Rentenversicherung
Urlaubsabgeltung als rentenschädlicher Hinzuverdienst
Nichtzulassungsbeschwerde
Begriff der Beschäftigung
Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse
1. Höchstrichterlich geklärt ist, dass für den Begriff der "Beschäftigung" im Sinne von §
96a Abs.
1 Satz 2
SGB VI vom Beschäftigungsbegriff des §
7 SGB IV im leistungsrechtlichen Sinne auszugehen ist.
2. Das BSG hat dabei das - arbeitsvertraglich vereinbarte oder tarifvertraglich angeordnete - Ruhen des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich
lediglich als ein mögliches Beispiel für eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses genannt.
3. Die Frage, wann das Beschäftigungsverhältnis trotz Fortbestand des Arbeitsverhältnisses aufgrund andauernder Arbeitsunfähigkeit
ruht, ist höchstrichterlich ebenfalls hinreichend geklärt.
4. Maßgebend ist danach eine Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse; Erklärungen der Arbeitsvertragsparteien über
den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses haben nur indizielle Bedeutung und sind nicht maßgeblich, wenn sie den tatsächlichen
Verhältnissen widersprechen.
5. Dabei sprechen eine längere eingeschränkte gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers ohne die Möglichkeit, ihn
z.B. aufgrund einer Umsetzung leidensgerecht zu beschäftigen, und ein im laufenden Arbeitsverhältnis bei faktischer Beschäftigungslosigkeit
gestellter Rentenantrag für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinne.
Gründe
I.
Die Beteiligten haben im Klageverfahren über die Frage gestritten, ob eine an den Kläger im Mai 2014 ausgezahlte Urlaubsabgeltung
für die Jahre 2013 und 2014 als rentenschädlicher Hinzuverdienst im Sinne von §
96a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) anzusehen ist.
Das Sozialgericht (SG) hat hierzu folgende, mit Verfahrensrügen gemäß §
144 Abs.
2 Nr.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nicht angegriffenen Feststellungen getroffen: Der Kläger war bis zum 30.4.2014 bei der G GmbH beschäftigt. Er war ab März
2012 arbeitsunfähig krank und wurde auch aus einer vom 29.5. bis 10.7.2012 durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme
als arbeitsunfähig entlassen. Im anschließenden Rentenantragsverfahren stellte ein von der Beklagten veranlasstes sozialmedizinisches
Gutachten Leistungsunfähigkeit des Klägers "in sämtlichen Bereichen" fest, wobei mit einem längeren Verlauf, ggf. sogar Progredienz,
zu rechnen sei. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.10.2012
bis zum 31.8.2015 (Bescheid v. 10.10.2013). Das Arbeitsverhältnis mit der G GmbH endete zum 30.4.2014. Die dem Kläger aus
den Jahren 2013 und 2014 zustehenden Urlaubsabgeltungen von insgesamt 4.083,00 EUR wurden ihm im Mai 2014 ausgezahlt. Die
Beklagte hob daraufhin den Bewilligungsbescheid vom 10.10.2013 für die Zeit vom 1.5. bis 31.5.2014 wegen rentenschädlichen
Hinzuverdienstes gemäß §
96a Abs.
1 SGB VI auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf und verlangte Erstattung des (vermeintlich) überzahlten Betrages von 676,21 EUR (Bescheid v. 11.11.2014 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides v. 19.5.2015).
Das SG hat den mit der Klage angefochtenen Aufhebungsbescheid aufgehoben (Urteil v. 18.1.2016). Es hat ausgeführt, die Urlaubsabgeltungen
seien kein rentenschädlicher Hinzuverdienst, weil sie kein Arbeitsentgelt "aus einer Beschäftigung" im Sinne von § 96a Abs. 1 Satz 2
SGB IV darstellten. Der Begriff der "Beschäftigung" entspreche demjenigen des §
7 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV), und zwar im leistungsrechtlichen Sinne (Hinweis auf BSG, Urteile v. 17.10.2012, B 13 R 85/11 R und B 13 R 81/11 R). Ein solches Beschäftigungsverhältnis habe vorliegend schon seit 2012 nicht mehr bestanden, weil das Leistungsvermögen
des Klägers aufgehoben gewesen sei und der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet habe.
Gegen die Nichtzulassung der Berufung im der Beklagten am 16.2.2016 zugestellten Urteil des SG richtet sich deren Beschwerde. Die Beklagte trägt vor: Die Rentenversicherungsträger hätten sich darauf verständigt, den
vom SG zitierten Entscheidungen des BSG vom 17.10.2012 nur für den Fall zu folgen, dass das Arbeitsverhältnis bereits zum Zeitpunkt des Rentenbeginns aufgrund einer
arbeits- oder tarifvertraglichen Regelung geruht habe. Dagegen sei ein rechtlich weiter bestehendes Arbeitsverhältnis nicht
bereits dadurch beendet, dass ein Arbeitgeber auf seine Dispositionsbefugnis verzichte oder den Arbeitnehmer von der Arbeit
freistelle. Zwar habe das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden, dass ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne
von §
96a SGB VI bei einer andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht vorliege. Es habe diese Frage jedoch als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehen
und daher die Revision zugelassen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.6.2015, L 9 R 5132/14, NZS 2015, 826; Revisionsaktenzeichen: B 13 R 21/15 R).
Der Kläger tritt der Nichtzulassungsbeschwerde entgegen. Er hält die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Rechtsfragen
für hinreichend höchstrichterlich geklärt.
II.
Die statthafte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von §
144 Abs.
1 Nr.
1 SGG. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, "ob vom Wegfall einer Beschäftigung im Sinne von §
96a SGB VI bereits dann auszugehen ist, wenn die Arbeitsleistung krankheitsbedingt auf Dauer nicht erbracht wird", ist nicht grundsätzlich
klärungsbedürftig.
a) Höchstrichterlich geklärt ist, dass für den Begriff der "Beschäftigung" im Sinne von §
96a Abs.
1 Satz 2
SGB VI vom Beschäftigungsbegriff des §
7 SGB IV im leistungsrechtlichen Sinne auszugehen ist (BSG, Urteile v. 10.7.2012, B 13 R 81/11 R und B 13 R 85/11 R). Das BSG hat dabei das - arbeitsvertraglich vereinbarte oder tarifvertraglich angeordnete - Ruhen des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich
lediglich als ein mögliches Beispiel für eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses genannt (B 13 R 85/11 R, [...]Rdnr. 41).
b) Die Frage, wann das Beschäftigungsverhältnis trotz Fortbestand des Arbeitsverhältnisses aufgrund andauernder Arbeitsunfähigkeit
ruht, ist höchstrichterlich ebenfalls hinreichend geklärt. Maßgebend ist danach eine Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse.
Erklärungen der Arbeitsvertragsparteien über den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses haben nur indizielle Bedeutung
und sind nicht maßgeblich, wenn sie den tatsächlichen Verhältnissen widersprechen. Dabei sprechen eine längere eingeschränkte
gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers ohne die Möglichkeit, ihn z.B. aufgrund einer Umsetzung leidensgerecht
zu beschäftigen, und ein im laufenden Arbeitsverhältnis bei faktischer Beschäftigungslosigkeit gestellter Rentenantrag für
die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinne (BSG, Urteil v. 9.9.1993, 7 RAr 96/92, BSGE 73, 90; Urteil v. 28.9.1993, 11 RAr 69/92, BSGE 73, 126; bestätigt in BSG, Urteil v. 4.7.2012, 11 AL 16/11 R, SozR 4-4300 § 123 Nr. 6). Damit ist geklärt, dass die Annahme der Beklagten, ein Beschäftigungsverhältnis
im leistungsrechtlichen Sinne könne bei andauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nur aufgrund arbeitsvertraglich vereinbartem
oder tarifvertraglich angeordnetem Ruhen des Arbeitsverhältnisses enden, gerade nicht zutreffend ist.
c) Dass das LSG Baden-Württemberg in seiner von der Beklagten zitierten Entscheidung abweichend hiervon höchstrichterlichen
Klärungsbedarf sieht, ist für den erkennenden Senat nicht bindend. Die von der Beklagten für ihre Rechtsauffassung ergänzend
angeführte Entscheidung des Bayerischen LSG v. 14.7.2015 (L 14 R 716/14), in der gleichfalls die Revision zugelassen worden ist, betrifft einen abweichenden Fall, nämlich die Frage des Fortbestandes
des Beschäftigungsverhältnisses gemäß §
7 Abs.
3 SGB IV.
2. Das Urteil des SG weicht auch nicht von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab (§
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG). Das SG ist bei seiner Entscheidung vielmehr von den dargestellten Rechtsgrundsätzen ausgegangen und hat sodann - den Anforderungen
des BSG folgend - den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht eingehend gewürdigt. Die Richtigkeit dieser Beweiswürdigung ist im Beschwerdeverfahren
gegen die Nichtzulassung der Berufung vom Beschwerdegericht nicht zu überprüfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).
Mit diesem Beschluss wird das Urteil des SG rechtskräftig (§
145 Abs.
4 Satz 3
SGG).