Heranziehung eines selbständig tätigen Lehrers zu Pflichtbeiträgen der gesetzlichen Rentenversicherung
Verjährungshemmung
Begriff des Beitragsverfahrens
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass das Sozialgericht Braunschweig ihren Bescheid über die Heranziehung
des Klägers als selbständigen Lehrer zu Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, bezogen auf den Beitragszeitraum
vom 1. Dezember 2002 bis zum 30. November 2003, ausgehend von einer eingetretenen Verjährung, aufgehoben hat.
Nach einer früheren Dienstzeit im Bundesgrenzschutz von 1962 bis 1974 war der 1944 geborene Kläger von 1980 bis zum Ruhestand
als selbständiger Lehrer beruflich tätig, ohne seinerseits einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer zu beschäftigen. Eine
Heranziehung zu Rentenversicherungsbeiträgen erfolgte jedoch zunächst nicht.
Der Kläger legte finanzielle Mittel für eine private Altersvorsorge in Form von Lebensversicherungen zurück, aus denen er
2007/08 rund 117.000 EUR ausgezahlt erhielt, wobei von dieser Summe inzwischen allerdings nur noch Fondsvermögen in Höhe von
53.000 EUR verblieben sein soll.
Im Juni 2007 wandte sich der Kläger an die Beklagte und bat um Prüfung, ob ihm Rentenansprüche aus seiner früheren Dienstzeit
im Bundesgrenzschutz zustehen könnten. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verfahren gegenüber dem Bundespolizeipräsidium I.
ein, um Nachversicherungsansprüche zugunsten des Klägers abzuklären. Nachdem dieses im September 2007 Nachversicherungsbeiträge
in Höhe von 53.774,54 EUR entrichtet hatte, schloss die Beklagte verwaltungsintern das Nachversicherungsverfahren mit Verfügung
vom 29. Oktober 2007 ab. Zugleich wurde verfügt, dass an den Kläger mit der Mitteilung über den Eingang der Nachversicherungsbeiträge
zum Zwecke der Kontobereinigung ein aktueller Versicherungsverlauf zu übersenden sei.
Entsprechend bat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 9. November 2007 um nähere Angaben und um Vorlage von Nachweisen
für die bis dahin im Versicherungsverlauf ungeklärten Zeiträume. In seiner Antwort vom 18. November 2007 teilte der Kläger
insbesondere mit, dass er seit 1980/81 als selbständiger Lehrer für die Kreisvolkshochschule J. beruflich tätig sei.
Mit Schreiben vom 21. November 2007 bat die Beklagte zur abschließenden Bearbeitung des "Antrages auf Kontenklärung" um Zusendung
weiterer Studiennachweise. Dieser Aufforderung kam der Kläger im Februar 2008 nach.
Mit Verfügung vom 19. Februar 2008 verfügte das bis dahin zuständige Dezernat der Beklagten Nr. 4770 eine Abgabe des Vorganges
an das Dezernat Nr. 4977 in Hinblick auf eine Prüfung der Versicherungspflicht des Klägers als selbständiger Lehrer. Dieses
richtete daraufhin am 4. März 2008 eine Aufklärungsverfügung an den Kläger.
Im weiteren Verlauf des Prüfverfahrens wurde mit Bescheiden vom 7. Juli 2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17.
Februar 2010 und des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2010 eine Versicherungspflicht des Klägers als selbständiger Lehrer
in der gesetzlichen Rentenversicherung seit Januar 1980 mit der Maßgabe festgestellt, dass Beiträge rückwirkend für den Zeitraum
ab Dezember 2002 zu entrichten seien. Für die vorausgegangene Zeit sei hingegen bereits Verjährung eingetreten. Die Höhe der
rückständigen Beitragsforderung für den Zeitraum 1. Dezember 2002 bis 30. September 2008 setzte die Beklagte auf 32.063,17
EUR fest.
Mit der am 4. Mai 2010 erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, dass er angesichts seiner früheren Unkenntnis
von dem Bestehen einer Rentenversicherungspflicht für selbständige Lehrer die rückwirkende Beitragsheranziehung als eine sachlich
nicht vertretbare Härte empfinde.
Mit Urteil vom 9. Juli 2013, der Beklagten zugestellt am 29. Juli 2013, hat das Sozialgericht Braunschweig unter Abweisung
der Klage im Übrigen die angefochtenen Bescheide sinngemäß insoweit aufgehoben, wie der Kläger auch zu Pflichtbeiträgen für
den Beitragszeitraum 1. Dezember 2002 bis 30. November 2003 und damit zu höheren Beitragszahlungen als insgesamt 26.510,57
EUR herangezogen worden ist. In den Gründen hat das Sozialgericht dargelegt, dass im Ausgangspunkt keine Zweifel an der Ausübung
einer der Rentenversicherungspflicht unterliegenden beruflichen Tätigkeit als selbständiger Lehrer im Sinne des §
2 Satz 1 Nr. 1
SGB VI bestünden. Für den Beitragszeitraum 1. Dezember 2002 bis 30. November 2003 stünde einer Heranziehung des Klägers jedoch die
nach Maßgabe des §
25 Abs.
1 Satz 1
SGB IV bereits eingetretene Verjährung entgegen, eine Unterbrechung der Verjährungsfristen durch die Einleitung eines Beitragsverfahrens
im Sinne von §
198 Satz 2
SGB VI sei erstmals im März 2008 erfolgt.
Mit ihrer am 20. August 2013 eingelegten Berufung macht die Beklagte demgegenüber geltend, dass bereits das im Sommer 2007
durchgeführte Verfahren zur Nachversicherung des Klägers aufgrund seiner früheren Dienstzeiten im Bundesgrenzschutz, jedenfalls
aber das im Herbst 2007 eingeleitete Kontenklärungsverfahren die Verjährungsfrist nach Maßgabe des §
198 Satz 2
SGB VI unterbrochen habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Braunschweig vom 9. Juli 2013 insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung hat das Sozialgericht für den noch streitbetroffenen Beitragszeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 30.
November 2003 zutreffend eine Verjährung angenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Zustimmung beider Beteiligter (vgl. Schriftsatz des Klägers vom
19. März 2014 und Schriftsatz der Beklagten vom 31. März 2014) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Das Sozialgericht hat zutreffend dargelegt, dass einer Geltendmachung von Beiträgen aufgrund der - als solche auch von Seiten
des Klägers nicht mehr in Zweifel gezogenen - dem Grunde nach bestehenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
nach Maßgabe des §
1 Satz 1 Nr. 1
SGB VI für den noch streitbetroffenen Zeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 30. November 2003 die eingetretene Verjährung entgegensteht.
Nach §
25 Abs.
1 Satz 1
SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Lediglich
Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig
geworden sind (Satz 2), wobei im vorliegenden Zusammenhang aber von vornherein kein Raum für die Annahme eines entsprechenden
Vorsatzes bleibt.
Nach der seinerzeit maßgeblichen Regelung in §
23 Abs.
1 Satz 2
SGB IV a.F. wurden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, spätestens am Fünfzehnten des
Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen
erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt.
Hiervon ausgehend hätte der Kläger für den noch streitbetroffenen Zeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 30. November 2003 die
Beiträge jeweils in den darauffolgenden Monaten, d.h. in den Monaten Januar bis Dezember 2003 entrichten müssen. Hierauf bezogen
war die erläuterte vierjährige Verjährungsfrist im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide im Jahr 2008 bereits
verstrichen.
Das Sozialgericht hat auch zutreffend dargelegt, dass die zuvor im Jahr 2007 von der Beklagten durchgeführten Verfahren auch
unter Berücksichtigung der Vorgaben des 198
SGB VI nicht geeignet waren, die Verjährungsfristen zu verlängern.
§
198 Satz 2
SGB VI sieht vor, dass ein Beitragsverfahren oder ein Verfahren über einen Rentenanspruch dazu führt, dass die Verjährung insbesondere
eines Anspruchs auf Zahlung von Beiträgen (§
25 Abs.
1 SGB IV) gehemmt wird; die Hemmung endet sechs Monate nach Abschluss eines der in Satz 1 genannten Verfahren.
a) Das im Sommer 2007 durchgeführte Nachversicherungsverfahren stellte zwar ein Beitragsverfahren dar (vgl. BSG, Urteil vom 27. April 2010 - B 5 R 8/08 R -, SozR 4-2600 § 233a Nr 1), dieses führte jedoch nicht zu einer Hemmung der Verjährungsfristen für den im vorliegenden
Verfahren streitbetroffenen Beitragszeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 30. November 2003. Das Nachversicherungsverfahren betraf
einen ganz anderen Zeitraum, und zwar die Bundesgrenzschutzdienstzeit des Klägers von 1962 bis 1974. Diese Nachversicherung
wies weder zeitlich noch inhaltlich auch nur Berührungspunkte zu dem im vorliegenden Verfahren noch streitbetroffenen Beitragsanspruch
für den Zeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 30. November 2003 auf.
Ausgehend von den gesetzgeberischen Zielvorgaben verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung für eine Verjährungshemmung
nach §
198 Satz 2
SGB VI eine zeitliche Kongruenz der jeweils betroffenen Beitragszeiträume zwischen dem hemmenden Beitragsverfahren und der von einer
Verjährung bedrohten Beitragsforderung. Insbesondere hat das Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 27. Juli 2011 (B 12 R 19/09 R - SozR 4-2600 § 198 Nr. 1) wiederholt darauf abgehoben, ob das zur Unterbrechung der Verjährung führende Beitragsverfahren
sich auch auf "den streitbefangenen Zeitraum" bezogen habe. An diesem Erfordernis fehlt es im vorliegenden Zusammenhang.
b) Das im November 2007 eingeleitete Verfahren stellte kein Beitragsverfahren, sondern lediglich ein sog. Kontenklärungsverfahren
dar. Die Beklagte hat selbst (und sachlich zutreffend) im Schreiben vom 21. November 2007 ausgeführt, dass das damalige Verfahren
lediglich auf eine "Kontenklärung" gerichtet war.
Während unter Beitragsverfahren Verwaltungsverfahren zu fassen sind, die auf die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht
sowie die ordnungsgemäße Beitragserhebung abzielen (BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 - B 12 R 19/09 R -, SozR 4-2600 § 198 Nr 1), dienen Kontenklärungsverfahren der tatsächlichen Abklärung von in der Vergangenheit zurückgelegten
rentenrechtlichen Tatbeständen und namentlich auch des Umfangs der bereits in der Vergangenheit tatsächlich entrichteten Beiträge.
Auch wenn der Begriff eines Beitragsverfahrens weit zu verstehen ist (BSG, Urteil vom 27. April 2010 - B 5 R 8/08 R -, SozR 4-2600 § 233a Nr 1), muss es sich doch auf jeden Fall noch um ein Beitragsverfahren handeln, also um ein Verfahren,
das objektivierbar an der Zielvorstellung der Feststellung und Geltendmachung weiterer Beitragsforderungen ausgerichtet ist.
Ein Kontenklärungsverfahren lässt eine solche Zielvorgabe gerade nicht erkennen. Es ist auf eine Vervollständigung der rentenrechtlich
relevanten Daten, nicht aber auf eine Beitreibung weiterer Beiträge ausgerichtet (vgl. in diesem Sinne auch Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Juni 1999 - L 8 RJ 3318/98 -, juris).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte vielmehr erstmals verwaltungsintern im Februar 2008 (verbunden mit einer Abgabe des
Vorganges an das für entsprechende Beitragsverfahren zuständige Dezernat) ein Verfahren zur Prüfung und Durchsetzung rückständiger
Beitragsforderungen eingeleitet; nach außen hin ist eine entsprechende Aufklärungsverfügung erstmals am 4. März 2008 erlassen
worden.
Im Februar/März 2008 waren die rückständigen Beiträge für den noch streitbetroffenen Beitragszeitraum vom 1. Dezember 2002
bis 30. November 2003 jedoch bereits verjährt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), sind nicht gegeben.