Vergütung von Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren; Entschädigung eines Schreibens an das Gericht als Befundbericht
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Entschädigung eines Schreibens an das Gericht als Befundbericht nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG).
In einem am Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) anhängig gewesenen Rechtsstreit in einer rentenversicherungsrechtlichen
Streitigkeit (Az.: ) beantwortete der Antragsteller, der Allgemeinarzt ist, die Befundberichtsanforderung des Gerichts vom
15.10.2010 mit Schreiben vom 28.10.2010. Dieses Schreiben ist so gestaltet, dass auf dem vom Antragsteller unterschriebenen
gerichtlichen Fragenblatt jeweils bei den Fragen Hinweise auf beigefügte Anlagen angebracht sind. Die Anlagen bestehen mit
Ausnahme der handschriftlich aufgeführten Behandlungstage aus "Auszügen aus den medizinischen Daten" und dabei "ausgewählten
Einträgen", die offensichtlich aus den auf dem Computer des Antragstellers gespeicherten Daten gewonnen sind.
Für den Befundbericht stellte der Antragsteller am 28.10.2010 einen Betrag in Höhe von 28,45 EUR wie folgt in Rechnung.
Entschädigung für Auskunft nach Nr. 200 der
Anlage 2 zu § 10 Abs.1 JVEG 21,00 EUR
Schreibgebühren für Original für angefangene
1.000 Anschläge 0,75 EUR, hier achtmal 6,00 EUR
Porto 1,45 EUR
Insgesamt 28,45 EUR
Mit Schreiben vom 04.11.2010 bewilligte die Kostenbeamtin des Bayer. LSG als Entschädigung 11,45 EUR, die sich wie folgt aufschlüsseln:
Mindestentschädigung 3,00 EUR
Aufwandsentschädigung 3,00 EUR
8 Kopien a 0,50 EUR 4,00 EUR
Porto 1,45 EUR
Insgesamt 11,45 EUR
Dagegen hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 25.11.2010 gewandt. Aufgrund der Komplexität sei ein intensives Aktenstudium
nötig gewesen; die geringe Vergütung sei unangebracht.
II.
Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 25.11.2010 sinngemäß die gerichtliche Festsetzung
beantragt.
Das Schreiben vom 28.10.2010 ist als Befundbericht im Sinn einer Auskunft nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs.1 JVEG zu entschädigen. Die Entschädigung ist auf 22,45 EUR festzusetzen.
Dieser Festsetzung liegen folgende Einzelpositionen zugrunde:
Entschädigung für Auskunft nach Nr. 200 der
Anlage 2 zu § 10 Abs.1 JVEG 21,00 EUR
Schreibgebühren 0,- EUR
Porto 1,45 EUR
Insgesamt 22,45 EUR
Die Beträge begründen sich im Einzelnen wie folgt:
1.
Erstellung des Befundberichts
Der Antragsteller ist als sachverständiger Zeuge im Sinne des §
414 Zivilprozessordnung tätig geworden. Er hat eigene Wahrnehmungen von vergangenen Tatsachen und Zuständen bekundet, für die eine besondere Sachkunde,
hier die medizinisch-ärztliche, erforderlich ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 26.11.1991, Az.: 9a RV 25/90).
Für den sachverständigen Zeugen gelten die Vorschriften über den Zeugenbeweis einschließlich der Regelungen über deren Entschädigung
nach § 19 JVEG sowie die Sonderregelung in § 10 Abs. 1 JVEG, wenn er in der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG aufgeführte Leistungen erbringt.
Nach der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG wird die Erstellung eines ärztlichen Befundberichts (vom Gesetzgeber auch als Befundschein bezeichnet) wie folgt entschädigt:
Nr. 200 Ausstellung eines Befundscheins oder Erteilung
einer schriftlichen Auskunft ohne nähere gutachtliche Äußerung: 21,00 EUR
Nr. 201 Die Leistung der in Nummer 200 genannten Art ist
außergewöhnlich umfangreich: bis zu 44,00EUR
Nr. 202 Zeugnis über einen ärztlichen Befund mit von der
heranziehenden Stelle geforderter kurzer gutachtlicher Äußerung oder Formbogengutachten, wenn sich
die Fragen auf Vorgeschichte, Angaben und Befund
beschränken und nur ein kurzes Gutachten erfordern: 38,00 EUR
Nr. 203 Die Leistung der in Nr. 202 genannten Art ist
außergewöhnlich umfangreich: bis zu 75,00 EUR
Der Entschädigung im hier zu entscheidenden Fall ist Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zugrunde zu legen.
Das Schreiben vom 28.10.2010 stellt einen Befundbericht ("Befundschein") im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG dar, nicht einen nicht oder nur geringfügig individualisierten Computerausdruck, der nicht nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG zu entschädigen wäre.
Welchen Anforderungen ein Befundbericht oder "Befundschein" im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG genügen muss, hat der Gesetzgeber nicht näher definiert. Das BSG hat aber den Begriff des Befundberichts im Urteil vom 09.02.2000, Az.: B 9 SB 8/98 R, näher wie folgt erläutert:
"Was unter einem Befundschein/Befundbericht zu verstehen ist, ergibt sich mangels gesetzlicher Definition aus dem Anforderungsschreiben
des Leistungsträgers (hier Versorgungsträgers) an den behandelnden Arzt, das ggf nach §
133 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) aus der Sicht eines verständigen Empfängers auszulegen ist (vgl zB BSG, Urteil vom 4. Juli 1989 - 9 RVs 5/88 - in ArztuR 1990, Nr 7, 13-14) sowie dem Gegenstand des der Anforderung zugrundeliegenden Verfahrens. Regelmäßig will der
Beklagte von dem "in Dienst genommenen" Arzt im Hinblick auf den mitgeteilten Verwendungszweck Angaben erfragen, die er zur
Erfüllung seiner Aufgabe benötigt. Vorliegend geht es um ein von der Patientin des Klägers beantragtes Verfahren nach §§ 3, 4 SchwbG. Dafür benötigte der Beklagte Daten, die Anhaltspunkte für das Vorliegen wesentlicher, auf Krankheit(en) beruhender Funktionsstörungen
lieferten, deren Auswirkungen möglicherweise zu einer Behinderung meßbaren Grades führen oder Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche
iS des SchwbG sein konnten (vgl §§ 3, 4 Abs 3 und 4 SchwbG). Ein Befundbericht mußte geeignet sein, der Erfüllung dieses Zwecks zu dienen. Der Kläger hätte deshalb aus seinen Behandlungsunterlagen
ausgewählte, fachlich bewertete und in Anamnesen, Befunde (das sind vor allem objektiv gemessene Daten, zB Bewegungseinschränkungen,
Stoffwechselstörungen, Blutdruck oder Auswertungen von EKG oder Röntgenuntersuchungen, Beschreibung von wesentlichen Funktionsstörungen
seines Patienten) und darin mündende Diagnosen gegliederte Angaben liefern müssen (vgl BSG SozR 1925 § 8 Nr 1 sowie Urteil vom 26. November 1991 - 9a RV 25/90 - in MeSo B 20b/58). Eine gutachtliche Stellungnahme war damit nicht
verbunden.
Einen diesen Vorgaben entsprechenden Bericht hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht erstellt. Er hat vielmehr
nur das Material dafür geliefert. Der von ihm dem Beklagten übersandte unbearbeitete Computerausdruck enthält sämtliche Daten
über die Behandlung der Patientin zwischen Mai 1991 und Juli 1995, ua Hinweise auf Verbandswechsel, Therapiebeschreibungen
und -erfolge, Medikamentenverordnungen, zusammengefaßte Berichte dritter Ärzte, aber auch Befunde, insbesondere Laborbefunde
und Diagnosen. Dagegen zeigt der Ausdruck weder eine dem erkennbaren Zweck der Anfrage entsprechende und die medizinisch-fachliche
Sachkunde des Klägers dokumentierende Auswahl der Daten noch eine Gliederung und bewertende Beschreibung der Befunde und von
Funktionsstörungen."
Keller hat dies in seinen Anmerkungen zum Beschluss des Hessischen LSG vom 13.07.2005, Az.: L 2 SF 6/05 R, wie folgt zusammengefasst (vgl. jurisPR-SozR 30/2005 Anm. 6):
"Üblicherweise handelt es sich bei dem Befundbericht" [Anmerkung des Senats: richtig müsste es heißen: "bei der Befundberichtsanforderung"]
"um ein Formblatt mit standardisierten Fragen zu der erhobenen Anamnese, den Befunden, ihre epikritische Bewertung und Stellungnahme
zur Therapie anhand der vorliegenden Behandlungsunterlagen. Der behandelnde Arzt soll über Tatsachen berichten, die er aufgrund
seiner besonderen Fachkunde als sachverständiger Zeuge (§
414 ZPO) festgestellt hat. Das ist nicht durch eine Wiedergabe von gespeicherten Aufzeichnungen möglich, denn neben der Mitteilung
von Tatsachen zieht der sachverständige Zeuge auch Schlussfolgerungen (BSG, Urt. v. 26.11.1991 - 9a RV 25/90). Daran fehlt es selbst dann, wenn der Befundbericht - wie im entschiedenen Fall - teilweise
brauchbare Daten enthält (BSG, Urt. v. 09.02.2000 - B 9 SB 8/98). Tatsächlich hätte wohl auch eine fachlich nicht vorgebildete Schreibkraft den Ausdruck
erstellen können."
Auf die Art und Weise der Erstellung der ärztlichen Antwort auf eine Befundberichtsanforderung des Gerichts kann es nicht
ankommen, wenn darüber zu entscheiden ist, ob ein Befundbericht vorliegt oder lediglich von der Übersendung von Kopien der
Behandlungsunterlagen, die keinen Befundbericht darstellen, sondern nur das Material für die Erstellung eines solchen Berichts
beinhalten, auszugehen ist. Eine bloße und nicht zugeordnete Wiedergabe ärztlicher Aufzeichnungen würde überhaupt nicht zur
Aufgabe eines sachverständigen Zeugen gehören, sie könnte auch von einer nicht medizinisch vorgebildeten Bürokraft vorgenommen
werden (vgl. BSG, Urteil vom 11.11.1987, Az.: 9a RVs 3/86). Entscheidend ist vielmehr, dass die gerichtlichen Fragen in einer Art und Weise
beantwortet sind, dass sich das Gericht bzw. ein vom Gericht später beauftragter Sachverständiger nicht erst aus einer unselektierten
oder bloß chronologischen Zusammenstellung die Daten heraussuchen muss, die für die Beantwortung der einzelnen vom Gericht
gestellten Fragen erforderlich sind. Auf welche Art und Weise der berichtende Arzt eine den jeweiligen Fragen zuordenbare
Zusammenstellung der Daten sicherstellt - sei es durch einen individuell ausformulierten Antworttext für jede einzelne Frage,
sei es durch einen Verweis auf beigelegte Anlagen, die jeweils den einzelnen Fragen zugeordnet werden und im Wesentlichen
auch nur das enthalten, was für die Beantwortung der jeweiligen Frage erforderlich ist -, ist diesem überlassen und kann bei
der Entschädigung keine entscheidende Rolle spielen.
Der Senat ist sich bewusst, dass damit eine Beantwortung in gleicher Weise entschädigt wird, unabhängig davon, ob die Beantwortung
der Fragen durch eine erst im Anforderungsfall gewählte Formulierung erfolgt oder ob lediglich bereits früher formulierte
Passagen aus der elektronisch gespeicherten Patientenakte herauskopiert und den gerichtlichen Fragen zugeordnet werden, was
mit einem oft geringeren Zeitaufwand verbunden sein dürfte. Dieser Unterschied im zugrunde liegenden Aufwand kann aber bei
der Höhe der Vergütung keine Berücksichtigung finden, da der Gesetzgeber einer derartige Differenzierung bei der vom ihm getroffenen
zeitunabhängigen, lediglich nach dem Umfang der Ausführungen (vgl. Beschluss des Senats vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11) differenzierenden Pauschalhonorierung nicht vorgesehen hat. Im Übrigen wäre es auch verfehlt, für die Entschädigung bei
der aufgewendeten oder objektiv erforderlichen Zeit anzusetzen, zumal dieser Gesichtspunkt bei der vom Gesetzgeber festgesetzten
Entschädigung bei manchen Ärzten ohnehin nicht als aufwandsangemessen empfunden wird. Entscheidend ist allein, ob aus Sicht
des anfordernden Gerichts eine Beantwortung der Fragen erfolgt ist oder ob nur ein Datenkonvolut übermittelt worden ist, aus
dem sich das Gericht erst das Einschlägige zu den einzelnen Fragen heraussuchen muss. Dass das Herauskopieren aus bereits
beim Arzt vorhandenen Daten in eine dann dem Gericht übersandte Anlage einer Entschädigung als Befundbericht nicht entgegen
stehen kann, ergibt sich auch zwingend daraus, dass Ausweichreaktionen bei kundigen Ärzten unvermeidlich wären, wenn das Herauskopieren
aus vorhandenen Daten nicht als Befundbericht entschädigt würde. Denn diese Ärzte würden dann einfach die herauskopierten
Passagen nicht in einer Anlage aufführen, sondern einen Befundbericht aus der Bezugnahme auf die Fragen (ausreichen würde
hier: "Zu 1." usw.) und dem aus der Patientendatei herauskopierten Text erstellen und es damit nicht mehr nachprüfbar machen,
ob nur eine Kopierfunktion genutzt worden oder eine Neuformulierung anlässlich der gerichtlichen Anforderung erfolgt ist.
Schließlich würde es eine finanzielle Schlechterstellung der Ärzte darstellen, die sich die Möglichkeiten der Datenverarbeitung
zunutze machen. Eine derartige Fortschrittsfeindlichkeit kann aber nicht Sinn und Zweck des JVEG sein.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei Verwendung von Auszügen aus einer elektronischen Patientenakte von einem Befundbericht
im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG dann auszugehen ist, wenn ohne irgendwelche Schwierigkeiten erkennbar ist, welche Auszüge im Rahmen der Beantwortung der
gerichtlichen Befundberichtsanforderung welcher Frage zuzuordnen sind. Die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten
und Kostenrichter dürfen dabei keinesfalls überspannt werden (Leitgedanke der Kostenrechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Grundsatzbeschlüsse
vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, und vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11). Ausreichend - aber auch erforderlich - ist es also, wenn der berichtende Arzt aus seiner elektronischen Patientendatei
Textpassagen jeweils einer gerichtlichen Frage zuordnet, es sei denn, der in der Sache zuständige Richter kommt zu der Einschätzung,
dass die gegebene Antwort als Beantwortung der Frage unverwertbar ist.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller offensichtlich das ihm in seiner elektronischen Patientenakte zur Verfügung stehende
Datenmaterial zu jeder einzelnen Frage ausgewertet und die einschlägigen Passagen in Anlagen aufgeführt, die eindeutig den
einzelnen Fragen zugeordnet sind. Ob der Antworttext neu formuliert oder aus einer vorhandenen Datei übernommen worden ist,
ist für die Entschädigung ohne Bedeutung. Damit ist bei Berücksichtigung des Umfangs der Ausführungen von einem Befundbericht
im Sinn der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG auszugehen, der mit 21,- EUR zu entschädigen ist.
2. Schreibauslagen
Im Rahmen der Erstellung eines Befundberichts können Schreibgebühren nicht erstattet werden (vgl. die ausführlichen Erläuterungen
im Senatsbeschluss vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11; BSG, Urteil vom 09.02.2000, Az.: B 9 SB 10/98).
3. Porto, Material
Antragsgemäß werden 1,45 EUR ersetzt.
Insgesamt sind 22,45 EUR für die Erstellung des Befundberichts vom 28.10.2010 zu erstatten.
Der Kostensenat des Bayerischen Landessozialgerichts trifft diese Entscheidung nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung
in voller Besetzung (§ 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).