Erstattung bewilligter Leistungen der Grundsicherung nach Aufhebung der Bewilligung
Beschränkung der Haftung der Eltern für Verbindlichkeiten ihres Kindes
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch darüber, ob bzw. in welchem Umfang der inzwischen volljährig gewordene Kläger zu 2. für eine
Erstattungsforderung des beklagten Jobcenters haftet.
Die 1978 geborene, erwerbsfähige Klägerin zu 1. lebte im Jahr 2014 zusammen mit ihrem am xxxxx 2002 geborenen Sohn, dem Kläger
zu 2., im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Sie war seit dem 7. Februar 2011 als Abrufarbeitnehmerin bei einer Logistikfirma
beschäftigt. Aus dieser Tätigkeit erhielt sie ein monatlich schwankendes Einkommen, wobei das Gehalt jeweils im Folgemonat
ausgezahlt wurde. Ergänzend erhielten die Kläger seit September 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.
Für den Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Mai 2014 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II ohne Vorläufigkeitsvorbehalt und berücksichtigte dabei ein Einkommen in Höhe von 1.100,- Euro brutto und 850,- Euro netto.
Tatsächlich erzielte die Klägerin zu 1. in den genannten Monaten ein höheres Gehalt. Nachdem dies dem Beklagten bekannt geworden
war, hob er mit Bescheid vom 12. Juni 2014 die Leistungsbewilligungen für den Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Mai
2014 teilweise auf und forderte eine Erstattung von Leistungen für den genannten Zeitraum in Höhe von insgesamt 864,02 Euro
(aufgeschlüsselt nach Klägern und Monaten). Dem hiergegen gerichteten Widerspruch der Kläger gab der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 30. Dezember 2015 teilweise statt und reduzierte die Aufhebung und die Erstattungsforderung insoweit, als dass von den
Klägern insgesamt nur noch ein Betrag von 761,81 Euro erstattet verlangt wurde, davon 492,97 Euro von der Klägerin zu 1. und
268,85 Euro vom Kläger zu 2.
Hiergegen erhoben die Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg, die erfolglos blieb (Az.: S 29 AS 255/16, Urteil vom 8. September 2017). Die Kläger legten Berufung zum Landessozialgericht ein, die unter dem Aktenzeichen L 4 AS 26/18 geführt wurde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 30. September 2019 gab der Beklagte ein Teilanerkenntnis ab,
mit dem die Forderung gegenüber der Klägerin zu 1. auf insgesamt 460,54 Euro und gegenüber dem Kläger zu 2. auf insgesamt
251,16 Euro reduziert wurde. Sodann wies der Senat die Berufung mit Urteil vom 30. September 2019 zurück. Die hiergegen gerichtete
Revision zum Bundessozialgericht (B 4 AS 10/20 R, Urteil vom 24. Juni 2020) hatte im Sinne der Aufhebung des Urteils vom 30. September 2019 und Zurückverweisung des Rechtsstreits
an das Landessozialgericht Erfolg. Für die Einzelheiten wird auf die genannten Urteile des Sozialgerichts, Landessozialgerichts
und Bundessozialgerichts verwiesen.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat der Senat am 29. April 2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt und in dieser
die Klägerin zu 1. persönlich angehört. In der Verhandlung hat der Beklagte zunächst sein Teilanerkenntnis präzisiert, wobei
sich die Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderungen nicht weiter verändert hat, sodass vom Kläger zu 2. weiterhin 251,16
Euro verlangt werden. Sodann hat die Klägerin zu 1. ihre Berufung vollen Umfangs zurückgenommen. Der Kläger zu 2. hat seine
Berufung auf die Erstattungsforderung beschränkt und die Berufung hinsichtlich der Aufhebung der Leistungsbewilligungen zurückgenommen.
Er ist der Ansicht, dass die Erstattungsforderung wegen der Regelung zur Minderjährigenhaftung in §
1629a Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) rechtswidrig ist. Der Kläger zu 2. hat Umsatzübersichten seines Girokontos vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass das Konto
am xxxxx 2020, seinem 18. Geburtstag, ein Guthaben von 749,58 Euro aufwies. Er hat ferner einen Kontoauszug seines PayPal-Kontos
übersandt, der für den xxxxx 2020 kein Guthaben ausweist. Ferner hat er erklärt, am xxxxx 2020 nicht über weiteres Vermögen
verfügt zu haben.
Der Kläger zu 2. beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. September 2017 und den Bescheid vom 12. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30. Dezember 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 30. September 2019 hinsichtlich der Erstattungsforderung aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Erstattungsforderung für rechtmäßig.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf das Sitzungsprotokoll und den weiteren
Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Nach der vollständigen Rücknahme der Berufung der Klägerin zu 1. und der teilweisen Rücknahme der Berufung des Klägers zu
2. ist Streitgegenstand nur noch die Erstattungsforderung des Beklagten gegenüber dem Kläger zu 2.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Das Erstattungsverlangen des Beklagten ist nur in Höhe von 141,35 Euro rechtmäßig.
Die Erstattungsforderung findet ihre Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Ist ein Verwaltungsakt aufgehoben worden, so sind danach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Diese allgemeinen Voraussetzungen
für eine Erstattung sind erfüllt, denn die ursprünglichen Leistungsbewilligungen an den Kläger zu 2. für die Monate Februar
2014 bis Mai 2014 sind teilweise aufgehoben worden. Die Aufhebung ist – nach Rücknahme der hierauf bezogenen Berufung – auch
bestandskräftig. Die Berechnung der Rückforderungssumme hinsichtlich der Monate März, April und Mai 2014 ergibt sich aus dem
Widerspruchsbescheid, der insoweit keine Fehler aufweist. Hinsichtlich des Monats Februar 2014 folgt ein Erstattungsanspruch
– nachdem die Aufhebung des Änderungsbescheids vom 17. März 2014 im Wege des Teilanerkenntnisses aufgehoben wurde – aus der
Teilaufhebung der vorangegangenen Bewilligungsentscheidung durch den Änderungsbescheid vom 17. März 2014. Mit diesem Änderungsbescheid
wurde die Bewilligung von Leistungen für den Monat Februar 2014 für den Kläger in Höhe von 53,62 Euro aufgehoben. Insgesamt
errechnet sich daher folgende Erstattungssumme:
Februar
|
53,62 Euro
|
März
|
54,84 Euro
|
April
|
64,51 Euro
|
Mai
|
78,19 Euro
|
Gesamt
|
251,16 Euro
|
Erstattungsbescheide, die auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ergehen, müssen sich jedoch auch an §
1629a BGB messen (zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 28.11.2018 – B 4 AS 43/17 R und B 4 AS 34/17 R und Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R). Nach dieser Vorschrift beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen
Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand
des bei Eintritt in die Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Die entsprechende Anwendung des §
1629a BGB hat in vollem Umfang zu erfolgen, denn im Sozialrecht kann aus verfassungsrechtlichen Gründen kein geringerer Schutz der
Minderjährigen gelten als im Zivilrecht. Die Regelung über die Beschränkung der Minderjährigenhaftung findet zudem nicht erst
im Verwaltungsvollstreckungsverfahren Anwendung, sondern betrifft bereits den Erstattungsbescheid (vgl. Bundessozialgericht
a.a.O.). Der Anwendung der Vorschrift steht zuletzt auch nicht die Regelung in §
1629a Abs.
2 Alternative 2
BGB entgegen, wonach die Haftungsbeschränkung keine Anwendung findet auf Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften, die allein der
Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Minderjährigen dienten. Diese den Anwendungsbereich der Schutzvorschrift einschränkende
Regelung findet auf die Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II keine Anwendung (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O.).
Die Verbindlichkeit in Form der gegenüber dem Kläger zu 2. geltend gemachten Erstattungsforderung ist durch eine Handlung
der vertretungsberechtigten Mutter, der Klägerin zu 1., begründet worden. Die zur Erstattung führende Überzahlung resultiert
aus der Beantragung und der Entgegennahme der Leistungen nach dem SGB II (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 28.11.2018, a.a.O.).
Der Kläger zu 2. verfügte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit am xxxxx 2020 über pfändbares Vermögen
in Höhe von lediglich 141,35 Euro. Das Vermögen des Klägers beschränkte sich nach den glaubhaften und vom Beklagten auch nicht
angezweifelten Angaben des Klägers zu 2. auf das Guthaben auf seinem Girokonto in Höhe von 749,58 Euro. Dieses Guthaben ist
jedoch nicht in voller Höhe zu berücksichtigen. Denn die Haftung des volljährig Gewordenen nach §
1629a BGB umfasst nicht die gemäß §
811 Zivilprozessordnung (
ZPO) unpfändbaren Gegenstände (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 34/17, Rn. 23). Nach §
811 Abs.
1 Nr.
8 ZPO ist von der Pfändung ausgenommen „bei Personen, die wiederkehrende Einkünfte der in den §§ 850 bis 850b dieses Gesetzes oder der in §
54 Abs.
3 bis
5 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch bezeichneten Art oder laufende Kindergeldleistungen beziehen, ein Geldbetrag, der dem der Pfändung nicht unterworfenen Teil
der Einkünfte für die Zeit von der Pfändung bis zu dem nächsten Zahlungstermin entspricht“.
Der Kläger stand zum Zeitpunkt seines 18. Geburtstags in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Aldi, aus dem er Arbeitseinkommen
und damit wiederkehrende Einkünfte im Sinne von §
850 ZPO bezog. Ferner erhielt er regelmäßige Zahlungen von der M., einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, die unter §
54 Abs.
4 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) fallen. Konkret erhielt er am 27. April 2020 ein Gehalt in Höhe von 787,14 Euro ausgezahlt und am 30. April 2020 einen Betrag
von der M. in Höhe von 314,03 Euro, insgesamt also 1.101,17 Euro. Für das Arbeitsentgelt gilt nach §
850c Abs.
1 ZPO i.V.m. der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2019 (BGBl. I S. 443), dass es in Höhe von monatlich 1.178,59 Euro unpfändbar ist. Von sonstigem Einkommen ist gem. § 850i
ZPO dem Schuldner so viel zu belassen „als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem
Arbeits- oder Dienstlohn bestünde“, d.h. auch insoweit wären 1.178,59 Euro unpfändbar. Da die Gesamteinkünfte des Klägers
mit 1.101,17 Euro unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegen, sind die Einkünfte insgesamt nicht der Pfändung unterworfen.
Im Rahmen des §
811 Abs.
1 Nr.
8 ZPO ist von diesen unpfändbaren Einkünften sodann der Betrag zu ermitteln, der dem „Teil der Einkünfte für die Zeit von der Pfändung
bis zu dem nächsten Zahlungstermin entspricht“. Als „Zeit der Pfändung“ ist hier der Tag der Volljährigkeit, also der xxxxx
2020, anzusetzen. Das nächste Arbeitseinkommen wurde am 26. Mai 2020 ausgezahlt und damit 16 Tage später. Auf diesen Zeitraum
entfallen dementsprechend 16/30 des Arbeitsentgelts, d.h. 419,81 Euro. Dieser Betrag ist von der Pfändung ausgenommen. Die
nächste Zahlung der M. erfolgte am 28. Mai 2020, sodass ein Betrag in Höhe von 18/30 der Zahlung, d.h. 188,42 Euro, pfändungsfrei
bleibt. Insgesamt ist daher ein Betrag von 608,23 Euro nicht der Pfändung unterworfen. Von dem Vermögen des Klägers zu 2.
in Höhe von 749,58 Euro können daher nur 141,35 Euro für die Haftung herangezogen werden. Folglich ist die Erstattungsforderung
nur in dieser Höhe rechtmäßig. Der Erstattungsbescheid war aufzuheben, soweit damit eine höhere Forderung geltend gemacht
wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.