich zusammen leben, jede räumliche Trennung also bereits ein Getrenntleben
beinhaltet, spricht, dass sich das Getrenntleben auf die Ehe iS des §
1353 BGB beziehen muss. Da §
1353 Abs
1 BGB mit der Bestimmung einer Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft nur die Grundstrukturen der Ehe, nicht jedoch die
Art und Weise vorgibt, in der sich das Zusammenleben der Ehegatten vollzieht, ist die häusliche Gemeinschaft zwar ein Grundelement
der ehelichen Lebensgemeinschaft; jedoch kann bei Vereinbarung einer abweichenden Lebensgestaltung auch eine Ehe ohne räumlichen
Lebensmittelpunkt (Ehewohnung) eine solche iS des §
1353 BGB sein (Palandt/Brudermüller,
BGB, 69. Aufl 2010, §
1353 BGB RdNr 6 ff; MünchkommBGB/Ey, §
1565 RdNr 23, 5. Aufl 2010; BGH, Urteil vom 7.11.2001 - XII ZR 247/00 - NJW 2002, 671). Haben die Ehegatten - wie hier - bei oder nach der Eheschließung einvernehmlich ein Lebensmodell gewählt, das eine häusliche
Gemeinschaft nicht vorsieht, kann allein der Wille, diese auf absehbare Zeit nicht herzustellen, ein Getrenntleben nach familienrechtlichen
Grundsätzen nicht begründen (Staudinger/Rauscher,
BGB, 2004, §
1567 RdNr 51). Vielmehr muss regelmäßig der nach außen erkennbare Wille eines Ehegatten hinzutreten, die häusliche Gemeinschaft
nicht herstellen zu wollen, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehnt (§
1567 Abs
1 BGB). In der hier vorliegenden Ausgangskonstellation kommt es nach familienrechtlichen Maßstäben für eine Trennung entsprechend
darauf an, ob einer der Partner die bisherige Form der Lebensgemeinschaft ohne gemeinsamen Lebensmittelpunkt nicht mehr aufrecht
erhalten will, das Eheband also lösen will (Palandt/Brudermüller,
BGB, 69. Aufl 2010, §
1567 RdNr 5; KG Berlin, Beschluss vom 12.8.1981 - 3 WF 3833/81 - NJW 1982, 112; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.3.1981 - 7 WF 32/81 - FamRZ 1981, 677). Für die Annahme eines Getrenntlebens reicht es also entgegen der Rechtsansicht des LSG nicht aus, dass nach den tatsächlichen
Verhältnissen eine Lebensgemeinschaft iS einer räumlichen, persönlichen und geistigen Gemeinschaft sowie eine Wirtschaftsgemeinschaft
von vornherein nicht bestanden hat. Erforderlich ist vielmehr ein Wille zur Änderung des einvernehmlich gewählten Ehemodells.
Ein solcher Trennungswille lag jedoch nach den Feststellungen des LSG im Januar 2005 weder bei der Klägerin noch bei ihrem
Ehemann vor.
c) Aus dem systematischen Kontext des § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II mit den Regelungen zur Bedarfsgemeinschaft folgt nicht, dass
dem SGB II ein anderer Begriff des Getrenntlebens zugrunde liegt. Auch das SGB II geht davon aus, dass eine Bedarfsgemeinschaft
bei Eheleuten (noch) bestehen kann, wenn diese, zB wegen des pflegebedürftigen Aufenthalts eines Ehegatten in einem Heim,
räumlich voneinander getrennt leben (für die Konstellation der vorübergehenden räumlichen Trennung nach bisherigem Zusammenleben
so auch: Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2 Aufl 2007, § 7 RdNr 41; bei räumlicher Trennung nicht gemeinsam wirtschaftender
Ehegatten: Mrozynski, Grundsicherung und Sozialhilfe, II.7 RdNr 16, Stand August 2006; für die Konstellation einer räumlichen
Trennung ohne Trennungswillen: S. Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 1. Aufl 2009,
§ 7 SGB II, RdNr 17). Der Grundgedanke der Bedarfsgemeinschaft beruht auf der Annahme, dass in dieser Gemeinschaft alle Mitglieder
füreinander Verantwortung auch im finanziellen Sinne übernehmen. Erst nachrangig, wenn die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
ihren Bedarf nicht gemeinsam decken können, sind Grundsicherungsleistungen zu gewähren (vgl §
9 Abs
1 Satz 1
SGB I; §
9 Abs
2 Satz 3 SGB II). Die Vermutung einer gegenseitigen Bedarfsdeckung hat der Gesetzgeber des SGB II dabei nicht vorrangig mit
dem Vorhandensein von Unterhaltsansprüchen verbunden, sondern an die in § 7 Abs 3 SGB II im Einzelnen aufgeführten tatsächlichen
Umstände geknüpft (vgl BSG, Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 39). Bei Eheleuten verlangt er - im Unterschied etwa zur Konstellation der eheähnlichen Lebensgemeinschaft
(§ 7 Abs 3 Nr 3c SGB II) - gerade nicht das gemeinsame Leben in einem Haushalt.
d) Mit dem Anknüpfen an den Status der Ehe in § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II unterstellt der Gesetzgeber im Sinne einer verwaltungspraktischen
Anwendung der SGB II-Vorschriften vielmehr regelmäßig das Vorhandensein einer durch Ehe und Familie typischerweise gegebenen
wirtschaftlichen und sonstigen Lebenssituation (vgl in anderem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 26.1.1995 - 5 C 8/93 - BVerwGE 97, 344). Dabei liegt es im Wesen einer typisierenden gesetzlichen Verallgemeinerung, dass mit dem Bezug auf bestimmte tatsächliche
Verhältnisse bzw sozialtypische Befunde eine weite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einbeziehende Betrachtung
stattfindet. Hierbei darf sich der Gesetzgeber grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, Besonderheiten
jeweils durch Sonderregelungen auszunehmen (BVerfG, Beschluss vom 11.1.2005 - 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164, 280 f; BVerfG, Beschluss vom 13.2.2008 - 2 BvL 1/06 - BVerfGE 120, 125 ff, 155). Es soll gerade nicht bei jeder Gestaltungsform der Ehe im Einzelfall geprüft werden, ob mit ihr auch eine bestimmte
Form des Zusammenlebens und Wirtschaftens verbunden ist. Auch bei der hier vorliegenden Ehe ohne gemeinsamen räumlichen Lebensmittelpunkt
wird daher die hiermit typischerweise verbundene wirtschaftliche und sonstige Lebenssituation unterstellt. Wie sich weiter
aus den §§
1360,
1361 und
1567 BGB ergibt, geht das
BGB von der grundsätzlich auch im SGB II zu beachtenden Vermutung des Nichtgetrenntlebens von Ehegatten aus (Hohm in Gemeinschaftskommentar
SGB II, § 7 RdNr 51, Stand 8/2008). Eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II liegt entsprechend nur dann nicht
(mehr) vor, wenn ein Getrenntleben festgestellt worden ist, was hier - wie bereits ausgeführt - nicht der Fall ist.
e) Auch aus dem das SGB II prägenden Grundsatz der Subsidiarität, § 3 Abs 3 SGB II (vgl hierzu BSG, Urteil vom 15.4.2008 -
B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 39; BSG, Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R - BSGE 102, 76 ff = SozR 4-4200 § 9 Nr 7) lässt sich nicht ableiten, dass der Begriff des "nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten" iS
von § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II abweichend von familienrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen ist. Nach der Neuordnung der Leistungen
zur Sicherung des Existenzminimums durch das SGB II (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003
[BGBl I 2954]) und das SGB XII (Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27. Dezember 2003 [BGBl I 3022])
wird - bezogen auf Unterhaltsansprüche von Ehegatten - dem Nachranggrundsatz des SGB II entweder über die Regelungen zur Bedarfsgemeinschaft
oder nach Maßgabe des § 33 SGB II Geltung verschafft. Der Anspruchsübergang nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB II setzt einen zivilrechtlichen
Unterhaltsanspruch voraus. Ginge der SGB II-Träger in Abweichung von familienrechtlichen Grundsätzen in der vorliegenden Fallkonstellation
von einem Getrenntleben der Eheleute aus, könnte der Nachranggrundsatz weder über die Regelungen zur Bedarfsgemeinschaft noch
effektiv über § 33 SGB II umgesetzt werden, weil nach familienrechtlichen Maßstäben kein Anspruch auf Trennungsunterhalt,
sondern nur ein solcher auf Familienunterhalt nach den §§
1360,
1360a BGB gegeben ist. Dieser steht jedoch grundsätzlich im Ermessen der Ehegatten und ist - mit Ausnahme eines Taschen- und Wirtschaftsgeldes
- regelmäßig nicht auf eine Geldrente gerichtet, über die der Empfänger frei verfügen kann (Wendl/Staudigl, Unterhaltsrecht,
7. Aufl 2008, § 3 RdNr 1; BGH, Urteil vom 22.1.2003 - XII ZR 2/00 - FamRZ 2003, 363; vgl zum fraglichen Übergang von Ansprüchen auf Naturalunterhalt: Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 33 RdNr
21). Insofern ist die vom LSG zur Auslegung des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II herangezogene Rechtsprechung des BVerwG auf
das SGB II nicht übertragbar, weil sie wesentlich mit der Durchsetzbarkeit des sozialhilferechtlichen Aufwendungsersatzanspruchs
der nicht getrennt lebenden Ehegatten (§ 29 BSHG bzw § 19 Abs 5 SGB XII) zur Verwirklichung des Nachranggrundsatzes begründet worden ist (vgl BVerwG, Urteil vom 26.1.1995 - 5 C 8/93 - BVerwGE 97, 344 ff, 347).
4. Allerdings lässt sich aufgrund der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob und ggf in welchem Umfang die
Beklagte wegen des Wegfalls der Hilfebedürftigkeit der Klägerin die Bewilligung von SGB II-Leistungen gänzlich aufheben durfte.
Für die Frage, in welchem Umfang die Hilfebedürftigkeit der Klägerin mit Wirkung vom Zeitpunkt der Heirat am 5.1.2005 entfallen
ist, sind Feststellungen zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens ihres Ehemannes und seines Bedarfs, insbesondere auch
seiner Kosten für Unterkunft und Heizung und möglicher Mehrbedarfe, erforderlich. Dabei wird zu prüfen sein, ob die tatsächlichen
(Gesamt-) Aufwendungen der Klägerin und ihres Ehemannes iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II angemessen sind. Es sind die tatsächlichen
Mietaufwendungen beider Eheleute mit den Wohnungsmieten für Zwei-Personen-Haushalte im maßgeblichen Vergleichsraum abzugleichen.
Auch soweit die Unterkunftskosten den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, kann nach § 22 Abs
1 Satz 3 SGB II eine weitere (befristete) Kostenübernahme durch die Beklagte erfolgen. Insofern ist zu prüfen, ob und ggf
nach welchem Zeitablauf den Eheleuten eine Senkung der Unterkunfts- und Heizkosten möglich und subjektiv zumutbar war (vgl
BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 RdNr 29 f), wobei auch zu berücksichtigen ist, dass Hilfebedürftige nur dann eine Kostensenkungsobliegenheit trifft, wenn
sie Kenntnis hiervon hatten (vgl hierzu im Einzelnen Urteil des Senats vom 17.12.2009 - B 4 AS 19/09 R - RdNr 15 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Ergibt eine Gegenüberstellung des Gesamtbedarfs mit dem
Einkommen der Bedarfsgemeinschaft eine Differenz zugunsten des Gesamtbedarfs, besteht in diesem Umfang ein weiterhin der (vollständigen)
Aufhebung der Bewilligung entgegenstehender Leistungsanspruch der Klägerin.
5. Das angefochtene Urteil ist daher gemäß §
170 Abs
2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
LSG zurückzuverweisen.