Erhöhung eines Grades der Behinderung
Bildung eines Gesamt-GdB
Höchster Einzel-GdB
Tatbestand:
Die 1968 geborene Klägerin begehrt noch die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab November 2012.
Einen Erstfeststellungsantrag der Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Mai 2009 abgelehnt, auf ihren Widerspruch
jedoch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2009 einen GdB von 20 ab dem 10. August 2009 zuerkannt und dem eine entzündlich-rheumatische
Gelenkerkrankung" und eine Funktionsstörung beider Kniegelenke zugrunde gelegt.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin weiterhin einen GdB von mindestens 50 und das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen
für das Merkzeichen G reklamiert. Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt und außerdem ein orthopädisches Gutachten
des Sachverständigen Dr. G vom 4. September 2012. Darin ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, bei der Klägerin
bestünde eine entzündlich-rheumatische Erkrankung mit einem GdB von 30, eine Funktionsstörung des Kniegelenkes rechts mit
einem GdB von 20 wegen nicht ausreichend muskulär kompensierbarer Bänderlockerung sowie eine Fußfehlstatik beidseits mit einem
GdB von 10. Insgesamt betrage der GdB 30. Am 7. Februar 2013 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben,
dass bei der Klägerin ab dem 8. März 2010 ein GdB von 30 festgestellt werde. Dem hat er als weitere Funktionsbeeinträchtigung
eine Stimmstörung zugrunde gelegt. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen, im Übrigen jedoch die Klage fortgeführt
und geltend gemacht, sie leide auch unter einem seelischen Leiden. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte ein weiteres
Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass ab November 2012 ein GdB von 40 anerkannt werde. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis
angenommen, die Klage in Bezug auf das Merkzeichen G zurückgenommen, im Übrigen aber an ihrem Klagebegehren festgehalten.
Mit Urteil vom 29. Oktober 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und eine Kostenerstattung nicht zuerkannt. Zur
Begründung hat es ausgeführt, ausweislich der beigezogenen Befundberichte sei das seelische Leiden der Klägerin mit einem
GdB von 30 zu bewerten. Zur geltend gemachten Stimmstörung seien keinerlei Unterlagen vorgelegt worden, weshalb sie mit einem
GdB von 10 zu bewerten sei. Auch das Knieleiden sei mit einem GdB von 10 zu bewerten. Schließlich sei eine rheumatische Erkrankung
mit einem GdB von 30 zu verzeichnen. Dies rechtfertige die Bildung eines Gesamt-GdB von 40. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten
der Klägerin am 12. November 2013 zugestellt worden.
Mit der am 9. Dezember 2013 erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter und sieht die Beeinträchtigung
durch das seelische Leiden und die Stimmstörung nicht hinreichend gewürdigt. Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 29. Oktober 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom
5. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2009 in der Fassung der Ausführungsbescheide vom 14.
November 2013 und vom 8. Januar 2015 zu verpflichten, bei ihr ab November 2012 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Facharztes für Neurologie, Psychiatrie
und Psychotherapie Dr. T vom 24. Februar 2015. Darin ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, der Gesamt-GdB betrage
40. Bei der Klägerin lägen auf seinem Fachgebiet vor:
- Länger andauernde depressive Belastungsreaktion, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (GdB
30),
- Primär chronische Polyarthritis (GdB 30),
- Stimmstörung (GdB 10).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet, denn die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab November
2012.
Nach den §§
2 Abs.
1,
69 Abs.
1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (
SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend
den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahmen in erster Instanz steht es zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin
auf orthopädischem Gebiet jedenfalls unter einer muskulär nicht ausreichend kompensierbaren Bänderlockerung im rechten Kniegelenk
leidet. Der hierfür in Ziffer B18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vorgesehene GdB beträgt 20. Soweit der Beklagte
hierzu einwendet, es sei bei der Begutachtung keine Gangunsicherheit festgestellt worden, überzeugt dies nicht, denn in der
Feststellung muskulär nicht ausreichend kompensierbarer Bänderlockerung liegt implizit die Feststellung einer damit natürlicherweise
verbundenen Gangunsicherheit. Anderenfalls wäre entweder bereits eine Bänderlockerung nicht gegeben oder aber eine solche
doch muskulär kompensierbar.
Es steht ebenso zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin unter einer länger andauernden depressiven Belastungsreaktion
bei chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie einer primär chronischen Polyarthritis leidet.
Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. T. auch zur Bemessung des GdB mit jeweils
30.
Liegen - wie hier - mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß §
69 Abs.
3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann
im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung
größer wird.
Primäre Leiden sind hier die entzündliche Gelenkerkrankung mit einem GdB von 30 und die seelische Erkrankung mit einem GdB
von ebenfalls 30. Beide Erkrankungen stehen in einer wechselseitig verstärkenden Beziehung zueinander, so dass der Gesamt-GdB
gegenüber den Einzel-GdB anzuheben ist. Insoweit folgt der Senat der Einschätzung des Sachverständigen Dr. T., wonach eine
Anhebung auf 40 zu erfolgen hat. Indes ist nunmehr noch das Knieleiden zu berücksichtigen. Dieses hat eine die Teilhabebeeinträchtigung
verstärkende Wirkung gegenüber der sich auf den gesamten Bewegungsapparat beziehenden chronischen Polyarthritis, indem es
der Klägerin über die Schmerzhaftigkeit hinaus das Laufen zusätzlich durch die Bänderlockerung erschwert. Insoweit erscheint
dem Senat eine Bemessung des Gesamt-GdB mit 50 als zutreffend, ohne dass es hierfür auf das Ausmaß der von der Klägerin weiterhin
geltend gemachten Stimmstörung ankäme.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§
193 SGG und §
160 Abs.
2 SGG.