Kostenübernahme für eine operative Brustverkleinerung durch die gesetzliche Krankenversicherung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes;
Geltung des Vorwegnahmeverbots
Gründe
I.
Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes begehrt die Antragstellerin die Kostenübernahme für eine operative Brustverkleinerung.
Die Antragstellerin ist 1957 geboren, bei der Antragsgegnerin krankenversichert und seit 2002 Rentnerin. Sie ist als Schwerbehinderte
anerkannt mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 90 und den Merkzeichen "G" und "B".
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. März 2010 hatte die Antragsgegnerin eine damals beantragte Kostenübernahme für eine
operative Brustverkleinerung abgelehnt. Im Dezember 2013 erhielt die Antragsgegnerin einen "Ambulanzbrief" des A_________
D_______-K________ H______, in dem eine Mammareduktionsplastik wegen der statischen Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule
sowie des Schultergürtels empfohlen wurde. Eine entsprechende Empfehlung erfolgte durch die Orthopädin T___, den Neurologen
T_____-__________ und den Frauenarzt V______. Die Antragsgegnerin holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (MDK) Nord ein und lehnte den Antrag auf Kostenübernahme nach einem Telefonat mit der Antragstellerin
durch Bescheid vom 7. Januar 2014 ab. Zur Begründung wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass der MDK stabilisierende Maßnahmen
wie Krankengymnastik, das Erlernen von Entspannungstechniken und gegebenenfalls eine gezielte Schmerztherapie empfehle. Außerdem
werde eine Gewichtsreduktion empfohlen. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein.
Am 23. Januar 2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Itzehoe die Übernahme der Kosten der operativen Brustverkleinerung
im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, wie sich aus den ärztlichen Berichten
ergebe, habe die bei ihr vorliegende ausgeprägte Mammahyperplasie mit zusätzlicher Brustschwellung zu einer Chronifizierung
von Schmerzen, zu einem Ablehnen des eigenen Körperbildes und zu einer progredienten Haltungsschwäche geführt. Sie leide an
reaktiven schweren depressiven Störungen aufgrund der ausgeprägten Gigantomastie. Außerdem bestünden Schwierigkeiten beim
Atmen und Schlafstörungen. Sie könne deswegen nur noch im Stehen essen. Die zu großen hängenden Brüste drückten auf Magen
und Verdauungsorgane. Sozialgerichte hätten entschieden, dass ein Anspruch gegenüber einer Krankenversicherung auf operative
Brustverkleinerung bestehe, wenn das Gewicht der Brüste für Wirbelsäulenbeschwerden ursächlich sei. Das sei der Fall. Sie
sei nicht in der Lage, die Operation zunächst selbst zu bezahlen, da sie lediglich eine Rente in Höhe von 568,46 EUR und ergänzende
Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch erhalte. Eine Gewichtsreduktion führe zu keiner Besserung.
Sie habe früher 65 bis 68 kg gewogen. Durch Wassereinlagerung im Jahre 2010 habe sie stark zugenommen. Während einer Rehabilitationsmaßnahme
habe sie 6 kg abgenommen, die Beschwerden in der Brust seien jedoch geblieben.
Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, da weder nachgewiesen sei, dass die orthopädischen Beschwerden durch das
Brustgewicht verursacht werden noch von einer Entstellung gesprochen werden könne, fehle es am Anordnungsanspruch. Zudem fehle
es an einer Eilbedürftigkeit und damit auch am Anordnungsgrund.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 6. Februar 2014 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Ein regelwidriger Körperzustand liege bei der Antragstellerin
nicht vor. Aus den Angaben der die Antragstellerin behandelnden Ärzte lasse sich ein regelwidriger Körperzustand mit Krankheitswert
nicht hinreichend sicher feststellen. Aus den Attesten gehe lediglich hervor, dass die Brüste der Klägerin vergrößert seien
und eine Thosis (hängende Brüste) vorliege. Dies stelle jedoch nach der insoweit einheitlichen Rechtsprechung der Obergerichte
bzw. des Bundessozialgerichts (BSG) für sich genommen keinen krankhaften Befund dar.
Die Größe der Brüste bewirke auch nicht eine äußere Entstellung. Dafür reiche nicht jede körperliche Anomalität, sondern es
müsse sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier und
Betroffenheit hervorrufe und damit zugleich erwarten lasse, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich ziehe, zum Objekt
besonderer Betrachtung anderer werde und sich deshalb aus dem Leben der Gemeinschaft zurückziehe und zu vereinsamen drohe,
so dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet sei. Um eine Auffälligkeit solchen Ausmaßes zu erreichen, müsse
eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein, so dass schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen
quasi "im Vorbeigehen" diese bemerkbar sei und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führe.
Hierfür bestünden vorliegend keine objektiven Anhaltspunkte. Eine derart gravierende Disproportion zwischen Figur, Körperbau
und Brustgröße sei nicht ersichtlich. An dieser Einschätzung ändere auch nichts die in der Verwaltungsakte vorliegende Bilddokumentation.
Maßgeblich für die Frage der Entstellung sei insoweit der bekleidete Zustand in alltäglichen Situationen. Soweit der Neurologe
auf eine durch die Größe der Brüste entstandene reaktive schwere depressive Störung hinweise, rechtfertige dies keinen operativen
Eingriff. Nach Rechtsprechung des BSG könnten psychische Leiden einen Anspruch auf eine Operation zur Brustreduktion nicht begründen, da diese vorrangig durch
Psychiater/Psychologen zu behandeln seien. Die weiteren von der Antragstellerin vorgetragenen Beschwerden führten ebenfalls
nicht zu einem Anspruch auf Übernahme der Kosten einer operativen Brustverkleinerung. Eine solche mittelbare Behandlung bedürfe
einer besonderen Rechtfertigung, indem eine Abwägung zwischen dem voraussichtlichen medizinischen Nutzen und möglichen gesundheitlichen
Schäden erfolgen müsse. Werde dabei in ein funktional intaktes Organ eingegriffen, seien besonders hohe Anforderungen zu stellen,
wobei nach der Rechtsprechung des BSG Art und Schwere der Erkrankung, das Risiko und der eventuelle Nutzen der Therapie gegeneinander abzuwägen seien. In diesem
Zusammenhang seien eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule und die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen orthopädischer
Behandlungsmaßnahmen zu fordern. Hier fehlten bereits medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse generell zu der Frage, dass
ein ursächlicher Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße bestehe. Vorliegend sei nicht
ersichtlich, dass die Antragstellerin konservative Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft habe. So sei nicht dargetan und glaubhaft
gemacht, dass sie konsequent und hinreichend krankengymnastische Übungen wahrgenommen habe, zum anderen ergebe sich aus den
vorliegenden Arztberichten, dass sie an einer Adipositas per magna leide. Konsequente diätische Maßnahmen seien nicht erkennbar.
Darüber hinaus fehle es auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, weil die Antragstellerin nicht alle konservativen
Möglichkeiten ausgeschöpft habe.
Gegen den ihr am 12. Februar 2014 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, eingegangen beim
Sozialgericht Itzehoe am 11. März 2014. Zur Begründung verweist sie auf die vorliegenden ärztlichen Äußerungen. Ein weiteres
Zuwarten sei für sie unzumutbar. Als Schwerbehinderte mit einem GdB von 90 sei sie durch die ausgeprägte Gigantomastie besonders
betroffen.
Die Antragsgegnerin verweist zur Begründung auf ihr bisheriges Vorbringen.
Der Senat hat neben den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin die Verwaltungsakten des Landesamtes für soziale Dienste Schleswig-Holstein
beigezogen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Der Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe
vom 6. Februar 2014 ist nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin vorläufig
verpflichtet wird, die Kosten für eine operative Brustverkleinerung zu übernehmen.
Zutreffend gibt das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
zur Regelung eines vorläufigen Zustandes gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), die hierfür maßgebende Norm, wieder. In diesem Zusammenhang weist das Sozialgericht auch zutreffend darauf hin, dass, wie
sich insbesondere schon aus der Bezeichnung "einstweilige" oder "vorläufige" Anordnung ergibt, die Entscheidung des einstweiligen
Rechtsschutzes die Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen darf. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt etwa dann vor,
wenn eine begehrte Sachleistung in Form einer einstweiligen Anordnung erbracht wird. Auf eine solche Sachleistung ist der
Antrag der Antragstellerin im Ergebnis gerichtet, nämlich die operative Verkleinerung ihrer Brust. Eine solche wäre, etwa
anders als bei einem Antrag auf finanzielle Zuwendungen, nicht mehr rückgängig zu machen. Das bedeutet allerdings nicht, dass
einstweilige Anordnungen, die auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind, stets ausgeschlossen sind. Da der
vorläufige Rechtsschutz als verfassungsrechtliche Notwendigkeit in jedem Verfahren gewährt werden muss, darf eine einstweilige
Anordnung in solchen Fällen dann ausnahmsweise getroffen werden, wenn die Antragstellerin eine Entscheidung in der Hauptsache
nicht mehr rechtzeitig erwirken kann. In dem Fall ist allerdings, worauf das Sozialgericht wiederum zutreffend hinweist, ein
strenger Maßstab an die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung anzulegen. Diesen damit zu fordernden hohen Grad an Wahrscheinlichkeit
für ein Obsiegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren hat das Sozialgericht mit zutreffender Begründung, auf die der
Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG verweist, verneint. Ergänzend weist der Senat noch auf Folgendes hin:
Im Rahmen der Gesamtabwägung ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass, anders etwa als auf finanziellen Ausgleich gerichtete
Anträge, eine spätere Rückgängigmachung der begehrten Sachleistung nicht mehr möglich ist. Das wirkt sich hier vor dem Hintergrund
in besonderem Maße aus, als die Antragstellerin einen Eingriff in ein intaktes Organ einfordert, was wiederum zur Folge hat,
dass, worauf das Sozialgericht zutreffend hinweist, eine besondere Rechtfertigung vorliegen muss. Diese besondere Rechtfertigung
vermag auch der beschließende Senat in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht nicht zu erkennen.
Bei der Antragstellerin fällt insbesondere auf, dass, worauf das Sozialgericht und der MDK in seiner Stellungnahme zutreffend
hinweisen, eine erhebliche Adipositas vorliegt, auf die auch das A_________ D_______________ H______ in dem Ambulanzbericht
hinweist. Eine solche Adipositas per magna wirkt sich negativ auf den Skelettapparat aus und kann die von der Antragstellerin
geklagten Beschwerden verursachen. Durch entsprechende diätetische Anstrengungen könnte sie eine Gewichtsreduktion und in
deren Folge eine größere Entlastung der Wirbelsäule erreichen, als durch die beabsichtigte Reduktion im Rahmen der Brustverkleinerung,
die von dem A_________ D_______________ H______ mit knapp 2.000 g (1.130 g rechts, 830 g links) angegeben wird.
Gegen einen Anordnungsanspruch spricht auch die vom Sozialgericht zitierte umfassende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
und der Landessozialgerichte (LSG), die, wie auch die Rechtsprechung des beschließenden Senats, in der Regel nicht zu einem
Anspruch auf Kostenübernahme der Brustverkleinerung geführt hat (so auch Urteil des Thüringer LSG vom 29. Oktober 2013 - L 6 KR 158/11; Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 7. Oktober 2013 - L 4 KR 477/11; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Mai 2012 - L 1 KR 85/10).
Gegen den vom Sozialgericht ebenfalls abgelehnten Anordnungsgrund spricht bereits, dass die Beschwerden bei der Antragstellerin
schon einen längeren Zeitraum bestehen. So hat sie bereits im Jahre 2009/2010 erstmalig die Übernahme der Kosten der Brustverkleinerung
beantragt, gegen die Ablehnung jedoch Rechtsmittel nicht eingelegt.
Die Beschwerde ist daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kann nicht gewährt werden, denn die nach §
73a SGG i.V.m. §
114 ZPO erforderliche Erfolgsaussichten der Sache sind - wie aus diesem Beschluss ersichtlich - nicht gegeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).