Klagebefugnis der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Rahmen einer Normfeststellungsklage gegen Beschlüsse des Gemeinsamen
Bundesausschusses
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Beschlüsse des Beklagten zu 1) vom 22. November 2007 zur Änderung der Richtlinie "Ambulante
Behandlung im Krankenhaus nach §
116 b SGB V" (im Folgenden: die Richtlinie) betreffend die "Konkretisierung der Multiplen Sklerose in der Anlage 3" und betreffend die
"Konkretisierung der Tuberkulose und Umgruppierung aus Anlage 3 in Anlage 2 der Richtlinie". Der Sache nach will die Klägerin
erreichen, dass der ambulanten Krankenhausbehandlung eines Patienten bei diesen Erkrankungen die gesicherte Diagnose und die
Überweisung durch einen niedergelassenen Facharzt vorausgehen ("Facharztfilter").
Am 22. November 2007 traf der Beklagte zu 1) auf der Grundlage von §
116 b Abs.
4 SGB V die o.g. Beschlüsse, die das Nähere über die ambulante Krankenhausbehandlung von Patienten mit Multipler Sklerose bzw. Tuberkulose
regeln. Zur Beschlussfassung beantragten die dem Beklagten zu 1) angehörenden Vertreter der Klägerin:
- "Die Versorgung in einem nach §
116 b Abs.
2 SGB V berechtigten Krankenhaus für die Leistungen nach §
116 b Nr.
2 Satz 1 Nr. 2 (Diagnostik und Versorgung von Patienten mit Tuberkulose/Diagnostik und Versorgung von Patienten mit Multipler
Sklerose) setzt eine Überweisung durch den Facharzt voraus."
- "Außerdem ist zu fordern, dass die Überweisung durch den Facharzt eine gesicherte Diagnostik für die entsprechenden Krankheiten
voraussetzt, d.h. dass zum Zwecke der Diagnosesicherheit das Zusatzkennzeichen "G" (für "gesicherte Diagnose", vgl. ICD-10-GM/Version
2008/Systematisches Verzeichnis/Internationale statistische Qualifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme,
10. Revision - German Modification), zu verwenden ist."
Die Mehrheit der Mitglieder des Beklagten zu 1) überstimmte in der Beschlussfassung diesbezüglich die Vertreter der Klägerin.
Mit Schreiben vom 2. Januar 2008 forderte die Klägerin den Beklagten zu 2) auf, im Rahmen des Prüfungsverfahrens nach §
94 Abs.
1 SGB V die Beschlüsse in den genannten Punkten als gesetzeswidrig zu beanstanden. Die Einbeziehung eines Facharztes in die Überweisung
und das Vorhandensein einer gesicherten Diagnose seien aus Rechtsgründen unabdingbar für die ambulante Krankenhausbehandlung
eines Patienten. Diesen Antrag ließ der Beklagte zu 2) unbeantwortet. Mit Schreiben vom 10. März 2008 teilte er dem Beklagten
zu 1) vielmehr mit, dass die betreffenden Richtlinienbeschlüsse nicht beanstandet würden. Der Beklagte zu 1) veranlasste daraufhin
die Bekanntmachung der Beschlüsse im Bundesanzeiger vom 2. April 2008, Seiten 1172 f., so dass sie am 3. April 2008 in Kraft
traten.
Am 22. April 2008 hat die Klägerin Klage bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erhoben. Die Klage sei zulässig. Die
Richtlinienbeschlüsse hätten die Rechtswirkung der Bundesmantelverträge und seien damit für die Kassenärztliche Bundesvereinigung,
die Kassenärztlichen Vereinigungen und für die teilnehmenden Vertragsärzte bindend. Die Verbindlichkeit der Beschlüsse für
die Klägerin als eine der Trägerorganisationen des Beklagten zu 1) folge aus §
91 Abs.
6 SGB V. Die Klägerin und ihre Mitglieder hätten Anspruch darauf, dass die untergesetzlichen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses
gesetzeskonform und in Übereinstimmung mit der vom Bundesgesundheitsministerium genehmigten Verfahrensordnung ergingen. Die
Trägerorganisationen des Beklagten zu 1) hätten als Normadressaten auch das Recht, den Beschluss auf seine Rechtmäßigkeit
überprüfen zu lassen. Dies folge aus dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes und der Weisungsungebundenheit der Mitglieder
des Beklagten zu 1). Die Nichtbeanstandung durch den Beklagten zu 2) führe insbesondere nicht zur Unzulässigkeit einer gerichtlichen
Überprüfung. Sie stelle einen Teilakt zum Wirksamwerden der Richtlinie dar, womit auch die Klage gegen den Beklagten zu 2)
zulässig sei. Begründet sei die Klage, weil die angegriffenen Beschlüsse im Hinblick auf die im Antrag ersichtlichen Punkte
rechtswidrig seien. Der Katalog in §
116 b Abs.
2 SGB V sei abweichend von den getroffenen Beschlüssen einzuschränken. Er verletze die Rechte der Klägerin und ihrer Mitglieder,
indem er - ungeachtet der anzunehmenden Verfassungswidrigkeit des §
116 b Abs.
2 SGB V - die Möglichkeiten der Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung unzulässig erweitere. Eine einschränkende Auslegung sei geboten,
da ansonsten eine unverhältnismäßige Marktöffnung zulasten niedergelassener und niederlassungswilliger Spezialisten die Folge
wäre. Die Öffnung der Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung sei - zumal mit den staatlichen Finanzierungsvorteilen der Krankenhäuser
- als Wettbewerb der öffentlichen Hand zu bewerten, der ohne die geforderten Einschränkungen eine gegen Art.
3 GG verstoßende Ungleichbehandlung und gemäß Art.
12 Abs.
1 GG einen Eingriff in die berufliche Entwicklungsmöglichkeiten der Vertragsärzte darstelle. Ein Wettbewerbsmodell würde zudem
mit dem Nebeneinander von Zulassungsbeschränkungen für niederlassungswillige (zulassungswillige) Ärzte mit einer spezialisierten
Ausrichtung einerseits und einer nicht mit einer expliziten Bedarfsprüfung versehenen Marktöffnung für Krankenhäuser im Bereich
der ambulanten Versorgung andererseits gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verstoßen. Damit entfalle
die Rechtfertigung für die Zulassungsbeschränkungen bei dem Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung. Es sei zu verhindern,
dass die nach §
116 b SGB V in Frage kommenden Krankenhäuser sich auch mit der den Vertragsärzten möglichen Versorgung befassten und unterhalb der Schwelle
der Ergänzungsversorgung bei seltenen Erkrankungen und besonderen Krankheitsverläufen tätig würden. Daher müsse der Beklagte
zu 1) über seinen Auftrag nach §
116 b Abs.
4 Satz 4
SGB V, die Notwendigkeit der ambulanten Krankenhausbehandlung zu überprüfen, die Möglichkeiten der ambulanten Krankenhausbehandlung
einschränken. Die Überweisung durch einen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Facharzt des entsprechenden Gebiets
sei erforderlich, um die Notwendigkeit der Leistungserbringung im Krankenhaus zu gewährleisten. Die von den Beschlüssen betroffenen
Krankheiten seien auch in der vertragsärztlichen Versorgung diagnostizierbar und therapierbar. Darüber hinaus stelle das obligatorische
Überweisungserfordernis einen verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleichsmechanismus dar. Die Richtlinie dürfe die ambulante
Behandlung im Krankenhaus auch nur unter der Voraussetzung einer Überweisung auf der Basis einer bereits gesicherten Diagnose
ermöglichen. Dies ergebe sich aus der Ergänzungsfunktion der Versorgung nach §
116 b SGB V. Die gesetzliche Voraussetzung des Vorliegens einer seltenen Erkrankung bzw. einer Erkrankung mit besonderem Krankheitsverlauf
setze eine gesicherte Diagnose voraus. §
116 b SGB V sei überdies nicht nur verfassungswidrig; er verstoße auch gegen die im europäischen Gemeinschaftsrecht verbürgte Niederlassungsfreiheit
(Hinweis auf Urteil des EuGH vom 10. März 2009, Rs. C-169/07).
Anfänglich hat die Klägerin auch begehrt, den Beklagten zu 2) zu verpflichten, im Wege der aufsichtsrechtlichen Anordnung
nach §
94 Abs.
1 Satz 5
SGB V den Beklagten zu 1) anzuweisen, die Beschlüsse vom 22. November 2007 in den fraglichen Punkten neu zu fassen. Diesen Antrag
hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2009 zurückgenommen. Ihr nunmehr ausschließlich gegen den
Beklagten zu 1) gerichteter Antrag lautet,
a) betreffend die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 22.11.2007: - im Beschluss zur Änderung der Richtlinie
"Ambulante Behandlung im Krankenhaus nach §
116 b SGB V": Konkretisierung "Multiple Sklerose" Anlage 3 Nr. 6 der Richtlinie sowie - im Beschluss zur Änderung der Richtlinie "Ambulante
Behandlung im Krankenhaus nach §
116b SGB V" Konkretisierung "Tuberkulose" Anlage 3 Nr. 5 der Richtlinie "§ 116b" und Umgruppierung TBC von Anlage 3 Nr. 5 in Anlage
2 Nr. 12 der Richtlinie "§ 116b" die Regelungen - jeweils hinsichtlich der "Konkretisierung der Erkrankungen und des Behandlungsauftrags
mittels Angaben von Diagnosen" (Eingangsformulierung jeweils linke Spalte) und - jeweils hinsichtlich des Überweisungserfordernisses
(linke Spalte am Ende der neugefassten Nr. 6 (Multiple Sklerose) und linke Spalte unten am Ende der neugefassten Nr. 13 (Tuberkulose)
als gesetzeswidrig aufzuheben und
b) den Beklagten zu 1) zu verpflichten, anstelle der aufgehobenen Regelungen in beiden Richtlinien ("Multiple Sklerose"/"Tuberkulose")
an der jeweils in Betracht kommenden Stelle folgende Regelungen aufzunehmen:
aa) In der Eingangsformulierung ("Konkretisierung der Erkrankungen ") in der linken Spalte nach der Überschrift in der neuen
Nr. 6 bzw. 13 ("Diagnostik und Versorgung ") zu ergänzen: "Bei der Angabe der Diagnosen zum Zwecke der Diagnosesicherheit
ist das Zusatzkennzeichen "G" zu verwenden.".
bb) "Überweisungserfordernis": "Bei Erstzuweisung besteht ein Überweisungserfordernis durch einen an der fachärztlichen Versorgung
teilnehmenden Vertragsarzt, in dessen Fachgebiet die Erstellung einer gesicherten Diagnose für die genannten Krankheiten fällt.";
c) hilfsweise: festzustellen, dass die vorgenannten Beschlüsse hinsichtlich der bezeichneten Regelungsbereiche gesetzeswidrig
sind.
Hilfsweise beantragt die Klägerin, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte zu 1) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, die Klage sei bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Die Klägerin könne nicht geltend machen, in eigenen subjektiven
Rechten verletzt zu sein. Im hier streitigen Bereich der Krankenhausbehandlung sei keine Rechtsposition ersichtlich, die die
Klägerin ohne Erlass der streitigen Regelungen gehabt hätte und die nunmehr eingeschränkt sei. Im Übrigen sei die Klägerin
für eine Regelung der ambulanten Krankenhausbehandlung weder zuständig noch befugt. Sie nehme hier nur die Interessen der
Vertragsärzte und zulassungswilliger Bewerber wahr, nicht aber eigene Rechte. Eine gewillkürte Prozessstandschaft sei mangels
ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung unstatthaft. In der Sache sei die Klage auf eine abstrakte Normenkontrolle gerichtet.
Das
Sozialgerichtsgesetz sehe dies nicht vor. Denkbar sei nur eine Konkurrentenklage des einzelnen Vertragsarztes, und zwar nicht gegen die Richtlinie,
sondern gegen den einzelnen Exekutivakt, der es einem Krankenhaus erst ermögliche, ambulant tätig zu werden. Die Klage sei
aber auch unbegründet. Die betreffenden Erkrankungen seien bereits von Gesetzes wegen (§
116 b Abs.
3 SGB V) durch Krankenhäuser ambulant behandelbar. Daher gehe eine etwaige Rechtsverletzung nicht von den Richtlinien, sondern unmittelbar
vom Gesetz aus. Den Wortlaut des Gesetzes dürfe der Gemeinsame Bundesausschuss nicht korrigieren. Von einer generellen Marktöffnung
zugunsten der Krankenhäuser könne angesichts der vielfältigen Voraussetzungen keine Rede sein. Die Entscheidung der Krankenhausplanungsbehörde
habe zudem keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Bedarfsplanung im Zulassungssystem der Vertragsärzte, sondern sei davon
rechtlich unabhängig. Auch erfolge die Vergütung nicht aus der an die Kassenärztlichen Vereinigungen geleisteten Gesamtvergütung
nach §
85 SGB V, sondern gem. §
116 b Abs.
5 SGB V unmittelbar durch die Krankenkassen, so dass Einnahmeverluste der niedergelassenen Fachärzte allenfalls bei Unterschreitung
des individuellen Praxisbudgets infolge der Konkurrenz zu erwarten seien. Die verlangte "gesicherte Diagnose" verstoße gegen
den Wortlaut des Gesetzes in §
116 b Abs.
3 SGB V, wo gerade "Diagnostik und Versorgung" in die Hände des Krankenhauses gelegt würden. Im Rahmen seiner Entscheidung nach §
116 b Abs.
4 Satz 3
SGB V habe der Beklagte zu 1) eine Überweisung auch durch Hausärzte für ausreichend gehalten. Der im Gesetz enthaltene Beurteilungsspielraum
sei keineswegs auf die von der Klägerin beanspruchte Regelung eingeengt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in §
116 b SGB V enthaltene Regelung bestünden schließlich nicht; vielmehr müsse man die fortgeltende Legitimation der vertragsärztlichen
Bedarfsplanung in Frage stellen.
Die Beklagte zu 2) hat keinen Antrag gestellt.
Auch die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hält die Klage für unzulässig. Relevante Auswirkungen entfalte die Richtlinie
allenfalls auf niedergelassene Vertragsärzte. Fachärztliche Überweisung und vorherige gesicherte Diagnose seien zudem nicht
gesetzlich zwingend.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich
des Eilverfahrens L 7 KA 31/08 ER und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen
Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe:
Die Zuständigkeit des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg ergibt sich aus §
29 Abs.
4 Nr.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in der Fassung des Gesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444). Danach entscheidet das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg im ersten Rechtszug über Klagen gegen Entscheidungen und
Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und über Klagen in Aufsichtsangelegenheiten gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss.
Die Klage gegen den Beklagten zu 1) hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, so dass der Senat in eine Prüfung ihrer Begründetheit
nicht eintritt.
Unzulässig ist die Klage gegen den Beklagten zu 1), weil die Klägerin offensichtlich und eindeutig (vgl. zu diesem Maßstab
Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Februar 2007, B 6 KA 8/06 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17) eigene rechtlich geschützte Belange nicht geltend machen kann; der Klage mangelt es an
einem in Frage stehenden subjektiven Recht.
Der Klageart nach handelt es sich um eine Normenkontrollklage. In Betracht kommt nur ein Antrag auf Feststellung der Ungültigkeit
der fraglichen Richtlinienbeschlüsse, nicht aber ihre "Aufhebung" bzw. die "Verpflichtung" des Beklagten zu 1) zum Erlass
anders lautender Richtlinienbeschlüsse. Bei den Richtlinienbeschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach §
116 b Abs.
4 SGB V handelt es sich nicht um Verwaltungsakte, die die Möglichkeit der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage eröffnen, sondern
um verbindliche untergesetzliche Normen (§
91 Abs.
6 SGB V; vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 20. März 1996, 6 RKa 62/94, zitiert nach juris, dort Rdnr. 20). Sachgerecht und als Klageart statthaft erscheint danach nur der Feststellungsantrag
zu c). Zwar kennt das
Sozialgerichtsgesetz keine abstrakte Normenkontrolle. Die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Norm ist kein "Rechtsverhältnis" im Sinne der Feststellungsklage
nach §
55 Abs.
1 SGG; eine §
47 VwGO entsprechende Norm fehlt im
SGG. Allerdings hat das Bundessozialgericht unter Verweis auf die Rechtsschutzgarantie des Art.
19 Abs.
4 Satz 1
GG im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung eine Normenkontrollklage juristischer oder natürlicher Personen unter bestimmten
Einschränkungen für zulässig erachtet (vgl. Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 69/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14). Diese Rechtsprechung liegt auch §
29 Abs.
4 Nr.
3, 1. Alt.
SGG zu Grunde.
Unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Klage auf Feststellung der Gültigkeit untergesetzlicher Rechtsvorschriften
als "Normfeststellungsklage" ist die gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit des Klägers, ähnlich der Klagebefugnis nach
§
54 Abs.
1 Satz 2
SGG. Unmittelbarkeit in diesem Sinne setzt voraus, dass die Rechtsnorm selbst die Betroffenheit des Klägers hervorruft, indem
sie dessen eigene rechtlich geschützten Belange berührt (vgl. zu alledem Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 9. Aufl. 2008, Rdnr. 10 b bis 10 e zu §
55). Für eine solche als subjektives Recht wirkende Norm ist vorliegend nichts ersichtlich.
Eigene rechtlich geschützte Belange hat das Bundessozialgericht etwa berührt gesehen im Rahmen einer Klage der Spitzenorganisationen
der Pflegedienste gegen die Regelung in Nr. 3 Satz 2 Krankenpflege-Richtlinien. Die Krankenpflege-Richtlinien beeinflussten
nämlich allein durch ihre rechtliche Existenz den Spielraum der Spitzenorganisationen der Pflegedienste bei der Vereinbarung
von Rahmenempfehlungen zur näheren Ausgestaltung der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege, ohne dass es hierfür noch eines
gesonderten Vollzugsaktes bedurfte. Die Spitzenorganisationen der Pflegedienste nähmen zudem im Zusammenhang mit der Vereinbarung
von Rahmenempfehlungen zur häuslichen Krankenpflege eigene und von der Rechtsordnung geschützte Belange wahr. Sie würden hierbei
nicht lediglich als Teil mittelbarer Staatsverwaltung tätig, sondern erfüllten bei der Mitwirkung an der Vereinbarung von
Rahmenempfehlungen vielmehr originär ihre Funktion als private Zusammenschlüsse zur Interessenvertretung ihrer Mitglieder
(Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 16, 17, mit Hinweis auf Art.
9 Abs.
3 Satz 1
GG).
Gemessen daran und im Unterschied etwa zu den Spitzenorganisationen der Pflegedienste bei einer Klage gegen die Krankenpflege-Richtlinien
kann die Klägerin im vorliegenden Zusammenhang keine eigenen - und auch keine fremden - rechtlich geschützten Belange geltend
machen. Ihr fehlt damit ein Klagerecht.
Die Klägerin ist - ebenso wie die Kassenärztlichen Vereinigungen - eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§
77 Abs.
5 SGB V). Damit ist sie eine Behörde, die der Gesetzesbindung unterliegt (Art.
20 Abs.
3 GG). Sie ist kein Grundrechtsträger (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. September 1995, 1 BvR 597/95, zitiert nach juris) und auf die ihr kraft Gesetzes zugewiesenen Aufgaben beschränkt (vgl. Scholz in Becker/Kingreen,
SGB V, 1. Aufl. 2008, Rdnr. 4 zu §
77). Ihre Aufgabe besteht von Gesetzes wegen (§
75 Abs.
1 Satz 1
SGB V) insbesondere in der Wahrnehmung des Sicherstellungsauftrages. In diesem Zusammenhang hat sie die Rechte der Vertragsärzte
gegenüber den Krankenkassen wahrzunehmen (§
75 Abs.
2 SGB V).
Aus §
75 Abs.
2 SGB V lässt sich dabei kein subjektives Recht der Klägerin ableiten. Einerseits beschränkt sich die Interessenwahrnehmung durch
die Klägerin auf die Beziehungen der Vertragsärzte mit den Krankenkassen. Andererseits steht dieses Mandat in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem Sicherstellungsauftrag und kann daher zur Überzeugung des Senats nicht verallgemeinert werden. §
75 Abs.
2 SGB V führt zu gebündelter Interessenwahrnehmung und Verhandlungsbefugnis; die Rechtswahrnehmung durch die Klägerin ist eine Kompensation
für die fehlenden unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen. Eine Vertretungsaufgabe im Sinne
einer allgemein-berufspolitischen Zielsetzung ist damit nicht übertragen (vgl. Hesral in jurisPK
SGB V, Rdnrn. 62 bis 66 zu §
75; Klückmann in Hauck,
SGB V, Rdnr. 6 zu §
75; Orlowski in GKV-Komm
SGB V, Rdnr. 29 bis 31 zu §
75). Der Klägerin kommt daher für die von ihr vertretenen Kassenärztlichen Vereinigungen und Vertragsärzte weder eine Verbandsklagekompetenz
noch eine Prozessstandschaft zu. Entscheidend ist insoweit, dass das
SGB V der Klägerin kein allgemeines Mandat zur Wahrnehmung der Rechte der Vertragsärzte bei der Abwehr von Konkurrenz durch die
Krankenhäuser zuschreibt; aufgrund ihres gesetzlich genau umgrenzten Aufgabenkreises wird ihr deshalb auch allgemein eine
Klagebefugnis bzw. ein Feststellungsinteresse bei Klagen in Zusammenhang mit Maßnahmen oder Richtlinienbeschlüssen nach §
116 b SGB V abgesprochen (vgl. hierzu Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2008, L 2 B 485/07 ER KA, zitiert nach juris, dort Rdnr. 15; Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 4. Februar 2009, S 16 KA 654/08 ER, zitiert nach juris; Möller, SGb 2009, S. 345 [350]; Stollmann, NZS 2009, S. 248 [252]; Wenner, GesR 2007, 337 [343]). Der Sicherstellungsauftrag selbst ist von Maßnahmen und Richtlinien auf der Grundlage
von §
116 b SGB V gleichzeitig nicht berührt. Dies gilt auch insoweit, als das Gesetz in §
116 b Abs.
2 SGB V die Berücksichtigung der vertragsärztlichen Versorgungssituation fordert. Zwar mag sich die Bestimmung von Krankenhäusern
zur ambulanten Behandlung dadurch auf den Sicherstellungsauftrag auswirken, dass in den Katalogbereichen mehr Behandler zur
Verfügung stehen. Der Sicherstellungsauftrag selbst ist hiervon aber ebenso wenig betroffen wie die von den Krankenkassen
nach §
85 SGB V zu entrichtende Gesamtvergütung.
Eigene rechtlich geschützte Belange kann die Klägerin auch nicht daraus ableiten, dass sie gemäß §
91 Abs.
1 Satz 1
SGB V zu den Trägerorganisationen des Beklagten zu 1) gehört. Zwar trifft es zu, dass §
91 Abs.
6 SGB V die Verbindlichkeit der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Träger nach §
91 Abs.
1 Satz 1
SGB V anordnet und die Richtlinien nach §
92 Abs.
8 SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge sind. Allein hieraus folgt jedoch keine Klagebefugnis, da die Kompetenz der Klägerin
zur Vertragsschließung nach §
87 Abs.
1 SGB V unberührt bleibt und die Verbindlichkeit einer Norm nicht ohne Weiteres auch die rechtlich geschützten Belange der Normadressaten
berührt.
Eine Parallele zur Anfechtbarkeit von Entscheidungen des Erweiterten Bewertungsausschusses (§
87 Abs.
4 und
5 SGB V) kann nicht gezogen werden. Die Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
gegenüber den Vertragspartnern aufgrund der Schiedsamtsfunktion des Gremiums anfechtbare Verwaltungsakte (vgl. Urteil vom
11. September 2002, B 6 KA 34/01 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 19). Gerade in der Schiedsamtsfunktion liegt der entscheidende Unterschied zur Tätigkeit
des Gemeinsamen Bundesausschusses. Dieser trifft seine Beschlüsse mit der Mehrheit der gesetzlich vorgesehenen Mitglieder
(§
91 Abs.
1 Satz 1, Abs.
7 Satz 1
SGB V) und wirkt so originär rechtsetzend, ohne dass seine Entscheidungen schiedsamtlichen Charakter hätten. Den Mitgliedern des
Beschlussgremiums kommt eine gerichtliche Anfechtungsbefugnis daher nicht zu. Das Recht auf Mitwirkung im Gemeinsamen Bundesausschuss
würde durch eine formell oder materiell rechtswidrige Richtlinie zudem nicht beeinträchtigt. Gemäß §
91 Abs.
2 SGB V gehören dem Beklagten zu 1) zwei Vertreter der Klägerin an, denen unter den 13 Mitgliedern des Beklagten zu 1) auch bei der
Beschlussfassung volles Stimmrecht zukommt. Die geltend gemachte inhaltliche Rechtswidrigkeit eines Beschlusses schränkt die
organschaftlichen Rechte der Vertreter der Klägerin nicht ein. Die Vertreter der Klägerin haben vielmehr in Ausübung Ihres
Stimmrechts entsprechend der auch hier vorgetragenen Überzeugung der Klägerin gegen den Beschluss gestimmt. Einen darüber
hinausgehenden Anspruch auf Rechtmäßigkeitskontrolle der beschlossenen Richtlinien kann es für die Mitglieder des Beschlussgremiums
nicht geben. Grundsätzlich wäre allenfalls denkbar, den einzelnen Mitgliedern des Gemeinsamen Bundesausschusses ein Klagerecht
gegen diesen zuzuerkennen, wenn die Verletzung von Verfahrensrechten - etwa in Gestalt des willkürlichen Ausschlusses von
Abstimmungen - geltend gemacht wird. Auch dann wären aber nur die Mitglieder des Beschlussgremiums klagebefugt, in keinem
Fall dagegen die Klägerin als entsendende Körperschaft.
"Fraktionsrechte", etwa in Gestalt der verfassungsrechtlich für die Fraktionen einer gesetzgebenden Körperschaft vorgesehenen
eigenen Rechte, kennen das Gesetz und die Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht. Im Rahmen der Selbstverwaltung
bestehen Klagrechte grundsätzlich nur, wenn das Gesetz sie vorsieht. Weil das Gesetz im Falle des Gemeinsamen Bundesausschusses
schweigt, muss es dabei bleiben, der Klägerin ein Klagerecht abzusprechen. Sofern sie die Mehrheitsentscheidung des Gemeinsamen
Bundesausschusses im konkreten Fall für rechtswidrig hält, muss sie dies hinnehmen. Es erscheint auch ohne Weiteres sachgerecht,
die Klägerin von einer Begründetheitsprüfung auszuschließen; andernfalls hätten es Angehörige eines Beschlussgremiums wie
des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Hand, missliebige Mehrheitsentscheidungen stets der gerichtlichen Kontrolle zuzuführen.
Im Sinne effektiver Regulierung und Verwaltung kann dies nicht gewollt sein. Denkbar sind allenfalls Klagen einzelner Vertragsärzte
gegen die Zulassung einzelner Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung nach §
116 b Abs.
2 SGB V. Der Senat ist nicht gehalten, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur konkreten Nomenkontrolle vorzulegen
(Art.
100 Abs.
1 GG), denn auf die Gültigkeit von §
116 b SGB V (in der Fassung des GKV-WSG vom 26. März 2007, BGBl. I S. 378) kommt es für die vorliegende Entscheidung, die allein prozessrechtlicher Natur ist, nicht an. Zur Verfassungswidrigkeit
von §
116 b Abs.
2 SGB V hat die Klägerin im Übrigen nichts Substantielles vorgetragen. Der Sinn und Zweck der Norm besteht darin, über die Ermächtigung
einzelner Krankenhausärzte gemäß §
116 SGB V hinaus den Versicherten die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten von Krankenhausärzten ohne Aufnahme in ein Krankenhaus
zugute kommen zu lassen und dabei ambulante und stationäre Versorgung zu verzahnen; es soll ein Wettbewerb ermöglicht werden
zwischen verschiedenen Versorgungsformen, um eine patienten- und bedarfsgerechtere sowie effizientere Versorgung zu gewährleisten
(BT-Drs. 16/3100, S. 152). Im Rahmen seiner Prüfungskompetenz hat der Senat insoweit auch keine durchgreifenden Bedenken an
der Verfassungsmäßigkeit der Norm (ebenso Wenner, GesR 2007, S. 337 ff., insbes. S. 342; Vollmöller, NZS 2006, S. 572; kritischer: Pitschas, MedR 2008, S. 473, insbes. 478 bis 480; vgl. auch das Gutachten von Barth und Hänlein zur "Gefährdung der Berufsfreiheit niedergelassener Vertragsärzte
durch Verträge nach §
116 b Abs.
2 SGB V" für den Berufsverband der niedergelassenen Hämatologen und internistischen Onkologen in Deutschland e.V., abzurufen bei
www.kbv.de). Etwas anderes ergibt sich vor allem nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Klagebefugnis von
Vertragsärzten gegen die Ermächtigung von Krankenhausärzten (Beschluss vom 17. August 2004, 1 BvR 378/00, zitiert nach juris). Dieser Beschluss befasst sich nämlich mit der prozessualen Gestaltung von Konkurrenzsituationen in
Bereichen, in denen kraft Gesetzes der Vorrang der niedergelassenen Ärzte gilt (§
116 Satz 1 und Satz 2
SGB V). Wo der Gesetzgeber selbst aber diesen Vorrang einschränkt oder beseitigt - wie mit §
116 b SGB V -, indem er anderen Leistungserbringern gleichberechtigt neben den Vertragsärzten und ohne Prüfung eines Bedarfs den Zugang
zur ambulanten Versorgung der Versicherten eröffnet, hat die genannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Bedeutung
(Wenner, a.a.O.).
Nachdem die Klägerin ihre Klage gegen den Beklagten zu 2), mit der sie eine Aufsichtsmaßnahme herbeiführen wollte, zurückgenommen
hat, war insoweit nur noch über die Kosten zu entscheiden.
Der Senat misst dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung bei und hat daher die Revision zugelassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).