Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Deckungslücke bei der Beitragsübernahme für eine private Krankenversicherung; Anordnungsgrund
für einstweiligen Rechtsschutz
Gründe:
Die am 29. Januar 2010 eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Januar
2010 ist statthaft und zulässig (§§
172,
173 des Sozialgerichtsgesetzes -
SGG). Sie ist jedoch unbegründet.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich
einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind nach
§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2, §
294 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) glaubhaft zu machen.
Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Begehren des Antragstellers zu entsprechen, die Antragsgegnerin vorläufig
im Wege der einstweiligen Anordnung zur Übernahme der vollen Beiträge des Antragstellers, die dieser im Rahmen des Basistarifs
der privaten Krankenversicherung seiner Krankenkasse derzeit schuldet (halber Basistarif nach § 12 Abs. 1c Satz 6 in Verbindung
mit Satz 4 des Versicherungsaufsichtsgesetzes - VAG) sowie zur Übernahme bereits aufgelaufener Beitragsschulden zu verpflichten.
Die Beschwerdebegründung gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden Betrachtung.
Denn trotz der vom Antragsteller vorgelegten Schreiben seiner privaten Krankenkasse, die wegen der Beitragsrückstände von
einem Ruhen seines Versicherungsverhältnisses ausgeht, steht ihm ein Anordnungsgrund für einstweiligen Rechtsschutz gegen
die Antragsgegnerin nicht zu Seite, die bereits Leistungen in gesetzlicher Höhe erbringt. Da der Antragsteller hilfebedürftig
im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) unabhängig von der Höhe seiner Beitragspflicht im Rahmen des Basistarifs
der privaten Krankenversicherung ist, und er derzeit auch laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II von der Antragsgegnerin bezieht (Änderungsbescheid vom 16. Dezember 2009 für den Bewilligungszeitraum vom 1. Oktober
2009 bis 31. März 2010), ruht nach § 193 Abs. 6 Satz 5 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) sein Versicherungsverhältnis nicht und ist die Haltung der A. P. Krankenversicherungs-AG rechtswidrig. Denn § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG ist nach seinem Sinn und Zweck so auszulegen, dass nicht nur ein bereits eingetretenes Ruhen bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit
endet, sondern ein Ruhen auch bei bereits bestehender Hilfebedürftigkeit schon nicht eintreten kann; der Schutzweck der Norm,
die dem Hilfebedürftigen seinen Krankenversicherungsschutz erhalten soll, fordert deren Anwendung in dem einen wie dem anderen
Fall.
Eine dadurch begründete Notlage, dass die private Krankenkasse des Antragstellers dem nicht Folge leistet, ist nicht durch
die Übernahme höherer als der derzeit gesetzlich geregelten Beiträge durch die Antragsgegnerin einschließlich der Übernahme
von Beitragsschulden, sondern durch gesetzeskonformes Verhalten der A. P. Krankenversicherungs-AG abzuwenden.
Hierzu weist der Senat auf Folgendes hin:
§ 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II führt durch seinen Verweis auf § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG in der Tat zu einer finanziellen Deckungslücke,
weil hierdurch die Beitragsübernahme für eine Versicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen im Basistarif
auf den Betrag begrenzt wird, der für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung nach
dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) - ermäßigter Beitragssatz nach §§
246,
243,
232a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB V - zu tragen ist, und der noch unter dem auf die Hälfte geminderten Beitrag im Basistarif liegt, wenn Hilfebedürftigkeit unabhängig
von der Beitragshöhe besteht. Die Bundesregierung hat insoweit von einer gesetzlichen Regelungslücke gesprochen, der in der
16. Legislaturperiode nicht mehr abgeholfen werden konnte (BT-Drucks. 16/13892, S. 33).
Doch bleibt auch bei einer Beitragsübernahme nur im Umfang des § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG der private Krankenversicherungsschutz
aufgrund von § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG in vollem Umfang erhalten. Dies ist auch die Auffassung der Bundesregierung, die sich in aller Deutlichkeit aus deren Antwort
auf eine parlamentarische Anfrage ergibt (BT-Drucks. 16/13892, S. 33):
"Wichtig für alle Betroffenen in dieser Situation ist, dass der Krankenversicherungsschutz in jedem Fall sichergestellt ist.
So darf der Krankenversicherungsvertrag vom Versicherer auch bei ausstehenden Beitragszahlungen keinesfalls gekündigt werden.
Zudem ist der Versicherer trotz eventueller Beitragsrückstände verpflichtet, die vollen Leistungen des Basistarifs zu erbringen,
denn er darf diese nicht ruhend stellen (§ 193 Absatz 6, Satz 5 des Versicherungsvertragsgesetzes, VVG). Eine Aufrechnung der eingereichten Rechnungen des Versicherten mit den noch ausstehenden Beitragszahlungen ist ebenfalls
nicht zulässig."
Auch angesichts dieser Haltung der Bundesregierung vermag der Senat der Auffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg
(Beschluss vom 18.1.2010 - L 34 AS 2001/09 B ER, L 34 AS 2002/09 B PKH) nicht zu folgen, dass wegen verbleibender Auslegungszweifel, ob § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG auch ein Ruhen bei bereits bestehender Hilfebedürftigkeit verhindert, im Rahmen einer Folgenabwägung die Antragsgegnerin
zur darlehensweisen Schließung der Deckungslücke verpflichtet hat.
Damit ist ein nach wie vor ungelöstes Problem zwar, dass den von der Regelung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung
mit § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG Betroffenen wie dem Antragsteller enorme Beitragsrückstände für eine Zeit nach dem Leistungsbezug
zugemutet werden. Das aber ist dem Gesetzgeber bekannt, und es kommen mehrere Lösungen - Verpflichtung des Leistungsträgers
nach dem SGB II zur vollen Beitragsübernahme, Verpflichtung der privaten Krankenversicherungsunternehmen zur Beitragssenkung
im Basistarif - in Betracht, die durch gerichtliche Eilentscheidung nicht vorwegzunehmen sind, solange der Krankenversicherungsschutz
nicht gefährdet ist. Dies aber ist aufgrund von § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG der Fall.
Sollte die private Krankenkasse des Antragstellers sich gleichwohl weigern, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen,
muss der Antragsteller gerichtlich, ggf. auch durch Eilrechtsschutz nach der
ZPO, gegen diese vorgehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).