Festsetzung des Streitwerts im sozialgerichtlichen Verfahren bei einer Klage gegen die außerordentliche Kündigung eines Versorgungsvertrages
für einen ambulanten Pflegedienst
Gründe
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.), der einen Pflegedienst im ambulanten Bereich betrieben hat, wendet sich
gegen die Festsetzung des Streitwertes auf 125.631,08 EUR durch den Beschluss des Sozialgerichts München vom 27. September
2012.
Streitig war dabei im Klageverfahren die Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung des Versorgungsvertrages durch die Beklagten
und Beschwerdegegner (im Folgenden: Bg.) nach §
72 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB XI) zum 31. August 2011. Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2012 nahm der Bf. die Klage zurück. Er beantragte gleichzeitig, den Streitwert
auf 4.000.- EUR festzusetzen. Für ihn sei unstreitig gewesen, dass infolge seines Verhaltens der Versorgungsvertrag ordentlich
gekündigt werden konnte. Die ordentliche Kündigungsfrist betrage ein Jahr. Die außerordentliche Kündigung habe eine Auslauffrist
bis zum 31. August 2011 gehabt, so dass sich das klägerische Interesse auf das Mindereinkommen von 10 Monaten beschränke.
Er verdiene monatlich 1.200.- EUR netto als Angestellter und seit Mai 2012 monatlich 2.000.- EUR netto. Das Einkommen aus
selbstständiger Tätigkeit sei insgesamt um ca. 800.- EUR monatlich höher gewesen. Für den Zehnmonatszeitraum ergebe sich somit
ein Interesse von 8.000.- EUR. Vorliegend handele es sich um die Klage zum Versorgungsvertrag für den Bereich der ambulanten
Pflege; der Bereich der häuslichen Krankenpflege sei gesondert angefochten worden. Da sich die Einkünfte aus beiden Bereichen
hälftig aufteilten, sei der Streitwert auf 4.000.- EUR festzusetzen.
Die Bg. teilten mit, dass der Gesamtumsatz des Bf. aus vorliegenden Umsätzen mit der Beklagten zu 1) für die Jahre 2008 (31.357.-
EUR), 2009 (34.210,77 EUR) und 2010 (18.186,28 EUR) hochgerechnet werden müsse. Der Anteil bei der Beklagten zu 1) werden
im Verhältnis zu den übrigen Beklagten auf 50 v.H. geschätzt.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 27. September 2012 festgestellt, dass der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen
hat. Mit weiterem Beschluss vom 27. September 2012 hat es den Streitwert auf 125.631,08 EUR unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts und den Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit festgesetzt. Bezogen auf den vorliegenden
Fall gehe es nach dieser Rechtsprechung um die Abwehr einer von den Bg. erklärten Zulassungsentziehung nach §
74 SGB XI. Hierbei seien die finanziellen Folgen einer Zulassungsentziehung regelmäßig gravierender als bei der Ablehnung eines Zulassungsantrages.
Es erscheine deshalb angemessen, für den Streitwert auf den aus der Versorgung sozial pflegeversicherter Personen resultierenden
dreifachen Jahresumsatz (statt Jahresgewinn) zurückzugreifen. Eine Intention, eine Umwandlung der außerordentlichen in eine
ordentliche Kündigung zu erlangen, lasse sich dem Klageantrag nicht entnehmen, so dass der von dem Bf. angeregte Streitwert
von 4.000.- EUR den Rechtsstreit unterbewerte. Insbesondere spreche das Interesse an einer Fortführung des Pflegedienstes
gegen ein auf das Mindereinkommen von zehn Monaten beschränktes Interesse. Vielmehr griffen die gravierenden finanziellen
Folgen einer Kündigung des Versorgungsvertrages durch.
Angesichts der Unklarheiten hinsichtlich des Gesamtumsatzes hat das Sozialgericht den Streitwert auf 125.631,08 EUR festgesetzt;
dies entspreche dem Umsatz bei der Beklagten zu 1) in den letzten drei Jahren sowie einem Zuschlag von 1/2 des Umsatzes bei
der Beklagten zu 1) für die weiteren Beteiligten.
Zur Begründung der Beschwerde hat der Bf. vorgebracht, dass im Parallelverfahren (Az.: S 18 KR 842/11) der Streitwert auf 5.000.- EUR festgesetzt worden sei. Bereits im Anhörungsschreiben vom 17. Mai 2011 zur außerordentlichen
Kündigung sei ein Aufhebungsvertrag zum 31. März 2012 angeregt worden. Die Umdeutung einer außerordentlichen in eine ordentliche
Kündigung wäre Gegenstand des Klageverfahrens gewesen. Er hat beantragt, den Streitwert auf den Auffangstreitwert von 5.000.-
EUR festzusetzen.
Die Bg. halten die Streitwertentscheidung für vertretbar, den Streitwert für angemessen.
Daneben ist ein weiteres Beschwerdeverfahren (Az.: L 2 P 75/12 B) anhängig, das ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, gerichtet gegen die außerordentliche Kündigung des Versorgungsvertrages
durch die Bg., betrifft.
II.
Die statthafte und zulässige Beschwerde (§
197 a Abs.
1 S. 1
Sozialgerichtsgesetz -
SGG - in Verbindung mit §§ 63 Abs. 2, 68 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG) ist unbegründet.
Das Verfahren ist gemäß §
197 a SGG grundsätzlich kostenpflichtig. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 3 Abs. 1, 52 GKG. In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des
Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen, § 52 Abs. 1 GKG. Bietet der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwertes, ist gemäß
§ 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000.- EUR anzunehmen. Betrifft der Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend, § 52 Abs. 3 GKG.
Grundsätzlich ist der Streitwert in dem Verfahren, das die Kündigung des Versorgungsvertrages betrifft, nicht gemäß § 52 Abs. 2 GKG nach dem pauschalen Streitwert in Höhe von 5.000.- EUR, sondern gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach dem dreifachen Jahresumsatz festzusetzen (BSGE 101, 6 ff). Zutreffend zitiert das Sozialgericht diese Entscheidung des BSG vom 12. Juni 2008. Der für Pflegeversicherung zuständige 3. Senat hat darin ausgeführt, dass im Vergleich zu den vorangegangenen
Entscheidungen des 3. und 6. Senats, die eine begehrte Zulassung betrafen, bei Klagen gegen eine Zulassungsentziehung nach
§
74 SGB XI andere Maßstäbe anzulegen sind, da der Entzug der Zulassung erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen für den Träger der Pflegeeinrichtung
nach sich zieht: Da in den laufenden Betrieb und den Bestand eingegriffen werden würde, sind die wirtschaftlichen Folgen schwerwiegender
als bei einer Versagung der Zulassung, so dass bei der Streitwertfestsetzung nicht auf den Jahresgewinn, sondern den -umsatz
abzustellen ist. Der Senat hält daher auch vorliegend an seiner Rechtsprechung (Beschluss vom 15.09.2010, Az.: L 2 P 41/10 B ER) fest und sieht auch im vorliegenden Einzelfall keine Veranlassung, hiervon grundsätzlich abzuweichen.
Der pauschale Streitwert von 5.000.- EUR ist vorliegend nicht anzuwenden, da das wirtschaftliche Interesse des Bf. in dem
Klageverfahren gemäß den o.g. Grundsätzen feststellbar ist. Dabei war der maßgebliche Klageantrag sowohl im Haupt- als auch
im Hilfsantrag auf die Aufhebung der außerordentlichen Kündigung des Versorgungsvertrages gerichtet und nicht auf eine Umwandlung
in eine ordentliche Kündigung. Allein dass im Rahmen der Begründung eine vergleichsweise Erledigung mit einer Beendigung zum
31. März 2012 vorgezeigt wird, ändert nichts an dem wirtschaftlichen Interesse des Bf. im Klageverfahren, das durch den Klageantrag
bestimmt wird.
Die Berechnung des Jahresumsatzes wie vom Sozialgericht vorgenommen ist nicht zu beanstanden. Ihr liegen die Angaben der Bg.
zu den Umsätzen gegenüber der Beklagten zu 1) für die Jahre 2008 bis 2010 zugrunde. Da vom Bf. keine weiteren Angaben vorliegen,
ist auch ein Zuschlag von 50 v.H. für das Vertragsverhältnis zu den Beklagten zu 2) bis 6) nicht zu beanstanden. Dies entspricht
den Erfahrungswerten der Beklagten zu 1).
Der Streitwert ist daher vom Sozialgericht zutreffend gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 125.631,08.- EUR festgesetzt worden.
Die Gebührenfreiheit und die Kostenentscheidung beruhen auf § 68 Abs. 3 GKG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§§
177 SGG; 68 Abs. 3 S. 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 S. 3 GKG).